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MEDIEN/156: "Diagonale - Festival des österreichischen Films" - Den Funken entzünden (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 61
MÄRZ-APRIL-MAI 2010

Den Funken entzünden

Von Daniela Ingruber


Seit Juni 2008 ist Barbara Pichler Leiterin der Diagonale - Festival des österreichischen Films. planet sprach mit ihr über politische Filme, die Demokratisierung des Mediums Film, die Angst vor Experimentalfilmen und über Frauen im Filmgeschäft. Das Gespräch führte Daniela Ingruber.




PLANET: Die Diagonale 2010 widmet einen ihrer Schwerpunkte den Studierendenprotesten. Warum nimmt sich die Diagonale so eines Themas an?

DANIELA INGRUBER: Es ist die Fortsetzung einer Tradition. Beim Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung gab es die Reihe "Die Kunst der Stunde ist Widerstand", die die Protesthaltung einer breiten Bevölkerung - darunter natürlich auch FilmemacherInnen - ins Programm brachte. In ähnlicher Weise soll das jetzt mit den Studierendenprotesten passieren. Es ist eine Gelegenheit, die gesamtgesellschaftlich relevanten Fragen des Zugangs zu Bildung und deren Organisation und Verwaltung über die Filme noch einmal aufzugreifen und zwar für ein Publikum, das in diese Proteste vielleicht nicht so involviert ist.

PLANET: Da es lange dauert einen Film herzustellen, können das nur unfertige Filme sein.

DANIELA INGRUBER: Es gibt Arbeiten, die sich ganz dezidiert als work in progress deklarieren, auch weil der Bologna-Gipfel erst knapp vor der Diagonale stattfindet. Ein paar kurze Arbeiten, die im Zuge der Proteste entstanden sind, wurden als momentanes Statement gemacht und werden so auch im Programm sein.

PLANET: Was macht einen Film politisch relevant?

DANIELA INGRUBER: Man kann das über die Inhalte spielen oder die Tatsache, dass ein Film einen politischen Inhalt, eine Meinung transportiert und damit eine größere Gruppe erreicht. Man kann auch über die filmische Form und Kommunikationsweise sprechen, etwa Video und Web 2.0 als politisches Statement, das bei den Studierendenprotesten bewusst aktiviert wurde.

PLANET: Wirft das nicht das Problem auf, dass inzwischen jede/r meint, er oder sie sei FilmemacherIn?

DANIELA INGRUBER: Wer "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" oder die Studierendenproteste von einem rein filmischen Standpunkt betrachtet, hat sicher einiges einzuwenden. Es bleibt dieser Graubereich, wann und warum man zu einem - in dem Fall auch künstlerischen - Mittel greift, um sich mitzuteilen, wen man erreichen will, und wie. Das ist eine Problematik, die dem Bereich des politischen Filmemachens oft innewohnt. Video ist billig, vergleichsweise leicht handhabbar und damit natürlich auch "demokratisch".

PLANET: Filmvermittlung, ist ein Anliegen der Diagonale, etwa in Form von Schulvorstellungen. Wie kann man jemandem beibringen Filme zu schauen?

DANIELA INGRUBER: "Beibringen" kann man das nur durch Fragen-Stellen und selbständiges Beantworten-Lassen. Am krassesten ist das beim Experimentalfilm, weil die meisten Menschen nichts damit anfangen können und teilweise unglaubliche Angst davor haben. Wenn man es da schafft ins Gespräch zu kommen, gibt es oft die erstaunlichsten Reaktionen: vom totalen Unverständnis, zur Erkenntnis, es vielleicht immer noch hässlich zu finden, aber einen Grund zu sehen, warum es so ausschaut. Das ist am Festival relativ gut möglich, weil die FilmemacherInnen vor Ort sind und man so in direkten Kontakt kommen kann. Ich bin da nicht die Pädagogin, sondern höchstens die Person, die zwischen einem/r FilmemacherIn und einem Publikum vermittelt.

PLANET: Gehört dieses Vermitteln zur Programmgestaltung der Diagonale?

DANIELA INGRUBER: Ja, das ist eine der Grundaufgaben des Festivals. Auch in Bezug auf die Verbindungen, die Filme vielleicht untereinander eingehen, wenn sie in einem Programm innerhalb einer Woche gespielt werden. Jede/r sucht sich einen eigenen Weg durchs Programm und kommt am Ende mit so und so vielen gesehenen Filmen raus, die in eine Beziehung zueinander gesetzt werden, sodass die Tatsache, dass man den einen Film gesehen hat, die Reflektion über den anderen beeinflusst und verändert. Klar soll es Spaß machen und es sollen Filme laufen, die aufregend sind und vielleicht sonst nicht ins Kino kommen, man soll die FilmemacherInnen kennen lernen - aber in all dem geht es immer darum, eine kritische und interessierte Öffentlichkeit fürs österreichische Kino zu finden, aufrecht zu erhalten und hoffentlich zu vergrößern.

PLANET: Und wie sollte sich die Politik gegenüber Film verhalten?

DANIELA INGRUBER: In letzter Zeit ist viel passiert - auch Positives. Die Tatsache, dass jetzt eine wirtschaftlich orientierte Förderung etabliert wird, hat mit den Erfolgen des österreichischen Films auf internationaler Ebene zu tun, und mit der Tatsache, dass Film endlich als Wirtschaftsfaktor und Arbeitsplatzpotenzial wahrgenommen wird, weil andere europäische Länder vorexerziert haben, dass tatsächlich Geld zurückfliesst, und zwar mehr als aus dem Fördertopf fließt.

Das andere wäre eine etwas streitbarere Verteidigungshaltung für den Film, wenn es um die üblichen Verteilungskämpfe innerhalb des Kulturbudgets geht. Da gab's in den letzten Jahren viele Statements, viele davon blieben Lippenbekenntnisse. Das ist relativ frustrierend oder wie sagt man: bedauerlich ... So sagt man das wahrscheinlich auf höfliche Weise. Bleiben wir höflich ... (lacht)

PLANET: Wie würde es Filme verändern, wenn verstärkt Unternehmen als Sponsoren agierten?

DANIELA INGRUBER: Das kommt sehr auf den Film an. Wir haben heuer Mount St. Elias im Programm, einen Film, der zwar mit Fördermitteln, aber großteils aus Privat- und Wirtschaftsgeldern verwirklicht wurde. Ich glaube, da hat die Tatsache, dass Geld aus der Privatwirtschaft dahinter steckt, keinen Einfluss auf die Entwicklung des Films gehabt. Sponsoring und Inhalt haben von Anfang an zusammengepasst. Für Das weiße Band wäre es schwer einen Privatsponsor aufzutreiben.

Problematisch wird es vor allem bei Dokumentarfilmen. Das ist im Prinzip wie die Festivalarbeit: Die Festivalfinanzierung hat sich extrem gewandelt, von Sponsoren, die eine Veranstaltung unterstützen, weil sie sie insgesamt interessant finden, zu Sponsoren, die alle ein eigenes Projekt innerhalb des Festivals unterstützen wollen. Der Grat zwischen "das wollen wir sowieso machen, wunderbar, das passt auch zu einem Sponsor" und "denken wir uns was aus, das wir nicht wollen, um diesen Sponsor an Bord zu holen", ist schmal. Ähnlich stelle ich mir das bei Filmen vor.

PLANET: Noch eine Frage zu Filmemacherinnen: Machen in letzter Zeit mehr Frauen Filme und machen Frauen andere Filme?

DANIELA INGRUBER: Man braucht nur den Diagonale-Katalog durchzublättern, um zu sehen, dass der Frauenanteil gestiegen ist. Aber immer noch vorwiegend in den kurzen, experimentellen Formen mit Video und Digitaltechnik, wo es nicht wahnsinnig viel Geld gibt. Wenn die Produktionsmittel "demokratisiert" werden, kommen endlich auch die Frauen zum Zug. Andererseits gibt es inzwischen ein paar relativ etablierte Regisseurinnen, Sabine Derflinger, Barbara Albert, Jessica Hausner, auch Nina Kusturica, und andere, die noch nicht so viele Filme gemacht, aber schon Aufmerksamkeit erregt haben und auch für einen gewissen Zugang, eine Form und eine Haltung in ihrer Arbeit bekannt sind. Langsam tut sich schon etwas ... sehr langsam, zu langsam, aber immerhin sind es nicht mehr nur Männer, die irgendwo in den Spielfilmlisten auftauchen.

PLANET: Ist da ein Festival hilfreich, um eine Plattform zu bieten?

DANIELA INGRUBER: Jein. Das sind oft Filme, die ein Festival brauchen, um überhaupt gesehen zu werden. Was ja selten mit Qualität zu tun hat, sondern eher mit Auswertungsmöglichkeiten. Als Person, die das Programm aussucht, wehre ich mich jedoch mit Händen und Füßen dagegen einen Film zu nehmen, nur weil er von einer Frau ist oder irgendwie ein Thema behandelt, das für Frauen relevant ist. Wovor mir graut, ist dieses Frauenghetto, eine Programmschiene, in der Frauenfilme laufen, die es sonst nicht geschafft hätten. Das finde ich schlimmer, als wenn man sagen kann, wir haben nur zwei Spielfilme von Frauen, aber schaut euch die bitte an, weil die sind toll.

PLANET: Gilt das Gleiche auch für die Themen?

DANIELA INGRUBER: Ja, und auch für die Regionen. Man hat in Österreich automatisch einen Wienüberhang, weil sich ein Großteil der Produktionsmöglichkeiten und auch die Mehrheit der Ausbildungsstätten in und um Wien konzentriert. Dann mit der Bundesländerquote aufzufahren, ist genauso kontraproduktiv wie jedes Frauenghetto.

PLANET: Und trotzdem ist die Diagonale in Graz.

DANIELA INGRUBER: Ja, in Graz. Dort ist sie bestens aufgehoben und dort soll sie auch bleiben.


ZUR PERSON: Barbara Pichler studierte Theater- und Filmwissenschaft an der Universität Wien sowie Film & TV Studies an der University of London/British Film Institute. Seit 1995 ist sie als Kuratorin, Publizistin und Filmvermittlerin tätig. Sie konzeptionierte Filmreihen und Vermittlungsprogramme und arbeitete bei diversen Filmfestivals mit. Einige ihrer Publikationen sind die Essaysammlung moving landscapes. Landschaft und Film (2006) und die Monografie James Benning (2007). Barbara Pichler war mehrere Jahre lang Redaktionsmitglied und Lektorin des planet. Seit Mitte 2008 ist sie Leiterin der Diagonale - Festival des österreichischen Films.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 61,
März-April-Mai 2010, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010