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FESTIVAL/101: Erlangen 2008 - Manhua, neue Welle aus Fernost (Szene WHatcher)


Szene WHatcher - Das Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für triviales Entertainment seit 1995, No. 268 vom 10. Juni 2008

Internationaler Comic Salon Erlangen 2008

Manhua - neue Welle aus Fernost


Wirtschaftswunder - Comic-Wunder?

Kein Tag vergeht, an dem die Zeitungen nicht mit Meldungen aus China bis zum Rand gefüllt sind, sei's der aktuelle, der Wirtschafts- oder der Sport-Teil, nur im Feuilleton-Teil noch nicht, mal abgesehen von der einen oder anderen Berichterstattung über die (noch) überraschend günstigen Erwerbsmöglichkeiten von brachialer Revolutions-Kunst aus der Mao-Ära. Vielen ist diese Entwicklung unheimlich, zumal nicht nur positive Meldungen aus dem Reich der Mitte nach Europa dringen. Da wirkt zumindest auf kultureller Basis die Tatsache entspannend, dass sich der chinesische Comic, der Manhua, zunächst in Fernost aus den Tentakeln des Manga zu befreien scheint und nun Anstalten macht, möglicherweise den schwächelnden Japan-Comic auch hierzulande abzulösen, zu wünschen wär's dem Manhua - und uns auch.

Um die Ankunft des Manhua in Deutschland zu würdigen, hatten die Veranstalter des Erlanger Salons eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die alle bislang in der Heinrich-Lades-Halle gezeigten Hängungen verblassen lassen. Eine Anordnung von Teichen, Bambus und Wegen aus Holzplanken vermittelte eine exotische Atmosphäre, die den Hauptdarsteller, den Manhua, erst einmal in den Hintergrund rückte. Die Sinnesbetäubung war erheblich und so wurden die Besucher am Eingang auch vor Fehltritten in die knöcheltiefen, künstlich angelegten Teiche gewarnt - einer Situation, die an den ersten Tagen einigen abgelenkten Betrachtern widerfahren war. Erst nach dem Inhalieren dieser faszinierenden Welt war die visuelle Annäherung an den Manhua möglich.

Die Zeiten, da sich der chinesische Comic auf die Heroisierung von kommunistischen Frauenbataillonen oder sich mit dem Kampf auf dem Djingdjiang-Fluss befasste, sind vorbei. Die in Erlangen gezeigten Manhua sind nicht mehr Propagandamaterial politischer Ideologien oder Träger kulturrevolutionärer Ideen, sondern vielmehr die Auseinandersetzung einer visionären, jungen Generation mit uralten Traditionen, totalitären Regimen und einer kulturellen Verwestlichung durch Werteverluste und eine immens konsumorientierte Gesellschaft. Der inhaltliche Spannungsbogen ist dementsprechend weit gespannt und gibt einen tiefen Einblick in das Denken und Handeln sowie die Gefühlswelt der chinesischen Wirtschaftswunder-Generation.

Viele Manhua sind für das europäische Auge sehr gefällig und besonders Zeichner wie Benjamin, Xia Da oder Nie Chongrui entsprechen mit ihren Arbeiten sehr dem abendländischen Geschmack.

Dass ausgerechnet Erlangen heuer diese Entwicklung brühwarm aufgreift, nachdem man den Manga - zu recht oder zu unrecht sei dahingestellt - jahrelang schnöde ignoriert hat, ist erfreulich und entspricht zumindest was die Präsentation aktueller Einflüsse und neuer Trends anbelangt den Erwartungen an eine Comic-Messe.


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Quelle:
Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für
triviales Entertainment seit 1995, No. 268 vom 10. Juni 2008
Herausgeber: Joachim Heinkow
Luisenstrasse 32, 12209 Berlin-Lichterfelde
Tel.: 030-768 051 22, 0171-681 74 11
eMail: heinkow@gmx.de
Internet: http://www.szene-wHatcher.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2008