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UNIVERSITÄT/065: Vom Praktikum zur Partnerschaft (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2012

Vom Praktikum zur Partnerschaft

Von Gaby Gien



Im März dieses Jahres bot sich für fünf Studierende der KU die Möglichkeit, ein dreiwöchiges Praktikum in einer der ärmsten Slumschulen in Uganda zu absolvieren. Die vielen Begegnungen und Eindrücke waren so intensiv, dass daraus nun - auf Initiative der Studierenden - ein großes, weiterführendes Projekt entstanden ist.


Ein Studium an der KU soll den Studierenden neben fachlichen Kompetenzen auch anderes vermitteln: Interkulturelle Erfahrungen, die Möglichkeit, sich gesellschaftlich zu engagieren und über den Tellerrand hinauszublicken. Gerade künftige Lehrkräfte müssen in zunehmend heterogenen Gruppen eine Unterrichtskultur entwickeln, die es ermöglicht, die Vielfalt als Chance zu sehen und die Persönlichkeit des Kindes in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen - egal, wie die Rahmenbedingungen sind. Dass Studierende der KU diese Möglichkeit gerne ergreifen, zeigt das große Interesse an diesem Praktikum: Beim ersten Mal bewarben sich über 40 Studierende - trotz finanzieller Eigenbeteiligung - für das Praktikum in Uganda; für den März 2013 gibt es bereits jetzt eine Warteliste mit weit über 60 Engagierten.


Dass die Pioniergruppe aus "nur" fünf Studierenden bestand, die nach verschiedenen Kriterien und persönlichen Gesprächen ausgewählt wurden, lag daran, dass der DAAD zunächst nur für diese Zahl einen Zuschuss gewährte, ein Antrag auf höhere Zuschüsse läuft aber gerade. Daniele Franc ist eine der Studierenden, die mit dabei war. Auf die Frage nach ihrer Motivation mitzufahren, bemerkt sie: "Eigentlich wollte ich mich schon immer mal engagieren und wusste nicht so recht wie und wo. Dass einem nun im Studium die Gelegenheit geboten wird, ist eine tolle Sache! Ich würde sofort wieder mitfahren."


In den staatlichen Schulen von Kampala sind bis zu 220 Kinder in einem Klassenzimmer ohne Strom und ohne Sonnenschutz untergebracht. Viele können nicht mal sitzen, sondern müssen stehen oder sich zu viert auf eine enge Bank drängen. Schulbücher und Schreibutensilien gibt es nur in sehr begrenztem Umfang. Oft beträgt der Altersunterschied der Schüler bis zu zehn Jahren, denn ein Kind wird unabhängig von seinem Alter nach seinem Können bzw. Nichtkönnen eingeschult, so kann es schon einmal passieren, dass ein neunzehnjähriger Jugendlicher in einer ersten Klasse sitzt.

Besonders schwierig ist die Situation in den Brennpunktgebieten oder in den Schulen der Slums von Kampala. Viele der Kinder sind Vollwaisen, da die Eltern häufig an HIV oder an hygienebedingten Krankheiten sterben. Damit sind die Kinder auf die Hilfe der noch lebenden Verwandten angewiesen oder die älteren Kinder übernehmen dann - neben der Schule - die Betreuung der jüngeren Geschwister.


Das Praktikum fand an einer der ärmsten Schulen in ganz Kampala statt: Die St. James Primary School ist eine staatliche Schule und leidet besonders unter der mangelnden Unterstützung des Staates. Die Schulgebäude sind auf einem von der Sonne ungeschützten Sandplatz angeordnet und bergen insgesamt 2300 Schüler auf engstem Raum, ab 11 Uhr gibt es kein Trinkwasser mehr und für das spärliche Mittagessen muss man fast zwei Stunden anstehen. Die Schule ist eine der staatlichen Schulen, die in ihrem Weg aus diesen schwierigen Bedingungen vom Permanent Centre of Education (PCE) in Kampala (gegründet 2002) unterstützt wird, Partner der italienischen Hilfsorganisation AVSI ("a global non-governmental organization"). Das Leitmotiv des PCE setzt bei der Würde des jungen Menschen und dessen Entwicklung und Förderung in Bildungskontexten an:

"The starting point of any activity in favour of children is the acknowledgement of their being persons - each endowed with an innate dignity and unrepeatable value, in relationship with parents, family and society."

Über die Bildungskompetenzen hinaus soll bei den Heranwachsenden das Bewusstsein für die Würde der eigenen Person gestärkt werden und ihre Verantwortlichkeit für sich selbst und die Gemeinschaft immer mehr wachsen. Dieser Grundgedanke war Anlass zu einer kontinuierlichen Vernetzung der KU mit dem PCE und deren Konzept der Lehreraus- und fortbildung. In der Zusammenarbeit mit dem PCE haben unsere Studierenden in der St. James Primary School täglich mehrere Stunden unterrichtet und versucht, didaktische und methodische Elemente, z. B. in Großgruppen Schüler zu aktivieren und zum Denken aufzufordern, das Kind in seiner Ganzheit in den Mittelpunkt zu stellen, zu etablieren und entsprechendes Unterrichtsmaterial zu erstellen. Eine kleine Dokumentation befindet sich auf der gerade entstandenen Homepage (s. Kasten).


Theoretisches und praktisches Kernthema war es, eine "disziplinierte", aber auch vertrauensvolle Unterrichtsatmosphäre herzustellen und entsprechende Methoden zu diskutieren, denn in Uganda herrscht noch an fast allen Schulen die Prügelstrafe vor. Die Studierenden beobachteten sich gegenseitig, diskutierten mit den Lehrkräften und konnten abends mithilfe von Videoaufzeichnungen ihren Unterricht reflektieren und so besonders eindrücklich spüren, wie wichtig es ist, Schüler positiv zu verstärken, ihnen ein Feedback und ein Lächeln zu schenken, sie beim Namen zu nennen und sich mit ihnen zu unterhalten, um ihrem Denken und Fühlen auf die Spur zu kommen, Elemente, die der Baustein eines jeden Unterrichts - auch hier - sein sollten. So bemerkten Peter Zanker und Katharina Lux, die beide Lehramt Grundschule studieren: "Wenn man das hier erfahren hat, traut man sich vieles zu, vor dem man vorher zurückgeschreckt wäre. Zum Beispiel ganz ohne Material, Tafel und Beamer so viele Kinder zu unterrichten." Die beiden haben ihre musikalischen Talente eingesetzt und beispielsweise mit über zweihundert Kindern mehrstimmig "When the lion sleeps tonight!" einstudiert. Wenn Katharina mit ihrer Ukulele auftauchte, wurde sie immer gleich von Dutzenden Kindern umringt.


Parallel zur Unterrichtspraxis wurden Vorträge und Workshops (z.B. Discipline contra Punishment) von Frau Prof. Dr. Gien (Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, KU) an der Makerere Universität und im Permanent Centre of Education angeboten, die zu nachhaltigen Diskussionen führten und sogleich in der Schulpraxis ausprobiert wurden.

Die Erfahrungen waren für beide Seiten hochspannend und gewinnbringend, wie der nachhaltige Mailverkehr zeigt. Im Moment wird versucht, sich über eine Webplattform zu vernetzen, so dass auch die Möglichkeit des permanenten Materialaustausches besteht. Letzte Woche erreichte die KU die Anfrage, kontinuierlich an der Lehreraus- und -weiterbildung in Uganda mitzuarbeiten und Module für eine universitäre Lehrerausbildung zu entwickeln und den universitären Austausch weiter zu aktivieren.


Bereits vor ihrer Abreise in Uganda war allen Studierenden klar, dass sie sich über das Praktikum hinaus nachhaltig für die Schule St. James und die Bildung in Uganda einsetzen wollen und so wurden bereits vor Ort konkrete Pläne geschmiedet. Teresa Braun und Monika Straub, die beide das Gymnasiallehramt anstreben, meinten: "So etwas lässt einen nicht mehr los und verändert die Sicht auf Gesellschaft und das eigene Leben völlig. Da müssen wir einfach etwas tun." Alle Teilnehmer haben so viele Lächeln, wunderbare Gesichter, freundliche Worte, Gesten und einen unerschütterlichen Optimismus in Kampala erlebt, und waren so bewegt von den Menschen, die sich trotz verheerender Rahmenbedingungen für Bildung und Fortschritt einsetzen, dass der Wunsch, dort weiterzumachen, wuchs. So setzten sich die fünf Studierenden mit ihrer Dozentin gleich nach ihrer Ankunft zusammen und planten konkrete Schritte. Es sollen auch im nächsten Jahr gemeinsame Workshops zu einem Dachthema (Creativity & Teaching) geplant und mitfinanziert werden. Ferner wollen die Studierenden durch gezieltes Fundraising in einem ersten Schritt Spenden für Unterrichtsmaterialien und Bücher, Regale und Tische sammeln und vor Ort beim Aufbau helfen, denn vier der fünf Studierenden fahren auf jeden Fall auf eigene Kosten noch einmal mit.


Ende Juni fand in der Aula der KU ein großer Ugandaabend mit Wort- und Filmbeiträgen statt, dort konnten bereits viele Sponsoren und Interessierte begeistert und ein stattlicher Betrag eingeworben werden, sicher auch deshalb, weil mit dem Bayerischen Rundfunk und Frau Professor Dr. Dr. Spanner-Ulmer eine wertvolle Schirmherrschaft gewonnen wurde, die uns tatkräftig bei unseren Aktivitäten unterstützt. Aber auch innerhalb der KU erfährt das Ugandateam von allen Seiten Zuspruch und Hilfe, so dass sich im Frühjahr eine deutlich gewachsene Truppe auf den Weg macht! Davon berichten wir dann 2013!


Prof. Dr. Gabriele Gien ist seit 2010 Inhaberin des Lehrstuhls für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören u.a. interkulturelle Bildungsfragen sowie Lehr- und Lernforschung.


KASTEN
 
Über das Projekt

Weitere Informationen, Filme, Bilder und vieles mehr gibt es unter www.kuganda.org oder direkt bei Prof. Dr. Gaby Gien (gaby.gien@ku.de).

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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Ausgabe 2/2012, Seite 16-18
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr. Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Telefon: 08421 / 93-1594 oder -1248, Fax: 08421 / 93-2594
E-Mail: pressestelle@ku.de
Internet: www.ku.de
 
AGORA erscheint einmal pro Semester und kann kostenlos bezogen werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2012