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BUCHBESPRECHUNG/220: Jürgen Heiducoff - Die neue Militärmacht. Welche Pläne verfolgt Peking? (Gerhard Feldbauer)


Bis 2049 will Chinas Volksbefreiungsarmee "die modernste Armee der Welt" werden

Eine "Hightech-Armee" werde "das Land unangreifbar machen"

von Gerhard Feldbauer, 12. September 2022


China ist auf dem Weg, die USA als führende Wirtschaftsmacht abzulösen und will auf dieser Grundlage auch auf militärischem Gebiet an die Spitze treten. Der frühere Militär der DDR, Absolvent der Akademie der Luftstreitkräfte der UdSSR, Jürgen Heiducoff, legt dazu eine sachliche Analyse der militärischen Entwicklung in der Volksrepublik vor, nach der die Volksbefreiungsarmee auf dem Weg ist, aus einer Massen- und Landarmee zu einer Hightech-Armee zu werden, die den Auftrag hat, "das Land unangreifbar zu machen". Dabei steht China vor der Aufgabe, 22.000 Kilometer Landgrenzen und über 18.000 Kilometer Seegrenzen - das ist zusammen Äquatorlänge - zu sichern.

Der Autor setzt sich mit dem in hiesigen Mainstreammedien verbreiteten propagandistischem Zerrbild auseinander, korrigiert Irrtümer und widerspricht zweckdienlichen Lügen. Zum historischen Rückblick hält er fest, dass China einen hohen Preis im Kampf gegen die japanische Aggression im Zweiten Weltkrieg zahlte: über zwanzig Millionen tote Chinesen, 95 Millionen Flüchtlinge, materielle Schäden, die knapp unter 400 Milliarden Dollar lagen. Im Korea-Krieg (1950-1953) kämpften chinesische Freiwilligenverbände, die die Aggressoren, die die chinesische Grenze bedrohten, bis zum 38. Breitengrad zurückdrängten. Unter den etwa viereinhalb Millionen Menschen, die in diesem Krieg starben, befanden sich fast zweihunderttausend chinesische Soldaten und Offiziere.

Der Autor skizziert den nationalen Befreiungskampf Vietnams gegen die alte französische Kolonialmacht Frankreich (1946-1954) und den Sieg über die US-Agressoren 1975. Ebenso den chinesischen Einfall 1979 in Nordvietnam, der "eine Drohgebärde an die Adresse in Hanoi" gewesen sei, nachdem es das Pol-Pot-Regime in Kambodscha gestürzt hatte, wo Peking eigene Interesssen verfolgte.

Heiducoff führt Parteichef Xi Jinping an, der 2017 die Aufgabe stellte, bis 2035 eine "grundlegende Modernisierung" der Volksarmee durchzuführen, damit China bis 2049 über die führende, also die "modernste Armee der Welt" verfüge. "Davon kann man ableiten, dass China bis 2049 die größte Militärmacht der Welt werden will", kommentierte der Deutschlandfunk am 25. April 2021.

Damit reagierte Peking auf die 2013 von Obama, unter dem Biden Vize war, "Pivot to Asia" genannte geostrategische Verlagerung der globalen Hegemonie der USA in die Asien-Pazifik-Region, in der China zum Hauptfeind erklärt wurde, seinerseits mit einem Strategiewechsel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Dem Umbau der Landesverteidigungsarmee in eine Streitkraft mit einer starken Navy. Derzeit besitzt die China Navy Ship (CNS) zwei Flugzeugträger, ein dritter ist im Bau. Mit rund 85.000 Tonnen Wasserverdrängung weist er viele Neuerungen auf und soll statt Dampfkatapulten Elektro-Katapulte erhalten, eine Schlüsseltechnologie, mit der in Rekordzeit zu den USA aufgeschlossen wurde.

Parallel begann der Ausbau der dem Festland vorgelagerten Inseln zu Stützpunkten, womit die chinesische Verteidigungslinie faktisch vorverlegt wurde. Peking geht, wenn es zu einem Konflikt mit den USA kommen sollte, generell nicht von einer Auseinandersetzung vor der Küste der USA aus. Die Flugzeugträger würden vor China manövrieren, wo sie nicht allein wären, sondern als Teil eines weitgespannten Systems "mit Einrichtungen auf dem Festland und den Insel-Ketten zusammenarbeiten", meint der Autor. Dazu wurden auf den Paracel- und den Spratly-Inseln sowie auf dem Scarborough-Riff Hafenanlagen, Flugzeuglandebahnen und Versorgungsstationen angelegt und ein elektronisches Frühwarnsystem eingerichtet. Der Autor merkt an, dass neben China und Taiwan auch Vietnam, die Philippinen, Malaysia und Brunei Ansprüche erheben und dort, Brunei ausgenommen, eigene Stützpunkte unterhalten.

Die Volksrepublik setzt entschieden auf Hochtechnologie, womit sie sich "auf den drohenden Cyberkrieg vorbereitet". Nachdem Peking von dem EU-Navigationssystem "Galileo" ausgeschlossen wurde, entwickelte es ab 2010 sein eigenes satellitengestütztes Navigationssystem "Beidou" (BDS), das natürlich, wie Heiducoff vermerkt, "auch eine militärische Funktion" hat. "Die Dutzenden geostationären und im Orbit kreisenden Raumflugkörper werden vom Satellitenkontrollzentrum Xi'an gesteuert, und das gehört zur Strategischen Kampfunterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee." Dass China bei der Erforschung des Weltraums außerordentlich aktiv und innovativ ist, zeigte die Landung einer chinesischen Sonde auf der Rückseite des Mondes 2019, die eine wissenschaftlich-technische Sensation war. Noch mehr Aufsehen erregte es, als Anfang 2022 bekannt wurde, dass der chinesische Satellit "Shijian 21" einen alten und ausgedienten chinesischen Navigationssatelliten auf eine mehrere hundert Kilometer höhere Umlaufbahn, in den so genannten Friedhofsorbit, wo er keinem anderen Satelliten in die Quere kommen kann, abgeschleppt hatte. Im Westen rätselte man, wie das technisch überhaupt möglich war, denn der inaktive Satellit besaß weder eine Andockvorrichtung noch Abschlepphaken oder dergleichen. Es wurden Befürchtungen laut, dann könne Peking auch "mit aktiven fremden, eventuell gegnerischen" Satelliten so verfahren.

Auf der Grundlage der führenden Rolle der KP Chinas im gesamten Gesellschaftssystem unterstehen auch die Streitkräfte der Zentralen Militärkommission der Partei. Der Autor bescheinigt, dass das Klima in China von "Sehnsucht nach Harmonie und Frieden" geprägt ist und "die offene Zustimmung zum Staat und zur Kommunistischen Partei" nicht "von oben" verordnet, sondern "der inneren Überzeugung der meisten Menschen" entspricht, dass "gesellschaftliche Disziplin" zum Alltag gehört, aber "von einer Militarisierung der Gesellschaft" keine Spur zu sehen ist.

Nach dem Anschluss der DDR an die BRD trat Heiducoff in den Dienst der Bundeswehr. U. a. gehörte er 2004/05 zum Stab der Multinationalen Brigade (ISAF) in Afghanistan und war danach von 2006 bis 2008 militärpolitischer Berater des BRD-Botschafters in Kabul. Die "ISAF-Schutztruppe", so erkannte er nun, sollte unter UN-Mandat "die Wurzeln des internationalen Terrorismus" ausrotten, habe aber "tatsächlich und überwiegend (...) gebombt, zerstört, gefoltert, gemordet". Diese "Schutztruppe" wurde von der Bevölkerung "mehrheitlich als Besatzer wahrgenommen" und der "Hass der Bevölkerung" gegen sie wuchs. Auch Bundeswehr-Kommandeure hielten ihre Soldaten "zu entschlossenerem und härterem Vorgehen an". Nach der Weigerung, eine Gedenktafel für Ritter von Niedermayer, der im Zweiten Weltkrieg als Generalmajor eine Einheit Kriegsgefangener zum Kampf gegen die Sowjetunion formierte und zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, zu errichten, wurde er gefeuert.

Jürgen Heiducoff
Die neue Militärmacht. Welche Pläne verfolgt Peking?
Das Neue Berlin 2022, 189 S.
18 Euro
ISBN 978-3-360-01379-8

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. September 2022

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