Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → LITERATUR

BUCHTIP/1232: Der Falke - Taschenkalender für Vogelbeobachter 2013 (SB)


Der Falke - Taschenkalender für Vogelbeobachter 2013



Der Falke-Taschenkalender 2013 ist erschienen, und wieder lädt ein imposantes gefiedertes Geschöpf auf der Titelseite zum genaueren Hinsehen ein: die Kolbenente, gerade im Begriff, aus dem Wasser zu steigen. Wie üblich bietet das handliche Büchlein, dessen kalendarischer Teil mit wichtigen Basisdaten und Arbeitshilfen etwa die Hälfte seines Umfangs ausmacht, auch diesmal wieder vielfältige und spannende Beiträge zu ornithologischen Themen.

Während in den vergangenen Jahren schwerpunktmäßig immer noch wissenschaftliche Neugier bei Vogelexpeditionen in abgelegene Orte, neue Erkenntnisse aus der Verhaltensbiologie oder Physiologie einer Vogelart und allerhand Aufschlußreiches, Weiterführendes und manches Kuriose aus der und für die Ornithologenszene überwogen, schimmert bei der diesjährigen Ausgabe mehr und mehr die Notlage durch, in der sich unsere gefiederten Gefährten befinden. In kaum einem der Vogelberichte bleibt die Bedrängnis, in die die Vögel aufgrund menschlicher Achtlosigkeit und rücksichtslos durchgesetzter wirtschaftlicher Interessen geraten sind, unerwähnt.

Immer ausgefeiltere Technologien ermöglichen eine immer präzisere Erfassung von Vorgängen und Veränderungen in der Vogelwelt, etwa die Satellitentelemetrie oder die in diesem Kalender auch ausführlich beschriebene Helldunkel-Geolokation. Die gewonnenen Daten zeichnen ein düsteres Bild, vor dem selbstverständlich auch die Falken-Redaktion nicht die Augen verschließt.

So beschreibt Andreas Barkow in seinem doppelseitigen "Januar"-Bericht den auf der Roten Liste befindlichen Rotschenkel, einen Vogel, der durchaus in der Lage ist, extreme Witterungen wie im winterlichen Eiswatt der Nordsee zu überstehen. Der Bestand geht zurück, weil "immer noch versucht wird, auch die letzte Nassstelle im Grünland trocken zu legen, um die Fläche möglichst effektiv bewirtschaften zu können." Die Intensivierung der Landwirtschaft schadet ihm ebenso wie den vielen anderen Wiesenvögeln.

Kaum anders sieht es bei den Zwergschwänen aus, wie Daniel Doer im "Februar"-Artikel schildert. Diese dem Singschwan verwandten Vögel rasten normalerweise bei ihrem langen Zug von der Tundrenzone Nordrusslands zu ihren arktischen Brutgebieten bevorzugt auf überschwemmten Wiesen, Weiden und Marschen in Deutschland. Diese Flächen stehen "mit der konsequenten Entwässerung auch des Deichvorlandes immer weniger zur Verfügung." So sind diese Vögel gezwungen, auf Rapsfelder, die zur Herstellung von Biodiesel immer größere Flächen einnehmen, auszuweichen, und die Zahl der in Norddeutschland rastenden Zwergschwäne zeigt eine abnehmende Tendenz.

Sogar die einst in großer Zahl auftretende Feldlerche, die mit ihrem Geträller für viele Menschen den Frühling einläutet, leidet an der intensiven Landwirtschaft. Ihr Bestand geht, wie Andreas Barkow im "März"-Artikel beschreibt, dramatisch zurück, nicht zuletzt deshalb, weil kaum noch ein Feldweg ohne Asphalt oder Beton ist und einen mit Wildkräutern bewachsenen Saum hat. "Die Nutzung der Wirtschaftsflächen ist zeitlich und räumlich so lückenlos, daß kaum noch ein Vogel in diesem Lebensraum erfolgreich brüten kann", so Barkow.

Und so geht es weiter: Gerhard Koiker schildert im "April"-Artikel, weshalb der Bestand an Kiebitzen in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Der Rotmilan, wie Siegfried Klaus im "September"-Bericht beschreibt, leidet an der ungebremsten Ausdehnung des Mais- und Rapsanbaus. Dieser nimmt die Flächen ein, auf denen früher häufig Gras- und Futterpflanzen gemäht wurden. Beim Rotmilan sind die Entwicklungen besonders dramatisch: "Seit Anfang der 1990er Jahre ist nach Ergebnissen des Monitorings 'Greifvögel und Eulen Europas' der Dichteindex fast auf die Hälfte gesunken." Als einer der Mortalitätsfaktoren wird der Vogelschlag an den Windkraftanlagen angesehen. Der Rotmilan steht an der Spitze der an Windkraftanlagen verunglückten Vogelarten.

Erst ganz allmählich scheint uns Menschen bewußt zu werden, daß diese aufgezeigten und mit Fakten und Zahlen untermauerten Veränderungen in der Vogelwelt ein sensibler Indikator für den kritischen Gesamtzustand der Welt sind.

In ihrem Artikel "Der Vogelzug in der Vorstellung von Schülern" (S. 206-213) spricht sich Melanie Buß dafür aus, daß Kinder bereits sensibilisiert werden sollten, ihre Wahrnehmung für derlei Probleme zu schärfen oder überhaupt erst einen Sinn dafür zu entwickeln. Die Ergebnisse ihrer Befragung von Zehn- und Elfjährigen überraschten ein wenig, denn obgleich auch die ganz junge, Internet-versierte Generation eigentlich gut informiert zu sein scheint, waren diesbezüglich viele ahnungslos: "Die kleinen Vögel suchen sich ein warmes Örtchen, wo sie sich verstecken und Winterschlaf halten können"; "der Storch hat so dünne Federn, dass man da praktisch durchgucken kann"; "die Schwalbe zieht nicht weg, weil sie von der Größe her vom Wind wieder zurückgetrieben würde"; "der Star und die Schwalbe sind ein bißchen zu klein und zu leicht für die Reise"; "die großen Vögel, die nicht ziehen, die kriegen Winterfedern und die Fettschicht" (S. 207), hieß es da.

Absurd? Lächerlich? Gar dumm? Eigentlich nicht. Denn ist nicht das, was die Kinder auf direkte, "unverblümte" Weise machen, nämlich, bei ihren Schlüssen "bezug aus der eigenen Erlebnis- und Erfahrungswelt" zu nehmen (S. 208), auch unter professionellen Vogelkundlern gar nicht so unüblich? Man nehme zum Beispiel das Zugverhalten eines kleinen Vogels wie der Küstenseeschwalbe, die zwischen den arktischen Brutgebieten und den antarktischen Überwinterungsgebieten hin und her pendelt und dabei jedes Jahr eine Strecke von bis zu 40.000 Kilometern zurücklegt. Das ist eine Größenordnung, die, so Autorin Melanie Buß, Kinder, welche höchstens einen Schulweg als lang und beschwerlich kennen, nicht zu erfassen vermögen. Doch können dies Erwachsene, Wissenschaftler oder Vogelkundler wirklich? Wahrscheinlich nicht einmal Globetrotter, die in der Regel ihre langen Reisestrecken bequem im Flugzeug überbrücken! Man möge doch einmal ernsthaft prüfen, ob physiologische Modelle tatsächlich zu erklären vermögen, wie diese kleinen Vögel es von ihren Kräften und ihrem Metabolismus her fertigbringen, eine solch immens große Strecke zurückzulegen.

Um sich schwer Erklärliches verständlich zu machen, wird auch unter Experten gern aus dem Schatz des Bekannten geschöpft, beispielsweise die vielfältige Kommunikation der Vögel als Gesang bezeichnet und dieser sogar in Strophen unterteilt, wie es Hans-Heiner Bergmann in seinem Artikel "Sie sind keine Singvögel - und singen doch" (S. 200-205) tut. Er geht der Frage nach, ob es nicht auch bei Nicht-Singvögeln solche gibt, die singen. Allein beim genauen Belauschen eines Vogels wie beispielsweise der Amsel in der Abenddämmerung bleibt eine solche Strophe, deren entscheidendes Merkmal eigentlich die regelmäßige Wiederholung ist, eine Frage der Interpretation und Deutung.

Auch mit der Erklärung des Schwarmverhaltens tun sich die menschlichen Experten mitunter schwer, insbesondere was die Kommunikation, den gemeinsamen Richtungswechsel und die Reaktionsgeschwindigkeit eines einzelnen Tieres angeht. Vögel handeln hier ohne Führungstier oder übergeordnete Steuerung wie ein homogenes Ganzes, was für uns Menschen, die wir auf unsere Individualität in Form eigener Wege, besonderer Anschauungen und der persönlichen Note großen Wert legen, schlicht nicht vorstellbar zu sein scheint.

Nichtsdestotrotz sind Mensch und Tier gleichermaßen von dem Problem, das unter dem Schlagwort 'Klimawandel' wie ein schicksalhafter Verlauf anmutet, betroffen. Allein geschützte Reservate für unsere gefiederten Freunde schaffen zu wollen, greift allerdings zu kurz, denn solange die dominierenden Interessen nicht in Frage gestellt und die sogenannte Umwelt ausschließlich unter dem Gesichtswinkel der wirtschaftlichen Nutzbarmachung wahrgenommen wird, sind sie und ihre Lebensräume in Gefahr.

Der vorliegende Falken-Kalender ist alles in allem wieder ein gelungenes Werk, das nicht nur für Vogelfreunde und Ornithologen, sondern auch für Schüler und Natur-Interessierte wertvolle Hinweise und Anregungen bereit hält.

26. November 2012

Der FALKE-Taschenkalender für Vogelbeobachter 2013

AULA-Verlag Wiebelsheim 2012
272 Seiten, 7,90 EUR
ISBN: 978-3-89104-766-8