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FILMKRITIK/003: "300" - Kriegsverherrlichung oder griechische Tragödie? (SB)




"300"

Filmstart: 5. April 2007

Regie: Zack Snyder
Genre: Comic-Actionfilm
Freigabe: ab 16 Jahren
Darsteller: Gerald Butler, Lena Headey,
David Wenham

Kriegsverherrlichung oder griechische Tragödie?

Schon vor dem Kinostart von "300" wurde die Verfilmung des gleichnamigen Comics von Frank Miller durch einseitige Kritiken, aber auch durch die Promotion auf eine bestimmte Aussage reduziert. Laut Kritikern und Werbung ginge es dabei hauptsächlich um ein ästhetisch eindrucksvoll inszeniertes gegenseitiges Abschlachten unter Kriegern mit gestählten Muskeln. Es war von schön choreographierten Kämpfen und der bluttriefenden Zerstörung hochgezüchteter Körper die Rede, welche immerhin nett anzusehen seien. Angesichts der speziell ausgewählten Ausschnitte und der dazugehörigen Kommentare hatte ich persönlich schon wenig Lust, mir den Film überhaupt anzusehen. Zuerst dachte ich sogar, es handele sich um einen Animationsfilm, denn die gezeigten Bilder wirkten wie aus einem Computerspiel. Aber Kritiken soll man mit Vorsicht genießen und schlechte Promotion verkauft eine Geschichte oft leider auch gut, womit ihr begrenzter Zweck eben erfüllt ist.

Immerhin sprach auch eine Tatsache für den Film, nämlich, daß er auf einem Comic von Frank Miller basiert, und mir hatte die erste Verfilmung eines dieser Comics namens "Sin City" nicht nur in ästhetischer Hinsicht gut gefallen. Natürlich zeichnen sich weder Sin City noch 300 durch ausgefeilte Dialoge aus, doch das ist beispielsweise in einer Oper auch nicht wirklich der Fall. Dennoch wird mit ausgewählten Mitteln eine Geschichte erzählt, deren Inhalt ein aufgeweckter Zuschauer durchaus verschieden deuten kann.

Zur Geschichte selbst sei hier nur kurz gesagt, daß sie um 480 vor Christus während der Perserkriege in Griechenland spielt. Aus der Perspektive der besonders kriegerischen und freiheitsliebenden Spartaner wird hier ein entscheidender Teil des Konfliktes zwischen der persischen Armee und Griechenland dargestellt. Der Perserkönig Xerxes bietet auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht den Griechen und auch speziell den Spartiaten eine kampflose Übernahme ihres Landes an. König Leonidas 1 von Sparta lehnt dieses "Angebot" ab, indem er den Boten von Xerxes und seine Begleiter umbringt. Dies allein kommt schon einer Kriegserklärung gleich, denn es ist eigentlich ein Verbrechen, den Überbringer von Nachrichten zu töten. Leonidas macht sich dadurch zum direkten Gegenspieler von Xerxes, außerdem zieht er nach Ansicht einiger Politiker, Bewohner und religiöser "Berater" Spartas die Bevölkerung in einen unnötigen Konflikt hinein. Sie wollen keinen Krieg gegen eine millionenstarke Übermacht führen und betrachten eine Annexion durch die Perser vielfach als das geringere Übel. Leonidas ist ebenfalls nicht wohl dabei, sein Volk einer so aussichtslos erscheinenden Auseinandersetzung preiszugeben, doch er kann seine Prinzipien nicht aufgeben, die ihn gegen jede Art von Unterdrückung rebellieren lassen. Schließlich zieht er nur mit einer kleinen Gruppe von 300 Männern in den Kampf, ohne einen Kriegsauftrag aus seiner Heimat zu haben. Die 300 sind speziell ausgebildete Personen, die seit frühester Kindheit körperlich und geistig auf das Härteste vorbereitet wurden, im Kampf für Sparta ihr Leben einzusetzen. Für sie bedeutet es eine Ehre, im Kampf zu fallen und damit Ruhm für ihr Land, ihre Familie und den König zu erlangen. Doch nicht nur diese Einstellung unterscheidet sie von anderen Männern, die sich ihnen später anschließen. Diese Spartiaten töten nicht nur, weil eine Schlacht es ihnen aufzwingt. Das Kämpfen und Töten ist ihr "Handwerk", Lebensinhalt und Bestimmung, auch in friedlichen Zeiten. Sie haben beim Kämpfen eine spezielle Vorgehensweise, zu der Leonidas die passende Strategie vorschlägt. Er will den Persern in einer Schlucht entgegentreten, die gleichzeitig ein Paß über die Berge Richtung Sparta ist. An dieser engen Stelle, so erläutert Leonidas seinen Mitstreitern, habe die Übermacht des Feindes keine Bedeutung. Diese Herangehensweise hatte Leonidas in seiner Jugend einst das Leben gerettet, als er allein in der Wildnis gegen einen übernatürlich großen, starken Wolf kämpfen mußte.

Das Ende der Auseinandersetzung zwischen Spartiaten und Persern ist sozusagen "Geschichte", und auch in der Version von Frank Miller werden die 300 schließlich von den Persern besiegt. Während ihres Kampfes wird jedoch deutlich, wie stark ihr Zusammenhalt und ihre Motivation sie trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit machen. Sie kämpfen in der "Phalanx", einer geschlossenen Formation, bei der alle Krieger in Reihen von etwa fünf bis sechs Mann hintereinander und hinter ihren Schilden stehen. Jeder Mann muß dabei sich selbst und seinen Nachbarn zur Linken mit seinem Schild vom Hals bis zur Hüfte schützen. Die Phalanx ist nur wirksam, solange sie nicht durchbrochen wird. Dann können die Krieger sie zuerst verwenden, um ihre Feinde aufzuhalten, sie anschließend wegzustoßen und dann geschlossen anzugreifen, während die Gegner rückwärts taumeln. Der Angriff dauert nur kurz, wird dafür aber mit großer Geschwindigkeit, Entschlossenheit und Präzision vorgetragen. Danach ziehen sich alle Krieger wieder hinter ihre Schilde zurück. Durch ihr geschlossenes Vorgehen erleiden die Spartiaten sehr viel weniger Verluste als die Perser, welche meist einzeln oder in lockeren Verbänden heranstürmen. Gerade dieses Vorwärtsstürmen reibt sie auf, denn die Wand aus Schilden der Spartiaten können die Perser so nicht aufbrechen, und wenn sie nach dem Stoß der Phalanx erneut auf diese zulaufen, rennen sie in das blanke Schwert und den vorgehaltenen Speer der Spartiaten hinein. Diese Art, sich durch die Phalanx einerseits unangreifbar zu machen und andererseits Raum zum Angreifen zu schaffen, ging ebenfalls in die Geschichte ein. Sie wurde später auch von den Römern übernommen und sehr erfolgreich eingesetzt. In dem Film wird diese Kampfmethode sehr anschaulich dargestellt, was für mich persönlich auch in geschichtlicher Hinsicht sehr interessant ist. So plastisch, aus einer Perspektive heraus, als würde man sich selbst in der Phalanx befinden, sieht man das Ganze nur selten. Dabei trägt die spezielle Optik einiges dazu bei, daß der Zuschauer sich involviert fühlt und ständig den Fokus auf der direkten Kampfhandlung behält.

Viele Farben wurden, ähnlich wie bei Sin City, weggelassen und andere stark hervorgehoben. Während die felsige Umgebung in Grautönen eher in den Hintergrund tritt, leuchten die Umhänge der Spartiaten rot und bilden einen Rahmen für ihre comichaft überzeichneten Körper und eisern glänzenden Helme. Das rote, fließende und spritzende Blut bildet eine optische Verbindung zu ihren Kontrahenten, deren wild gemischte Armee mit mythischen, maskierten und tierhaften Angreifern ebenfalls in starken Farben wie leuchtendem Gelb, sattem Braun, strahlendem Weiß sowie tiefem Schwarz und ebenfalls in Rot furchterregend daherkommt.

Ich persönlich habe bei den üblichen Schlachtenfilmen die Neigung, einzuschlafen, weil zwischen all den gleichen Sandfarben oder Metallrüstungen und untrennbar miteinander verwickelten Körpern, die scheinbar mit ihrer Umgebung verschmelzen, ganz schnell Überblick und Interesse verlorengehen. Bei 300 tauchen immer neue, optisch spannende Figuren, wie eine angeblich unsterbliche, maskierte asiatische Armee, ein Kriegsnashorn in beeindruckender Rüstung, Elefanten und ein über und über mit Goldschmuck behängter, gepiercter König Xerxes in Übergröße auf.

König Leonidas bekommt von Xerxes mehrfach Angebote, als sein Heerführer und Herrscher über ganz Griechenland zu ihm überzulaufen, wenn er nur bereit sei, vor Xerxes zu knien. An dieser Stelle sollte auch dem voreingenommensten Zuschauer und Kritiker klar werden, daß es in diesem Film im Kern nicht um pauschale Kriegsverherrlichung und Körperschau geht. Es geht vielmehr darum, den unbedingten Freiheitswillen und die Prinzipientreue der Spartiaten darzustellen. König Leonidas läßt sich nicht zur Unterwerfung unter irgendeinen Herrscher zwingen, obwohl dessen Angebot, Heimat und Familie dadurch zu schützen, für ihn natürlich attraktiver ist, als sich und seine Leute abschlachten zu lassen. Doch Leonidas weiß auch, daß er mit seiner Unterwerfung für unabsehbare Zeit die Kultur und Eigenständigkeit seines Landes, vielleicht sogar ganz Europas, einer einzigen, herrschsüchtigen Person opfern würde. Daher kämpft er bis zu seinem Tod gegen Xerxes, obwohl zu Hause Frau und Kind auf ihn warten.

Leonidas und seine 300 haben meiner Meinung nach eine nachvollziehbare Motivation für ihr unerbittliches Vorgehen gegen die feindliche Streitmacht, die weder durch Selbstsucht noch durch Machtstreben begründet ist. Ihre Kriegführung wird in dem Film als sehr grausam und rücksichtslos dargestellt. Beispielsweise schichten sie eine Mauer aus Steinen und toten Persern auf, um den Feind in eine bestimmte Marschrichtung zu zwingen. Es wird über tote Körper getrampelt, zerhackt, aufgespießt und aufgeschlitzt, daß dem Zuschauer ganz schlecht wird, und man kann diese Darstellung auch in eine andere Richtung als die der Gewaltverherrlichung deuten. Es wird nämlich nicht nur gezeigt, wie schön die Spartiaten ihre Widersacher fertigmachen, sondern man sieht auch die Grausamkeit des Krieges, das sinnlose Sterben auf beiden Seiten und den entufernden Kontrollverlust in der Schlacht. Die Motive der Spartiaten sind zwar verständlich, dennoch hinterließ gerade die Grausamkeit ihres Vorgehens bei mir nicht den Eindruck, daß der Zweck die Mittel heiligt. Es ist nun einmal eine geschichtlich belegte Tatsache, daß der Mensch im Lauf der Jahrhunderte so ziemlich den größten Teil seiner Energie dafür aufgewendet hat, andere zu unterdrücken und Krieg zu führen. Die Motive sind dabei eher unerheblich, ob sie nun religiöser, machtpolitischer oder sonstiger Natur seien. Menschen sehen in Konflikten miteinander eher einen Grund, ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen, statt einen Anlaß, eine echte Lösung dafür zu finden, die vielleicht beiden Seiten einen Kompromiß abverlangen könnte. Als ich die entfesselte Schlacht, das blutige Treiben und die Gewalt der freigesetzten Aggressionen auf der Leinwand sah, dachte ich: Das ist unsere stärkste Motivation, unsere treibende Kraft und unser vorherrschendes Gefühl, Aggression, Zerstörungswut und der Zwang, andere zu unterwerfen, um irgendwie eine Art von Kontrolle über sie behalten. Diese menschlichen Eigenschaften kommen in der dargestellten Schlacht einfach überdeutlich zum Vorschein, übrigens ähnlich wie in Sin City, wo die Brutalität der Zuhälter, Kinderschänder und Mörder ja auch nicht gezeigt wird, um sie gutzuheißen.

Man kann die überzeichnete Darstellung der Konflikte in beiden Filmen auch zum Anlaß nehmen, um die Gewalt als vorherrschende Kraft in unserer Gesellschaft zu erkennen, sie in unserem eigenen Wesen nicht zu verleugnen und schließlich auch ihre Motivation zu hinterfragen.

Die griechische Tragödie thematisiert öfter das Leben von Menschen, die sich durch eine große Freiheitsliebe auszeichnen, sich nicht kompromittieren lassen und dadurch zum Außenseiter ihrer Gesellschaft werden. Dies macht sie aber nicht zu todessüchtigen Wahnsinnigen, die ohnehin des Lebens überdrüssig sind. In der Geschichte der Antigone geht es beispielsweise um ein Mädchen, dessen einziger Wunsch an ihren König darin besteht, ihren Bruder anständig begraben zu dürfen. Da dieser sich aber in irgendeiner Weise nicht gesellschaftskonform verhalten hat bzw. es den Zwecken des Königs zuwiderlaufen würde, ihn zu begraben, verweigert dieser Antigone die Erfüllung ihres Wunsches. Sie will dennoch ihren Bruder begraben, obwohl sie weiß, daß der König sie dafür töten wird.

Der größere Teil der Geschichte beschreibt in so eindrucksvoller Weise die Liebe Antigones zum Leben, daß einem bei dem Gedanken daran, daß sie sterben wird, die Tränen kommen. Trotz ihrer Lebensfreude ist Antigone jedoch nicht bereit, dieses Leben in einer Welt zu fristen, die von grausamen Gesetzen, doppelbödiger Moral und geistiger Unterdrückung regiert wird. Obwohl diese Probleme sich für sie nur in einem einzigen Punkt manifestieren und sie nur einmal darüber hinwegsehen müßte, um ihr geliebtes Leben zu retten, kann Antigone ihren Gerechtigkeitssinn nicht unterdrücken und stirbt für ihre Überzeugung.

Die Geschichte von Leonidas ist ähnlich zu bewerten, denn er trifft seine Entscheidung, in den Krieg zu ziehen weder als König und Heerführer noch als Ehemann oder Familienvater, sondern als freier Mann, der nur seinem Gewissen Rechnung trägt. Gesellschaftliche Zwänge und die möglichen Konsequenzen seines Handelns halten ihn nicht auf, und dies macht ihn zum klassischen Helden einer griechischen Tragödie.

Es würde mich sehr interessieren, warum Filmkritiker als kulturell gebildete Personen es für weniger wichtig halten, diese spannende Parallele zu bemerken als sich über angebliche Kriegspropaganda in einem Comic zu echauffieren.


22. April 2007