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BUCHTIP/1040: Anna Politkowskajas "Russisches Tagebuch" (ai)


amnesty journal 5/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Eine Tote klagt an
Anna Politkowskajas posthum erschienenes "Russisches Tagebuch" ist ein Aufschrei gegen die Macht von Wladimir Putin.

Von Maik Söhler


Am 7. Oktober 2006 wurde die russische Journalistin Anna Politkowskaja vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen - vermutlich von einem Auftragsmörder. Bis heute ist der Mord nicht aufgeklärt, noch nicht einmal eine internationale Untersuchungskommission wurde bisher von Russlands Präsident Wladimir Putin zugelassen. "Die Geheimdienste sind mächtiger denn je, wie Untote haben sie sich Russland gekrallt", schreibt die "Monitor"-Moderatorin Sonia Mikisch im Vorwort des in Deutschland jüngst und posthum veröffentlichten "Russischen Tagebuch" Politkowskajas und vermutet in ihnen ein "Machtzentrum".

Putin, einem ehemaligen Kader des Geheimdienstes KGB, und den Diensten selbst gehörte zu Lebzeiten Politkowskajas Spott, Verachtung und vor allem ihre geballte Kritik. Davon zeugt ihr Tagebuch, das politisch-journalistische Einträge aus dem Zeitraum vom Dezember 2003 bis zum September 2005 versammelt. Politkowskaja beschäftigte sich mit dem Aufstieg und der Wiederwahl Putins, der staatlichen Repression gegen jegliche Opposition und den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.

Dabei ging sie auch mit der russischen Bevölkerung und dem Verhalten der westlichen Verbündeten Putins hart ins Gericht. "Es sei daran erinnert, dass das Wüten der Sicherheitskräfte im letzten halben Jahr in Russland völlig folgenlos geblieben ist. Kein Aufschrei der Empörung seitens der Bevölkerung", heißt es etwa in einem Eintrag vom 20. Juni 2005. Bereits am 24. Februar desselben Jahres notierte sie anlässlich eines Treffens zwischen George W. Bush und dem russischen Präsidenten: "Bush verzichtete darauf, Putin zu stellen - das Erdöl und die Freundschaft um des Erdöls willen trugen den Sieg davon. Was denen in Russland, die auf die Unterstützung des Westens setzen, erneut bewiesen hat: Die demokratischen Freiheiten wieder zu erringen ist unsere innere Angelegenheit."

Auch auf die offensichtlich üblichen Bereicherungen von Funktionären aus Wirtschaft und Politik kommt Politkowskaja zu sprechen. "Unsere Staatsmacht heute - das ist einfach die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen", lauten die letzten Worte ihres Buches, das im besten Sinne eine Streitschrift ist.


ANNA POLITKOVSKAJA
Russisches Tagebuch.
Übersetzt von Hannelore Umbreit und Alfred Frank
Dumont, Köln 2007. 458 S., 24,90 Euro


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2007, S. 38
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2007