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HINTERGRUND/013: 5. Oktober 1944 - "Spirou" darf wieder erscheinen (SB)


"Spirou" darf wieder erscheinen

Am 5. Oktober 1944 durfte das belgische Comic-Wochenmagazin "Spirou" nach zeitweiligem Verbot durch die Besatzungsmächte wieder erscheinen.


Das erstmals am 21. April 1938 erschienene Comic-Wochenmagazin für Kinder und Jugendliche "Spirou", das sich bis heute auf dem Markt halten konnte und somit das älteste belgische Magazin seiner Art ist, hat eine bewegte Geschichte hinter sich, zu der auch das zeitweilige Erscheinungsverbot während der Besatzungszeit im 2. Weltkrieg gehört.

Auf Anordnung der deutschen Besatzungsmacht mußten im Juli 1943 alle Periodika nach Veröffentlichung der letzten vorliegenden Beiträge eingestellt werden. Dank des unermüdlichen Einsatzes des Zeichners Jijé (Joseph Gillain), der, unterstützt von seinem Assistenten Will, drei Seiten pro Tag produzierte, um Zeit zu gewinnen, reichte dieser "Vorrat" bis zum 2. September 1943; an diesem Tag erschien "Spirou" zum vorerst letzten Mal. Der Neustart am 5. Oktober 1944 fand bereits wenige Tage nach der Befreiung Süd-Belgiens statt.

Um eventuell aufkommender Verwirrung vorzubeugen: "Spirou" gibt es in dreifacher Ausführung. Die Figur "Spirou" ist der Titelheld der gleichnamigen Serie "Spirou", welche wiederum die Titelserie des gleichnamigen Comic-Jugendmagazins "Spirou" ist.

In Belgien erschienen in den 30er Jahren mehrere Jugendzeitschriften mit Comicteil, wie z.B. "Mickey" oder "Robinson". Auch die wöchentliche Beilage zur Tageszeitung "Le Vingtième Siècle", "Petit Vingtième", war sehr populär. Noch kurz vor dem Krieg erschien ein weiteres Comic-Jugendmagazin: "Spirou". Der Verlag Dupuis, Herausgeber dieses Magazins, hatte von Anfang an das Bestreben, seinen Schwerpunkt auf die einheimische Comic-Produktion zu setzen. Während der kommenden Jahre erwies sich dieses Konzept als sehr haltbar, denn der Konkurrenz ging durch Einfuhrverbote während der Kriegsjahre das amerikanische Lizenzmaterial verloren.

Als die Rohstoffe während des 2. Weltkrieges knapp wurden, erschien "Spirou" zeitweise als Faltblatt. Neu gekauft sah es aus wie ein zusammengefaltetes Poster. Nachdem man es aufgefaltet hatte, waren auf der einen Seite dieses "Posters" die acht Vierfarb-Comicseiten angeordnet, während die schwarzweiß gehaltene Rückseite redaktionelle Beiträge, Rätsel, Fortsetzungsromane und ähnliches enthielt.

Zahlreiche hervorragende Serien erblickten im Laufe der Zeit auf den Seiten von "Spirou" das Licht der Comic-Welt, allen voran natürlich "Spirou" von Rob-Vel (Robert Velter), der in der ersten Ausgabe des Magazins Premiere hatte. Weitere bekannte Serien waren unter anderem: "Les Schtroumpfs" ("Die Schlümpfe"), "Gaston Lagaffe" (bei uns zunächst als stotternder Dummkopf "Jo-Jo" in der Übersetzung des Kauka-Verlages, später in adäquater Übertragung als "Gaston" bekannt), "Lucky Luke", "Jerry Spring" oder "Buck Danny". Auch Serien amerikanischen Ursprungs, wie "Tarzan" oder "Dick Tracy" wurden übersetzt veröffentlicht.

Auch während des Erscheinungsverbotes blieben Redaktion und Zeichner von "Spirou" zusammen und stellten im Januar 1944 den "Almanach 1944" zusammen, in dem auf 160 Seiten alle beliebten Serien mit längeren Geschichten vertreten waren.

Nach dem Neuanfang lag die Hauptlast der Arbeit wiederum bei Jijé, der sein Pensum kaum mehr bewältigen konnte. Doch glücklicherweise gab es 1945 genügend arbeitslose Nachwuchszeichner, von denen manch einer sehr talentiert war. Woran es mangelte, war die praktische Erfahrung; aus dieser Situation entstand die später so berühmt gewordene "École Marcinelle", die neben der "Schule Ligne Claire" von Hergé eine der beiden wichtigsten Comiczeichen-Stilrichtungen in Belgien werden sollte. Doch zunächst buk man kleine Brötchen: In einem engen Zeichenstudio brachte Meister Jijé seinen Schülern das Handwerk des Comiczeichnens bei. André Franquin, Eddy Paape, Morris und Will bildeten sich als der "harte Kern" heraus, welcher bis Anfang der 50er Jahre das Magazin "Spirou" prägte.

Schon der "Almanach 1947" enthielt erste zukunftsweisende Arbeiten des Nachwuchses, so unter anderem die erste "Spirou"-Geschichte von Franquin. Auch der damals noch etwas beleibtere "Lucky Luke" von Morris hatte Premiere. Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der jungen Zeichner war eine längere Reise, die Jijé im selben Jahr unternahm. Seine Serien "Valhardi" und "Spirou" wurden in dieser Zeit erfolgreich von Eddy Paape und André Franquin weitergeführt.

"Spirou" hatte seine ganz großen Erfolge bis Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre; danach folgte eine Zeit der Stagnation und des Rückganges. 1967 verließen Jijé und Paape das Magazin, um bei Dargaud zu arbeiten. Die größte Krise trat in den 70er Jahren ein, eine Zeit, in der die Herausgeber alles daran setzten, "modern" zu wirken. Mit dem Tod einer Reihe von bekannten Zeichnern und Autoren - unter ihnen Goscinny (1977) und Jijé (1980) - ging die glorreiche Comic-Ära, die sie selbst mit aufgebaut hatten, unwiederruflich zuende.

In den 80er Jahren versuchen die Herausgeber mit neuen Konzepten, dem veränderten Zeitgeschmack Rechnung zu tragen - was ihnen auch gelung, denn im Gegensatz zu dem ebenfalls sehr berühmten Magazin "Tintin", das 1989 eingestellt werden mußte, ist "Spirou" nach wie vor ein kommerziell erfolgreiches, gut gemachtes Kindermagazin, das seinen festen Leserstamm hat.

14. August 2008