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FRANZÖSISCH/139: Lehrmittel (1) Michel Maillard - Sartre (SB)


"Sartre"


von Michel Maillard



Die Serie "Les écrivains" der Sammlung Balises im französischen Verlag Nathan bietet umfangreiche Unterrichtsmaterialien für die Beschäftigung mit diversen französischen Autoren. In der Parallelserie "Les oeuvres" erscheinen Materialien zu einzelnen Werken. Ein Teil der Balises-Veröffentlichungen ist über den Ernst Klett Verlag erhältlich, so auch der schmale, kompakte Band über Sartre.

Es lohnen einmal der etwas genauere Blick und die kurze Rekapitulation, ob und auf welche Weise Unterrichtsmaterialien für die eigene Sprachentwicklung genutzt werden können. In der Regel setzen diese einen genau umrissenen Rahmen für die Auseinandersetzung mit einem Autoren, selbst, wenn sie einen umfassenden Eindruck machen. Der Deutung von Autor und Werk wird eine Bewertung beigegeben, die für den Schüler zumeist bindend ist. Hält er sich nicht daran, erfährt er bestenfalls das Urteil, er habe sich nicht vollständig damit befaßt, es gäbe also noch Lernbedarf. So hat man es in Schule und Studium mit vorgegebenen Fragen und erwarteten Antworten oder Antwortspektren zu tun, die nicht viel Raum für eine eigene Auseinandersetzung mit dem Stoff bieten. Und das heißt wiederum, daß das dieser Beschäftigung zugrundeliegende Motiv eigentlich darin besteht, ein bestimmtes Lernziel zu erreichen oder genauer gesagt, in der damit verbundenen Benotung, die über Erfolg oder Mißerfolg entscheidet. Das hat zur Folge, daß man es als Schüler/Student am ehesten mit dem Problem zu tun hat, vorgezeigte Wege zu gehen oder Vorgegebenes nachzuvollziehen und bei Bedarf abzurufen. Für diesen Fall ist die Konsultation entsprechend aufbereiteter Materialien dringend angeraten, denn sie geben umfassend Auskunft darüber, was im Rahmen des Unterrichts als Leistung erwartet wird.

Das Buch richtet sich dem Thema Sartre entsprechend an einen nicht allzu großen Kreis von Lesern: Französischlehrer, Studierende, einige Oberstufenschüler des Leistungskurses Französisch und Interessierte, die über ausreichende Französischkenntnisse verfügen, um eine solche Sammlung mit geringem Unterhaltungswert und sprachlichem Schwierigkeitsgrad zu bewältigen. Da in der Regel die entsprechende Begleitung fehlt, die plausibel macht, warum die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen philosophischen und gesellschaftspolitischen Fragen wichtig sein kann, erscheint dieser Ansatz oftmals lebensfern. Es ist nicht mehr opportun, sich mit mehr zu befassen, als mit Vorgaben und dem unmittelbaren Lernerfolg, der sich zunehmend über die berufliche Verwertbarkeit definiert.

Die kurze Einleitung geht im schnellen Bogen, dem Zeitgeist entsprechend psychologisierend, über Sarte hinweg und verweist ihn auf den Platz des engagierten und getriebenen Intellektuellen, den man nie ganz verstehen wird, sondern aus der Ferne bewundert: "la figure mythique de Sartre". (Einleitung, S. 4)

Toute la vie de Sartre aura été placée sous le signe d'une inlassable activité intellectuelle, d'une rage d'écrire qui pousse l'enfant, puis l'homme, à remplir les pages vierges de ces mots fascinants avec lesquels il réglera - sur un mode ambigu - des comptes jamais apurés. ... Intellectuel à stature internationale, il ne cesse de s'engager dans les combats les plus divers, de défendre les causes les plus indéfendables ou les plus désespérées, de prendre la parole, de témoigner, d'être présent, véritable conscience universelle de son temps. A l'instar des philosophes du VIIIe siècle, Sartre fut une "lumière", écrivain fascinant par la richesse et la diversité d'une oeuvre monumentale dont on n'a pas encore parcouru toutes les avenues.
(Einleitung S. 3-4)

Der politische Ansatz Sartres, gerade in seinem Postulat von der Wahlfreiheit und Verantwortlichkeit des Menschen, das in vielfacher Weise von ihm vertreten und ausgeführt wurde, kommt zu kurz und generiert zu der wohlbekannten Aussage von den Grenzen der Freiheit in der Freiheit des Anderen in einer Vermischung mit Sartres szenischer Analyse der mangelnden Bereitschaft, diese Verantwortung zu übernehmen. Der andere ist hier die Hölle, weil er die Verantwortung tragen soll, die man selbst nicht zu übernehmen bereit ist.

Chez Sartre, la réflexion philosophique est devenue
inséparable de la pensée et de l'action politiques;
autrui y est une conscience aliénante qui menace la
liberté individuelle ("L'enfer, c'est les autres"),
tandis que l'homme y est responsable de lui-même et
de l'humanité à travers ses actes.
(S. 30)

Die Idee der Verantwortung wäre wohl am ehesten jene, unter die er sein eigenes Leben im Rahmen der Gesellschaft, in der er lebte, gestellt hat. Gleichzeitig gebrauchte er den noch vorhandenen Raum, Gedanken zu formulieren, die diese aus den Angeln hätten heben können. Daß sie schließlich nicht als solche genutzt und verbreitet, sondern über Kritik und Bewunderung als ideelle Produkte eines großen Intellektuellen und Denkers relativiert und eingebunden wurden, ist nicht verwunderlich.

Natürlich kann ein Buch mit Unterrichtsmaterialien nichts anderes sein als der Spiegel und das Instrument einer solchen Herangehensweise und Intention. Dennoch läßt es sich gerade auch in umgekehrter, negierender Weise nutzen, indem man 1. lernt, sich mit dem Werk selbst ohne Vorgabe zu befassen, 2. sich dem, was an Interpretation und Verarbeitung angeboten wird, kritisch zuwendet und 3. die eigene Position findet und festigt.

Hierfür bietet das Buch die folgenden Abschnitte:

REPERES
- Introduction
- La vie de Jean-Paul Sartre
- Chronologie
- Synthèse générale

LES GRANDES OEUVRES
- LE PHILOSOPHE
- LE ROMANCIER ET LE NOUVELLISTE
- LE DRAMATURGE
- L'ESSAYISTE
- Conclusion

ANNEXES
- Groupements thématiques
- Anthologie critique
- Recherches et exercices
- Bibliographie

Zu jedem der behandelten Werke gibt es eine Zusammenfassung oder Beschreibung nebst einem Kommentar, anhand derer man sich orientieren und nach Interesse eine Leseauswahl treffen kann. Doch diese Systematik, so angenehm sie für denjenigen ist, der nach der richtigen Information sucht, ergibt, unterstützt durch den jeweiligen Inhalt, dort eine glatte Linie, wo die Auseinandersetzung, der Disput gefordert wäre. Auf diese Weise erhält man lediglich einen guten Eindruck der schulisch geforderten Sartre-Interpretation und -Rezeption, was wiederum an der Aufgabe, Anleitung und Motiv dafür zu bieten, sich auf intensivere und nutzbringendere Weise mit dem Text zu beschäftigen, als man es beim einfachen Lesen tun würde, vorbeigeht. Um dies zu erreichen, würde vielleicht sogar eine Bereitstellung von Sartre-Texten und -Passagen mit kontroversen Reaktionen von Zeitgenossen, Zeitungsartikeln u.ä. kombiniert mit einigen ergebnisoffenen Fragestellungen reichen. Bei der Bewertung, wenn man diese nicht grundsätzlich infrage stellen will, sollte den Ausschlag geben, ob sich der Schüler/Studierende mit dem Stoff befaßt hat, gesprächsbereit ist und auf neue Ideen zur Weiterarbeit gestoßen ist, und nicht, ob die richtige Interpretation vorliegt.

Zwar bieten Unterrichtsmaterialien auf französisch eine zusätzliche Hürde, vermitteln jedoch auch das - unter Umständen trügerische - Gefühl, näher an der Quelle zu sitzen. Auf jeden Fall zwingen sie zu einer intensiveren Beschäftigung mit der französischen Sprache und Denkkultur. Den Tip, Sartre im Original zu lesen, braucht man dem, der sich mit französischsprachigen Unterrichtsmaterialien herumschlägt, mit Sicherheit nicht zu geben. Die Herausforderung anzunehmen, lohnt sich in beiden Fällen. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß in diesem Zusammenhang ein genauerer Blick auf das sehr umfangreiche Fremdsprachenlehr- und -lernmittelangebot des Klett-Verlags wirklich zu empfehlen ist.

"Sartre" von Michel Maillard
BALISES - Les écrivains / Éditions Nathan
zu beziehen über Ernst Klett Verlags GmbH
ISBN 3-12-592615-7, 128 S., 7,70 Euro


Erstveröffentlichung am 19. Mai 2003


23. November 2007