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SPRACHE/859: Ein Lexikon der Düfte (idw)


Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. - 05.05.2014

Ein Lexikon der Düfte

Die Angehörigen eines Volkes in Thailand besitzen viele Wörter für Gerüche



"Eine blumig-liebliche und orientalische Duftkomposition mit Jasmin- und Mairosen-Absolue" - so beschreibt ein bekannter Kosmetikhersteller eines seiner erfolgreichsten Damen-Parfums. Eine ausdrucksreiche Sprache, so könnte man meinen. Doch weit gefehlt: Westlichen Kulturen fehlen offenbar abstrakte Begriffe für die Vielfalt der Gerüche in unserer Umwelt. Sie verwenden dafür lediglich bildliche Ausdrücke und Vergleiche. Sprachforschern vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande, zufolge besitzen manche Sprachen einen speziellen Wortschatz für Düfte. Die Maniq, ein Volk von Jägern und Sammlern im Süden Thailands, können Gerüche mit mindestens 15 verschiedenen abstrakten Ausdrücken beschreiben. Sie kategorisieren Düfte nach Wohlgeruch und Gefährlichkeit. Die Ergebnisse der Sprachwissenschaftler zeigen: Die menschliche Sprache ist sehr wohl in der Lage, auch die Vielfalt an Gerüchen in unserer Umwelt auszudrücken. Dies spiegelt wahrscheinlich die große Bedeutung wider, die der heute vielfach unterschätzte Geruchssinn in der Menschheitsgeschichte für das Überleben hatte.

Vor die Wahl gestellt, auf einen der fünf Sinne verzichten zu müssen, halten die meisten Menschen wohl am ehesten das Riechen für entbehrlich. Auch viele Wissenschaftler halten den Geruchssinn für ein Relikt der Evolution und messen ihm wenig Bedeutung zu. Dafür spricht, dass viele Sprachen kein Repertoire für die Beschreibung von Gerüchen besitzen.

Blumig, erdig, vanille oder moschus - in den meisten Sprachen der westlichen Welt bezeichnen Ausdrücke für Düfte denn auch Objekte, die diesen Geruch besitzen - abstrakte Begriffe fehlen. In der Welt der Farben beispielsweise beziehen sich Begriffe wie rot oder grün dagegen nicht auf konkrete Gegenstände.


Abstrakte Wörter für Gerüche

Andere Kulturen besitzen offenbar mehr Möglichkeiten, Gerüche zu beschreiben: die Maniq etwa, ein aus wenigen Hundert Menschen bestehendes Jäger-und-Sammler-Volk im Süden Thailands mit einer weitgehend unerforschten Sprache. Die beiden Sprachforscherinnen Ewelina Wnuk und Asifa Majid haben eine Liste aus 15 abstrakten Begriffen erstellt, mit denen die Maniq Düfte bezeichnen - mehr als in fast jeder anderen bekannten Sprache. Die Ausdrücke gehören dabei nicht zu einer einzelnen Wortklasse. Vielmehr gibt es darunter Substantive und sogenannte statische Verben, die sich am ehesten als "riecht wie XY" übersetzen lassen, z. B. "X riecht wie ein Pilz, ein alter Unterstand, verrottendes Holz usw.".

Im Unterschied zu Sprachen wie deutsch oder englisch leiten sich diese Ausdrücke nicht von einem einzelnen konkreten Objekt ab. Es sind stattdessen Begriffe, die für einen Geruch stehen, der von mehreren Quellen stammen kann. So besitzen die Maniq einen Ausdruck für den Geruch der Sonne, der aber gleichzeitig auch die Luft oder den Rauch, der von der Sonne ausgeht, meint. Das Wort für den Geruch eines alten Unterstandes wiederum steht auch für den Geruch von Pilzen, der Haut eines toten Tieres oder dem Trinken aus einem Bambusrohr. "Ihre Sprache umfasst ein reiches Vokabular, mit dem sie Gerüche beschreiben kann. Mit diesen Begriffen lassen sich ausschließlich Gerüche ausdrücken, nicht dagegen andere Sinneseindrücke", erklärt Ewelina Wnuk, die die Maniq über mehrere Jahre hinweg im tropischen Regenwald besucht und dort ihre Sprache für Gerüche untersucht hat.

Den Ergebnissen der Forscher zufolge besitzt das Geruchlexikon der Maniq eine zweidimensionale Struktur, Gerüche werden also nach zwei Kategorien unterschieden: Wohlgeruch und Gefährlichkeit. "Es ist damit ganz ähnlich aufgebaut wie das Lexikon für Gefühlsausdrücke. Hier gibt es die Unterscheidung nach angenehm/unangenehm sowie aufregend/beruhigend. Möglicherweise drückt sich in dieser Übereinstimmung die enge Verbindung zwischen Gerüchen und Gefühlen aus", sagt Wnuk.


Eine Welt voller Düfte

Das umfangreiche Vokabular und Struktur des Lexikons lässt die Bedeutung von Gerüchen für die Maniq erahnen. Sie bewerten ihre Umwelt durch die Nase, schließlich sind sie in ihrer vom Menschen noch weitgehend unbeeinflussten Umwelt zu jeder Zeit von Gerüchen umgeben. So erkennen sie jagdbare Tiere und gefährliche Gegenstände und Ereignisse wie verdorbenes Essen am Geruch.

Auch medizinisch haben Düfte große Bedeutung für die Maniq. Viele ihrer Heilkräuter haben ein intensives Aroma, auf dem der Heilerfolg beruht: Der gut riechende Duft der Pflanze dringt in den Körper ein und vertreibt die Krankheit. Schmuck besteht deshalb häufig aus Ketten und Bändern aus wohlriechenden Kräutern, und auch sonst achten die Maniq darauf, sich mit positiven Gerüchen zu umgeben und negative zu vermeiden.

Diese Befunde sind nicht nur für Sprachforscher interessant, auch Neurowissenschaftler können daraus wertvolle Schlüsse ziehen. So könnte der Aufbau des Geruchslexikons der Maniq beispielsweise darauf hindeuten, dass wohlriechende und gefährliche Düfte unterschiedlich im Gehirn verarbeitet werden.

Mit Maniq haben die Forscher neben Jahai - ein benachbartes Jäger-und-Sammler Volk - nun zwei Sprachen analysiert, in denen Gerüche offenbar eine zentrale Rolle spielen. Sicherlich ist es kein Zufall, dass es sich in beiden Fällen um Jäger-und-Sammler-Völker im tropischen Regenwald handelt, denn Gerüche sind für das Überleben in der Natur unverzichtbar. "Menschen in westlichen Gesellschaften haben einen verkümmerten Geruchssinn. Früchte und Blumen beispielsweise werden auf ihr Aussehen hin gezüchtet, nicht auf Wohlgeruch", sagt Asifa Majid, die am Max-Planck-Institut in Nijmegen vergleicht, wie unterschiedliche Kulturen Gerüche in ihren Sprachen ausdrücken. Es kann sogar regelrecht verpönt sein, über schlechte Gerüche zu sprechen. "Möglicherweise war die Welt der Düfte in der Menschheitsgeschichte früher bedeutsamer, aber in den westlichen Sprachen scheint davon nichts mehr übrig geblieben zu sein", sagt Majid.

Originalpublikation:
Ewelina Wnuk, Asifa Majid
Revisiting the limits of language: The odor lexicon of Maniq
Cognition (2014) Band 131, Seite 125-138

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution207

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.,
Dr. Harald Rösch, 05.05.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2014