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BUCHBESPRECHUNG/164: Rolf Bergmeier, Machtkampf - Die Geburt der Staatskirche (Kirchenkritik) (Gerhard Feldbauer)


Rolf Bergmeier
Machtkampf. Die Geburt der Staatskirche

Ein kenntnisreiches Buch über die Geburt der katholischen Staatskirche und ihrer Papstmonarchie

von Gerhard Feldbauer, 10. Dezember 2018


Rolf Bergmeier, ein durch mehrere Bücher ausgewiesener Kenner der Katholischen Kirche, legt unter diesem Titel ein neues fundiert recherchiertes Buch (473 Quellenangaben, einbezogen Immanuel Kant und Friedrich Engels) über die Errichtung der Papstmonarchie und den Machtkampf, der um sie entbrannte, vor. Ihren Grundstein legte der römische Kaiser Theodosius I. mit seinem 380 von ihm und Kaiser Gratian sowie Kaiser Valentinian II. erlassenen Dreikaiseredikt »Cunctos populos« (an alle Völker). Es verbietet "alle heidnischen Religionen und schaltet die vom Katholizismus abweichenden mit Zwangsmaßnahmen aus" (S. 149). Damit wurde "die Mehrheit der Bewohner des Römischen Reiches" der katholischen Religion unterworfen. Denn, so Bergmeier, der "durchschnittliche Anteil der Christen dürfte um 350 bei fünf bis fünfzehn Prozent gelegen haben" (S. 189). Nur die, die dem Gesetz folgen, seien katholische Christen. "Das 4. Jahrhundert bringt dann die endgültige Absage an das Christentum. Der Staat vereinnahmt den Katholizismus und erklärt alle nichtkatholischen Varianten für wahrhaft toll und wahnsinnig." (S. 171)

Während sich die weltlichen Feudalgesellschaften in ihrem Entstehungsstadium und noch längere Zeit danach durch einen auf ihren Produktivkräften und deren Produktionsverhältnissen beruhenden gesellschaftlichen Fortschritt charakterisieren ließen, wurde die feudale Papstmonarchie dagegen von Anfang an von zutiefst reaktionären und volksfeindlichen Gesichtszügen gekennzeichnet. Bergmeier geht auf den Charakter der "Klassengesellschaft" ein und zitiert Bischof Burchard von Worms (995-1025) mit der für die Kirche und weltliche Herrschaft angenehmen Interpretation: "Um der Sünde willen vom Menschen ausgegangen, hat der gerechte Gott das Leben der Menschen unterschiedlich gestaltet, in dem er die einen zu Knechten, die anderen zu Herren bestimmt hat, auf dass durch die Gewalt der Herrschenden den Knechten die Freiheit, übel zu tun, beschränkt wird." (S. 81)

Mit Cunctos populos wird das Bündnis des Staates und der katholischen Kirche geschmiedet, was Bergmeier als "Ouvertüre zu einer Gesellschafts- und Kulturrevolution von explosiver Kraft, die Europa grundlegend verändern und die Welt bis in die fernsten Ecken erschüttern wird", bezeichnet. Der Autor analysiert, wie der Bruch des Katholizismus mit dem ursprünglichen Christentum erfolgt und eine Allianz aus Thron und Altar geschaffen wird, die Mitteleuropa klerikalisiert, enturbanisiert und feudalisiert. Nach ihrer Ausbreitung und der Zahl der Mitglieder wird die römisch-katholische Kirche zur größten christlichen Konfessionskirche, die entscheidend, besonders im Mittelalter, die Entwicklung in Europa beeinflusste. Bergmeier nennt das einen "Religions-Tsunami, der mit kaum zu zügelnder Kraft über Europas Geschichte hinwegrollt und die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung ganzer Kontinente prägt".

Die Herausbildung der Papstmonarchie, des Gegensatzes von Klerus und Laien, gegenüber dem Urchristentum etwas völlig Neues, erfolgte im 2. Jahrhundert unter dem Bischof Ignatius I. in Antiochia, der drittgrößten Stadt des Römischen Reiches. Er forderte, "dass man den Bischof wie den Herrn selbst ansehen muss". Wer "ohne den Bischof etwas tut, dient dem Teufel", verkündete er drohend. Unter ihm begann die übelste Diffamierung aller andersgläubigen Christen als "wilde Tiere", "tolle Hunde", "Bestien in Menschengestalt". Das Werk von Ignatius setzte der 248 von Papst Fabian (236-250) zum Bischof von Karthago geweihte Cyprian mit der Ausarbeitung der Lehre von der "Einheit der katholischen Kirche", der Grundlage des Aufbaus einer einheitlichen autoritären hierarchischen Herrschaft der Kirche, fort. Sie wurde in den folgenden Jahrhunderten mit Methoden durchgesetzt, die bereits das Terrain für die spätere Inquisition bereiteten. Nebenbei bemerkt erklärte Kardinal Josef Ratzinger alias Benedikt XVI. Cyprian ausdrücklich zu seinem Leitbild unter den von ihm erkorenen Kirchenvätern.

Zur Inquisition führt Bergmeier den spanischen Kreuzzug, die Reconquista an, durch die "die hispanische Halbinsel dekultiviert und enthumanisiert" wird. "Die spanischen Inquisitionsakten verzeichnen 49.571 Unschuldige, die im Namen des katholischen Gottes verbrannt, 291.450, die mit schweren Strafen gepeinigt" wurden. "Der Versuch der französischen Katholiken, in der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 alle Protestanten des Landes zu ermorden, ist bis heute eines der furchtbarsten Beispiele für den Versuch, das Anderssein auszulöschen." (S. 174).


Abbildung: François Dubois [Public domain], via Wikimedia Commons

Le massacre de la Saint-Barthélemy - zeitgenössisches Gemälde von François Dubois zur Pariser Bartholomäusnacht von 1572
Abbildung: François Dubois [Public domain], via Wikimedia Commons

Die "Einzigartigkeit des 'folgenschweren Zusammenbruch' und die pathologische Monstrosität der Grausamkeiten können am ehesten an Einzelschicksalen wahrgenommen werden", schreibt Bergmeier und verweist auf Giordano Bruno, der 1600 auf dem Campo di Fiori verbrannt wurde. "Der Mann steht nackt vor der tobenden Mange. Bleich und abgemagert, die Arme durch das Rad zerbrochen, an vielen Stellen das Fleisch bis auf den Knochen herunter geschabt, ein körperliches Wrack - doch ungebrochen." Seinen christlichen Richtern hat er entgegengeschleudert: "Es wird der Tag kommen, an dem der Mensch aus der Vergessenheit erwacht und endlich begreifen wird, wem er die Zügel für sein Dasein überlassen hat, einem falschen und lügenden Geist, der ihn zum Sklaven hat werden lassen." (S. 175). Der Autor hält fest, dass diese Prozesse in der historischen Forschung kaum Beachtung finden.

"Inzwischen hat sich der Katholizismus gewandelt", meint Bergmeier am Ende (S. 177). Hier habe ich zu diesem großartigen Werk eine einschränkende Bemerkung. Dass sich der Katholizismus seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, auf das sich Bergmeier bezieht, gemäßigt hat, wäre zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen. Auch hätte man ein kurzes Eingehen auf den von Johannes XXIII. (1958-1963) mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unternommenen Versuch, eine längst überfällige Öffnung der katholischen Kirche gegenüber der Welt einzuleiten, erwarten können. Hat doch dieser "Papst des Friedens" genannte Pontifex, dem auf der Gedenkmauer von Yad Vashem als "Retter von Juden" gedacht wird, während seiner kurzen Amtszeit die reaktionären Traditionen der Kurie unterbrochen. Seine Nachfolger Paul VI. und nach ihm der polnische Papst Johannes Paul II. wie auch der danach kommende deutsche Benedikt XVI. sorgten dafür, dass die von ihm ins Auge gefassten Reformen, wo sie nicht rückgängig gemacht wurden, stagnierten.

Für die Arbeit mit dem Buch wäre schließlich ein Personenregister hilfreich.

Rolf Bergmeier: Machtkampf. Die Geburt der Staatskirche. Vom Sieg des Katholizismus und den Folgen für Europa. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2018. 205 S. ISBN 978-3-86569-292-4.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2018

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