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SPRACHE/649: Die Macht des Übersetzers (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 209, Juli 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Macht des Übersetzers
Germersheim baut seinen Schwerpunkt Translation aus

Von Ulrike Brandenburg


Mit Lawrence Venuti, Professor an der amerikanischen Temple-University in Philadelphia (Pennsylvania), konnte der Germersheimer "Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einen weltweit führenden Translationswissenschaftler für einen Gastaufenthalt gewinnen. Auch zwei öffentliche Vorträge gaben Einblick in die komplexe Denk- und Arbeitsweise des Spezialisten.


Eine der ersten bedeutenden Übersetzungen war die Übertragung der hebräischen Bibel ins Griechische des dritten bis ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Jenem jüdischen Schriftenkonvolut des Septuagint folgten weitere prominente Übersetzungen religiöser Texte, insbesondere des Neuen Testamentes. Bibelübertragungen setzten Marksteine der abendländischen Kulturgeschichte - die englische Wycliffe Bible (1382) etwa oder Luthers Neu-Erfindung des Deutschen. Zumeist waren die historischen Übersetzungsleistungen von methodischer Selbstreflexion begleitet: Schließlich war es eine sprachhistorisch inadäquate Fälschung - nämlich diejenige der so genannten Konstantinischen Schenkung, welche dem Papst die geistliche Herrschaft über Westeuropa zusprach - die im Zeitalter der Renaissance eine der umfassendsten Erneuerungsbewegungen der europäischen Kulturgeschichte einleitete. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund einer Jahrhunderte währenden Übersetzungspraxis hat eine neue Diskussion um die angemessene Methode begonnen.

Sind denn alle relevanten Probleme nicht hinreichend diskutiert? Nein, sagt Lawrence Venuti, einer der weltweit renommiertesten Vertreter der noch jungen Translationswissenschaft.

Wie relevant und aktuell die Thesen Venutis sind, zeigte bereits der Blick ins Publikum des Mainzer öffentlichen Vortrages. Fast ausschließlich Studierende waren anwesend, unter anderem eine Gruppe aus Düsseldorf.

Zwei Modelle stehen laut Venuti jedem heutigen Übersetzer zur Verfügung: Der instrumentale Ansatz (instrumental method), der dem Ausgangstext einen unveränderbaren Grundgehalt (unchanging essence) zuschreibt, der als solche die Kulturgrenzen zu passieren vermag und damit auch in der übersetzten Form vollständig enthalten bleibt.

Ganz anders der so genannte hermeneutische Ansatz: Dieser begreift Übersetzung als Interpretation des Ausgangstextes, dessen Gestalt (form), Sinngehalt (meaning) und Wirkung (effect) während des Übersetzungsprozesses verändert werden. Übersetzungen erscheinen hier zu Recht als Spiegel ihrer Entstehungsbedingungen, sie geben die gesellschaftliche, soziale und sprachliche Gegenwart der aufnehmenden Kultur wieder und stellen damit immer jeweils eine von mehreren möglichen Übersetzungsvarianten dar - getreu der Erkenntnis des französischen Philosophen Alain Badiou, dass "Wahrheit" prozessual und Situationsspezifisch sei.

Dieses von Venuti geforderte Verständnis der Übersetzung im Sinne eines transformativen Aktes legt die gesellschaftliche Funktion sprachlicher Aneignungsprozesse, legt das dem sprachlichen Transfer inhärente Machtpotential bloß.

Anhand von Textbeispielen des Heiligen Hieronymus erbrachte Venuti den Beleg politischer Implikation. In der lateinischen Kultur erzogen und durch die römische Weltmachtrhetorik geschult, wusste Hieronymus, der spätere Schutzpatron aller Übersetzer, die gelernte Übertragungsmethode des Wort-für-Wort- und Sinn-für-Sinn-Prinzips, die instrumentale Vorgehensweise also, sehr wohl für die Interessen des jungen christlichen Klerus einzusetzen.

Es verwundert nicht, dass mit dem inzwischen an den meisten Forschungseinrichtungen vollzogenen Wechsel von der Übersetzungs- zur Translationswissenschaft, dass mit dem Einbezug inner- und übernationaler Interessenpolitik in die Übersetzungstheorie zunehmend benachbarte Wissenschaften und hier insbesondere auch diejenigen, die sich mit dem Themenfeld des Kolonialismus und Postkolonialismus befassen, in die methodische Diskussion integriert werden. Entsprechend baute Germersheim in den vergangenen Jahren seinen Schwerpunkt Translation aus, etwa mit Veranstaltungen zur 'Translation als Schlüsselbegriff der Interdisziplinarität' oder zur so genannten intersemiotischen Translation, die etwa auch die Diskussion von Text-Bild-Relationen einschließt.

Die vom Zentrum für interkulturelle Studien (ZIS) geförderten Mai-Veranstaltungen Lawrence Venutis, insgesamt eine Vorlesung, ein Seminar, ein Workshop und zwei öffentliche Vorträge zu Methodik und Praxis der Translation entsprechen also den interdisziplinären Zielen des Germersheimer Fachbereiches und fallen somit auf fruchtbaren Boden - auf dass auch einem jeden künftigen Übersetzer seine Macht und seine Verantwortung, seine Verpflichtung zur Transparenz bewusst sein mögen - und der Gesellschaft die Bedeutung und die Rolle von Übersetzungen.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 209, Juli 2009, Seite 25
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2009