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REZENSION/026: Heinrich von Kleist - Prinz Friedrich von Homburg (SB)


Heinrich von Kleist: "Prinz Friedrich von Homburg"
Die wichtigsten Szenen im Original


Reinhören! Dramen als Hörspiele neu im Amor Verlag



Eine akustische Reise in die Welt der Literatur verspricht der Amor Verlag mit seiner Neuaufnahme von Dramen als Hörspiele. Im Programm sind Werke von Shakespeare, Büchner, Goethe, Kleist, Schiller und Lessing. Das jüngste dieser Stücke, Büchners "Woyzeck", wurde vor mehr als 170 Jahren geschrieben und das älteste, "Romeo und Julia" sogar vor über 400 Jahren. Der Amor Verlag hat diesen alten Stoff modern aufbereitet und möchte auf diesem Wege ein junges und anspruchsvolles Publikum unterhaltsam und verständlich an die Dramen heranführen. "Alles ist überzeugend eingebettet in einen akustischen Raum und macht Lust auf Klassiker", so der selbsterklärte Anspruch des Verlags.

Das klingt vielversprechend, und ob auch wirklich drin ist, was drauf steht, erfährt man beim "Reinhören!" - zum Beispiel in das Schauspiel "Prinz Friedrich von Homburg". Wie gesagt, der Inhalt ist alt und bekannt, jedoch mit Gewißheit nicht jedem aus dem Stregreif geläufig:

Der Verfasser, Heinrich von Kleist (1777-1811), stammt aus einer preußischen Adelsfamilie. Im Alter von 15 Jahren trat er dem Militärdienst bei, den er aber aus innerer Abneigung heraus sieben Jahre später wieder verließ. Es folgte eine Zeit des Studierens, des Reisens und schließlich des Schreibens. Kleists literarisches Schaffen stand außerhalb der damals gängigen Literaturströmungen. Dementsprechend läßt sich auch der "Prinz von Homburg", sein letztes Werk, das er ein Jahr vor seinem Freitod im Alter von 34 Jahren vollendete, nicht kategorisieren: Heute sagt man, das Stück liege zwischen Klassik und Romantik, zwischen Drama und Komödie, und inhaltlich zwischen Traum und Wirklichkeit.

Im Zentrum der Geschichte steht die Mißachtung eines kurfürstlichen Befehls während der Schlacht von Fehrbellin, die auch tatsächlich stattgefunden hat. Auch die mitspielenden Personen hat es wirklich gegeben, jedoch die Handlung ist frei erfunden. Die eigenmächtige Entscheidung des Prinzen von Homburg zum vorzeitigen Angriff gegen die Schweden bestraft der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg ungeachtet des siegreichen Ausgangs des Geschehens mit dem Tod. - Und von diesem Moment an beginnt sozusagen an allen Fronten gleichzeitig ein zähes Ringen, um das Todesurteil gegen den Prinzen abzuwenden, und zwar auf eine für alle Beteiligten verträgliche und würdevolle Weise, bei der am Ende jeder sein Gesicht wahren kann. Diese 'Schlacht' findet ausschließlich mittels Sprache und Handlung statt, und es ist ungeheuer spannend mitzuverfolgen, wer wie wann was zu wem und warum oder warum lieber nicht oder vielleicht doch lieber erst später sagt. Es geht tatsächlich vom dritten bis zum fünften Akt und schließlich elften und letzten Auftritt um einen Kampf auf Leben und Tod. "Doch das Schicksal meint es schließlich gut mit ihm", so faßt der Text des Booklets den Ausgang des Dramas zusammen, aber von Schicksal kann hier wirklich keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Aufhebung des schrecklichen Urteils gegen den Prinzen von Homburg wurde hart erkämpft.

Genau das herauszuarbeiten ist mit dem vorliegenden Hörspiel auf jeden Fall sehr gut gelungen, und daß das Team des Amor-Verlags mit dem Umgang und Einsatz von Sprache und Akustik seine wahre Freude hatte, das hört man ganz einfach; vor allem überträgt sie sich unmittelbar auf den Zuhörer.

Nun erweist es sich bei Kürzungen eines Textes stets als heikel und problematisch: Welche Passagen greift man auf, welche läßt man weg? Das Hörbuch-Motto lautet "Reinhören!" und: "Die wichtigsten Szenen im Original". Und an sich ist die Lösung, Auslassungen mittels Einschüben eines durch das Drama begleitenden Erzählers zu brücken, sehr schön und wurde auch hier gut umgesetzt... und wenn man den Ursprungstext nicht kennt, wird einem sicherlich auch nichts fehlen.

Aber einige holprige Passagen und Erläuterungen seien an dieser Stelle dennoch erwähnt, um den anspruchsvollen Zuhörer nicht darüber in Unkenntnis zu lassen, daß es Abweichungen vom Original gibt, von denen man wissen sollte:

Interpretationsspielräume gibt es und soll es auch geben, aber der Prinz handelt definitiv nicht aus einer Verwirrtheit heraus fehlerhaft, wie dem Hörer in den Erläuterungen erklärt wird, sondern ist im Augenblick des Angriffs auf die Schweden im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Es stimmt schon, daß der Prinz Friedrich während der morgendlichen Einsatzbesprechung im Schloß von Fehrbellin nicht zugehört hat. Eine nächtliche Begebenheit während seines Schlafwandelns im Schloßpark ließ ihm keine Ruhe. Aber während der Schlacht wird er zweimal ausdrücklich an den Befehl erinnert, die Stellung so lange zu halten, bis ihm das Signal zum Angriff erteilt wird. Es entspinnt sich sogar ein handfester Streit, als der Prinz die Fanfare zum Angriff blasen lassen will: Der Erste Offizier will seinem Vorgesetzten, dem Prinzen von Homburg, den Degen abnehmen lassen, woraufhin dieser wiederum ihm, dem Ersten Offizier, das Schwert samt dem Gürtel abreißt und ihn festnehmen läßt. Erneut ergreift er die Initiative:

Und jetzt ist die Parol', ihr Herrn: ein Schurke, wer seinem General zur Schlacht nicht folgt! Wer von euch bleibt?
(2.Akt/2.Auftritt)

Und nach einigem Zögern und Zaudern und Hin und Her erklärt der Prinz klar und deutlich:

Ich nehm's auf meine Kappe. Folgt mir Brüder!
(2.Akt/2.Auftritt) 

Soviel zur mutmaßlichen Verwirrtheit.
Auf eine weitere Unstimmigkeit trifft der Hörer am Ende der Schlacht. Ein Bote überbringt dem Prinzen, der Kurfürstin und ihrer Nichte Natalie die Kunde vom Tod Friedrich Wilhelms, was sich jedoch insofern als Irrtum erweist, als der Stallmeister namens Froben den Schimmel des Kurfürsten geritten hat und er es war, der samt des Pferdes zu Tode kam. Daraufhin gibt die Kurfürstin erleichtert und, ohne das Ableben des treuen Bediensteten angemessen zu bedenken, zum Ausdruck:

O Gott, wie herrlich klärt sich alles auf!
(2.Akt/8.Auftritt) 

"O Gott, wie kaltherzig!" denkt der Hörer. Zu Unrecht. Denn dieser Satz kommt auch wirklich im Originaltext vor, gehört jedoch gar nicht an diese Stelle, sondern wird erst viel später ausgesprochen. Er bezieht sich auf den Waffenstillstand und möglicherweise bevorstehende Friedensverhandlungen mit den Schweden, zu denen der sehr lebendige Kurfürst nach Berlin bereits vorausgereist ist.

Darüber hinaus wird der tote Stallmeister vom Erzähler gewissermaßen schon vor dessen eigener Beisetzung unter die Erde gebracht; die Trauerfeier findet nämlich auch erst später, und zwar sehr feierlich und mit allen militärischen Ehren, in der Berliner Schloßkirche statt.

Störend und vor allem unnötig sind auch die Belehrungen und Festschreibungen in der Einführung und in den abschließenden Erläuterungen zum Schauspiel, die nicht gerade Lust auf Klassiker machen, sondern vielmehr an ungeliebten Schulunterricht erinnern. Schade, denn gerade dieses Drama zeichnet sich dadurch aus, daß es eben keinen Festlegungen unterworfen ist und selbst unter Experten damals wie heute kontrovers diskutiert wird. Davon erfährt der Hörer nichts: Statt dessen wird gleich zu Beginn erklärt, Kleist beschreibe den Prinzen von Homburg als eine beinahe krankhafte Persönlichkeit und setze ihn einer Stigmatisierung durch die Gesellschaft aus. Wie erklärt sich dann aber seine allseitige Beliebtheit? Die Bittschrift an den Kurfürsten zur Freilassung des zum Tode Verurteilten beispielsweise wurde von hundert Edelleuten unterzeichnet. Und die Offiziere zeigen sich sogar dazu bereit, den Gefangenen mit Gewalt aus der Haft zu befreien, sollte der Kurfürst ihrem Anliegen mit "unversöhntem Grimm" (5.Akt/3.Auftritt) begegnen.

Und wer am Ende zu wissen vorgibt, mit welchen Charaktereigenschaften der Prinz von Homburg ausgestattet ist, ob jung und impulsiv, ruhmsüchtig und patriotisch, geleitet von Irrationalität und Emotionalität, todesfürchtig und bedauernswürdig, geständig, geläutert und schließlich und endlich fähig "zu verantwortungsbewußtem Denken entgegen egoistischer Motive", so der Wortlaut aus den Erläuterungen, dem seien Natalies Worte, gerichtet an den Kurfürsten, ans Herz gelegt:

Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen -
Mein Herz begehrt sein und gesteht es dir;
Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen -
Mag er sich welchem Weib er will vermählen;
Ich will nur, daß er da sei, lieber Onkel,
Für sich, selbständig, frei und unabhängig.
(4.Akt/1.Auftritt) 

17. Juli 2013


Heinrich von Kleist
Prinz Friedrich von Homburg
Die wichtigsten Szenen im Original
Sprecherinnen und Sprecher: Isabel Vollmer, Anna-Maria Böhm,
Alexander Weikmann, Jean-Paul Baeck, Tobias Wollschläger u.a.
Erzähler: Luca Zamperoni
1 CD mit ausführlichem Booklet, 63 Minuten
Amor Verlag / Dramen 2012
Herausgegeben von Bert Alexander Petzold, Leipzig
ISBN 978-3-944063-03-4
www.amorverlag.de