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REZENSION/006: Maurer - Alzheimer, das Leben eines Arztes (Medizin) (SB)


Konrad und Ulrike Maurer


Alzheimer, das Leben eines Arztes



Die Alzheimersche Krankheit ist heutzutage in aller Munde. Als drohendes Unheil, das statistisch jeden vierten Menschen über 80 ereilt, spukt sie - unterstützt und gefördert durch die vielseitig ausgeschmückten Beiträge in zahlreichen Boulevard- Zeitungen - nicht nur durch die Köpfe zahlreicher Menschen, sondern auch durch die verschiedenen Abteilungen der medizinisch- klinischen und pharmakologischen Forschung. Dort wurde bislang erfolglos versucht, ein Heilmittel für diese Geißel der Menschheit zu finden. Doch trotz bislang ausbleibender Ergebnisse mangelt es nicht an Hoffnungen, Aussichten und Versprechungen, denn der Markt und die Verdienstmöglichkeiten sind verlockend. Der Konkurrenzkampf um Patente, die später weiterentwickelt und dann eventuell für die Behandlung eingesetzt werden könnten, ist gnadenlos hart und ausschließlich an den wirtschaftlichen Interessen der Pharmakonzerne orientiert. Denn das Patent auf ein Mittel zur vorbeugenden Behandlung der Alzheimerschen Erkrankung würde den Zugriff auf einen milliardenschweren Zukunftsmarkt sichern. Der Mensch als eigentlich Leidtragender kommt in diesem Geschäft nicht vor.

So wundert es denn, daß nicht schon viel eher jemand auf die Idee gekommen ist, mit der Biographie des Arztes, der als Erstbeschreiber diesem Krankheitsbild seinen Namen gab, einen weiteren Beitrag zur Kommerzialisierung dieser für Betroffene und Angehörige furchtbaren Erkrankung zu leisten.


Geschrieben wurde das Buch von Ulrike und Konrad Maurer. Ulrike Maurer hatte sich schon zuvor mit dem Leben des Arztes Alzheimer auseinandergesetzt. Unter ihrer Leitung wurde das von der amerikanischen Pharmafirma Eli Lilly erworbene Geburtshaus Alzheimers anläßlich seines 80. Todestages restauriert, als Museum und Tagungszentrum ausgestattet und der Öffentlichkeit als Gedenkstätte übergeben. Ihr Mann Prof. Dr. Konrad Maurer ist Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut und seit 1993 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I an der Universität Frankfurt.

Die Alzheimersche Erkrankung bildet schon seit Jahren einen Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit. In der von ihm eingerichteten Gedächtnissprechstunde wird den Patienten nicht nur eine ausführliche Diagnostik zur Abgrenzung gegenüber anderen Demenzerkrankungen angeboten, sondern auch ein integratives Therapiekonzept, das neben einer medikamentösen Behandlung auch psychotherapeutische Maßnahmen wie Gedächtnistraining und Musiktherapie und die psychosoziale Betreuung der Angehörigen umfaßt. Bei ihm mag daher auch ein persönliches Interesse am Aufspüren der Tradition, in der er selber steht, und an der Geschichte der Erforschung dieser Krankheit als Motivation für das Schreiben dieses Buches eine Rolle gespielt haben.

Nachdem der Zufall seiner mehrjährigen systematischen Suche nach der Krankenakte der Auguste D., die der Erforschung der Alzheimerschen Krankheit zugrunde liegt, zum Erfolg verhalf, bildete diese nun den Aufhänger für das im Piper Verlag herausgegebene Buch.


"ALZHEIMER - Das Leben eines Arztes und die Karriere einer Krankheit" erzählt die Lebensgeschichte des Arztes Alois Alzheimers, der 1864 geboren wurde, streng ausgerichtet und orientiert an Zeitdokumenten, Tagebuchaufzeichnungen, persönlichen Briefen und den verschiedenen Erinnerungen der Kinder und Enkel.

Wer sich jedoch, angeregt durch mehrere äußerst positive Buchkritiken in medizinischen Fachpublikationen, an dieses Werk macht und einen spannenden, unterhaltsamen und lehrreichen Lesestoff erwartet, der wird herbe enttäuscht.

So hieß es im Deutschen Ärzteblatt Heft 13/99 vom 2. April 99:

Das durch eine umfangreiche Quellenforschung abgesicherte, äußert informative und lesenswerte Buch gewährt nicht nur einen faszinierenden Einblick in Alzheimers Privatleben und wissenschaftliche Entwicklung, sondern gleichzeitig in die deutsche Psychiatrieszene vor dem Ersten Weltkrieg. Die von Sympathie getragene Biographie beschreibt dennoch sachgerecht und objektiv die beruflichen Stationen Alzheimers, die ihn von Würzburg über Heidelberg, Frankfurt am Main und München nach Breslau führten, wo er 1912 als Nachfolger Karl Bonhoeffers Ordinarius für Psychiatrie wurde.

Es stimmt, die unbestreitbar umfangreiche Quellenforschung hätte sicherlich eine gute Grundlage bieten können, anhand des Lebens von Alois Alzheimer einen interessanten und spannenden Einblick in das Leben und speziell in die Psychiatrieszene Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg zu geben. Doch leider fehlen diesem Buch jeglicher Ansatz für eine zeitgeschichtliche Einordnung und jeglicher Bezug zu den politischen Verhältnissen der damaligen Zeit.

Die Autoren sind bemüht, jede persönliche Stellungnahme zu vermeiden, doch die Auswahl der oftmals unkommentiert aneinandergehängten Fakten läßt ihren eindeutig berufsständisch geprägten Standpunkt durchscheinen. Sehr darauf bedacht, einerseits den Anschein der Neutralität zu wahren und andererseits den Mythos des guten, fürsorglichen und gewissenhaften Arztes und Familienvaters aufrechtzuerhalten, gestalten sie das Buch streng chronologisch nach den einzelnen Lebensphasen Alzheimers.

Dabei ist das Leben Alzheimers nicht interessanter oder herausragender als das vieler anderer Ärzte, die um die letzte Jahrhundertwende gelebt und gearbeitet haben. Was ihn hervorhebt und in diesem Zusammenhang interessant macht, ist lediglich sein Name, der heute für die immer häufiger auftretende präsenile Demenz steht.

Alzheimer hatte es sicherlich einfacher als viele seiner Kollegen, denn aufgewachsen in einer großbürgerlichen Familie und später verheiratet mit einer reichen Witwe, war er finanziell so unabhängig, daß er es sich zeitweilig leisten konnte, unentgeltlich zu arbeiten. Auch die für die damalige Zeit bemerkenswert guten Verhältnisse in der Frankfurter Irrenanstalt, in der er 15 Jahre lang tätig war, dürfen sicherlich nicht als Maßstab für die Umstände in anderen Anstalten zu seiner Zeit genommen werden.

Es wird das typisch positive Klischee eines Arztes heraufbeschworen, das heutzutage immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist. Im Laufe der Biographie erfährt man jedoch, daß Alzheimer ein äußerst ehrgeiziger, wissenschaftlich orientierter Praktiker war. So diente die "liebevolle Zuwendung" und die geduldige, ausführliche und häufig wiederholte Befragung seiner Patienten nicht etwa den Patienten, sondern lediglich dem Forschungsehrgeiz Alzheimers.

Sehr persönliche Erinnerungen und Anekdoten, deren Unterhaltungswert durchaus unterschiedlich eingeschätzt werden kann, stehen unkommentiert neben seitenlangen Wiedergaben von Dokumenten und Auszügen persönlicher Briefe. Man kann sich des Eindrucks nur schwer erwehren, daß die Autoren nach langwieriger und unbestreitbar aufwendiger Recherchearbeit und akribischer Zusammentragung der zahlreichen mit dem Namen Alois Alzheimer verbundenen Dokumente, nun das Bedürfnis hatten, diese auch sämtlichst in irgendeiner Form und oftmals in voller Länge zitiert in diese Abhandlung mit einfließen zu lassen.

Diese Fülle von historischen Dokumenten wäre durchaus geeignet, einen kleinen Einblick in das gesellschaftliche Leben zu Alzheimers Zeiten zu vermitteln. Doch der übergeordnete Zusammenhang fehlt. Historische Ereignisse, die zu einem Gesamtverständnis der Zeit hätten beitragen können, werden oftmals in unzulässiger Kürze angerissen, ohne sichtbaren Bezug zur Geschichte des Buches. So ist es für einen interessierten, aber geschichtlich nicht unbedingt bewanderten Leser schwierig, sich ein zusammenhängendes Bild der Zeit zu machen.

Verwirrend ist auch die Nennung zahlloser Namen verschiedenster Personen, die zum Teil nur eine sehr lose oder gar keine Beziehung zu Alzheimer hatten. Den Autoren schienen sie offenbar erwähnenswert, da sich mit ihnen irgendwelche Symptome oder Krankheitsbilder verbinden. Solche Einschübe dokumentieren zwar den Fleiß der Autoren, tragen jedoch weder zum Inhalt des Buches noch zur Biographie Alzheimers bei.

Die einzelnen Kapitel sind gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von unverhältnismäßig ausführlich und detailgetreu beschriebenen Fakten (beispielsweise über den Grabstein von Alzheimers geliebter Frau und die Grabsteine anderer berühmter Persönlichkeiten auf demselben Friedhof) und viel zu kurz angerissenen zeitgeschichtlichen Ereignissen.

Was selbst den zugewandtesten Leser auf der einen Seite durch ausschweifigste Beschreibung zu langweilen beginnt, fehlt auf der anderen. So erfährt man über die Verhältnisse in den psychiatrischen Anstalten oder die wissenschaftliche Arbeitsweise nur relativ wenig und in erster Linie, daß Alzheimer stets bemüht war, den Mißständen entgegenzuwirken.

Selbst wichtige Eckpunkte und gröbste geschichtliche Zusammenhänge wie etwa der langsame Umbruch in der Psychiatrie muß sich der Leser mühsam aus den lose hingeworfenen Brocken zusammensuchen oder durch Sekundärliteratur und andere Quellen selbst aneignen. Dabei hätte es schon geholfen, wenn in kurzen Worten auf die gängigen philosophischen Traditionen und psychiatrischen Denkmodelle hingewiesen worden wäre.

Nach dem Lesen des Buches hat man zahlreiche kleine geschichtliche und biographische Bausteine an der Hand, doch es wird einem selbst überlassen, diese einzelnen Puzzlesteine zu einem ganzen, dem historischen Verständnis dienenden Bild zusammenzusetzen. Dabei ist genau das die Arbeit, die man von einem guten Biographen erwarten würde.


Das Buch als Ergebnis einer fleißigen Zusammenstellung persönlicher Erinnerungen und historischer Dokumente und Aufzeichnungen mag für manch einen durchaus einen gewissen Sammlerwert haben, wobei die rein chronologische Aneinanderreihung dieser einzelnen Komponenten das Buch nicht gerade zu einer leichtgängigen und spannenden Lektüre macht. Im Bestreben, die vielen recherchierten Details mit in das Buch einzubringen, werden diese oftmals an Stellen eingefügt, wo sie den Lesefluß unterbrechen und weder etwas zum Thema noch zur Ergänzung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds beitragen können.

Eine etwas stringentere Erzählung mit gezielter Schwerpunktsetzung und eine Analyse oder Aussage z.B. zu den sozialen Verhältnissen und der Psychiatrie im allgemeinen, hätten dem Buch sicherlich gut getan. Doch die Autoren halten sich mit jeder persönlichen Stellungnahme zurück und so bleibt auch das Buch farblos, obwohl das Thema Alzheimer brandaktuell ist und durchaus Zündstoff für einen tiefergreifenden Disput liefern kann.


Konrad und Ulrike Maurer
Alzheimer, das Leben eines Arztes
Das Leben eines Arztes und die Karriere einer Krankheit
Piper Verlag, München Zürich, 2. Auflage 1999
ISBN 3-492-04061-6