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SPRACHE/795: Argumente für und gegen das Publizieren auf Englisch (wissen|leben - WWU Münster)


wissen|leben - Nr. 2, 4. April 2012

Die Zeitung der WWU Münster

Hat Deutsch ausgedient?
Argumente für und gegen das Publizieren auf Englisch

Von Kristin Woltering




Immer mehr Studiengänge werden auf Englisch angeboten, Abschlussarbeiten auf Englisch publiziert, und viele Gastwissenschaftler halten englische Vorträge. Das Goethe-Instituts teilte unlängst mit, dass nur noch ein Prozent der Publikationen in den Naturwissenschaften auf Deutsch verfasst werden. Hat Deutsch als Wissenschaftssprache ausgedient?

Auf einem bundesweiten Kongress diskutierten jüngst Experten aus 14 Nationen über das Thema "Deutsch in den Wissenschaften", also über die Zukunft der deutschen Sprache im wissenschaftlichen Bereich. Organisiert wurde diese Veranstaltung vom Goethe-Institut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Institut für deutsche Sprache. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff sprach sich auf der Konferenz für die deutsche Sprache aus: "Ich unterstütze nachdrücklich alle Bemühungen, Deutsch als Sprache der Wissenschaften zu fördern und zu festigen." Prof. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, meinte dagegen, dass Wissenschaftskommunikation nur auf Englisch funktionieren kann: "Wir müssen dafür sorgen, dass die lebendige Kommunikation zwischen den Hochschulmitgliedern nicht eingeschränkt wird." Es sei ein Problem, wenn nicht-englische Veröffentlichungen weniger beachtet würden. So werde der Wettbewerb in der Wissenschaft verzerrt, betonte Margret Wintermantel.

Das Thema birgt also offenbar Zündstoff. Dabei wäre diese Diskussion im Land der Dichter und Denker einst undenkbar gewesen. Nach den Humboldt'schen Reformen waren deutsche Universitäten und Gelehrte weltweit hoch angesehen, hatten Vorbildfunktion, weiß der münstersche Politikwissenschaftler Prof. Klaus Schubert. "Wer damals etwa im Wissenschaftssystem der USA etwas werden wollte, musste praktisch einmal in Deutschland studiert haben. Das änderte sich mit der nationalsozialistischen Machtübernahme", erklärt der Politikwissenschaftler. Zahlreiche Wissenschaftler wurden aufgrund ihrer jüdischen Abstammung oder ihrer Meinung politisch verfolgt und zur Emigration gezwungen. "Davon haben sich viele wissenschaftliche Disziplinen an deutschen Universitäten bis heute nicht erholen können. In vielen Fächern hinken wir der internationalen Spitzenforschung immer noch hinterher", meint Klaus Schubert. Nur in wenigen Fällen sei es gelungen, zur Spitzengruppe aufzuschließen. Die Sprache aber, die von dieser Entwicklung profitiert habe, sei Englisch, weil insbesondere englischsprachige Länder die "Wissenschaftsflüchtlinge" aufnahmen.

Besonders die Naturwissenschaften setzten mittlerweile voll und ganz auf Englisch als internationale Wissenschaftssprache. So können neue Forschungsergebnisse und Entdeckungen möglichst schnell und weit verbreitet werden. "Wir möchten unsere Forschungsergebnisse weltweit einem breiten Fachpublikum präsentieren, und dazu brauchen wir eine einheitliche Sprache", erklärt Prof. Dirk Prüfer, Dekan des Fachbereichs Biologie. Schon die Biologie-Seminare werden deshalb auf Englisch gehalten. Auf diese Weise können sich die Studenten frühzeitig an die Sprache gewöhnen, die sie später auf internationalen Kongressen brauchen. Ganz anders verhält es sich bei geisteswissenschaftlichen Fächern. "In den historischen Wissenschaften wäre es sinnwidrig, gewordene kulturelle Gegebenheiten zugunsten einer modernen Funktionssprache wie Wissenschaftsenglisch zu ignorieren", meint der WWU-Historiker Prof. Martin Kintzinger. Prof. Cornelia Denz, Prorektorin für Internationales und wissenschaftlichen Nachwuchs, beobachtet eine Internationalisierung der Hochschule, die täglich wächst. "Die deutschen Kollegen müssen sich der Konkurrenz stellen", rät sie. "In vielen Fachbereichen schicken Professoren die Hälfte ihrer Seminarteilnehmer ins Ausland und nehmen im Gegenzug ausländische Studierende auf, da müssen wir Englisch bereitstellen." Besonders in Master- und Promotionsangeboten in den Naturwissenschaften sei ein Kommunizieren auf Deutsch nicht mehr zeitgemäß.

Ludwig Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache und Ordinarius für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim, plädiert ebenfalls dafür, den Einsatz einer bestimmten Sprache vom Fach abhängig zu machen. Für einen Wissenschaftler sei es heutzutage selbstverständlich, auf Englisch zu kommunizieren. "Man sollte jedoch darauf achten, eine Sprache zu wählen, die den jeweiligen Fachkulturen entspricht. Die Wissenschaft muss schließlich auch in der Gesellschaft verankert bleiben", erklärt er. Auf der einen Seite müssen Wissenschaftler international auf Englisch kommunizieren, damit sie eine breite Öffentlichkeit erreichen. Auf der anderen Seite geht es darum, die eigene Muttersprache und damit einen Teil der Kultur zu wahren. "Nur in Ausnahmefällen ist ein deutscher Muttersprachler in der Lage, einen Gegenstand so detailliert und reflektiert im Englischen zu beschreiben, wie er es auf Deutsch macht. Eine solche Fähigkeit ist aber in der Wissenschaft, in der es häufig um die Beschreibung und Benennung komplexer Zusammenhänge geht, von höchster Wichtigkeit", schreibt die Journalistin Constanze Fiebach in ihrem Aufsatz "Deutsch als Wissenschaftssprache - deutsche Sprache, quo vadis?".

"Wir nehmen einen Niveauverlust in Kauf, wenn wir auf Englisch publizieren", meint der WWU-Philosoph Prof. Reinold Schmükker. Deutsche Philosophen wie Kant oder Hegel hätten auf Deutsch gedacht und geschrieben, da es ihre Muttersprache war und sie sich so am besten ausdrücken konnten. Auch andere Wissenschaftsbereiche stehen in einer Sprachtradition, die sich zum Beispiel durch Fachausdrücke ergibt. "Es gibt Teilbereiche der Politikwissenschaft für die die deutsche Sprache wichtig ist, weil die Wissenschaftler sich in einer spezifisch deutschen Tradition des Denkens sehen. Nicht, dass diese die Entwicklung im Ausland oder in anderen Sprachräumen nicht zur Kenntnis nehmen. Aber sie haben sich eben entsprechend spezialisiert", erklärt Klaus Schubert. Anders sieht es in der Biologie aus: "Es ist für uns einfacher, auf Englisch zu schreiben, denn sonst fehlt den Wissenschaftlern das passende Vokabular", erklärt Dirk Prüfer.

Ziel ist es nicht, dass die deutsche Sprache das Englische ablöst oder umgekehrt. "Unsere Universität hat die höchste Anzahl an Erasmus-Studierenden in ganz Deutschland, und trotzdem könnten wir noch viel tun. Ein Vorbild für internationale Kommunikation sind Länder wie die Schweiz, die multilingual aufgestellt sind und ständig ihre Kooperationen erweitern", erklärt Prorektorin Cornelia Denz.

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Quelle:
wissen|leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 2, 4. April 2012, S. 6
Herausgeberin: Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Norbert Robers (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2012