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MARVEL-BROKER/010: Der spektakuläre Spider-Man 3


Paul Jenkins, Daniel Way


Der spektakuläre Spiderman 3



Venom, zwei Seelen schlagen, ach, in meiner Brust

Um das ganze Ausmaß des Dramas um Eddie Brock und seinem Symbionten voll zu verstehen, muß man in den Mai des Jahres 1984 zurückgehen, als in der amerikanischen Ausgabe Nr. 252 von "the Amazing Spider-Man" die Spinne das erste Mal in seinem neuen, schwarzen Alien-Kostüm erschien.

Als sein Spinnensinn den Netzschwinger zu einer fremdartigen Konstruktion in den New Yorker Central Park führte, wurde er plötzlich in blendendes Licht gehüllt und verschwand in gleißenden Strahlen, während er sich dem Gebilde näherte. Er war zusammen mit anderen Superhelden und auch Superschurken von einem nahezu allmächtigen Wesen namens Beyonder auf einen Satelliten in einer weit entfernten Galaxie gebracht worden und sollte auf den Planeten Battleworld einen Krieg führen. Spider-Man focht viele Schlachten, die sein Kostüm zerschleißten, doch er fand eine Maschine, die seine zerfetzte Kleidung zu ersetzen vermochte: Heraus kam ein rundes, schwarzes Ding, bei dessen Anblick sein Spinnensinn zu klingeln begann, und das sich augenblicklich von seinen Arm aus immer weiter ausbreitete, bis Spider-Man vollständig eingehüllt war. Sein altes, ramponiertes Kostüm wurde von dem neuen schwarzen Anzug völlig aufgelöst.

Nach der geglückten Flucht vor dem Beyonder gelang es den Helden, zur Erde zurückzukehren, und die Spinne nahm das Alien-Kostüm mit. Nach und nach entdeckte er, daß sein neuer Anzug anscheinend endlose Mengen an Netzen liefern und auch auf Wunsch seine Erscheinungsform ändern konnte. Peter stand mit ihm in einer Art geistigen Verbindung, selbst wenn sie körperlich voneinander getrennt waren, und es kam sogar aus einem anderen Zimmer zu ihm herübergekrochen, wenn er es mental rief. Der Anzug schien auch stets zu wissen, was Peter gerade wollte. Doch dann kam die Zeit, in der das Kostüm in der Nacht die Kontrolle über den schlafenden Peter übernahm, ihn heimlich umhüllte und mit ihm loszog. Nach dem Aufwachen hatte Peter keine Erinnerungen über seine nächtlichen Ausflüge, doch er fühlte sich müder und erschöpfter als vor dem Schlafen. Die Erschöpfung spitzte sich immer mehr zu -

Peter verschlief nicht nur ganze Tage, sondern hatte auch schreckliche Albträume - so daß er Reed Richards von den Fantastischen Vier um Hilfe bat.

"Mr. Fantastic" Richards zog alle Register seines wissenschaftlichen Könnens und lüftete nach einer langen Reihe ausgiebiger Tests das Geheimnis des neuen Kostüms: Es war ein empfindungsfähiges, lebendes Wesen, das mit Spider-Man eine körperliche und mentale Symbiose eingegangen war und nicht, wie zunächst angenommen, nur ein wundersamer Anzug aus einem unbekannten, außerirdischen Material. Doch auch der Symbiont wußte nun, daß sein wahres Wesen aufgedeckt worden war, und so versuchte er, sich mit dem Wirt unzertrennlich zu verbinden. Die Spinne ihrerseits versuchte mit allen Mitteln, sich des fremden Wesens zu entledigen, aber es umschloß ihn immer fester und fester, bis er fast erdrückt wurde. Glücklicherweise hatte Mr. Fantastic bei seinen Tests herausgefunden, daß der Symbiont auf bestimmte Frequenzen im akustischen Bereich reagierte, und so konnte die Spinne von dem Kostüm befreit werden. Doch dem Alien gelang die Flucht, und so konnte er später erneut die Spinne befallen. Der Showdown fand im Glockenturm der "Our Lady Of Saints-Kirche" statt. Bei dem Klang der Glocken erkannte der Symbiont, daß es nun hieß, er oder sein Wirt, und so opferte er sich, um das Leben der Spinne zu retten.

Genau vier Jahre nach der Premiere des schwarzen Alien-Kostüms trifft in "the Amazing Spider-Man" Nr. 300 die Spinne erstmals auf Venom, der sich eigentlich aus zwei Wesen zusammensetzt: aus Eddie Brock als Wirt und dem Alien, der einst das Spider-Man Kostüm war, als Symbiont. Beide haben ihre Gründe, die Spinne zu hassen.

Eddie Brock, ein geachteter Reporter des "New York Globe", stieg für kurze Zeit zum Medienstar auf, als er eine Enthüllungsstory über einen Mann, der sich als Serienkiller Sin-Eater outete, veröffentlich hatte. Doch dieser Mann entpuppte sich als pathologischer Lügner, nachdem die Spinne den echten Sin-Eater gefaßt hatte. Eddie verlor seine Arbeit und in Folge auch seine Frau und suchte die Schuld an der Zerstörung seiner Karierre und seines Privatlebens bei der Spinne. Doch als Katholik geriet er mit seinen Haß auf die Spinne in Widerspruch zu seinen Glauben, und so er zog von Kirche zu Kirche und bat um Vergebung. In der Our Lady Of Saints-Kirche erkannte das immer noch dort ruhende Alien-Kostüm einen verwandten Geist, nachdem er durch Eddies heftige Gefühlswallungen aufgestört worden war. Der Symbiont glitt über Eddie und verschmolz mit ihm zu Venom. Venom verfügt nicht nur über sämtliche Fähigkeiten des Aliens, sondern auch über die von Spider-Man, da der Symbiont geistig mit Peter Parker verbunden war und selbst dessen intimsten Geheimnisse kennt. Zudem ist er viel stärker als Spider-Man und kann durch den Symbionten jedes nur vorstellbare Aussehen annehmen.

Wie in Goethes Zauberlehrling hat also die Spinne die Geister erschaffen, die sie nicht mehr los wird, und in einer unendlichen Verkettung von Schicksalsschlägen wird Spider-Man immer wieder in diese zwanzig Jahre alte Auseinandersetzung zwischen sich und dem Alien-Kostüm hineingezogen. In dem aktuellen Heft schließt sich der Kreis, und der Symbiont, der sich weiterentwickelt hat und seinen Wirt Eddie nicht mehr braucht, übernimmt nach dauerhafter Zielstrebigkeit seinen ersten Wirt, die Spinne. Auf der Strecke bleibt ein zutiefst enttäuschter und verratener Eddie, der dem Symbionten stets loyal geblieben war - ihm alles gegeben hat -, und der nun für seine Treue in die tiefsten Abgründe menschlicher Einsamkeit gestoßen wird.

Dem geneigten Leser wird einmal mehr vor Augen geführt, daß es in der heutigen Zeit keinen Platz für Treue gibt. Ob es sie überhaupt je gegeben hat, sei dahin gestellt, aber gerade deswegen sollte man doch nicht dem Zeitgeist folgen, der sie als überholten Wert in die Mülltonne zu werfen versucht.

Euer Marvel-Broker


Der spektakuläre Spiderman 3
Autoren: Paul Jenkins, Daniel Way
Zeichner: Humberto Ramos, Francisco Herrera
Panini, Stuttgart, Mai 2004
52 Seiten, farbig, Softcover-Album, Kleinformat, 3,65 Euro