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REZENSION/020: Punktown - makabere Kurzgeschichten von Jeffrey Thomas (SB)


"Punktown"
Eine Sammlung fremdartiger Geschichten
aus dem Alltag einer Monsterstadt




"Punktown" ist der viel sagende Name, den die Bewohner ihrer ehemals menschlichen Kolonie auf dem fernen Planeten "Oasis" verpasst haben. Unter anarchischen Bedingungen bestreiten dort Menschen, Mutanten und Angehörige verschiedenster Rassen aus dem Universum nebeneinander ihr Überleben. In diesem Schmelztiegel vielgestaltiger Existenzen ist jeder sich selbst der Nächste und die Straßen werden von Verrückten, Heimatlosen und Ungeheuern heimgesucht, während sich die Sadisten in feineren Kreisen nur notdürftig als anständige Menschen tarnen. Dementsprechend extrem sind die Auswüchse von Gewalt und Irrsinn, mit denen die Bürger dieser speziellen Großstadt es täglich zu tun haben.

Man befindet sich weit in der Zukunft, was den Fortschritt der Technik angeht, wo die Vermischung von lebenden Organismen mit Mechanik bereits alltäglich ist. Natürlich werden die Möglichkeiten dieser Technologie ohne Rücksicht auf ethische Grundsätze vorwiegend zu perversen Zwecken genutzt, wie beispielsweise zum Erschaffen halb künstlicher, halb organischer Wesen, an denen frustrierte Büroangestellte täglich ihre Wut auslassen können. Noch gruseliger sind allerdings die geistig zurückgebliebenen, menschlichen Klone, deren genmanipulierte Körper entweder an reiche Leute verkauft werden oder die orientierungslos in der Gegend herum irren. Ihre gespenstische Präsenz mischt sich mit dem futuristischen Innenleben der Großstadt "Punktown" und verleiht dem düsteren Ort eine zusätzliche Ebene des Grauens.

In der Luft hängende Hologramme, außerirdisch anmutende Gebäude und schwebende Fahrzeuge vervollständigen lediglich die eigenwillige Science Fiction Version einer Megacity. Unter der grellen, neonfarbenen Fassade dieser Umgebung leben die Bürger der Kolonie, die eigentlich "Paxton" heißt, in tiefen Schatten von Kriminalität und Verzweiflung.

Vor diesem Hintergrund entfaltet der amerikanische Autor Jeffrey Thomas seine makaberen Kurzgeschichten, die von dem Überlebenskampf einzelner Bewohner in "Punktown" handeln. Konsequent beschränkt er sich dabei auf wenige Protagonisten, von denen eine als Hauptperson ausführlich beschrieben wird, während alle anderen als Statisten dienen und lediglich schemenhaft umrissen werden. Das Hörstück "Punktown", Volume 2 aus dem Hause LAUSCH enthält drei dieser originellen Geschichten, nämlich "Spiegelbild von Geistern", "Hassmaschine" und "Sweaty Betty" auf drei CDs mit einer Laufzeit von jeweils etwa fünfzig Minuten.

In der akustischen Umsetzung erhalten die Erzählungen einen sehr nüchternen Charakter, teilweise beinahe formell und mit einer guten Portion Zynismus versehen. Über große Strecken kommt der Tonfall der Sprecher geradezu staubtrocken daher und bildet damit ein optimales Gegengewicht zu dem emotionalen Drama, in das alle drei Protagonisten verstrickt sind. Schier unglaubliche Realitäten, wie zum Beispiel die gewalttätige Auseinandersetzung des Bürgerwehrchefs Junk mit einer Gruppe besonders abscheulicher Mutanten in "Sweaty Betty", werden sehr sachlich dargestellt, so daß sie zu keinem Zeitpunkt ins Lächerliche abgleiten.

Auf ein lautmalerisches Drama oder billige Effekthascherei durch seltsame Sounds haben die Macher dieses Hörspiels wohlweislich verzichtet. Statt dessen stehen die Gedanken und Gefühle der Personen im Vordergrund, um die es in den Geschichten geht. Die zurückhaltende Art, auf welche die brillante Erzählweise des Autors musikalisch und stimmlich inszeniert wurde, erzeugt einen idealen Rahmen für die Entfaltung der Handlung. Schließlich galt es in diesem Fall auch, einer schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, da sich die Kurzgeschichten von Jeffrey Thomas nicht auf ein einziges Genre beschränken. Sie sind gleichermaßen Science Fiction- und Dark Fantasy- wie auch Horrorstories. Demnach verlangt ihre akustische Darstellung nach einer subtilen Balance, die ohne künstlerische Entuferungen in irgendeine Richtung auskommen muß. Lediglich am Ende der Erzählungen kippt der Schwerpunkt eindeutig zum Aspekt des Horrors hin. Während die Redeweise größtenteils recht neutral bleibt, zeichnen die Worte selbst ein stimmungsvolles, oft sogar poetisches Bild des Umfeldes, in dem sich die Charaktere bewegen, so daß bei aller Trostlosigkeit immer auch ein Hauch Magie oder zumindest sehr plastische Bilder vom Geschehen im Kopf des Hörers nachklingen.

Besonders schön wird von dem Autor etwa die verklärte Sicht des Klonkünstlers Drew auf die Welt, in der er lebt, beschrieben. So spekuliert er beispielsweise, ob das bläuliche Leuchten technischer Gerätschaften auf einem Dach in der Nachbarschaft von tanzenden Geistern herrühren könnte und umgibt sich in seinem Loft mit beruhigend blubbernden, bunt glühenden Tanks, die einerseits nur seine Klone enthalten, andererseits aber auch die beschwichtigende Wirkung von Aquarien auf ihn haben. Gerade in dieser ersten Geschichte landet Jeffrey Thomas einen psychologischen Volltreffer nach dem anderen, indem er die Mischung zwischen übersensibler Wahrnehmung und Realitätsverleumdung, wie sie für Künstler durchaus typisch ist, auf den Punkt bringt.

Bei der Vertonung aller drei Geschichten haben sich der Regisseur Günter Merlau und sein Team offenbar verstärkt darauf konzentriert, die vom Autor erdachte Atmosphäre so feinsinnig wie möglich zu unterstützen und dabei jene Elemente zu betonen, welche die Melancholie des jeweiligen Protagonisten noch hervorheben. Dabei scheint es, als ob jedem von ihnen ein anderer Klang für seine spezifische Art von Depression zugeteilt wurde, sei es durch die vereinzelten traurigen Töne eines Keyboards und im Hintergrund rauschenden Regens wie im ersten Hörstück "Spiegelbild von Geistern" oder durch eigenartig gedehnte, dumpf wirkende Sounds, die in "Hassmaschine" die abgestumpfte, introvertierte Geisteshaltung des Büroangestellten Cardiff wiedergeben. Darüber hinaus werden hauptsächlich solche Umgebungsgeräusche betont, die den Zuhörer in eine ruhige, für das Lauschen förderliche Stimmung versetzen. Entfernte Stadtgeräusche, fallender Regen, blubbernde Flüssigkeitstanks oder das Quietschen von Türen geben dem jeweiligen Aufenthaltsort ein eigenes Flair, ohne sich aufzudrängen. Es ist daher kennzeichnend für die musikalische Inszenierung der Kurzgeschichten aus "Punktown", daß man sie vielmehr unterbewußt wahrnimmt und hinterher im Grunde kaum benennen kann. Erst beim zweiten Hinhören manifestiert sich der Verdacht, daß die Macher dieses Hörspiels sich mit ausgewählten Klängen absichtlich durch die Hintertür in das Gehirn des Hörers schleichen. Dadurch entsteht, in Kombination mit dem nuancierten Stil des Autors, ein akustisches Werk, das mit einem riesigen, düsteren Bild vergleichbar ist, in dem sich poetische, perverse und grausame Komponenten zu gleichen Teilen miteinander vereinen. Erst bei genauerer Betrachtung des Gemäldes offenbart sich dann, welcher innere Horror das Ganze durchdringt.

So ergeht es schließlich auch den Protagonisten in Jeffrey Thomas Geschichten, die zu Beginn der Handlung wie starke, gefestigte Persönlichkeiten wirken, die das Schicksal auf die eine oder andere Weise akzeptieren und ihr Leben eigentlich ganz gut im Griff haben. In klassischer Fasson einer Kurzgeschichte zerbrechen die Hauptpersonen jedoch zusehends moralisch und emotional an ganz grundlegenden menschlichen Problemen wie extremer Vereinsamung, dem Verlust einer normalen Selbstwahrnehmung oder einem Gewaltverbrechen an geliebten Personen. Sie sind gefangen von ihrer Vergangenheit, werden von ihren unterdrückten Gelüsten getrieben oder vergehen in einem stupiden Alltagstrott. Die exotischen Kreaturen und Werkzeuge, durch die ihre Existenz zu einem komplexen Abbild aller möglichen Fantasien wird, bilden in diesem Fall nur einen hervorragenden Nährboden für den psychischen Verfall. Wer sich die Geschichten von Jeffrey Thomas in Form eines Hörspiels zu Gemüte führt, begibt sich auf einen geistigen Spaziergang, in dessen Verlauf man erst allmählich merkt, wie die innere Landschaft der Protagonisten immer abseitiger wird, bis sie urplötzlich vor einem dunklen, emotionalen Abgrund stehen.

Die Sprecher der fiktiven Persönlichkeiten verursachen allerdings auf raffinierte Weise vom Beginn jeder Geschichte an ein feines Ziehen an den Nervensträngen des Zuhörers, indem sie den beginnenden Wahnsinn oder die fortschreitende Lebensmüdigkeit der Charaktere schon durch ihren Tonfall hervorheben. Bei aller vorgeschobenen Gelassenheit in den Gedankengängen der Stadtbewohner, spürt man doch sofort, daß irgend etwas mit ihnen absolut nicht stimmt und ahnt Böses für ihre Entwicklung.

Obgleich das Hörspiel grundsätzlich eine melancholische Gangart hat, fehlt es dennoch nicht an krassem Humor und bitterbösen Formulierungen, die zwischendurch immer wieder ein grelles Licht auf die zwanghaften Begierden und masochistischen Strategien der Protagonisten werfen. Dabei kommt auch der Ekelfaktor in Gefechten oder bei amoralischen sexuellen Handlungen nicht zu kurz, der zu einem solchen Konstrukt wie "Punktown" einfach dazu gehört. Glücklicherweise bleiben alle Abstecher in diese Gefilde ein präzise eingesetztes Mittel zum Zweck und dominieren niemals die gesamte Ausdrucksweise in einer Situation. Somit eignen sich die "Punktown" Hörspiele meiner Meinung nach für alle, die gern Ausflüge in neue, zwielichtige Welten und den exzentrischen Geist ihrer Bewohner unternehmen und gleichzeitig Wert auf eine schöne Portion Horror mit einer guten Pointe am Schluß legen.

Mein Fazit lautet daher, daß "Punktown" eine echte Entdeckung im Bereich anspruchsvoller, genreübergreifender Unterhaltung ist und den geneigten Hörer an dunklen Winterabenden satt mit spannendem Gedankenfutter versorgen wird.

4. November 2008


Lausch - Phantastische Hörspiele
www.merlausch.de
Punktown Vol.2
Mit den Geschichten:
Spiegelbild von Geistern,
Hassmaschine,
Sweaty Betty
3 CDs á ca. 50 Minuten
Im DigiPak
empfohlen ab 16 Jahren
EAN 4 042564 02358 9