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BIBLIOTHEK/473: Wertvolle abessinische Handschriften auf fränkischem Dachboden entdeckt (Goethe Uni)


Goethe-Universität Frankfurt - 26. August 2011

65 Jahre verschollen:
Wertvolle abessinische Handschriften auf fränkischem Dachboden entdeckt

Über verworrene Wege zweier Bücher aus der Rüppellschen Sammlung zurück in die Universitätsbibliothek

Darstellung des biblischen Königs David und des abessinischen Kaisers Negus Hezkejas (reg. 1780 - 1786), für den die Handschrift geschrieben wurde. - Foto: © Goethe-Universität Frankfurt

Darstellung des biblischen Königs David und des
abessinischen Kaisers Negus Hezkejas (reg. 1780 - 1786),
für den die Handschrift geschrieben wurde.
Foto: © Goethe-Universität Frankfurt

FRANKFURT. 65 Jahre galten zwei wertvolle abessinische Handschriften als verschollen. Sie gehören zu der Sammlung des bedeutenden Frankfurter Afrikaforschers Eduard Rüppell (1794-1884), die während des Zweiten Weltkrieges aus der Frankfurter Stadtbibliothek nach Thüringen ausgelagert worden war. Während die meisten der 23 Handschriften aus dieser Sammlung wieder - wenn auch auf Irrwegen - nach Frankfurt zurückkamen, fehlte von diesen beiden Büchern bis vor einem halben Jahr jede Spur. Erst Ende 2010 wurden sie auf dem Dachboden eines fränkischen Bauernhauses gefunden. Bei den wertvollen Schriften handelt sich um eine aus dem Arabischen ins Äthiopische übersetzte Weltchronik aus dem 13. Jahrhundert und ein Psalmenbuch. Die Handschriften zählen zum Kulturerbe Frankfurts, das heute zu weiten Teilen in der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg aufbewahrt wird.

In den vergangenen Monaten haben die Experten der Universitätsbibliothek die Handschriften vom Schimmel befreit und vollständig restauriert, heute wurden sie der Öffentlichkeit vorgestellt. "Die Ledereinbände, die zwar etwas beschädigt waren, haben die Pergament-Handschriften über die Jahrzehnte offenbar gut geschützt", freut sich der Direktor der Universitätsbibliothek, Bernd Dugall. "Das ist schon ein besonderer Glückfall und eine spannende, mit den deutschen Nachkriegswirren eng verbundene Geschichte, die sich um diese beiden jetzt entdeckten Bücher rankt." Inzwischen können die "Äthiopika" in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek mit neuer eigener Signatur wieder angeschaut und genutzt werden. "Wie auch die übrigen Bestände aus unserer wertvollen Handschriftensammlung können die beiden Bücher nur in unserem speziellen Lesesaal eingesehen werden", betont Dr. Bernhard Tönnies, Leiter der Handschriftenabteilung. Wissenschaftlich interessant können diese Werke für Afrikanisten, Orientalisten, Sprachwissenschaftler, Ethnologen und Theologen sein und insbesondere für die Äthiopisten am Hiob Ludolf Zentrum für Äthiopistik der Universität Hamburg, die seit Jahren die Katalogisierung äthiopischer Handschriften in Deutschland vorantreiben. "Um die neuen Schätze der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen, sollten sie möglichst bald digitalisiert werden - eine Forderung, die sich in der heutigen Zeit der 'Digital Humanities' von selbst versteht", ergänzt Prof. Jost Gippert vom Institut für Empirische Sprachwissenschaft der Goethe-Universität.


Die Rüppellsche Sammlung - Schätze eines Afrikaforschers

Dem Forschungsreisenden und Afrikaforscher Eduard Rüppell (1794 - 1884) verdanken die Kulturinstitutionen der Stadt Frankfurt und das naturkundliche Senckenberg-Museum einen Teil ihrer Schätze. Rüppell, in Frankfurt geborener Sohn eines Finanzrats und Bankiers, fasste im Alter von 21 Jahren den Entschluss, sich in den Dienst der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft zu stellen und ganz der Naturforschung zu widmen. Auf vier Expeditionen nach Afrika betätigte er sich als eifriger Sammler und sandte Dutzende Kisten mit Altertümern und Präparaten aller Art in seine Vaterstadt, darunter Papyri, Münzen, Korallen, Minerale, Tierhäute, ausgestopfte Fische, Vögel und getrocknete Pflanzen. Einen Teil seiner Sammlungen, besonders die zoologischen und geologischen Objekte, schenkte er dem gerade erst gegründeten Senckenbergischen Museum für Naturkunde, das dafür eigens erweitert werden musste.

Für die Antiquitäten und wertvollen Handschriften, die er auf seinen Reisen in Ägypten, Kordofan und Abessinien erworben hatte, gab es zu Rüppells Zeiten nur einen angemessenen Aufbewahrungsort: die alte Frankfurter Stadtbibliothek, die damals gerade in einen klassizistischen Prachtbau an der "Schönen Aussicht" am Obermaintor eingezogen war. Schon 1818/19 schenkte Rüppell der Bibliothek Papyrus - Fragemente und altägyptische Erzstatuetten und die in der Eingangshalle des neuen Bibliotheksbaus ausgestellt wurden. Außerdem vermachte er der Bibliothek abessinische Handschriften aus seinem Nachlass. Es handelt sich dabei zumeist um Bibel- und Psalmenhandschriften, teilweise reich bebildert, aber auch um Chroniken, Gesetzestexte und handschriftliche Sammlungen geistlicher Lieder. Die Pergament-Codices sind in der altäthiopischen Sprachen Ge'ez und in Amharisch verfasst und in altabessinischer Schrift geschrieben, so dass sich erst Ende des 19. Jahrhunderts ein Gelehrter fand, der beide Sprachen beherrschte und einen Katalog der Rüppellschen Sammlung anfertigen konnte.

Inhaltsangabe und Beschreibung der Handschrift Ms.or.133 im Vorderdeckel, von der Hand Eduard Rüppells - Foto: © Goethe-Universität Frankfurt

Inhaltsangabe und Beschreibung der Handschrift Ms.or.133
im Vorderdeckel, von der Hand Eduard Rüppells
Foto: © Goethe-Universität Frankfurt

Nach dem von Lazarus Goldschmidt, einem Berliner Orientalisten und Talmudexperten, im Jahr 1897 herausgegebenen Band, bestand die Rüppellsche Sammlung in der Stadtbibliothek Frankfurt zu diesem Zeitpunkt aus 23 Manuskripten. Diese waren so wertvoll, dass in jeden Buchdeckel ein kleines Schildchen eingeklebt worden war, das vermerkte, dass Bände "nur mit Erlaubniß des Hohen Senates und gegen eine Real-Caution von Tausend Gulden verliehen werden" durften. Eine der Handschriften, eine in der abessinischen Kaiserstadt Gondar eigens für den europäischen Reisenden zusammengestellte Landeschronik, hielt Goldschmidt gar für "das beste Geschichtswerk, das auf europäischen Bibliotheken vorhanden ist; abgesehen von seinem reichen historischen Material ist es auch das zuverlässigste und bequemste Nachschlagewerk für Forscher der abessinischen Geschichte." Dieses wertvolle Werk konnte auch über den Zweiten Weltkrieg gerettet werden.


Die ausgelagerten Buchbestände und ihre Odyssee nach dem Zweiten Weltkrieg

Mit Beginn des Luftkrieges im Zweiten Krieges wurden die wichtigste Bestände der Stadtbibliothek, darunter alle Handschriften und Inkunabeln, ins beschauliche oberfränkische Mitwitz ausgelagert worden waren und waren somit gerettet, als die alte Stadtbibliothek am 20. Dezember 1943 und 29. Januar 1944 zerstört wurde. Allerdings reichte der Platz im Wasserschloss Mitwitz nicht aus, deshalb war ein Teil der Bücher in zwei Auslagerungsdepots nach Thüringen geschafft worden. Als Amerikaner und Russen sich auf ihre zukünftigen Besatzungszonen geeinigt hatten und es klar war, dass die beiden Depots dem sowjetisch besetzten Gebiet zugeschlagen werden würden, mussten die Bücherkisten schnellstmöglich wieder zurückverlegt werden.

Offenbar fiel bei dem Transport eine Kiste, die unter anderem sieben der abessinischen Handschriften enthielt, vom Lastwagen, brach auf und blieb, weil in der Hektik niemand etwas bemerkte, am Waldrand zwischen Mitwitz und Coburg liegen. Dort jedenfalls fand ein aufmerksamer Mann einige Bände - eine der Rüppellschen Handschriften und zwei alte Drucke, er gab sie der Bibliothek zurück und teilte gleichzeitig mit, dass er noch eine Kiste mit weiteren Büchern gesehen habe, die allerdings zwei Tage später verschwunden gewesen sei. Damit schienen die restlichen sechs von Rüppell aus Nordafrika mitgebrachten Bände für immer verloren. Bis Anfang der 1980er Jahre ein Mann in der Landesbibliothek Coburg auftauchte und dem Bibliotheksdirektor einen in abessinischer Schrift geschriebenen Band mit Ledereinband anbot. Nach sorgfältiger Prüfung stellte sich heraus, dass die Handschrift zum Bestand der Frankfurter Bibliothek gehörte, die nun unter dem Namen Stadt- und Universitätsbibliothek firmierte. Sie wurde an die Frankfurter Bibliothek zurückgegeben.

Von den restlichen fünf "Äthiopika" aus der Sammlung Rüppell fehlte jedoch weiter jede Spur. Dies änderte sich erst Ende des Jahres 2010, als ein Ehepaar aus einem Ort in der Nähe des Wasserschlosses Mitwitz auf dem Dachboden des Elternhauses zwei offenbar sehr alte, in einer ihnen unbekannten Schrift geschriebenen Bücher fand. Sie wandten sich an die in der Nähe gelegene Landesbibliothek Coburg, deren Direktorin umgehend die beiden Werke sichtete und nicht nur die Besitzstempel der Frankfurter Bibliothek, sondern auch handschriftliche Eintragungen von Eduard Rüppell darin entdeckte. Anschließend konnten die Manuskripte dorthin gebracht werden, wohin Rüppell sie vor fast 180 Jahren gegeben hatte: in die Handschriftensammlung der Frankfurter Stadtbibliothek, der heutigen Universitätsbibliothek der Goethe-Universität Frankfurt am Main.


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn drittmittelstärksten und größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Parallel dazu erhält die Universität auch baulich ein neues Gesicht. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht ein neuer Campus, der ästhetische und funktionale Maßstäbe setzt. Die "Science City" auf dem Riedberg vereint die naturwissenschaftlichen Fachbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zu zwei Max-Planck-Instituten. Mit über 55 Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität laut Stifterverband eine Führungsrolle ein.


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Quelle:
Goethe-Universität Frankfurt - Pressemitteilung Nr. 197 vom 26. August 2011
Herausgeber: Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Redaktion: Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation
Abteilung Marketing und Kommunikation, Senckenberganlage 31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2011