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MEDIEN/149: Nollywood - Kino aus Nigeria (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 209, Juli 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Nollywood
Kino aus Nigeria

Von Frank Erdnüß


Jeder kennt Hollywood und auch die Filmproduktionen des indischen Bollywood sind inzwischen en vogue. Aber was ist "Nollywood"? Über diese Frage können die Teilnehmer der international hochkarätig besetzten Tagung "Nollywood and Beyond. Transnational Dimensions of an African Video Film Industry" nur müde lächeln. Schon in den späten 1980er Jahren ist dieses nigerianische Videokino entstanden, mit mittlerweile durchschlagendem Erfolg.


Nollywood gehört sicherlich zu den in kultureller und ökonomischer Hinsicht beachtlichsten Entwicklungen, die der afrikanische Kontinent in der jüngeren Vergangenheit hervorgebracht hat. Alljährlich werden über 1.500 Spielfilme produziert, die in Form von VHS-Kassetten, Video-CDs und DVDs von einem Millionenpublikum gesehen und gekauft werden. Thematisch kaum auf einen Nenner zu bringen, ist allen Filmen jedoch gemein, dass sie Perspektiven auf afrikanische Lebenswelten aus genuin afrikanischer Sicht entwickeln, woraus sich auch ihre enorme Popularität ableiten lässt. Seit geraumer Zeit werden Nollywood-Produktionen auch weit über die Landesgrenzen Nigerias hinaus konsumiert. Laut Prof. Dr. Matthias Krings, einem der Organisatoren der Konferenz, ist inzwischen davon auszugehen, dass der größte Teil des Absatzmarktes außerhalb Nigerias liegt. "Hierzu tragen nicht nur wachsende Zuschauerzahlen in nahezu allen Ländern Afrikas südlich der Sahara bei, sondern ebenfalls Afrika-stämmige Migranten sowie Angehörige der afrikanischen Diaspora in Europa und Amerika", erläutert Krings.

Obwohl diese internationale Dimension der nigerianischen Videoindustrie bereits seit mehreren Jahren zu beobachten ist, schlägt sie sich in der stetig wachsenden kultur- und sozialwissenschaftlichen Thematisierung Nollywoods bisher kaum nieder. Zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Onookome Okome, Literatur und Filmwissenschaftler an der University of Alberta in Edmonton (Kanada), fasste Krings daher im Jahr 2007 den Entschluss, diese Internationalisierung Nollywoods erstmalig in einem größeren Rahmen zu diskutieren. Die Tagung fand jetzt vom 13. bis 16. Mai 2009 an der Universität Mainz statt und deckt sich mit dem Forschungsschwerpunkt "Populäre Kultur Afrikas" des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums, die aus Afrika, Europa und Amerika anreisten, und so unterschiedlichen Disziplinen wie der Literatur-, Film- und Medienwissenschaft, sowie der Ethnologie und Soziologie angehörten, war die gesamte internationale Forschungsspitze vertreten. Daneben waren auch zahlreiche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eingeladen. Gefördert wurde die Veranstaltung vor allem durch das Forschungszentrum für Sozial- und Kulturwissenschaften (SOCUM), das Zentrum für Interkulturelle Studien (ZIS) sowie die Freunde der Universität Mainz e.V.

Krings, selbst Juniorprofessor für "Ethnologie und Populäre Kultur Afrikas" am Institut für Ethnologie und Afrikastudien, befasst sich, ebenso wie der zurzeit als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung im Mainz arbeitende Okome, wissenschaftlich seit langem mit afrikanischer Populärkultur. "Meinen ersten Kontakt mit Nollywood jenseits von Nigeria hatte ich 2006 in Tansania", erzählte Krings bei der Eröffnung der Konferenz den etwa 50 Teilnehmern. "Damals gab es dort an jeder Straßenecke nigerianische Videofilme zu kaufen. Ein Jahr später war ich erneut in Daressalam und fand kaum noch nigerianische Streifen, dafür aber die dreifache Menge an lokalen Produktionen", so Krings weiter. Daraus lässt sich ableiten, welche Rolle die nigerianischen Filmemacher für Afrika insgesamt spielen. "Nollywood ist der Vorreiter für afrikanische Videound Filmkunst und wird mittlerweile millionenfach in vielen afrikanischen Ländern kopiert", stellte der Ethnologe fest.

Interessante Hintergrundinformationen lieferte ebenfalls am Eröffnungstag der Grand Seigneur der afrikanischen Filmforscher, Prof. Dr. Frank Ukadike von der Tulane University in New Orleans (USA). Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Fachbücher und beschrieb in seiner "keynote lecture" das Phänomen Nollywood als "economic powerhouse"; mit einem Umsatz von 250 Millionen US-Dollar pro Jahr stellt es die drittgrößte Filmindustrie der Welt dar. Zwischen 25 und 35 Filme werden aktuell jede Woche in Nigeria produziert, "low budget" natürlich. Laut Ukadike kann ein typischer Nollywood-Streifen in einer Woche und für nur 10.000$ gedreht werden. Ein Manko dabei ist allerdings die oft schlechte Bild- und Tonqualität, nicht jedoch die Fähigkeit der Schauspieler, wie Ukadike betonte. Andererseits unterstrich der Experte die nicht in erster Linie kommerziellen Absichten der Regisseure. Zwar sollen die DVD's schon in möglichst hohen Stückzahlen verkauft werden, aber Videofilm fungiere in Afrika vor allem als "suicidal catalyst", erklärte er. "Die Menschen verarbeiten in den Filmen ihre vielfältigen Probleme, sie de-kolonialisieren sozusagen ihren Geist", sagte Ukadike. Daher geben die Werke dem Betrachter auch solch einen ausgezeichneten Eindruck vom Leben in der afrikanischen Gesellschaft. Sie erzählen wahre Geschichten, stets gespickt mit moralischen Aspekten. Neben Nigeria ist besonders Ghana eine Hochburg dieses Genres, das durchaus als neue Form der Filmkunst betrachtet werden kann. Anders als die Produktionen der großen amerikanischen und indischen Pendants werden Nollywood-Filme selten im Kino gezeigt. Öffentliche Vorführungen finden nur in kleinem Rahmen in Buden am Straßenrand statt, das Millionenpublikum schaut zu Hause die DVD im Wohnzimmer. Bei Afrikanern haben die Filme schon vor geraumer Zeit der filmischen Dominanz aus anderen Teilen der Welt ein Ende gesetzt. Chinesische Kung-Fu-Streifen haben ebenso an Popularität verloren wie Hollywood und Bollywood. "Dieses einzigartige kulturelle Phänomen hat weltweit Auswirkungen auf die Filmlandschaft und bedarf einer umfassenden Analyse", resümierte Ukadike.

Außerhalb Afrikas wurde Nollywood zuerst vom Fernsehsender CNN mit verschiedenen Dokumentarfilmen porträtiert. Im Sommer 2008 war dann auf ARTE ein in Ko-Produktion mit dem ZDF entstandener belgischer Dokumentarfilm zu sehen. Er beschreibt unter dem Titel "Nollywood Abroad" die Entstehung eines Nollywood-Films in Antwerpen. Das belegt, wie weit sich diese Filmkunst ausgebreitet hat. Selbst Exil-Nigerianer bedienen sich ihr als Mittel zur Alltagsbewältigung. In diesem speziellen Fall verarbeitet John, der Regisseur im Film, seine kriminelle Vergangenheit. Er war in Menschenhandel und Prostitution verstrickt, ein verbreitetes Problem, dem viele junge Afrikanerinnen ausgesetzt sind. Sie kommen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Europa und landen schließlich im Bordell. Sein Filmprojekt mit dem Titel "Desperate Hearts" begann John unmittelbar nach seiner Haftentlassung, als er auch Saartje Geerts kennenlernte. Die junge belgische Filmemacherin lebte im gleichen Stadtteil und war von Johns Vorhaben begeistert. So realisierte sie mit ihm ihren ersten Dokumentarfilm. Im Rahmen der Mainzer Tagung wurde das 50-minütige Werk nun erneut gezeigt; in Anwesenheit der Regisseurin war es sicher einer der Höhepunkte des Treffens. Die lebhafte Diskussion im Anschluss drehte sich im Wesentlichen um den wahrnehmbaren Unterschied von Filmen, die in Afrika gedreht werden und solchen zum Beispiel aus Belgien. Es wurde kritisiert, dass nur wenige Passagen das nigerianische Lagos zeigen und der Film somit kein Portrait Nollywoods sein kann. "Das ist richtig", so Diskussionsleiter Okome, "aber der Film zeigt uns, wie die nigerianische Diaspora Nollywood sieht und mit welchen Problemen sie in der neuen Heimat zu kämpfen hat." Die Regisseurin bezieht dabei keine wertende Stellung. Sie dokumentiert lediglich und das ist ihr hervorragend gelungen.

So kann das nigerianische Videokino für verschiedene Zuschauergruppen gegenwärtig ganz unterschiedliche Dinge bedeuten: In Nigeria selbst dienen die Videos nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der gesellschaftlichen Selbstreflexion, im Kongo verwenden Pastoren Nollywood-Filme mit pfingstkirchlichen Inhalten als audiovisuelle Gleichnisse, in Europa und USA stillen afrikanische Migranten damit ihre Sehnsucht nach der alten Heimat und in der Karibik vermitteln sie den Nachkommen ehemals aus Afrika verschleppter Sklaven Eindrücke aus der Welt ihrer Vorfahren. "Nollywood ist längst zu einem konkreten Band des populären Panafrikanismus geworden", so der an der Tagung ebenfalls teilnehmende Ethnologe John McCall, "ein Band, das nicht nur Nigeria und die nigerianische Diaspora weltweit, sondern inzwischen auch ganz Afrika und die afrikanische Diaspora verbindet."


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 209, Juli 2009, Seite 26-27
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
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Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2009