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ENGLISCH/648: Lehrmittel (14) K. Ishiguro - The Remains of the Day (SB)


Englische Lektüre für den Leistungskurs


The Remains of the Day

by Kazuo Ishiguro



Es gibt verschiedene Wege, mit denen der Leser zum Buch oder umgekehrt ein Buch zum Leser kommt. Im Falle von Kazuo Ishiguros Roman "The Remains of the Day" war es gewissermaßen Liebe auf den zweiten oder sogar dritten Blick, denn der zwar viel gepriesene und ausgezeichnete Film mit honorigen Darstellern wie Anthony Hopkins und Emma Watson konnte mich nicht gerade vom Stuhl reißen. Ich fand die Erinnerungen eines Butlers derart eingeschränkt auf einen kleinen Adressatenkreis, daß ich mich fragte, warum dieser Film in allen Medien eine so positive Resonanz erhalten konnte.

Erst im letzten Jahr wurde ich dann in der BBC Worldservice- Sendereihe "Off The Shelf" durch die Lesung des Romans in gekürzter Fassung und in englischer Sprache auf die Originalfassung von Kazuo Ishiguro aufmerksam.

Ohne visuelle Reize konnte ich mich der im übrigen von John Muffet auch für noch nicht so fortgeschrittene Hörer hervorragend deutlich vorgetragenen, ausgesprochen britischen Ausdrucksweise nicht mehr entziehen, die mich auf den ungekürzten Text neugierig machte, der, wie es der Zufall so will, nun gerade vom Reclam Verlag in der Reihe Fremdsprachentexte in englischer Sprache mit Vokabelhilfen für Schüler der Oberstufe neu aufgelegt worden ist und als Lektüre für den Leistungskurs Englisch empfohlen wird.

Tatsächlich leben der fast durchgängig innere Monolog bzw. die erinnerten Dialoge des Butlers Stevens und somit auch die Handlung von der etwas altertümlichen, exhaltierten und geschraubten Sprache, die der japanischstämmige Autor Kazuo Ishiguro seinen Protagonisten, und hier vor allem dem Butler Stevenson, so überzeugend in den Mund legen kann, als sei er selbst mit dieser für die englische Aristokratie so typischen "stiff upper lip" auf die Welt gekommen.

Dabei wuchs der Autor nach eigener Aussage in England vollkommen ohne britische Traditionen, also absolut unbritisch, auf. Vielleicht war diese Distanz notwendig, um den vollkommenen, klischeehaften Engländer beschreiben zu können, wie man ihn überall auf der Welt als englisches Original wiedererkennen würde. Er selbst bestätigt dies in einem taz-Interview mit Katharina Granzin:

Das ist eine Art Trick. Ja, ich spiele mit dem internationalen Bild oder dem Mythos, wenn Sie wollen, von England. Das ist ein England, in dem ich nie gelebt habe. Ich bin nicht im England von Herrenhäusern und Butlern aufgewachsen. ...

... Aber irgendwie paradoxerweise ist das wohl meine Art, ein England zu kreieren, das überall in der Welt verstanden wird. So ähnlich wie die Cowboyfilme, mit denen Hollywood ein Bild von Amerika geschaffen hat, das es so in der Wirklichkeit nie gegeben hat.
(taz vom 28.9.2005, Seite 15)

Kazuo Ishiguro stammt aus Japan und kam in den sechziger Jahren als fünfjähriges Kind mit seinen Eltern nach England. Da sich seine Eltern laut Ishiguro jedoch nicht als Emigranten verstanden, die sich in die in England neu entstehende multikulturelle Gesellschaft einfügen mußten, sondern als Vertreter einer höheren Kultur - nur kurzfristig in England weilend -, wird er von klein auf auf eine distanzierte Beobachterposition festgelegt, die er bis heute nicht aufgegeben hat, wie in dem Interview der monatlich stattfindenden BBC- Sendung "Bookclub", in der Hörer telefonische Fragen an eingeladene Autoren stellen, deutlich wird:

Seine Eltern hätten vor dem Hintergrund kultureller Überlegenheit die Eingeborenen Großbritanniens bestenfalls mit einem - - wie Ishiguro es nennt - "benevolent interest" (d.h. mit herablassend wohlwollendem Interesse") betrachtet. Daraus versteht sich auch seine eigene stets amüsierte Distanz zu den Dingen, Menschen oder Handlungen, die er beschreibt.

Gleichzeitig ist aber diese etwas übertrieben wirkende Parodie von "Englishness" (wie sie Barbara Puschmann-Nalenz in ihrem Nachwort nennt), die nur aus diesem Abstand entstehen konnte und die Ishiguro aus Stevens Art zu denken und zu sprechen entwickelt, der einzige und unfreiwillig komische Reiz dieser menschlichen Tragödie. Und dies macht den Roman, der eine ganz banale und eher wenig handlungsintensive Geschichte wiedergibt, für Sprachinteressierte lesenswert. Der Inhalt der Geschichte ist schnell zusammengefaßt:

Während einer kurzen "Dienstreise" ins malerische West County im Jahr 1956, auf welcher der Butler von Darlington Hall offiziell ein ehemaliges Mitglied seines Dienstbotenstabes, die frühere Miss Kenton, zurückgewinnen will, zu der er eine bis zu diesem Tage für ihn selbst offensichtlich immer noch ungeklärte Neigung gefaßt zu haben scheint, rekapituliert er seine bisherige Dienstzeit, die zwischen den Weltkriegen lag und im Vergleich zur ereignislosen Gegenwart eine große Zeit für Darlington Hall war: wichtige Persönlichkeiten der Zeitgeschichte gingen ein und aus und mußten von den Dienstboten standesgemäß versorgt und bewirtet werden.

Die Fahrt endet genau genommen ergebnislos. Stevens muß erkennen, daß die Ehe der inzwischen verheirateten Mrs Benn (ehem. Kenton) doch nicht so unglücklich ist, wie er aus ihren Briefen entnommen zu haben glaubte und daß sie auch nicht im mindesten die Absicht hegt, nach Darlington Hall zurückzukehren.

Zudem findet der Butler eine völlig veränderte, entzauberte "Miss Kenton" vor. Auch wenn sich das alte Vertrauen schnell wieder einfindet, hat sich ihr Interesse an ihm in eine distanzierte Freundlichkeit gewandelt und sie erscheint ihm weniger charmant und in ihrer Persönlichkeit reduziert und verlangsamt. Die für den Leser unübersehbaren und durch die eigenen Prinzipien unterdrückten Gefühle und die so verhinderte Liebe zu dieser Frau werden dem Butler tragischerweise bis zum Ende des Romans nicht wirklich bewußt. Dem Leser stellen sie sich dagegen aus den Dialogen, die Stevens aus der Vergangenheit erinnert und seinen persönlichen Fragen an Mrs Benn, die seine Anteilnahme verraten, in ihrer ganzen unglücklichen Tragweite dar.

Dabei hätte es der Autor eigentlich bewenden lassen können, doch er setzt noch einmal nach: Nach eigenen Worten in der Sendung Bookclub wollte er den Roman mit einer Art Läuterung des Protagonisten beenden, indem er ihm die Gelegenheit gibt, sich einem Fremden, einem pensionierten Butler, zu öffnen. Man muß sich allerdings fragen, ob der recht lahme und schicksalsergebene Rat des Fremden im Hinblick auf den bevorstehenden Lebensabend, "das Zurückliegende zurück zu lassen und den Abend zu genießen, der für so viele Menschen das schönste am Tage ist", wirklich ernst gemeint sein kann, oder ob sich der Autor auch an dieser Stelle über sein Publikum bzw. seine Leser amüsiert, die ein solches "Happy end" einfordern.

Stevens jedenfalls, der sofort mit dem Studium der menschlichen Begegnungen am Abend beginnt, wird nun klar, daß ihm dazu etwas Wesentliches fehlt, nämlich die Fähigkeit zu scherzen und zu necken, die er plötzlich als essentiellen Bestandteil menschlicher Nähe und Wärme erkennt.

Um diese durchaus verständliche Schlußfolgerung noch weiter ins Lächerliche zu übersteigern, läßt ihn der Autor den absurden Gedanken fassen, diese bei ihm unterentwickelte Fertigkeit, die wohl ein Arbeitgeber bei einem guten Butler voraussetzen müßte, bis zur Rückkehr seines neuen Herrn in Darlington Hall zur Perfektion zu bringen.

Anders gesagt, es gibt keine Rettung für Stevens, der bis zum Schluß das Monster bleibt, das Ishiguro aus ihm gemacht hat. Dazu sagte Ishiguro wörtlich in der besagten BBC-Sendung:

"The butler as I created him is a kind of a monster-version of various aspects of normal people. It's tempting to say I suppose, because I'm the author. I've taken certain impulses and emotional aspects of myself and grown them up to some grotesque level and created this monster of stiff upper lift and emotional restraint as well as moral and political naivity".
(BBC, Bookclub 2005)

Gerade für sogenannte "Learners of English" ist dieses Stück zeitgenössischer Literatur in mehrfacher, aber vor allem sprachlicher Hinsicht wertvoll.

Abgesehen von der versteckten Komik, die u.a. dadurch entsteht, daß Ishiguro dem nicht englischsprachigen Leser gewissermaßen das eigene Klischee vom britischen Englisch vor die Nase hält, wird dem Leser hier eine klassische Variante geboten, wie es gebürtige Briten gar nicht mehr zu schreiben wagen, um nicht elitär zu wirken. Gepflegtes Englisch, früheres R.P. (received pronounciation) wird heute nicht einmal mehr in den Rundfunksendern gesprochen, um nicht dem Britischen, sondern dem Weltenglisch Stimme und Rang zu verleihen.

In einer Zeit, in der sich auch die Literatur in Großbritannien vor allem durch Autoren zu definieren scheint, die Englisch als Zweitsprache und mit landeseigenen Abwandlungen sprechen und selbst aus allen Teilen des ehemaligen Commonwealth stammen, kann es wohl nur ein "Non-native speaker" sein, der den Lesern das britische Englisch wieder ins eigene Land zurückbringt. Ishiguro selbst sagt, daß er zu einem früheren Zeitpunkt sehr viel länger auf eine Veröffentlichung hätte warten müssen. Sein japanischer Name habe ihm in den 80er Jahren, in denen dieser Trend begann, sehr geholfen.

Was dann allerdings im Nachwort von Barbara Puschmann-Nalenz dem Leser als Interpretationsansatz nahegelegt wird oder auch der in anderen Beschreibungen häufig zitierte Ansatz einer politischen Parabel übersteigt dann doch den Inhalt und die Möglichkeiten dieses wohl zur reinen Unterhaltungsliteratur zu rechnenden Werkes und interpretiert mehr in den Inhalt hinein, als der Autor nach eigenen Angaben davon wollte.

Meiner Ansicht nach war von Ishiguro weder ein politischer Roman beabsichtigt, noch kann man hier, wie im Klappentext steht, "Weltgeschichte von unten" finden. Zwar ging die Kooperation von Nazi-Deutschland und England mit Sicherheit über das im Buch dargestellte und nur als Hintergrund gedachte Szenario hinaus, doch gibt der Autor selbst überhaupt keinen Anlaß zu denken, daß er die kritiklose Hingabe des von ihm geschaffenen Butler- Klischees an seinen Herrn damit in irgendeiner Weise politisch hinterfragen wollte.

Ishiguro neigt dazu, brisante Themen einfach als Hintergrund zu mißbrauchen, wie auch in seinem neuesten Roman, der von einer Internatsschule handelt, in der Klone quasi als lebende Ersatzteillager auf ihre Bestimmung als Organspender warten. Auch hier interessiert den Autor nicht, wie man denken könnte, das menschenverachtende Thema an sich, sondern nur, wie die Protagonisten mit der schicksalhaft vorgegebenen Situation fertig werden.

Ich wollte, dass sie dieselben Fragen stellen, die wir uns alle stellen. Das ist der Grund, warum sie auf merkwürdige Art und Weise ihr Schicksal akzeptieren, denn auch wir akzeptieren die Tatsache, dass wir sterblich sind, dass es keinen wirklichen Ausweg gibt.

...

Mir ging es darum, zu zeigen, wie sie ihr Schicksal akzeptieren und das Beste aus dem Leben zu machen versuchen, das sie haben."
(taz vom 28.9.2005, Seite 15)

Angesichts der zuvor geschilderten Vorgehensweise, aus unterschiedlichen menschlichen Impulsen und Aspekten seiner eigenen Person Charaktere zu entwerfen, sie dann sich selbst zu überlassen und zu beobachten, welche Konsequenzen sich daraus für sie ergeben und sich letztendlich darüber lustig zu machen, muß man sich fragen, wer hier das eigentliche Monster ist.

Doch läßt sich der durch die sprachliche Eigenwilligkeit bedingte Unterhaltungswert, der einen gerade auch in die englischsprachige Fassung (mit hilfreichen Vokabeltips an genau den richtigen Stellen) jeder Zeit wieder in den Text hineinfinden läßt, nicht verleugnen. The Remains of the Day - Was vom Tage übrig blieb, eignet sich sehr gut für den Platz, den ihm der Titel vorgibt, als Einschlaf- und Bettlektüre.

Kazuo Ishiguro
The Remains of the Day
Fremdsprachentexte
Herausgegeben von James Bean
Nachwort von Barbara Puschmann-Nalenz
Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2005
372 Seiten, 7,80 Euro
ISBN-13: 978-3-15-009138-8
ISBN-10: 3-15-009138-1

Erstveröffentlichung 8. März 2006


22. März 2007