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SPRACHE/846: Universelle Konversation (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 14. November 2013

Sprachwissenschaften
Universelle Konversation

Max-Planck-Forscher fanden sprachenübergreifende Ähnlichkeiten bei Wörtern heraus, die Verständnisprobleme signalisieren sollen



Ein Wort wie "Häh?", mit dem man signalisieren kann, dass man sein Gegenüber nicht verstanden hat, scheint gewissermaßen universell zu bestehen: Rund um den Globus kommt es in verschiedenen Sprachen in ähnlicher Form und Funktion vor. Das ist eines der Ergebnisse einer umfassenden, sprachenübergreifenden Untersuchung, die die Forscher Mark Dingemanse, Francisco Torreira und Nick Enfield vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande, durchgeführt haben. Die Studie wurde in der Online-Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.

Es mag trivial erscheinen, wenn sich die wissenschaftliche Forschung mit einem Wort wie "Häh?" beschäftigt. Allerdings ist dieses Wörtchen ein unverzichtbares Werkzeug menschlicher Kommunikation. Denn ohne solche Wörter wären wir nicht in der Lage zu signalisieren, dass wir etwas Gesagtes nicht richtig gehört oder verstanden haben. Unsere Gespräche würden aufgrund von Kommunikationspannen immer wieder entgleisen. Das Forschungsprojekt ist Bestandteil einer vom Europäischen Forschungsrat finanzierten, größeren Untersuchung von Sprache und sozialer Interaktion.

Im Rahmen ihrer Untersuchung verschiedener Sprachen aus aller Welt haben Dingemanse und seine Kollegen herausgefunden, dass es in allen untersuchten Sprachen ein Wort mit nahezu identischem Klang und gleichartiger Funktion wie das englische Wort "Huh?" gibt. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, da normalerweise Wörter in nicht miteinander verwandten Sprachen völlig unterschiedlich klingen, wie am Beispiel des Wortes für "Hund" aufgezeigt werden kann: inu in Japanisch, chien in Französisch, dog in Englisch. Daraus ließe sich wiederum der Einwand ableiten, dass "Häh?" überhaupt kein Wort ist. Aber über einen sorgfältigen, phonetischen Vergleich kommen Dingemanse und Kollegen zu dem Schluss, dass es doch so ist. Obwohl das Wort "Häh?" sprachenübergreifend größere Ähnlichkeiten aufweist, als dies normalerweise der Fall sein sollte, unterscheidet es sich in systematischer Weise. "Häh?" ist nicht mit anderen menschlichen Lauten zu vergleichen, die offensichtlich universell - weil angeboren - sind, wie etwa Niesen oder Weinen. Es ist ein Wort, das in jeder Sprache in fein unterscheidbaren Formen erlernt werden muss.

Warum ist "Häh?" in verschiedenen Sprachen so ähnlich? Um das zu verstehen, haben Dingemanse und Kollegen den speziellen Kontext untersucht, in dem dieses Wort vorkommt. Wenn wir in der menschlichen Kommunikation aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sind, angemessen zu reagieren, brauchen wir eine Notlösung, also eine Möglichkeit, das Problem schnell zu signalisieren. Und dieses Signal muss auch in Situationen, in denen es einem buchstäblich die Sprache verschlagen hat, schnell zu erzeugen sein. Zudem sollte es sich um ein Fragewort handeln, um den Gesprächspartner dazu zu bringen, seine Aussage zu wiederholen. Da diese Funktionsanforderungen, unabhängig von der jeweiligen Sprache, grundsätzlich gleich sind, können sie in den gesprochenen Sprachen in einer ähnlichen Lösung resultieren, nämlich einer einfachen, minimalen, schnell zu erzeugenden Fragesilbe, wie dem englischen "Huh?", dem mandarin-chinesischen "A?", dem spanischen "E?", dem laotischen "A?" oder dem niederländischen "He?"'.

Das Grundprinzip ist aus der Evolutionsbiologie bestens bekannt: Wenn unterschiedliche Spezies unter ähnlichen Bedingungen leben, können sie unabhängig voneinander ähnliche Merkmale entwickeln. Dieses Phänomen wird als konvergente Evolution bezeichnet. So haben beispielsweise Haie und Delphine zwar unterschiedliche evolutionäre Ursprünge, aber dennoch ähnliche Körperbaupläne, da sie in den gleichen aquatischen Umgebungen leben. Und Dingemanse und Kollegen vermuten, dass sich Wörter in vergleichbarer Weise ähnlichen Formen annähern, wenn sich die Gesprächsumwelten stark ähneln. Ein eindeutiger Effekt dieser Gesprächsökologie auf konkrete sprachliche Ausdrucksformen war bisher noch nicht beobachtet worden.

Auch wenn das Wort "Häh" in seiner Einfachheit fast primitiv erscheinen mag, ist bei unseren nächsten evolutionsgeschichtlichen Verwandten kein Wort mit vergleichbarer Funktion zu finden. Nur die Menschen haben Kommunikationssysteme, in denen komplexe Gedanken ausgedrückt werden können und sich Kommunikationspannen auf der Stelle beheben lassen. Selbst von einem so unscheinbaren Wort wie "Häh" können wir eine Menge über unsere Natur als ultrasoziale Tiere lernen.


Originalpublikation
Dingemanse, Mark, Francisco Torreira, and N.J. Enfield. 2013.
Is 'Huh?' a universal word? Conversational infrastructure and the convergent evolution of linguistic items.
PLoS ONE 8(11): e78273. doi:10.1371/journal.pone.0078273

Hintergrundinformationen:
http://huh.ideophone.org/

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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 14. November 2013
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2013