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SF-JOURNAL/046: Akzente... Auf den Hund gekommen (Leseempfehlung) (SB)


Auf den Hund gekommen ...

Drei Kurzgeschichten über das zukünftige Zusammenleben
von Mensch und Tier


Bis vor kurzem war ich selbst weder Hundebesitzer noch Hundeliebhaber, dafür umso mehr ein Freund von Science Fiction- Literatur. Nun könnte man meinen, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun und es gäbe da keine Berührungspunkte.

Habe ich auch gedacht, bis ich beim Durchstöbern der umfangreichen Science Fiction-Sammlung meines verstorbenen Bruders, der übrigens sein Leben lang ein Hundenarr gewesen ist, auf viele Geschichten gestoßen bin, in denen eben diese Vierbeiner eine beachtliche Rolle spielen, was mich schließlich dazu veranlaßte, ein paar Gedanken zu Papier zu bringen.

Wer weiß, vielleicht ergeht es manchem Leser wie mir: Mein Unverständnis gegenüber Hunden und deren Haltern ist einer Verbundenheit gewichen, die ich mir bis dahin durch Ignoranz und mangelndes Interesse versperrt hatte. Ja, mehr noch - ich bin regelrecht auf den Hund gekommen. Wer sonst hätte sich nach dem Ableben meines Bruders um seinen "lausigen Köter" kümmern sollen. So dachte ich damals.

Vorstellen möchte hier nun also drei Stories zweier Autoren, von denen einer mittlerweile, wie mein armer Bruder auch, gestorben ist. Nicht jedoch seine Geschichten und Gedanken, derentwegen sie einst geschrieben worden sind. Deshalb sei er hier doppelt vertreten:

- Theodore Sturgeon: Tiny und das Monster - Harlan Ellison: Sein bester Freund - Theodore Sturgeon: Das Mädchen, das wußte, was sie meinten


*


Daß ein Hund unter Umständen nicht einfach nur irgendein Tier ist, beschreibt Theodore Sturgeon in seiner liebevollen Geschichte über Tiny und das Monster.

'Tiny' (dt. winzig) ist der Name einer großen, dänischen Dogge. Und das 'Monster' ist auch nicht gerade das, was man sich im allgemeinen unter diesem Wort vorstellt: nämlich ein armer, mit seinem Raumschiff auf der Erde gestrandeter Außerirdischer. Dessen Gestalt und Aussehen wären uns Menschen so ungeheuerlich, daß er sich lieber Tiny als Vermittler auswählt. Denn der Außerirdische hat ein Riesenproblem: Ein elementarer Baustein seines Raumers ist defekt und muß ersetzt werden. Ohne dieses fehlende Teil ist eine Heimfahrt nicht möglich. Die menschliche Technik ist allerdings alles andere als kompatibel mit der seinen.

Von nun an werden Tinys Handlungen sanft, aber äußerst gezielt von dem Anliegen bestimmt, diese Aufgabe zu lösen. Dazu gehört zunächst einmal, daß Tiny sich ein neues Frauchen wählt: eine junge, engagierte Wissenschaftlerin, Fachgebiet Metallurgie. Scheinbar zufällig gelingt es Tiny, ihre Neugier auf ganz bestimmte Forschungsgebiete zu richten und ihr brennendes Interesse zu wecken.

Nach einiger Zeit kommt die junge Frau zumindest ahnungsweise hinter das Geheimnis ihres mysteriösen Hundes, den sie inzwischen sehr lieb gewonnen hat, und faßt einen Entschluß. Wer auch immer in ihm stecken mag, ist den Menschen wohlgesonnen und braucht ihre Hilfe. Mit vereinten Kräften, inzwischen sind auch der Freund und die Mutter der Wissenschaftlerin eingeweiht, und umso intensiver wird jetzt an Tinys Problem gearbeitet ...

Wer wissen möchte, wie's weitergeht, kann die Geschichte gerne nachlesen. Es lohnt sich!


*


Ebenso lesenswert ist folgende Story, sofern man die provokante und aggressive Sprache Harlan Ellisons erträgt. Allerdings paßt diese Form in Bezug auf Inhalt und Aussage wie die Faust aufs Auge; was man allerdings erst hinterher begreift.

Die Story erzählt von der Liebe eines Jungen namens Vic zu seinem Hund Blood. Sie spielt irgendwann nach dem Dritten Weltkrieg. Die Welt von einst existiert nicht mehr, keine ausgeprägten Sozialstrukturen, keine Staaten, keine politischen Machthaber, nichts von alledem. Die ehemals gehobene Mittelschicht, das heißt, das, was davon noch vorhanden ist, lebt abgeschottet unter der Erde. Auf der Oberfläche treiben sich Banden und Einzelkämpfer, genannt Solos, mit ihren Hunden herum, die ein Überbleibsel der ehemaligen Kriegstechnologie sind. Diese Tiere dienen nicht nur als - perfekt ausgebildete - Kampfhunde, sondern haben zudem telepathische Fähigkeiten, die sie in die Lage versetzen zu 'sprechen'.

Die Menschheit selbst ist zum Aussterben verdammt, denn es existieren fast nur noch männliche Mitglieder.

Während wir durch das Niemandsland streiften, wurde mir klar, warum fast alle Solos oder Mitglieder von Roverpaks Jungen waren. Die meisten Mädchen waren im Krieg getötet worden, so wie das im Krieg immer ging ... zumindest hatte Blood mir das erzählt. Was jetzt geboren wurde, war nur in seltenen Fällen entweder männlich oder weiblich; man mußte es an die Wand schmettern, sobald es das Licht der Welt erblickte.

Mit einem üblen Trick locken Mitglieder einer Mittelstands-Siedlung Vic in ihre Welt: Er unterliegt der Zuneigung des ausgesandten Lockvogels, einem Mädchen, das er eigentlich nur hatte vergewaltigen wollen. Dann wurde mehr daraus, bis sie ihn im Schlaf mit einem harten Gegenstand überwältigte und spurlos verschwand; das heißt, nicht ganz spurlos. Sie hinterließ eine Plakette, mit deren Hilfe Vic sich Zugang zur Unterwelt verschaffen konnte. Allerdings wurde bisher noch jeder Eindringling in die unteren Gefilde sofort getötet.

Trotz aller Warnungen seines Hundes Blood macht Vic sich auf den Weg. Dieses Mädchen hatte es ihm angetan, und nun will er es ihr ein letztes Mal heimzahlen. Blood bleibt oben zurück, kann allerdings nicht versprechen, auf ihn zu warten. Zu viele Gefahren lauern.

Es stellt sich heraus, daß die Bewohner der Siedlung Vic für ein Menschen-Zuchtprojekt benutzen wollen. Er erklärt sich unter der Bedingung bereit, daß sein erstes Objekt Quilla June sein möge, das Mädchen, das ihn an der Nase herumgeführt hat.

Als er ihr schließlich gegenübersteht, wird ihm heiß und kalt gleichzeitig und ihr ebenso, und er will sie durchaus nicht mehr umbringen. Gemeinsam fliehen sie und erreichen kurz vor Anbruch der Nacht die Erdoberfläche. Tatsächlich wartet Blood immer noch vor dem Zugangsschacht, von dem aus Vic in die Unterwelt gestartet war. Als der Junge auf ihn zuläuft, versucht Blood aufzustehen, um ihn zu begrüßen, schafft es jedoch nicht. Er ist mehr tot als lebendig.

Die Zeit drängt. Die Nacht steht kurz bevor, die niemand hier oben - schutzlos, auf offener Straße - überleben würde. Und einer muß Bloods Wunden versorgen, vor allem braucht er sofort Nahrung.

"Vic!" Quilla Junes Stimme war schrill und weinerlich. "Komm jetzt. Er wird es schon schaffen. Beeilen wir uns."

Ich kauerte da und blickte zu ihr auf. Die Sonne ging jetzt unter. Blood zitterte in meinen Armen.

Sie hatte einen schmollenden Gesichtsausdruck. "Wenn du mich liebst, dann kommst du jetzt." Nein, ich konnte nicht ohne ihn sein. Ich wußte es. Ob ich sie liebte? Im Kessel hatte sich mich gefragt: Weißt du, was Liebe ist? ... "

Und dann, am nächsten Morgen, nach einer ausgiebigen Mahlzeit, ein wenig Wärme an einem kleinen Feuer und einer Nacht im Luftschacht:

Wir mußten langsam gehen; Blood hinkte noch. Es dauerte lange, bis ich nicht mehr ihre Stimme zu hören glaubte. Ihre Stimme, die immer wieder fragte: "Weißt du, was Liebe ist?"

Natürlich weiß ich es.

Ein Junge liebt seinen Hund.

Die dunkle Ahnung des Lesers trifft zu: Quilla June wurde verspeist. Ein echter Hundefreund wird die Ambivalenz dieser Geschichte zu deuten wissen. Das geht weit über das bloße Verhältnis von Hund zu Mensch oder umgekehrt hinaus. Jede uns bekannte Verbindung oder Freundschaft entsteht aus der Not einer feindlichen Umwelt und aus der Sehnsucht heraus, diese zu überwinden - und ruft doch mittels dieser Abgrenzung nichts als Feindschaft hervor, schlicht und einfach um des Überlebens willen. Daraus wird hier gar kein Hehl gemacht, jede verlogene und erpresserische Geschwätzigkeit hat darin keinen Platz, und die Geschichte ist mit Sicherheit auch genau so gemeint.


*


Hätte das Mädchen in der nun folgenden Geschichte Vic kennengelernt, statt eines anderen, wäre sie vielleicht nicht gestorben. Dummerweise wollen die meisten Menschen jedoch einfach nicht wissen, was wirklich gemeint ist. So auch der namenlose Ich-Erzähler einer weiteren Geschichte von Sturgeon:

Seit fast einem Jahr kennt er das genaue Datum seiner Ermordung. In der letzten ihm verbliebenen Woche trifft er auf einen Hund, einen Afghanen, beziehungsweise auf das Frauchen dieses Hundes, und sie verlieben sich ineinander. Das Mädchen leidet unter einer besonderen Gabe: "Mein ganzes Leben habe ich gewußt, was die Leute meinten, egal, was sie auch sagten, und ich bin noch keinem begegnet, der gesagt hat, was er meinte. Ich glaube, das kann keiner."

Mit dieser Fähigkeit ausgestattet besucht sie, nachdem sie von der mißlichen Lage ihres neuen Freundes erfahren hat, seinen Mörder und findet heraus, daß er es absolut ernst meint. Unter Einsatz ihres eigenen Lebens tötet sie ihn und kommt danach selbst schwer verletzt ins Krankenhaus.

Nach der Operation wieder bei Besinnung, fragt sie zuerst nach ihrem Freund. Sie läßt ihn einen Blick auf ihren einst schönen, jetzt verstümmelten Körper werfen. Nichtsdestotrotz beteuert er ihr ewige Liebe, was auch sei. Sie sieht ihn mit dem einen, ihr verbliebenen Auge lange Zeit müde an und erwidert schließlich: "Wenn ich nicht durchkomme, kümmerst du dich um meinen Hund? Er ist so schön, und er braucht jemanden, der sich wirklich um ihn kümmert." Er schwört es.

Sie stirbt. Ein paar Tage später verkauft er den Hund und verläßt die Stadt.


*


Dieser junge Mann wird sich bei einem Blick in ein paar Hundeaugen wohl nie fragen: Was bist du eigentlich? Wer steckt in dir? Welches Mißgeschick des Lebens hat dich in diese Gestalt befördert? Und mich in meine? Und vielleicht wird man fortan jedem Lebewesen auf diese Weise begegnen. Mehr kann eigentlich nicht passieren, oder? - Übrigens, mein Hund heißt Tiny, und Ihrer ...?


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Literatur:
Theodore Sturgeon: Tiny und das Monster
Originaltitel: Tiny And The Monster (1955)
aus Theodore Sturgeon: Wiederbelebung,
Goldmann Verlag, S. 182-218

Harlan Ellison: Sein bester Freund
Originaltitel: A Boy And His Dog (1969)
aus: SCIENCE FICTION stories Nr. 38
ausgewählt von Walter Spiegel, Ullstein 1974, S. 5-42

Theodore Sturgeon: Das Mädchen, das wußte, was sie meinten Originaltitel: The Girl Who Knew What They Meant (1971) aus Theodore Sturgeon: Sein Name war Mensch, Goldmann Verlag, S. 71-78


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Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse


Erstveröffentlichung am 15. Juni 2001

5. Januar 2007