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STUDIENKRITIK/004: Geheucheltes Recht - Landraub (SB)


Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland


Nach dem weltweit sprunghaften Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel in den Jahren 2007/2008 und dem sich anschließenden Ausbruch von Unruhen in mehreren Dutzend Ländern geriet ein Thema in die öffentliche Debatte, um das es heute schon wieder still geworden ist: Landgrabbing. Die Möglichkeit zur Übernahme großer Landflächen für die Produktion und den Export von Nahrung, Futtermitteln und Biotreibstoffen hat ebenso private und staatliche Investoren angelockt, wie es die Begehrlichkeiten global vagabundierender Finanzakteure zu wecken vermochte, die sich große Ländereien als bloße Spekulationsobjekte gesichert haben. Mit administrativem Segen - seltener klammheimlich an staatlichen Strukturen vorbei - erlangten die Investoren Verfügungsgewalt über Land. In vielen, mitunter gut dokumentierten Fällen wurden dafür Menschen vertrieben, verdrängt und gegebenenfalls enteignet. Häufig aber besaßen sie keine Eigentumstitel, hatten das ihnen entzogene Land jedoch traditionell genutzt. Entgegen den Behauptungen mancher offizieller Stellen in den Ländern des globalen Südens gibt es faktisch nirgendwo noch vollkommen ungenutztes Land; jedenfalls nicht als größere, zusammenhängende Fläche. Selbst wenn beispielsweise entlegene Waldgebiete nicht dauerhaft bewohnt und keinem privaten Eigentumstitel unterworfen sind, werden sie von den Einheimischen unter anderem zum Sammeln von Feuerholz, zur Nahrungsbeschaffung oder als Weideflächen für Vieh genutzt. Sobald die Menschen von diesen Nutzungsformen abgehalten werden, kann sie das mangels Alternativen in existentielle Not werfen.

Gerade weil inzwischen wenig über Landgrabbing und seine Folgen berichtet wird, die Praxis des wohl am treffendsten mit "Landraub" zu übersetzenden Begriffs jedoch nicht abgeschafft, geschweige denn rückgängig gemacht wurde, ist es zu begrüßen, daß die Menschenrechtsorganisation FIAN im Juni 2017 eine Studie mit dem Titel "Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland" herausgegeben hat. Darin wird auf 44 Seiten die im vergangenen Jahr vom Unterausschuß Menschenrechte des Europäischen Parlaments initiierte Untersuchung "Land Grabbing and Human Rights: The Involvement of European Corporate and Financial Entities in Land Grabbing outside the European Union" (132 Seiten) zusammengefaßt.

Die Europäische Union war und ist bei weitem nicht die einzige Akteurin, die sich am globalen "Landrausch" (Heinrich-Böll-Stiftung) beteiligt, aber sie ist ein wichtiger. Zwar habe die EU mit einer Reihe von Strategien und Initiativen auf das Landgrabbing reagiert (S. 32), sie sei aber ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht ausreichend nachgekommen, kritisiert FIAN. Dabei könnten die EU und ihre Mitgliedstaaten bei "der Verhinderung von Landgrabbing und beim Vorgehen gegen Menschenrechtsverstöße und -verletzungen eine wichtige Rolle spielen" (S. 4). Vorausgesetzt, es wird anerkannt, daß erstens die Konzepte zur Selbstregulierung der Wirtschaft und der sozialen Verantwortung nicht genügen, um die menschenrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Landgrabbing zu bewältigen, und zweitens die menschenrechtlichen Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten auch außerhalb des Gebiets der Europäischen Union gelten.

Mit letzterer Forderung liegt FIAN auf gleicher Linie mit anderen Nichtregierungsorganisationen, die darauf aufmerksam machen, daß der Konsumstil in wohlhabenderen Ländern wie Deutschland mit teils massiven Verletzungen von grundlegenden Sozial- und Umweltstandards sowie Arbeits- und Menschenrechten in den Ländern des Globalen Südens erkauft wird, und daß die hehren Ansprüche der Europäischen Union, die sich als Vorbild für den friedlichen Bund einstmals verfeindeter, nun demokratisch gesinnter Staaten sieht, das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, sofern die EU nicht für die gesamte Lieferkette die Verantwortung übernimmt. Die Lebensrealität der Menschenrechtsverletzungen ausgesetzten Bevölkerungen des Globalen Südens widerspricht der auch in EU-Kreisen allzu gern kolportierten Behauptung, durch die Nord-Süd-Wirtschaftsbeziehungen würden überwiegend Win-win-Situationen geschaffen.

FIAN untermalt seine Analyse des Landgrabbings mit einigen konkreten Beispielen:

- Die DEG, der Privatsektorarm der deutschen Entwicklungsbank KfW, ist mit 15,8% an PAYCO (Paraguay Agricultural Corporation) beteiligt. Das Unternehmen verwaltet in Paraguay 135.000 Hektar Land, das teilweise von Kleinbauern und Indigenen beansprucht wird, berichtet FIAN. Zudem klage die örtliche Bevölkerung über das Versprühen von Agrochemikalien durch PAYCO. Die Landkonflikte würden in Paraguay, in dem 2,6% der Landbesitzer über 85,5% der Agrarfläche verfügten, während 91,4% der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern nur 6% besäßen, sehr gewaltsam ausgetragen.

- Der luxemburgische African Agricultural Trade and Investment Fund (AATIF) sei mitverantwortlich für einen ungelösten Landkonflikt in Sambia, bei dem einer lokalen Gemeinschaft der Zugang zu Land verwehrt wurde, das diese traditionell genutzt hatte. AATIF sei vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Entwicklungsbank KfW zusammen mit der Deutsche Bank AG gegründet worden und verfüge über ein Fondsvolumen von 141 Millionen US-Dollar. Als weitere EU-Investoren werden die Österreichische Entwicklungsbank (OeEB) und die Europäische Kommission genannt.

- Der niederländische private Pensionsfonds Stichting Pensioenfonds ABP hält die Mehrheitsanteile an dem in Schweden ansässigen Investmentfonds Global Solidarity Forest Fund (GSFF), der über seine Tochtergesellschaft Chikweti Forests of Niassa in Mosambik 45.000 Hektar Land erworben hat, um darauf Pinien- und Eukalyptusplantagen zu errichten. Das hat zu Konflikten mit der örtlichen Bevölkerung geführt, die sich unter anderem darüber beklagt, daß die von ihr auf vielfältige Weise genutzten Acker- und Waldflächen den Plantagen weichen mußten.

- In Uganda war es zu einem Landnutzungskonflikt mit der deutschen Neumann Kaffee Gruppe (NKG) bzw. deren örtlichen Tochterunternehmen Kaweri Coffee Plantation Ltd. gekommen. FIAN zufolge hat die ugandische Regierung im Jahr 2001 im Distrikt Mubende etwa 4000 Menschen gewaltsam von 2.524 Hektar Land vertrieben; NKG müsse dafür die Verantwortung tragen, so die Menschenrechtsorganisation. Das Kaffeeunternehmen hingegen macht geltend, daß es das Land in gutem Glauben als "clean title" gepachtet habe, was 2011 von der deutschen Nationalen Kontaktstelle (NKS) für die OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen bestätigt worden sei. Der inzwischen vor ugandischen Gerichten ausgetragene Konflikt ist bis heute nicht abgeschlossen.

Weder die Selbstverpflichtung der Wirtschaft noch regulatorische Maßnahmen der Europäischen Union hätten verhindert, daß es in den Ländern des Südens zu Landgrabbing kommt. An der Jagd nach Land seien unter anderem Banken, Hedge-Fonds und Pensionskassen beteiligt. Beschrieben wird, daß unter anderem auch öffentlich-private Partnerschaften, wie sie häufiger von den Mitgliedsländern der EU angestoßen werden, sowie die Entwicklungsinitiative "Alles außer Waffen", die Liberalisierung des EU-Zuckermarkts und die EU-Bestimmungen zum Biospritanteil am Benzin zu Landgrabbing und Menschenrechtsverstößen beigetragen haben.

FIAN sieht in der von ihr vertretenen menschenrechtlichen Perspektive einen geeigneten Ansatz sowohl zur Analyse des Landraubs (S. 4) als auch zum Ergreifen politischer Maßnahmen, "um Landgrabbing zu stoppen, zu verhindern und rückgängig zu machen" (S. 7). Diese sicherlich in gutem Glauben gemachte Annahme der Organisation setzt allerdings voraus, daß die von ihr in Anspruch genommenen Rechte auch gegen einflußreichere Interessen durchsetzbar sind. Das ist zumindest fragwürdig, wenn man bedenkt, daß im Namen des Rechts schwerste Übergriffe auf Menschen begangen werden.

Müssen nicht Menschenrechtsorganisationen immer wieder feststellen, daß sich Regierungen ihr eigenes Recht schreiben, um ihre repressive Politik zu legalisieren? Nicht einer der Staaten, die Folter betreiben, Minderheiten massiv unterdrücken oder Oppositionelle ins Gefängnis werfen, sagt von sich, daß sein Handeln aus Unrecht geboren sei. Und was die Idee des Weltrechts betrifft, mit der der Anspruch erhoben wird, universale Gültigkeit zu besitzen, so hat sich dieses mehr als einmal als Mittel jener Staaten erwiesen, die mit zweierlei Maß messen und sich immer nur dann darauf berufen, wenn es ihren häufig geopolitisch gegründeten Interessen zur Durchsetzung verhilft. Im Namen des Rechts, auch des Menschenrechts (Stichwort "Schutzverantwortung"), werden genau die Grausamkeiten begangen, gegen die FIAN angetreten ist.

Man kann der Menschenrechtsorganisation zugute halten, daß sie das Thema Landgrabbing überhaupt noch thematisiert, nachdem der Hype seit einigen Jahren wieder abgeklungen ist. Allerdings hat die Studie auch ihre analytischen Grenzen, wenn sie Landgrabbing nur unter dem Aspekt der Menschenrechte behandelt. Es wäre zu fragen, ob es an der Landnahme nichts auszusetzen gäbe, sobald die Menschenrechte nicht verletzt werden, obgleich nach wie vor kapitalstarke Investoren beispielsweise aus den Industrie- und Schwellenländern beim Landerwerb in der Regel beträchtliche ökonomische Vorteile gegenüber der dörflichen Bevölkerung in Stellung bringen können. Solche Vorteile werden durch das Recht nicht behoben, sondern betoniert - auch ohne daß es bei der Übertragung von Landbesitz in jedem Fall zu Menschenrechtsverletzungen kommen muß. Eine Kritik an den sozioökonomischen Widersprüchen des globalen Handels rührte allerdings an den Voraussetzungen der vorherrschenden Wirtschaftsweise und den sie generierenden Produktionsverhältnissen.

20. Juli 2017


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