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REZENSION/001: Haruki Murakami - Gefährliche Geliebte (Japan. Roman) (SB)


Haruki Murakami


Gefährliche Geliebte

Gelesen von Joachim Król



Ich bin am 4. Januar 1951 geboren, in der ersten Woche des ersten Monats des ersten Jahres der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine denkwürdige Konstellation, nehme ich an, und darum gaben mir meine Eltern den Namen Hajime, japanisch für Beginn ...

Von der Geburt an verfolgt der Zuhörer die Biographie des Japaners Hajime. Nach Jahren der Orientierungslosigkeit hat er, mittlerweile Ende dreißig, seinen Platz im Leben gefunden, führt eine erfolgreiche Jazz-Bar, ist Ehemann und Vater. Sein Dasein spielt sich in überschaubaren Zusammenhängen ab, bis er zufällig Shimamoto, eine Freundin aus Kinder- und Jugendtagen, wiedertrifft. Hajime verfällt der geheimnisumwobenen Frau und ist schon bald bereit, für sie alles aufzugeben.

Der Schauspieler Joachim Król hat sich des Buches, das vielen vielleicht deshalb bekannt ist, weil ein Streit darum seinerzeit das "Literarische Quartett" auseinanderbrachte, angenommen. Ein hartes Stück Arbeit, gilt es doch, sich die ganze Zeit über mit einem selbstgefälligen, egozentrischen Ich-Erzähler zu identifizieren. Mit ruhiger, unaufgeregter Stimme gelingt es Król, die Sprache Murakamis in ein Hörerlebnis umzusetzen, das dem Charakter seines Protagonisten absolut angemessen ist.

Heutzutage werden Hörbücher häufig nebenbei gehört, bei einer langen Autofahrt, beim Bügeln oder ähnlichen Tätigkeiten. Für diesen Zweck ist "Gefährliche Geliebte" geradezu ideal. Die Komplettlesung des Buches kommt auf sechseinhalb Stunden. Der Handlungsverlauf ist geradlinig und die Geschichte kommt ohne Kunstgriffe wie parallel verlaufende Erzählstränge oder sonstige Raffinessen aus. Da der Erzähler sehr ausführlich sein an sich recht bedeutungsloses Leben vorträgt, in dem sich zudem stets alles um ihn selbst dreht, fällt es nicht schwer, den Faden zu behalten, auch wenn die Aufmerksamkeit für kurze Momente abgelenkt ist. Im anderen Fall, wenn man der CD konzentriert lauscht und keine Ablenkungen zuläßt, entlarvt sich dieser "Vorteil" alsbald als das, was er ist: ein zwar sprachlich ausgefeilter, dennoch aber recht langatmiger Erzählstil, in dem sich der Hauptdarsteller, der ohnehin keine sympathische Figur ist, unangenehm breit macht.

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Hajime, so erfährt der Zuhörer zunächst, wuchs in einer ruhigen gutbürgerlichen Vorortsiedlung auf, in einem Haus, das, wie es in Japan üblich ist, der Firma seines Vaters gehört. Da auch alle seine Klassenkameraden in ähnlichen Häusern lebten, führte das dazu, so erzählt er weiter, daß er bis zu Beginn seines Collegestudiums in Tokio davon überzeugt war, "jedermann auf der Welt wohne in einem Einfamilienhaus mit einem Garten und einem Haustier und fahre täglich in Anzug und Krawatte mit dem Vorortzug zur Arbeit." Das einzige, was den Jungen von den anderen unterscheidet, ist die Tatsache, daß er ein Einzelkind ist. Darunter leidet er sehr - bis er ein anderes Einzelkind kennenlernt, das Mädchen Shimamoto, die neu in seine Klasse kommt. Die beiden freunden sich an. Anrührend beschreibt Murakami ihre Begegnungen, die trotz der Jugendlichkeit der beiden, sie sind zu diesem Zeitpunkt gerade zwölf, ein tiefes Einverständnis, eine Seelenverwandtschaft, ahnen lassen. Um so mehr ist man deshalb erstaunt zu hören, daß diese Begegnungen ein abruptes Ende finden, als Hajime wegzieht und auf eine andere Schule kommt. Es sind nur zwei Haltestellen, und doch scheinen sie nun Welten zu trennen. Nach einigen halbherzigen Besuchen bricht der Kontakt ganz ab. Dennoch hört Hajime nicht auf, an Shimamoto zu denken. Viele Jahre lang.

Parallel dazu geht sein Leben weiter: Hajime paßt sich an, verändert sich, vom schmächtigen kränkelnden Jungen zu einem attraktiven, sportlichen Jugendlichen. "Mit 16 war ich kein mickriges, schwächliches Einzelkind mehr." Er ist zwar immer noch ein verschlossener Einzelgänger, aber zumindest äußerlich entspricht er nun der Vorstellung, wie er sein möchte. Bald hat er auch seine erste "richtige" Freundin, zwar "nicht der Typ, der Müttern auf den Jahrgangsfotos sofort als das hübscheste Mädchen der Schule ins Auge gesprungen wäre", dafür zeichnet Isumi sich durch eine Eigenschaft aus, die Hajime auch im folgenden an Frauen zu schätzen scheint:

Ich konnte sagen, was ich wollte und sie hörte immer aufmerksam zu. Ich konnte irgendetwas daherschwafeln, aber aus ihrem Gesicht hätte man schließen können, ich sei im Begriff, eine großartige Entdeckung zu offenbaren, die den Gang der Geschichte verändern würde.

Nach einer etwa ein Jahr währenden Romanze serviert er Isumi eiskalt ab, indem er sie mit ihrer eigenen Cousine betrügt. Denn diese bietet ihm, was Isumi ihm, wohl ahnend, daß ihrer Beziehung nicht jene gesicherte Zukunft beschieden war, die sie sich erhoffte, standhaft verweigerte: hemmungslosen Sex. Diese Kränkung trifft Isumi so sehr, daß sie dauerhaft psychisch erkrankt, was Hajime, als er Jahre später davon erfährt, einerseits zwar ein schlechtes Gewissen bereitet, andererseits aber auch eine gewisse Befriedigung zu verschaffen scheint, weil er sich an der Macht ergötzt, die er über das Leben anderer Menschen auszuüben vermag. Immerhin erwächst in ihm eine Erkenntnis:

... daß ich im Grunde ein Mensch bin, der fähig ist, Böses zu tun. Ungeachtet aller guten Absichten konnte ich, wenn die Umstände es erforderten, ganz und gar egoistisch, ja sogar grausam werden. Ich war ein Mensch, der nur eine plausible Ausrede brauchte, um selbst einer geliebten Person bedenkenlos eine Wunde zufügen zu können, die niemals mehr heilen würde.

Hajime würde einem vielleicht sympathischer werden, wenn er aus dieser Erkenntnis seine Schlüsse gezogen hätte, reifer geworden wäre. Doch wie sich nach etlichen weiteren Hörminuten herausstellt, ist genau das nicht der Fall. Nach einigen weiteren halbherzigen Versuchen, eine Beziehung einzugehen, die aber allesamt daran scheitern, daß immer die inzwischen zur Überperson hochstilisierte Shimamoto dazwischensteht, lernt Hajime seine zukünftige Frau kennen, Yukiko. Auch sie blickt zu ihm auf, hält ihn für etwas ganz Besonderes. Die beiden heiraten, gründen eine Familie. Aber auch ihr ist Hajime bereit weh zu tun, als er Shimamoto wiedertrifft. Hinter dem Rücken seiner Frau nimmt er eine Beziehung zu ihr auf. Doch Shimamoto stellt Bedingungen. Hajime darf nichts über ihr derzeitiges Leben erfahren, keine Fragen stellen. Und sie können sich nur sporadisch treffen. Diesen Zustand kann Hajime auf Dauer nicht ertragen. In einer gemeinsamen Liebesnacht fordert Hajime erneut, alles zu erfahren, was Shimamotos Leben betrifft. "Morgen", verspricht sie ihm, "morgen erzähle ich dir alles." Doch am Morgen ist die Geliebte fort. Und sie kehrt niemals zurück. Mit einem melancholischen Ausblick läßt Hajime, zu Frau und Kindern zurückgekehrt, den Zuhörer zurück. Innerlich ankommen wird dieser zerrissene unentschlossene Mensch wohl niemals mehr irgendwo.

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Der 1949 in Kyoto geborene Haruki Murakami gilt als der wichtigste lebende Autor Japans und wurde mit den höchsten Literaturpreisen des Landes ausgezeichnet. Daß er auch im Ausland so erfolgreich ist, liegt vielleicht daran, daß er sehr westlich orientiert ist. Wer Bekanntschaft mit seinem Werk machen möchte, für den ist "Gefährliche Geliebte" - mit den oben genannten Einschränkungen - sicher eine Empfehlung wert. Joachim Król jedenfalls hat gute Arbeit geleistet. Besser kann man dem Text in Hörbuchform nicht gerecht werden.


Haruki Murakami
Gefährliche Geliebte
Gelesen von Joachim Król
Komplettlesung auf 6 CDs, Spielzeit 06:30
26,- Euro
ISBN 3-8291-1348-X