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SPRACHE/545: Für eine Kultur der Mehrsprachigkeit (DFG)


forschung 2/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

In allen Zungen

Wissenschaft lebt auch von der Vielfalt der Sprachen. Angesichts der Dominanz des Englischen setzt sich die DFG für eine Kultur der Mehrsprachigkeit ein. Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften soll dabei das Deutsche seinen festen Platz haben

Von Marco Finetti


Ist Deutsch noch eine Wissenschaftssprache von Rang und Gewicht? Die Frage und der ihr innewohnende Alarmruf ist nicht neu. Auch scheint sie zumindest der Tendenz nach längst beantwortet, negativ nämlich. Und doch ist die Sprachenfrage in den Wissenschaften gerade in jüngster Zeit Gegenstand vieler Einlassungen und Diskussionen, deren Intensität umso größer zu sein scheint, je rasanter die Dominanz des Englischen als Lingua franca der Scientific Community voran schreitet.

Davon bleibt auch die DFG nicht unberührt. Von Erstaunen und Empörung bis zu Spott und Häme reichten die Reaktionen, als in der von der DFG und dem Wissenschaftsrat durchgeführten Exzellenzinitiative die Förderanträge der Universitäten anfangs mit wenigen Ausnahmen in englischer Sprache eingereicht werden sollten; wobei besagte Ausnahmen in den Geistes- und Sozialwissenschaften stattfanden und die Regel in den anderen Wissenschaften eher noch unterstrichen.

Trägt - so wird seitdem nicht mehr nur von einschlägig engagierten Vereinen, sondern auch aus den Wissenschaften heraus gefragt - also auch Deutschlands größte Forschungsförderorganisation dazu bei, dass die Sprache Humboldts, Heideggers und Heisenbergs in der wissenschaftlichen Kommunikation marginalisiert, ja ganz aus ihr verdrängt wird?

Dass dies ganz sicher nicht geschieht - das ist für Luise Schorn-Schütte gleichermaßen eine Sache von Geist und Verstand und eine Herzensangelegenheit. "Wissenschaft lebt nicht nur von der Vielfalt der Ideen, sondern auch der Vielfalt der Sprachen", lautet das Credo der DFG-Vizepräsidentin. Das Lateinische seit dem europäischen Mittelalter, dazu das Französische seit der Aufklärung, das Englische, Spanische und nicht zuletzt das Deutsche seit dem kolonialen 19. Jahrhundert: Dass die sprachliche Vielfalt in den Wissenschaften über Jahrhunderte hinweg stetig gewachsen und die Kenntnis mehrerer Sprachen für Wissenschaftler selbstverständlich war, weiß die Neuzeithistorikern an der Frankfurter Goethe-Universität schon aus der Historie ihres Faches.

Diese Vielfalt will Schorn-Schütte bewahren, sie keinesfalls preisgeben. Deshalb tritt sie seit langem für eine "Kultur der Mehrsprachigkeit" ein. Das Deutsche hat in dieser Kultur seinen festen, selbstbewussten Platz. Dies gilt vor allem für die Geistes- und Sozialwissenschaften, die es der Historikerin besonders angetan haben. Schon in den Natur-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften, so argumentiert sie, sei die Dominanz des Englischen hauptsächlich historisch-politisch zu erklären, nicht aber inhaltlich begründet oder nur von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst herbeigeführt. Für die wissenschaftliche Arbeit der Biologen, Physiker oder Chemiker aber habe diese Engführung zumindest vermutlich keine negative Folgen.

Ganz anders in den Geisteswissenschaften und zum Teil auch in den Sozialwissenschaften. Hier ist, unterstreicht Schorn-Schütte, Sprache nicht einfach nur ein Mittel zum Zweck der sprachlichen Verständigung - sondern selbst Gegenstand der Disziplinen und Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Theorien, Denktraditionen und Debatten sind sprachlich geprägt, die Forschung erfolgt im Medium der Sprache.

Oder um es mit einem Beispiel zu sagen, das Luise Schorn-Schütte gerne anführt: Wenn Historiker, Juristen, Theologen oder Philsophen sich mit dem "Staat" beschäftigen, müssten sie dies wohlweislich anhand der lateinischen, deutschen, französischen oder englischen Quellen tun, in denen dem Begriff je nach Land und Geistestradition immer wieder neue Bedeutung gegeben wurde. Und wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen über eben jenen "Staat" reden, dann idealerweise in ihrer jeweiligen Muttersprache - und damit gleichsam in allen Zungen. Ansonsten, so Schorn-Schütte, würden auch hier entscheidende Nuancen untergehen und damit der Forschungsgegenstand und die Ergebnisse der Forschung verkürzt, ja geradezu beschädigt.

Die eigene Arbeit wird von diesen Prinzipien längst getragen - auch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Seit 2004 ist Schorn-Schütte Sprecherin des DFG-geförderten Internationalen Graduiertenkollegs "Politische Kommunikation von der Antike bis in das 20. Jahrhundert" an der Frankfurter Goethe-Universität. Hier setzt sie mit Erfolg darauf, dass die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern mindestens zwei internationale Wissenschaftssprachen beherrschen beziehungsweise erlernen. Ergebnis: Jeder Teilnehmer kann seine Forschungsergebnisse in seiner Muttersprache formulieren - und sich zugleich darauf verlassen, dass sein Gegenüber ihn versteht.

Eine "Kultur der Mehrsprachigkeit" nicht nur in den Wissenschaften selbst zu erhalten beziehungsweise wieder zu etablieren, sondern auch in deren Förderung - das ist das zweite große Anliegen der DFG-Vizepräsidentin. Auf ihre Initiative hin hat sich nun auch das Präsidium der DFG mit der Sprachenfrage in den Wissenschaften befasst. Dabei hatte es zwei grundsätzliche Verpflichtungen zu betrachten, die nicht unbedingt leicht in Einklang zu bringen sind: Als nationale Institution der deutschen Forschungsförderung ist die DFG zum einen dem Deutschen als Wissenschaftssprache verpflichtet. Zum anderen hat sie die Aufgabe, die Einbindung, Sichtbarkeit und Wirkung der deutschen Forschung international zu fördern.

Beiden Verpflichtungen trägt das "pragmatische Prinzip der Mehrsprachigkeit" Rechnung, das nun im DFG-Präsidium die Zustimmung der Vertreterinnen und Vertretern aller Wissenschaftsbereiche fand. Wichtigster Grundsatz: Die Antragstellung und die Begutachtung können und sollen in den Sprachen stattfinden, die in dem jeweiligen Wissenschaftsgebiet akzeptiert sind. In den Lebens- und Naturwissenschaften kann dies das Englische sein, womit jedoch kein Automatismus verbunden ist. Einer Lingua franca will die DFG nicht das Wort reden.

In den Geistes- und Sozialwissenschaften sollen die Förderanträge in der Regel auf Deutsch gestellt und auch begutachtet werden. Wo immer sinnvoll, können jedoch auch andere Sprachen hinzukommen.

Dieses Prinzip verfolgt die DFG schon jetzt. Zusammen mit ihren französischen und britischen Partnerorganisationen hat sie den "Europäischen Forschungsraum" für die Geistes- und Sozialwissenschaften realisiert. Hier gilt konsequent eine pragmatische Mehrsprachigkeit.

Gemeinsam mit der Agence Nationale de la Recherche (ANR) eröffnet die DFG einmal pro Jahr die Möglichkeit zur Antragstellung von deutsch-französischen Projekten. Die Anträge werden jeweils in Deutsch und Französisch eingereicht. Die Begutachtung erfolgt bilingual. Ähnlich wird in den gemeinsamen Ausschreibungen mit dem britischen Arts and Humanities Research Council (AHRC) verfahren. Im trilateralen Programm "DFG / Villa Vigoni / Maison des Sciences de l'Homme-Forschungskonferenzen in den Geistes- und Sozialwissenschaften" können die Anträge in Deutsch, Französisch oder Italienisch eingereicht werden, jeweils mit Zusammenfassungen in den beiden anderen Sprachen. Die Begutachtung ebenso wie die Forschungsaktivitäten selbst erfolgen in den drei Sprachen.

Bei allem Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit war sich das DFG-Präsidium jedoch auch einig, dass es in bestimmten Fällen notwendig sein kann, Förderanträge zumindest auf Englisch zu begutachten und zu beraten. Dies soll dann - und nur dann - möglich sein, wenn in besonders exponierten Auswahl- und Konkurrenzsituationen wie der Exzellenzinitiative nur so die angemessene Beratung und Beurteilung der Anträge durch die weltweit Besten ihres Faches gewährleistet werden kann. Doch auch in diesen Fällen soll, so das DFG-Präsidium, die "Kultur der Mehrsprachigkeit" greifen: Die Förderanträge selbst können nicht nur auf Englisch verfasst und vorgelegt werden, sondern auch auf Deutsch.

Marco Finetti ist Chefredakteur der "forschung".


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Quelle:
forschung 2/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 14-15
mit freundlicher Genehmigung des Autors
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2008