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ANTIQUARIAT/037: "Die Sputnik-Jahre" von Baru (SB)


Baru (Hervé Baruela)


Die Sputnik-Jahre

Band 1 "Der Elfmeter"



An dem Tag, nach der Schule, war ich "da unten" gewesen, einkaufen bei der Werksgenossenschaft, und dieser Mistkerl Boris und sein blöder Bruder haben mich überfallen - zwei Fettärsche von "unten". Deshalb hab ich mich nachmittags auf dem Schulhof, der "oben auf" ist, ganz schön gerächt!

Wie bitte?! Ihr wißt nicht, was das soll, "da unten" und "oben auf"? Ich erklär's euch! Bei uns in Sainte Claire gibt es zwei Stadtteile. Es gibt die Siedlung hinten am Hang, da wohnen die Leute "da unten", und die Siedlung auf dem Hügel, wo wir wohnen, das ist "oben auf" ...

Der zehnjährige Igor, der den Leser durch diese Geschichte führt, schildert seine Sichtweise jenes denkwürdigen Tages, an dessen Ende er zum Fußball-Helden wurde. Wie schon so oft, entwickelt sich auch aus dem Streit mit Boris und seinem Bruder eine der großen Schlägereien, die zwischen den Cliquen von "oben" und "unten" ausgetragen wird. Da der Kampf jedoch nicht mit einem eindeutigen Sieger endet (die von "oben" haben zwar als erste die Grenze überschritten, dafür haben sie aber auch zuerst geblutet), muß die endgültige Entscheidung durch ein Fußballspiel ausgetragen werden. Igors größter Geger dabei ist jedoch nicht, wie man vielleicht meinen könnte, sein Gegenspieler von der anderen Mannschaft, sondern stammt aus den eigenen Reihen: Jeannot, der Anführer der "Kleinen" von "oben". Er und Igor hassen sich wie die Pest. Wie immer spielt Jeannot sich auch bei diesem Anlaß in den Vordergrund. Weil er nicht bereit ist, den Ball auch mal abzugeben, kassiert die Mannschaft von "oben" mehrere Tore, verliert ihren Vorsprung und muß am Ende ein Elfmeterschießen akzeptieren. Leider ist Torhüter Jackie, ein Ass, während des Spiels K.O. gegangen und Igor muß für ihn einspringen. Er sieht sich schon mit Schimpf und Schande beladen vom Platz gehen, da geschieht das Wunder - er hält den Ball ...

Rivalität und Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Jugendlichen stehen im Mittelpunkt dieser in den 50er Jahren spielenden Geschichte. Während andernorts der Kalte Krieg herrscht, erlebt der zehnjährige Igor seine Kindheit in dem kleinen Ort Saint-Claire - von Baru mit leichter Hand eingefangen und atmosphärisch dicht inszeniert.

Man hätte nicht krampfhaft die seinerzeit gerade anstehende Fußball-Weltmeisterschaft bemühen müssen ("Rechtzeitig zur WM ..."), um Werbung für diese Serie zu machen, denn damit sind "Die Sputnik-Jahre" nur in einem Teilaspekt vertreten. Igor und seine Freunde spielen zwar Fußball, aber das ist es nicht, was diese Geschichte ausmacht, was ihr Lebendigkeit, Charme und Authentizität verleiht. Das wesentliche ist die aus der Perspektive von ungestümen Halbwüchsigen erlebte Atmosphäre der 50er Jahre, in der für den Leser das Lebensgefühl dieser Zeit in einer französischen Kleinstadt erlebbar und nachvollziehbar wird.

Der 1947 geborene BARU (Hervé Baruela) gilt als einer der renommiertesten französischen Comiczeichner. Nachdem er zunächst eine Ausbildung zum Sportlehrer gemacht und lange Jahre in diesem Beruf gearbeitet hatte, erschien 1982 in dem bekannten Comic- Magazin Pilote seine erste Kurzgeschichte, der bald weitere folgten. 1986 brachte er mit "Quéquette Blues", in dem er an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, sein erstes längeres Werk heraus, das auf dem Comicsalon in Angoulême auf Anhieb mit dem ersten Preis für das beste Debütalbum ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später folgte mit "Vive la classe" eine weitere Rückschau in die Vergangenheit. In dem auch in Deutschland erschienenen Album "Der Champion" (Carlsen, 1991) beschreibt Baru seine Erlebnisse aus der Zeit, während der er in dem sich von der Kolonialmacht Frankreich lösenden Algerien lebte. Seither blieb Baru bei sozialkritisch und realistisch inszenierter Action, in der er seine bevorzugten Themen Immigration, Rassismus und Drogen verarbeitet. In "Lauf, Kumpel" (Carlsen, 1989) beispielsweise müssen der Nordafrikaner Mohamet und sein polnischer Freund Stanislas vor Rechtsradikalen durch Frankreich flüchten. Von sich reden machte auch Barus Comic-Roman "Autoroute du soleil" (Edition Moderne, Zürich 2000), den er als einer der ersten Autoren für den japanischen Manga-Markt entwickelt hatte und der 1996 in Angoulême als "Bestes Album" ausgezeichnet wurde.

17. April 2007

Die Sputnik-Jahre (1) "Der Elfmeter"
von Baru
Carlsen Verlag, Hamburg, Mai 2002
48 Seiten, Hardcover, farbig, 14,- Euro
ISBN 3-551-73662-3


Band 2 "Ich bin der Anführer" (ISBN 3-551-76362-3)