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SF-JOURNAL/037: Bücher... Begegnung mit Tiber, Zukunft der Raumfahrt (SB)


Buzz Aldrin & John Barnes:

Begegnung mit Tiber


Vorgeschichte und Grundlage dieses außergewöhnlichen Science Fiction- Romans:

Am 21. Juli 1969 um 3.56 Uhr und 20 Sekunden MEZ ereignete sich nach offizieller Verlautbarung, die immer wieder angezweifelt wird, der uralte Menschheitstraum der ersten Mondlandung: Der Amerikaner Neil Armstrong setzte als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond. 20 Minuten nach dem Kommandanten des Raumschiffes "Apollo 11" entstieg Edwin "Buzz" Aldrin der Landefähre "Adler". Michael Collins, der dritte Astronaut, wartete als Pilot des Mutterschiffs in der Mondumlaufbahn. Über zwei Stunden hielten sich Armstrong und der 39jährige Aldrin außerhalb der Fähre auf.

Heute ist Armstrong, 68, Professor für Raumfahrt-Ingenieurwesen. Er meidet das Rampenlicht und lebt zurückgezogen mit seiner Familie in Ohio. Edwin "Buzz" Aldrin, 69 Jahre alt, hatte zunächst schwere seelische Probleme, was zu zwei gescheiterten Ehen und zeitweiser Alkoholabhängigkeit führte. Bis heute ist er als Fürsprecher für die Raumfahrt aktiv. Der promovierte Astronaut schreibt in Fachzeitschriften und wird regelmäßig auf Tagungen zur Raumfahrtpolitik eingeladen. "Wir könnten spätestens 2020 auf dem Mars sein", sagt er und fordert die NASA auf, das öffentliche Interesse an der Weltraumfahrt wiederzubeleben. Eine bemannte Marslandung, eventuell mit internationaler Zusammensetzung, könnte der Erforschung des Planetoidengürtels Tür und Tor öffnen und vielleicht können dort eines Tages sogar Rohstoffe abgebaut werden. Technologisch - das läßt sich heute schon sagen - gäbe es keine unüberwindlichen Probleme. Aber biologisch gesehen machen die Erfahrungen mit erdnahen Raumflügen eine bemannte Marsmission zum Traum. Bevor das Immunsystem von Raumfahrern nicht verbessert wird, sind weitere Schritte für Langzeitflüge unwahrscheinlich.


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Wer als Science Fiction-Fan zwischen den Zeilen, die von den unbegrenzten technischen Möglichkeiten der Menschheit erzählen, auch einmal die Frage auftauchen sehen möchte, wie es denn eigentlich mit der Realität und den erreichbaren Möglichkeiten der Weltraumfahrt bis ins nächste Jahrtausend hinein steht, der sollte sich den Roman von Buzz Aldrin und John Barnes "Begegnung mit Tiber" nicht entgehen lassen.

Das Außergewöhnliche an diesem Science Fiction-Roman ist wohl einfach die Tatsache, daß er von einem echten Astronauten verfaßt wurde. Buzz Aldrin arbeitete mehr als zehn Jahre an "Begegnung mit Tiber" und brachte seine persönlichen Erfahrungen als Raumfahrer ebenso in den Roman mit ein wie seine Vision über die Zukunft einer raumfahrenden Menschheit. Detaillierte Kenntnisse über die Geschichte (bis zur ersten Mondlandung), Gegenwart und zukünftige Entwicklung der Raumfahrt bis ins nächste Jahrtausend sind hier detailreich zu einem Prozeß verknüpft und kombiniert mit einer geschickt gewählten Rahmenhandlung, die genug Spielraum läßt, um Einzelaspekte aus Raumfahrtpolitik, Wirtschaft und Wissenschaft auf spannendste, mitreißendste Weise unterzubringen. Der Roman wirkt mit seiner Begeisterung für eine Zukunft im Weltraum äußerst ansteckend.

John Barnes, mit dem Aldrin diesen Roman zusammen schrieb, ist ein bekannter SF-Autor aus den 90er Jahren. Er lebt in Colorado. Sein Anteil an dem Roman macht das Werk zu einem "Science Fiction" mit unverkennbaren Zügen. Der Schwerpunkt der Beschreibung der außerirdischen Tiberianer liegt auf den sozialen Strukturen (Gewaltanwendung, Vorteilsdenken, Versklavung, Vergessen) und den Fragen einer Interstellar-Politik.


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Genau 100 Jahre nach der ersten Mondlandung, im Jahr 2069, befindet sich ein interstellares Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit auf dem Flug zum Sternensystem Alpha Centauri.

Die Astronautin und Historikerin Clio Trigorin schildert während der langen Reise im Rückblick die Bemühungen der Menschheit zur Besiedlung des Weltalls. Den entscheidenden Durchbruch zur Revolutionierung der Antriebstechnik brachte die Entdeckung einer hochintelligenten außerirdischen Spezies, der Tiberianer, die vor 9000 Jahren die Erde besiedeln wollten und auf Mond und Mars in einem Datenspeicher ihr gesamtes Wissen hinterlegten.

Die Geschichte der Raumfahrt ist für Clio eng verknüpft mit der Geschichte ihrer Familie, die seit Generationen berühmte Astronauten hervorgebracht hat. Ihr Rückblick beginnt mit Chris Terence, der mit dem Space Shuttle Endeavour abstürzt, und damit die Situation der US- Raumfahrt zu Beginn des 21. Jahrhunderts hoffnungslos macht. Die Mittel für eine sichere und effiziente Technik fehlen, es wird überall gespart. Woher das Geld und das Know how nehmen, um einen Neubeginn in der Raumfahrt zu versuchen?

Dann werden unverhofft Funksignale einer außerirdischen, intelligenten Spezies aus Alpha Centauri aufgefangen. Die Signale deuten darauf hin, daß auf dem Mond ein Datenspeicher liegt, der das gesamte kulturelle Erbe dieser fremden tiberianischen Zivilisation enthält. Eine überstürzte Entscheidung führt dazu, daß dieser Speicher, die sogenannte "Enzyklopädie", ohne große technische Sicherheiten und Vorbereitungen geborgen werden soll. Es kommt wie vorauszusehen: Das Unternehmen endet in einer Katastrophe. Terence stirbt auf dem Erdtrabanten, die Enzyklopädie wird größtenteils zerstört, aber anhand der Überbleibsel ist erkennbar, daß die Tiberianer den Menschen technisch um Jahrhunderte voraus sind. Ihr Wissen könnte der Erde den dringend benötigten technischen Aufschwung bringen.

In der Botschaft der Tiberianer ist von einer zweiten "Enzyklopädie" auf dem Mars die Rede. In einer weiteren Mission, diesmal mit Terences Sohn Jason als Pilot, gelingt die Bergung der zweiten Enzyklopädie auf dem Mars.

Nun wird bekannt, daß die Tiberianer die Erde kolonisieren wollten und dabei ebenso scheiterten wie bei dem Versuch, ein ähnliches Vorhaben auf dem Mars durchzuführen.

Clio, auf dem Mars geboren, ist schon mit dem Wissen und den technischen Entwicklungen aufgewachsen, die durch die Auswertung der Enzyklopädie möglich gewesen sind. Sie erzählt auf ihrem langen Flug nach Alpha Centauri nicht nur die Entwicklung der Raumfahrt um die Jahrhundertwende, in der Wirklichkeit und Vision vermischt sind, sondern auch die im Nachlaß der Tiberianer enthaltene, traurige Geschichte der Bevölkerung des Planeten Tiber im Sternbild Alpha Centauri, die aufgrund der Bedrohung durch den "Eindringling" (eine schwarze Materiekugel, eine Steinwolke, ein Drittel so groß wie ihre Welt) gezwungen war, ihren Planeten zu verlassen.


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Der Roman lebt von atemberaubenden Schilderungen der technischen Abläufe während eines Weltraumflugs. Aldrin vermittelt glaubhaft die Gefahren und Unsicherheiten der Technik für den Astronauten (letztlich hängt das Leben an einem festgeklemmten Gurt) oder auch die Abhängigkeit der Astronauten von den Planern und Konstrukteuren, was zum Beispiel die Probleme mit der Schwerelosigkeit oder der Funkkontakte angeht. Auch die Konkurrenz unter den Astronauten wird nicht ausgelassen, die Schwierigkeiten bei der Qualifikation für Sondereinsätze. Eingearbeitet sind reale Erfahrungen mit der Schwerelosigkeit, mit dem Leben auf engstem Raum im Shuttle, Visionen vom Alltag auf einer Raumstation, dem Leben auf Mond und Mars, der Errichtung von Weltraumfabriken und dem Anfang des Weltraumtourismus. Wirtschaftliche und politische Folgen einer Weiterentwicklung der Raumfahrt kommen ebenso zur Sprache wie die möglichen Konflikte bei dem Kontakt mit einer außerirdischen Lebensform und die sozialen Reaktionsformen intelligenter Lebewesen bei drohendem Planetenuntergang. Allgemeinverständlich werden wissenschaftliche Fragen erörtert, die es noch zu klären gilt: Schwierigkeiten liegen in den langen Zeiträumen der Raumflüge selbst. So sind beispielsweise noch viele biologische Fragen ungeklärt, etwa inwieweit sich Strahlenbelastung und Schwerelosigkeit bei längeren Flügen auf die Astronauten auswirken. Langzeitflüge lassen sich nur mit künstlicher Schwerkraft durchführen, was vor allem einen technologischen und finanziellen Mehraufwand bedeutet.

Die Autoren erhielten umfangreiche fachliche Unterstützung, Informationen und Beratung von einer großen Anzahl namhafter Experten, u.a. von Neil Armstrong und Mike Collins, den beiden anderen Astronauten von "Apollo 11", von Arthur C. Clarke (schriftstellerische Aufmunterung), Dr. Gregory Benford (Ratschläge und Spekulationen, unzählige Streitgespräche), Dr. Carl Sagan (der sich nicht nur in "Contact" über viele Jahre für die Suche nach Signalen Außerirdischer einsetzte), John Blaha (Sachkenntnisse in bezug auf die Vorgehensweise bei der Evakuierung von Space-Shuttle- Besatzungen) und Dr. John Connolly (der die Planungsschemata für Mond- und Marsmissionen kritisch überprüfte). Zu folgenden Fachgebieten gab es wissenschaftliche Beratungen: Ingenieurkenntnisse, Physik des Weltraums und Planetenkunde, Beiträge zur Astronomie des Sonnensystems und astronomische Grundlagen, Informationen über die neuesten Forschungen auf dem Gebiet der kalten Fusion und möglicher Antriebssysteme für Raumschiffe, Fragen der Radioastronomie, Bedingungen auf der Marsoberfläche, Himmelsmechanik und Entwürfe zur Xenobiologie.


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Am Ende des Romans nimmt Aldrin anläßlich der Marserforschung in der Romanhandlung Stellung zu dem weltweiten Wettrennen um die Eroberung des Sonnensystems. Er findet "Nationalstolz" in erster Linie unpraktisch und denkt sich die erste bemannte Marslandung mit internationaler Besatzung. "Wir sitzen [zusammen, Anm. d. Red.] in einer kleinen Metallkiste, dem einzigen Ort auf Millionen von Kilometern, wo wir überleben können. [...] Irgendwann geht einem auf, was für ein winziges Rädchen im großen Weltenplan man doch ist. Und man fragt sich, ob man sich nicht allzu wichtig nimmt. [...] In solchen Augenblicken [anläßlich eines schwierigen Manövers im Weltraum, Anm. d. Red.] denken Raumfahrer wahrhaft international: Sobald bekannt wird, daß jemand ein großes Risiko eingegangen ist, interessiert es niemanden, woher er kommt, man will nur wissen, ob alles gutgegangen ist. [...] hatte keiner bedacht, daß nationale Grenzen für Wissenschaftler längst aufgehoben waren." (S. 595ff)


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Buzz Aldrin & John Barnes:
Begegnung mit Tiber
aus dem Amerikanischen von Irene Holicki,
Heyne Verlag, München 1998
(1996 by Buzz Aldrin & John Barnes),
ISBN 3-453-13850-3


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Erstveröffentlichung 1999

5. Januar 2007