Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BUCHTIP/1095: "Wir sind überall" - Protestbewegungen weltweit (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 141 - Dezember 07/Januar 08
Die Berliner Umweltzeitung / REZENSIONEN

Die Globalisierung des Widerstands
"Wir sind überall" präsentiert weltweite Bewegungen gegen den Neoliberalismus

Von Arabella Walter


Das Autorenkollektiv "Notes from Nowhere" hat mit dem Buch "Wir sind überall" das erste Werk veröffentlicht, welches die weltweiten Protestbewegungen gegen Neoliberalismus und Marktglobalisierung darstellt. Dabei lässt es die Beteiligten direkt zu Wort kommen. Auf über 500 Seiten finden sich subjektive Berichte, Interviews und Briefe von Aktivisten und Betroffenen. Sie handeln unter anderem von Immigranten ohne Papiere in Frankreich, amerikanischen Studenten, die sich für die Abschaffung von Sweatshops engagieren, oder der Landlosenbewegung in Brasilien. Berichte über New Yorker, die illegal Gemeinschaftsgärten in ihrer Stadt anlegen, findet man ebenso in diesem Buch. Aber auch indische Bauern, die aus Protest gegen das "Patent auf Leben" Genfelder in Brand setzen sowie Straßen blockierende argentinische Arbeitslose haben hier ihren Platz. Zwischen den Erfahrungsberichten sind außerdem sachliche Analysen der Autoren eingefügt. Zusätzlich gibt es Tipps, wie man "Bezugsgruppen" bilden, Räume besetzen, "Chaos organisieren" oder Flüchtlingen vor der Abschiebung helfen kann. Dabei reichen die Anleitungen vom Tortenwerfen auf unbeliebte, öffentlich bekannte Personen bis zu Sabotageakten gegen Kriegshandlungen. Schwarz-Weiß-Fotos zeigen Demonstranten und ergänzen die vielen Texte.

So verschieden die hier eingefangenen Bewegungen auch sein mögen, sind sie laut den Autoren doch netzwerkartig untereinander verbunden. So entstehe eine weltweite dezentrale Protestbewegung, die in ihrem Wunsch nach mehr direkter Demokratie, Autonomie, Partizipation, Vielfalt und Würde vereint sei. Als Vorbild gelten die Zapatisten, deren Geschichten und Botschaften sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Deshalb setzen "Notes from Nowhere" den Anfang der Bewegung mit dem Aufstand der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) am 1. Januar 1994 in Chiapas (Mexiko) gleich. Die Zapatisten führten diese unterschiedlichen Menschen zum ersten Mal zusammen, indem sie das "Erste interkontinentale Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus" mitten im lakandonischen Urwald veranstalteten. Seitdem folgten weitere Zusammenkünfte und ein reger Austausch über das Internet. Dass die Auswirkungen nicht zu übersehen sind, zeigten auch die großen Protestdemonstrationen in Seattle, Birmingham, Genf, Prag, Québec und Genua.

"Wir sind überall" kommt nicht umhin, die Macht der globalen Wirtschaft und der im Geheimen agierenden Vertreter von Weltbank, WTO, G8, IWF und des Weltwirtschaftsforums zu kritisieren. Die Auswirkungen so genannter "wirtschaftlicher Anpassungsmaßnahmen" sind oft fatal - Umwelt wird zerstört, Menschen verlieren ihre Lebensgrundlagen, Armut und Unterdrückung sind an der Tagesordnung. Trotzdem macht das Buch vordergründig Mut, weil es Schicksale von Menschen darstellt, die hartnäckig und fantasievoll gegen die Ungerechtigkeit kämpfen. Der Leser bekommt einen Eindruck von einer Bewegung, der die Medien keine Plattform bieten und [die] sogar teilweise als "terroristisch" eingestuft wird.

Es handelt sich um ein subjektives Buch, zum Teil in sehr emotionaler, poetischer Sprache. Doch genau darin liegen auch seine Vorzüge, weil die lebendigen Berichte Spannungen erzeugen und die Vielfalt der Bewegungen veranschaulichen. Träumen, Gefühlen und der Fantasie wird eine große Bedeutung zugemessen, schließlich gehe es ja um Menschlichkeit. Das ist es, was die Bewegung der "Entfremdung durch den Kapitalismus" entgegensetzen will.

Das Buch ist sowohl informativ als auch aufmunternd und spannend. Die aufgezeigten Alternativen machen Mut. Leser, die sich gegen die globale Macht der Wirtschaft und die dadurch entstehenden Ungerechtigkeiten wehren wollen, können hier neue Ideen finden, um aktiv zu werden. Am Ende ist das Vorwärtsgehen und die Hoffnung das Wichtigste. Ganz nach den Worten von Mahatma Gandhi: "Zuerst ignorieren sie dich. Dann lachen sie über dich. Dann bekämpfen sie dich. Dann gewinnst du."

Notes from Nowhere (Hrsg.):
Wir sind überall
Edition Nautilus, Hamburg 2007
544 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-89401-536-7


*


Quelle:
DER RABE RALF - 18. Jahrgang, Nr. 141, Dezember 07/Januar 08
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2008