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BUCHBESPRECHUNG/104: Eine lesenswerte Biografie über Thomas Müntzer (Sachbuch) (Gerhard Feldbauer)


Eine lesenswerte Biografie über Thomas Müntzer

Den radikalen Ideologen der Reformation, einen Revolutionär, der seiner Zeit weit voraus war

Von Gerhard Feldbauer, 4. Mai 2016


Der Vorsitzende der Thomas Müntzer-Gesellschaft, Hans-Jürgen Goertz, emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Hamburg, hat eine bemerkenswerte Biografie über Thomas Müntzer vorgelegt und damit frühzeitig ein Zeichen zum bevorstehenden 500. Jahrestag der Reformation 2017 gesetzt. Bereits im Vorfeld des Jubiläums "fällt die Aufmerksamkeit besonders auf Martin Luther und sein Werk". Das sei auf den ersten Blick verständlich, aber es gelte, "die Anfänge der Reformation in Deutschland zu feiern und nicht einen einzigen Reformator". Bereits in der Einleitung verweist Goertz auf Müntzer, als den frühen "Gegenspieler Martin Luthers" und auf seine aufrüttelnde Predigt 1524 auf dem Schloss zu Allstedt.

Mit Goertz ergreift ein international renommierter Wissenschaftler das Wort, der an zahlreichen Universitäten, von Oxford und Cambridge über Liverpool, New York, Yale und Havard bis Bern und Zürich, Gastvorlesungen zur Reformation und Geschichtstheorie hielt. Der Autor hat die raren Originalquellen über Müntzer sorgfältig ausgewertet und Leben und Kampf dieses furchtlosen Streiters in die Reformation und Bauernkriege eingeordnet und herausgearbeitet, warum Müntzer schon bald mit Luther in Konflikt geriet. Im Literaturverzeichnis sind ausführlich die vorhandenen Publikationen zu Müntzer und der Forschung über ihn (etwa 400 Titel, aufgeschlüsselt nach Sachgebieten, in denen der Leser auch Publikationen des Autors findet) erfasst. Etwa 450 Anmerkungen verweisen darauf. Hinzu kommen ein Register von annähernd 300 Personen, ein Nachweis der 25 Bilder, eine Karte und eine Zeittafel.

Der Autor versteht es in brillanter Weise, dem Leser den wissenschaftlichen Stoff spannend zu erzählen, ohne dass Langeweile aufkommt. Er vermittelt einen Einblick in den deutschen Bauernkrieg, der mit dem Aufstand unter Hans Böheim, dem Pfeiferhänslein von Niklashausen, begann, und ein entscheidender Bestandteil und Höhepunkt der frühbürgerlichen Revolution war, die bereits plebejische Züge aufwies. Auf der Tagesordnung der Geschichte stand, den wirtschaftlich und politisch überlebten Feudalismus zu überwinden und den Weg frei zu machen für eine bürgerliche Gesellschaft. Als die am meisten Ausgebeuteten und Unterdrückten wurden die Bauern zur entscheidenden Triebkraft dieser Revolution und Thomas Müntzer ihr herausragendster politischer Führer und radikal-revolutionärer Ideologe der Reformation, die sich gegen die Abhängigkeit von Rom, gegen die Vorherrschaft der römisch-katholischen Kirche als Zentrum des Feudalsystems richtete.

Goertz legt den Werdegang des aus einer Handwerkerfamilie kommenden Müntzer dar, der Theologie studierte, zum Magister promovierte und bereits 1513 in Magdeburg eine gegen die fürstliche Macht gerichtete konspirative Handwerkervereinigung bildete, sich in Prag mit den Erfahrungen der Hussiten vertraut machte und als Geistlicher in Weißenfels, Aschersleben und Braunschweig wirkte. In Zwickau traf er als Prediger 1520/21 mit den Bergknappen und der unter ihnen tätigen chilastischen Sekte der Wiedertäufer des Tuchmachers Nikolaus Storch (genannt Pelargus) zusammen. Während Luther mit seiner Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" auf die Seite der Fürsten wechselte, trat Münzer für eine radikale kirchliche und politische Erneuerung ein. 1523 wurde er Pfarrer in Allstedt bei Halle, wo er im selbenJahr die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen heiratete, mit der er einen Sohn hatte. Von Allstedt, das zum "Gegenwittenberg" und Zentrum der reformatorischen Bewegung wurde, sandte er Emissäre nach allen Richtungen aus.

Mit dem "Allstedter Bund", schwebte Müntzer eine die Bauern einigende Organisation vor. Anfang 1525 schuf er in der Reichsstadt Mühlhausen mit dem "Ewigen Rat" das Modell einer politischen und sozialen Umgestaltung, deren Basis ein Bündnis mit den städtischen Schichten werden sollte. Mit der Vereinigung mehrerer Thüringer Haufen wollte er Thüringen zum Zentrum der vereinigten Bauernbewegung machen. Nach einem erfolgreichen Feldzug im Eichsfeld traf Müntzer am 11. Mai in Frankenhausen ein und übernahm die Führung der dort versammelten Haufen.

Hier endete am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen die entscheidende Schlacht des großen deutschen Bauernkrieges (1524-26) mit einer Niederlage. Das von Müntzer geführte Bauernheer, das etwa 8.000 Mann zählte, hatte sich auf einer Anhöhe, die heute noch Schlachtberg heißt, hinter einer Wagenburg verschanzt. Das Heer der vereinten Fürsten zählte über 10.000 erfahrene Kriegsknechte, viele beritten, und eine große Zahl Geschütze. Die Fürsten setzten auf ihre bereits in früheren Gefechten praktizierte Taktik und schlossen einen vierstündigen Waffenstillstand, um dann vor dessen Ablauf wortbrüchig Müntzers Wagenburg zusammen zu schießen und zu überrennen. Ein Teil der Bauern, so berichtete Wilhelm Zimmermann in seinem "Großen Deutschen Bauernkrieg", "wehrte sich wild und tapfer gegen die ansprengenden Reisigen, brachte Wunden und Tod über sie, bis er durch die Überzahl überwältigt wurde." Viele flüchteten nach Frankenhausen, unter ihnen auch der verwundete Münzer, der den nachsetzenden Kriegsknechten in die Hände fiel.

Müntzer, der grässlich gefoltert wurde, lehnte jeden Widerruf ab und klagte die anwesenden Fürsten nochmals unerbittlich an. Zu gegenteiligen Darstellungen vermerkt Goetz, dass ein Widerruf "durch und durch manipuliert worden" sei. Am Ende der Torturen wurde er nach Mühlhausen, wo er den "Ewigen Rat" gebildet hatte, gebracht und dort am 27. Mai enthauptet. "Sein Tod war das Ende des Bauernkrieges in Thüringen, ungefähr zehntausend Aufständische gingen am Ende ins Verderben", fasst Goertz zusammen. Das Buch gibt kund, dass der furchtlose Führer der Bauern und der Volksreformation ein Revolutionär war, der mit seinen kühnen Gedanken seiner Zeit weit voraus war. Wie an anderen Stellen gibt der Verfasser dazu Engels wider: "Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierten Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschauderten".

Goertz verweist darauf, dass Müntzer zum gepflegten historischen Erbe in der DDR gehörte und schreibt, einen Revolutionär wie Müntzer kannte "im östlichen Teil Deutschlands später jedes Schulkind". Nach ihm "wurde die thüringische Stadt benannt, in der er zuletzt gewirkt hatte, Mühlhausen: Thomas-Münzer-Stadt. Arbeiterbrigaden und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Schulen und Strassen trugen seinen Namen." Und der Verfasser stellt gegenüber: "Im westlichen Teil Deutschlands war Münzer kaum bekannt. Kein Denkmal erinnerte an ihn und kein Platz."


Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. Revolutionär am Ende der Zeiten.
Verlag C. H. Beck, München 2015. ISBN 978 340 6681639, 351 Seiten.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2016

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