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SPRACHE/505: "Sprach-Checker" (JOGU - Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 202, November 2007
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

"Sprach-Checker"
Rappen zeigt Sprachkompetenz

Von Ulrike Brandenburg


In den Niederlanden sind sie ein Riesenerfolg: die "Taaltrotters", zu deutsch "Sprach-Checker". Mit ihrer Hilfe können zwölf bis 16-jährige Schüler medial und interaktiv alle Sprachen erforschen, die sie kennen. Unter der Leitung des Linguisten Dr. Markus Steinbach (Deutsches Institut, Mainz) hob ein elfköpfiges Studierenden-Team jetzt die Deutschland-Version der CD aus der Taufe.


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Bildungsmangel und Sprachlosigkeit lauten die Vorurteile, auf die Jugendliche häufig treffen - weitaus seltener werden ihnen Kommunikationsfähigkeit und Kreativität attestiert. Dabei ist die Bewertung der Kompetenz Jugendlicher lediglich eine Frage des Blickwinkels. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Beurteilung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Wirkt Multikulturalität bildungshemmend oder bildungsfördernd? Macht Medienkonsum sprachlos oder kommunikativ? In den Niederlanden sind diese Fragen zugunsten der gesellschaftlichen Ist-Situation entschieden worden - zumindest von den Erfindern des "Taaltrotters"-Projektes. Das Kunstwort leitet sich aus dem niederländischen Wort für "Sprache" und dem englischen "Globetrotter" ab. Es meint die aktive Erkundung der unmittelbaren Sprachumgebung, die in Holland ebenso vielfältig ist wie an jedem anderen Ort in Europa. Der überragende Erfolg der von Amsterdamer Kollegen für den Schulunterricht entwickelten interaktiven CD überzeugte Experten in Finnland, Schweden und Deutschland. An der Mainzer Gutenberg-Universität machte sich ein elfköpfiges Studierenden-Team unter Leitung des Sprachwissenschaftlers Markus Steinbach daran, aus den niederländischen "Sprach-Wanderern" die deutschen "Sprach-Checker" werden zu lassen.

Auf spielerische Weise sollen zwölf bis 16-jährige Schüler nicht nur lernen, welche Weltsprachen wie strukturiert sind, sie sollen auch das eigene generationentypische Sprachverhalten analysieren. Jugendsprache, SMS-Sprache, Dialekte und Gebärdensprachen zählen unter anderen zu den Forschungsgegenständen. "Die Sprachenvielfalt auch an deutschen Schulen ist groß. Viele Jugendliche sind zweisprachig aufgewachsen, und viele ihrer Klassenkameraden stammen aus anderen Ländern. Das ist eine ungeheure Chance - nicht nur im Hinblick auf die Integrationsförderung, sondern auch und vor allem unter dem Bildungsaspekt. Es geht darum, Sprachbewusstsein zu entwickeln - etwa zu erkennen, dass andere Sprachen in ihrem Aufbau anderen Regeln folgen als die Muttersprache", erläutert Markus Steinbach die Projektziele.

Wer die interaktive CD von knapp einstündiger Gesamtdauer startet, den erwartet eine Vielzahl von Übungsaufgaben. Integriert sind diese in eine spannende Story, in der ein Zauberer vier Schüler durch magische Sprachwelten führt, in welchen sie unter anderem Bekanntschaft mit vier Gleichaltrigen schließen. Zum Beispiel mit Zuzanna aus Polen. Seit fünf Jahren lebt sie in Deutschland. Ihr Freund ist Marokkaner, er spricht Berber, Französisch, Arabisch und Deutsch. Oder mit Lukas. Er ist in Hamburg und dort besonders in der Skater-Szene zu Hause. Lukas kommuniziert in der Jugend- und in der Gebärdensprache. Sein Bruder ist gehörlos, und wenn Lukas mit seiner gestischen Performance loslegt, dann sind alle beeindruckt. Oder mit Ahmet aus Kreuzberg - welcher den deutschen "Sprach-Checkern" allerdings auch jede Menge Kopfzerbrechen beschert.

"Der Jugendliche, der diese Rolle für uns einspricht, muss so alt wie Ahmet sein, er muss fließend türkisch und berlinerisch sprechen, er muss rappen können, er muss aber eben auch Sprecher- und Synchronerfahrung mitbringen", erklärt Steinbach. Dass ein professioneller Schauspieler hier nicht einspringen kann, liegt für den Linguisten auf der Hand: "Das Projekt funktioniert wirklich nur dann, wenn es die Welt der Jugendlichen authentisch wiedergibt."

Seit anderthalb Jahren hat das Mainzer Team genau daran intensiv gearbeitet. Dabei konnten 80 Prozent des Materials als Übersetzung übernommen werden, in den anderen Fällen - wie demjenigen von Ahmet - musste eine typisch deutsche Lösung gefunden werden. Dass die CD im EU-Förderrahmen von 350.000 Euro produziert werden kann, liegt übrigens auch an der technischen Ausstattung des niederländischen Originals. So sind zum Beispiel auch im Niederländischen die Lippenbewegungen der Protagonisten nicht synchron. "Das passt einerseits zur Animation-Optik des Films. Andererseits erleichtert es den für die Realisation zuständigen Kollegen vom Klett-Verlag, die das Projekt ja Anfang des nächsten Jahres auf den Markt bringen wollen, die Arbeit', erklärt Steinbach.

Positiv bewertet der Mainzer Linguist die Chancen der "Sprach-Checker", im Schulunterricht eingesetzt zu werden. "Auch unsere Studierenden werden für das Projekt Werbung machen. Die CD ist ja hausaufgabenkompatibel und freizeittauglich obendrein, und das nicht nur aufgrund der aufwendigen optischen Effekte. Es wird eine begleitende interaktive Website geben, und man kann dann zum Beispiel seinen eigenen "Sprach-Checker"-Rapp-Song texten und sich auf der Website die Musik dazu herunterladen. Oder seinen eigenen Song ins Web stellen." Denn ja, auch Rappen zeigt Sprachkompetenz.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg Universität Mainz,
Nr. 202, November 2007, Seite 7
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 0 61 31 / 39-2 23 69, 39-2 05 93; Fax: 0 61 31 / 39-2 41 39
E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2007