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UMFELD/186: TOMs Figur des Rauchers Ralf ist Deutschlands erstes Raucherdenkmal (Caricatura)


CARICATURA - Galerie für Komische Kunst im KulturBahnhof
Pressemitteilung vom 6. September 2010

TOMs Figur des Rauchers Ralf ist Deutschlands erstes Raucherdenkmal

Das Raucherdenkmal - Bild: © Camilo D'Alessio

Das Raucherdenkmal
Bild: © Camilo D'Alessio
Stolz reckt Ralf eine Filterzigarette in die Höhe - die 3,10 Meter hohe Skulptur, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag vor der CARICATURA Galerie im KulturBahnhof Kassel enthüllt wurde, macht deutlich: Deutschlands Raucher haben ihren Kampf noch nicht aufgegeben. Nach dem niederschmetternden Volksentscheid in Bayern können Tabakfreunde in Kassel jetzt zu einem gar heldenhaften Denkmal aufschauen.

Die Figur des Rauchers Ralf stammt aus der TOM-Cartoon-Reihe "Touché", die täglich in der taz sowie einer Reihe anderer Tageszeitungen erscheinen. Das Vorbild für die Cartoonfigur lieferte taz-Autor Ralf Sotscheck, der gemeinsam mit Kollege Wiglaf Droste und Zeichner TOM das Denkmal feierlich der Öffentlichkeit übergab. Die CARICATURA - Galerie für Komische Kunst schenkte die Skulptur TOM zu dessen diesjährigem fünfzigsten Geburtstag. Der Beschenkte hatte allerdings die Pflicht, den Entwurf für sein Denkmal selbst zu liefern und er wählte die Figur des ewigen Rauchers Ralf. Und der hat wirklich das Zeug zum Helden:

"RaucherRalle gibt den Rauchern im Land Namen, Gestalt und Gesicht. Lebensgroß und weithin sichtbar steht RaucherRalle über den Dächern von Kassel - und reckt, wie Hermann der Cherusker im Hermannsdenkmal sein Schwert, eine glühende Zigarette in den Himmel!"

Autor Wiglaf Droste brachte die Dinge in seiner Laudatio wie gewohnt deutlich auf den Punkt: "Tatsächlich hat TOMs RaucherRalle-Denkmal", so Droste weiter, "mit der germanischen Heldenfigur Hermann rein gar nichts zu tun - aber vieles, wenn nicht alles mit der Freiheitsstatue." Denn die "erniedrigten und geschlagenen Raucher des Landes" können sich ab sofort unter einem Raucherdenkmal versammeln. Droste springt den gebeutelten Rauchern im Lande kräftig zur Seite, wenn er analysiert, dass "nur dort, wo nicht über Rauchen oder Nichtrauchen herumgezetert wird", letztendlich auch "substantiell diskutiert und debattiert" werden kann.

In TOMs Denkmal steht der aufrechte Raucher in einem Aschenbecher, dessen Aufschrift "Fluctuat nec mergitur" lautet. So steht es im Stadtwappen von Paris: "Fluctuat nec mergitur". - "Von den Wogen geschüttelt, wird es doch nicht untergehen", oder, weniger blumig übersetzt: "Sie mag schwanken, aber sie geht nicht unter". Was für die Stadt Paris Gesetz ist, gilt nicht minder eben auch für Raucher vom Schlage eines Ralf: "Die Hand mit der Zigarette mag zittern, doch sie schafft es bis zu den Lippen. Immer.", sagt Droste.

Nach Angaben der Veranstalter der Museumsnacht Kassel, in deren Verlauf die Skulptur enthüllt wurde, waren am vergangenen Samstag 90.000 Besucher in den Kasseler Museen und Galerien unterwegs - allein die CARICATURA Galerie zählte an diesem Tag 7.500 Besucher.


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Jesus hätte geraucht!

Die CARICATURA Kassel errichtet mit TOMs RaucherRalle Deutschlands erstes Raucherdenkmal

Laudatio von Wiglaf Droste

TOM und Ralf Sotscheck neben dem Denkmal (v.l.) - Bild: © Camilo D'Alessio

TOM und Ralf Sotscheck neben
dem Denkmal (v.l.)
Bild: © Camilo D'Alessio
Zu seinem 50. Geburtstag bekam der Berliner Zeichner TOM eine ganz besondere Mitgift: CARICATURA, die Mutter der komischen Künste in Kassel, hatte lyrisch beschlossen: Schenk mal / 'n Denkmal! TOM brauche nur den Entwurf zu liefern, die CARICATURA werde dann das Denkmal vom Bildhauer Siegfried Böttcher bauen lassen und auf dem Dach des Kasseler Hauptbahnhofs aufstellen - neben dem dort bereits stehenden peterhacks'schen Försterballbären, den Böttcher 2008 nach Motiven von Walter Schmögner fertigte.

Und was tat TOM? Verewigte er sich selbst? Ließ er sich etwa überlebensgroß in Speckstein meißeln? O nein! Der Grundsympath entschied sich dafür, einer seiner Figuren ein zu Denkmal setzen: dem RaucherRalle alias Ralf Sotscheck, Irland- und Großbritannien-Korrespondent und wie TOM für die 'taz' tätig.

RaucherRalle gehört zum Universum des Zeichners Thomas Körner, der seit 1991 unter dem Namen TOM mit seinen "Touché"-Comics sein Publikum begeistert. In "Touché" erzählt TOM die Welt in drei Bildern, "Eins, zwei, drei" eben, und so rasant auf den Punkt gebracht wie in Billy Wilders gleichnamiger brillanter Komödie sind seine kurzen Bild-Text- Geschichten; das geht nur mit einem Gespür für exaktes Timing. Sechsmal in der Woche ist ein neues "Touché" von TOM auf der Wahrheitseite der 'taz' zu sehen, und das seit beinahe 20 Jahren und in nicht nachlassender Qualität; allein diese enorme Schlagzahl ist schon einmalig.

Bevölkert werden TOMs Bilder von hartnäckig penetranten 'Wachturm'-Verteilerinnen, reizenden Teufeln, einem Bademeister von der DLRG - die jedermann seltsamerweise immer "De Er La Ge" ausspricht -, einem Spinnweben ansetzenden Schalterbeamten bei der Post und seiner ihn vernatzenden Kundin; sogar eine Baumumarmerin ist mit an Bord. Für gewöhnlich ist TOMs Spott von milder, gutmütiger Art; wenn allerdings ihren Kot aufs Trottoir drückende Kötertölen mitsamt ihren Besitzern ins Spiel kommen, kann TOM seinen Humor durchaus forcieren.

TOM als den Herrn der Nasen zu bezeichnen, ist nicht übertrieben; auch seinem RaucherRalle verpasst er eine prachtvolle Gesichtsgurke. Der naiv-verdutzte Gesichtsausdruck RaucherRalles allerdings ist streng nach der Natur gearbeitet; mit genau dieser staunend-belämmerten Unschuldsmiene à la "Wie? Was? Iiich? Niemals! Ich hab doch gar nichts gemacht!" lugt Ralf Sotscheck in die Welt hinein, wenn er bei einem jener Streiche ertappt wurde, die er als Mann von Mitte 50 dennoch in jugendlich-ungestümer, Max-und-Moritz'scher Manier auszuhecken nicht müde wird. Handkehrum ist RaucherRalle stets bereit, sich vom Leben mit gleicher Münze zurückzahlen zu lassen und versteht es, jene Sorte Patzer und Katastrophen zu fabrizieren, ohne die das Leben unerträglich ernst wäre. Wenn RaucherRalle in einem TOM-Cartoon für einen isländischen Vulkan gehalten und mit einem Feuerlöscher traktiert wird, ist das komische Kunst - und doch von der Lebenswirklichkeit Ralf Sotschecks nur wenig entfernt.

Deshalb ist es ein ganz besonderer Akt der Humanität, dass TOM aus dem großen Fundus seiner Figuren ausgerechnet RaucherRalle als denkmaltauglich auswählte. RaucherRalle ist, wie sein Vorbild im Leben, bekennender Labilist und Süchtel. Wer wäre er, einer Versuchung zu widerstehen? Traditionell gelten kruppstahlharte, offensive und bestimmende Charaktere als Helden und Supermänner; RaucherRalle aber ist ein Held der wirklichen Wirklichkeit, ein Primus inter pares der menschlichen Schwächen, einer, der Missgeschick um Missgeschick erleidet stellvertretend auch für alle, die gleich ihm den Verlockungen, Wonnen und Qualen erliegen, die ihre eigene chronische Nachgiebigkeit mit sich bringt oder nach sich zieht. Da wir uns mitten im christlich geprägten Abendland befinden, wäre es Blindheit, in RaucherRalle nicht zu sehen, was er ist: der ungekreuzigte Jesus der Rauchenden. Falls jemand diesen Vergleich aus Mangel an Erkenntnis für überzogen hielte, sei dem gesagt: Jesus hätte geraucht. Hätte es im Jahr 32 unserer Zeitrechnung auf dem Hügel Golgatha einen Zigarettenautomaten gegeben - Jesus hätte noch eine Schachtel Fluppen gezogen. Wenn er denn eine Hand frei gehabt hätte.

TOMs RaucherRalle, das allerdings macht einen Unterschied, hat immer und sogar beide Hände frei zum Rauchen. Prall, wie ausgebraten, prangt RaucherRalle und widerlegt eindrucksvoll die Anti-Raucher-Hetze der 70er Jahre, die ein Skelett mit der Unterschrift "Rauchen macht schlank" zeigte. Auch heutigen Denunziationen von Rauchenden tritt RaucherRalle kraftvoll entgegen. In TOMs Denkmal sehen wir ihn in einem Aschenbecher stehen, dessen Aufschrift "Fluctuat nec mergitur" lautet. So steht es im Stadtwappen von Paris: "Fluctuat nec mergitur" - "Von den Wogen geschüttelt, wird es doch nicht untergehen", oder, weniger blumig übersetzt: "Sie mag schwanken, aber sie geht nicht unter". Was für die Stadt Paris Gesetz ist, gilt nicht minder eben auch für RaucherRalle: Die Hand mit der Zigarette mag zittern, doch sie schafft es bis zu den Lippen. Immer.

RaucherRalle gibt den Rauchern im Land Namen, Gestalt und Gesicht. Lebensgroß und weithin sichtbar steht RaucherRalle über den Dächern von Kassel - und reckt, wie Hermann der Cherusker im Hermannsdenkmal sein Schwert, eine glühende Zigarette in den Himmel!

Ich muss Sie, pardon, um Entschuldigung bitten: Der Hinweis auf das Hermannsdenkmal bei Detmold und damit auf seinen Erbauer Ernst von Bandel ist eine bloße Finte - die nur zeigen soll, wie leicht man in ästhetische und politische Fallen tappen kann. Ernst von Bandel war ein Deutschnationaler, der gemeinsam mit Hans Ferdinand Maßmann einen deutschen Turnerverein gründete. Maßmann war im doppelten Wortsinn Germanist; im Zusammenhang mit dem Wartburgfest im Jahr 1817 war er maßgeblich an der Verbrennung mehrerer Dutzend als antinational oder "undeutsch" eingestufter Bücher beteiligt. Ernst von Bandels Hermannsdenkmal ist Ausdruck derselben Geistesgetrübtheit, und wie Heinrich Heine Spottverse auf Maßmann dichtete, so gilt es, bis heute, das Hermannsdenkmal der verdienten Lächerlichkeit preiszugeben.

TOMs RaucherRalle-Denkmal hat mit der germanischen Heldenfigur Hermann also rein gar nichts zu tun - aber vieles, wenn nicht alles mit der Freiheitsstatue: Es ist die Glut der Freiheit, die hineinleuchtet ins Runkeldunkel der Welt, ein Leuchtfeuer für alle, die in die Irre gehen in allgemeiner Umnachtung und Kleingläubigkeit. Denn siehe - die Glut an der Spitze des RaucherRalle-Denkmals ist beleuchtet. Und zwar elektrisch!

Ursprünglich war sogar geplant, von dieser Glut auch Rauch aufsteigen zu lassen, doch der Vatikan protestierte und pochte auf sein Rauchaufsteigemonopol in der Sixtinischen Kapelle. Gläubische, so behaupteten die Anwälte der Berufskatholiken, hätten sonst irrenderweise annehmen können, in Kassel werde jeden Tag ein alter Papst gegen einen neuen ausgetauscht. Und diese Vorstellung wäre natürlich zu schön gewesen, diese Freude gestehen die vatikanischen Miesnickel der Menschheit nicht zu.

Insgesamt drei Meter zehn hoch ist TOMs RaucherRalle-Denkmal; zu sehen ist also kein verschämtes Grabmal eines unbekannten Rauchers, hier wird nicht eines heimlich und anonym verscharrten Zichtenknechtes gedacht, hier wird ein rauchender Mann in seinen besten (oder zumindest doch zweitbesten) Jahren geehrt! Wer aber ist dieser Mann, der Pate und Modell steht für TOMs RaucherRalle?

In einem Text über die sozialen Verwerfungen durch das gesetzlich erzwungene massenhafte Draußenrauchen schrieb ich über einen Suchtraucher: "Einen sah ich, der hatte solchen Schmacht, dass er sich sein Nikotinpflaster von der Glatze riss, es zusammenrollte und aufrauchte." Quell dieser Inspiration war Ralf Sotscheck, der eine Zeit lang seinen Kollegen, seinen Freunden, seinen Kindern, sogar seiner Frau und vor allem aber sich selbst vormachen wollte, er sei Nichtraucher - oder doch wenigsten quasi so gut wie Nichtraucher, wenigstens ab morgen oder demnächst, jedenfalls schon sehr bald. Dieses Gebaren löste allerlei Heiterkeit aus, und so sah sich Ralf Sotscheck irgendwann gezwungen, sein durchsichtiges Spiel aufzugeben. Seitdem raucht er wieder ganz offiziell und begrüßenswert heucheleifrei - und lässt sich das etwas kosten: 8 Euro 55 zahlt er in Irland für eine Schachtel Zigaretten, also knapp 43 Cent pro Lulle.

Wäre es nicht klug, gerecht und auch angemessen, wenn man hochaggressive Nichtrauchertalibane, die wegen ein paar Fluppen asoziale Bürgerkriege anzetteln und zuvor halbwegs friedliche Weltbewohner gegeneinander aufhetzen und ausspielen, wenn man also beispielsweise einen bayerischen Nichtraucherstreber, der sonst nichts kann noch gelernt hat, dazu zwönge, in Irland das Ketterauchen zu erlernen? Mit Ralf Sotscheck als Privatlehrer? Und auf diese Weise verhinderte, dass Privatangelegenheiten wie Rauchen oder Religion öffentlich ausgetragen und zu Aggressionsfeldern aufgebauscht werden?

Realistischer scheint allerdings die Erwartung von Nichtraucherprotestwallfahrten nach Kassel, organisiert und durchgeführt von Leuten, die es für das größte Glück erachten, dereinst auf einem Nichtraucherfriedhof bestattet zu werden, als etwas Besseres, weil Nichtrauchendes. Es sei ihnen von Herzen gegönnt.

Tröstlich aber ist, dass die erniedrigten und geschlagenen Raucher des Landes sich ab sofort unter einem Raucherdenkmal versammeln können - und dafür in Kassel aussteigen, um, ihrerseits rauchend, TOMs RaucherRalle zu huldigen. Es wird nicht bei einheimischem Zustrom bleiben - Rauchersonderzüge aus ganz Europa werden unter Dampf gehen und Raucherpilger nach Kassel bringen, ins Mekka der Vernunft. Denn nur dort, wo nicht über Rauchen oder Nichtrauchen herumgezetert wird, kann substantiell diskutiert und debattiert werden. Wer sein Gehirn mit Rauchverbotsbegehren vom Arbeiten ablenkt, versenkt es im Nirwana der Lappalien und macht sich auf diese Weise erstrecht fanatismustauglich. Während TOMs RaucherRalle als Mahnmal der geistigen und gesellschaftlichen Großmut aufscheint und erstrahlt.

Kassel kann stolz sein auf das erste Raucherdenkmal, auf RaucherRalle von TOM. Seien Sie froh, seien Sie stolz - und nehmen Sie bitte Ihre Zigarette für einige Momente von der Hand in den Mund, damit Sie beide Hände frei haben für einen großen und warmen Applaus - der den CARICATURAs gebührt für die Idee, dem Bildhauer Siegfried Böttcher für die Ausführung, Ralf Sotscheck, dessen Schicksal als Mensch und Kunstfigur RaucherRalle uns die Frage aufgibt: Sind wir noch Modell oder schon Kreatur? - und selbstverständlich TOM, dem Schöpfer von RaucherRalle, für diesen großen Wurf.

Ich danke Ihnen.

(Kassel, 04.09.2010)


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Quelle:
Pressemitteilung vom 6. September 2010
Herausgeber:
CARICATURA - Galerie für Komische Kunst im KulturBahnhof
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2010