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BUCHBESPRECHUNG/002: Larry Collins - Das Labyrinth (Spionagethriller) (SB)


Larry Collins


Das Labyrinth



Der Titel des Romans bezieht sich auf einen der letzten großen Bereiche der medizinischen Wissenschaft, bei dem noch unumwunden zugegeben wird, daß man sich auf weitgehend unerforschtem Neuland bewegt. Die Neurophysiologie beschäftigt sich nicht nur mit der komplexesten Struktur des menschlichen Bioorganismus und steht daher im Ruf einer Pionierwissenschaft, sie ist aufgrund des gewaltigen Nachschubs an neuen Erkenntnissen und Theorien wie auch der Propagierung virtueller Realitäten und anderer synthetischer Erlebniswelten zu einem Modethema geworden. Die plötzliche Dominanz dieser Disziplin führte sogar dazu, daß einzelne Naturwissenschaftler einer so klassischen Geisteswissenschaft wie der Philosophie jede Relevanz bezüglich von Aussagen zur menschlichen Erkenntnisfähigkeit aberkannten, da die Neurologie als Sachwalterin der biologischen Voraussetzungen wesentlich kompetenter in allen Fragen des Bewußtseins und der Kognition sei.

Kein schlechtgewähltes Hintergrundsthema also für einen Thriller, der im Jahr 1989 im englischen Original erschienen ist und das Schicksal aller Romane des Spionage-Genres in dieser Zeit rapide vonstatten gehender internationaler Umstrukturierungen teilt, innerhalb von kurzem von der tatsächlichen Entwicklung überholt zu sein. Der Plot einer Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA, dieses Standardmuster klassischer Agentenromane, kann natürlich keinen Leser mehr vom Fernsehsessel weglocken, zumal nicht, wenn er das übliche Schwarz-Weiß-Klischee vom menschenverachtenden KGB-Agenten reproduziert, der zwar nicht mehr ganz so willkürlich wie der immer wieder gern heranzitierte Tscheka-Begründer Felix Dschersinski mordet, dafür aber nicht minder grausam mit den subtileren Mitteln der Psychiatrisierung und der als Raubüberfall kaschierten Hinrichtung arbeitet. Sein Gegenspieler beim CIA hingegen kann an der kurzen Leine demokratischer Kontrolle kaum mehr zur Verteidigung der Freiheit beitragen, als Informationen zu sammeln, Analysen zu erstellen und sich ansonsten darüber zu ärgern, daß er einmal in die Finger eines überpeniblen Senatsausschusses geraten ist, weil er die Drinks feiernder GIs zu Testzwecken mit LSD versetzt hat.

Das ist das bedauernswerte Schicksal des sympathischen Leiters der Abteilung für Science & Technology der CIA, der als einziger der verantwortlichen Beamten noch im Amt war, als ein Ausschuß diese Versuche am lebenden Objekt mit einem Mittel, das fälschlicherweise lange in dem Ruf stand, eine sogenannte Wahrheitsdroge zu sein, zum öffentlichen Skandal machte. Der promovierte Neurophysiologe Bennington ließ sich jedoch nicht auf den Vorschlag des CIA-Direktors ein, seinen Abschied mit vollen Rentenansprüchen zu nehmen und sich als Neurologe niederzulassen, sondern bestand darauf, bei der Agency zu bleiben, da es für ihn nichts interessanteres als sein Forschungsgebiet gebe. Mit der Androhug auf die mögliche Ausweitung des Skandals auch auf die eigentlich Verantwortlichen, die damaligen Vorgesetzten und den CIA-Direktor, gelang ihm dies auch, und so konnte er seinen Beitrag zur Rettung Amerikas vor einer tückischen Intrige durch den KGB leisten.

Die technische Durchführung des Plans, die USA zu einer ausfallenden Reaktion auf ein islamisches Land zu provozieren, macht das Buch als Einstiegslektüre zum Thema der ferngesteuerten Beeinflussung der menschlichen Psyche auch heute noch lesenswert. Der russische Anschlag auf die geistige Gesundheit des amerikanischen Präsidenten bedient sich einer ausgetüftelten Technologie, die zumindest an den gegenwärtigen Stand der Neurophysiologie anschließt. Auch wenn derartige Möglichkeiten oder zumindest die Forschung daran von der offiziellen Wissenschaft stets dementiert werden, hält sich ihre Existenz jedoch als hartnäckiges Gerücht im Dunstkreis amerikanischer Verschwörungstheoretiker, die Geheimdiensten wie dem ehemaligen KGB und der CIA mit ihren umfangreichen Mitteln aus den Black Budgets unterstellen, an der Manipulierbarkeit der menschlichen Psyche zu forschen und zu praktikablen Ergebnissen gekommen zu sein. Das reicht von der Möglichkeit der selektiven Steuerung einzelner Personen durch elektronische Beeinflussung und posthypnotische Befehle bis hin zur massenhaften Sozialkontrolle zum Beispiel innerstädtischer Gewaltzonen durch breit angewendete Technologien.

Larry Collins vertritt in seinem Roman die These, daß die amerikanischen Dienste unter einer chronischen Unterschätzung des russischen Potentials leiden und die Forschungen der Russen auf dem Gebiet neurophysiologischer Anwendungen weit fortgeschritten seien, nicht zuletzt wegen der freizügigen Nutzung politischer Gefangener für Menschenversuche, die am Beispiel der verwendeten Technologie, die anfänglich Operationen am Gehirn notwendig macht, ausführlich dargestellt werden. Ein weiterer Aspekt der Forschung am menschlichen Geist, den Larry Collins in seinem Buch behandelt, ist die Nutzung außersinnlicher Wahrnehmungen für militärische Zwecke wie das Orten feindlicher Unterseeboote. Diese auch insbesondere in der Sowjetunion intensiv betriebene Forschung wird jedoch nur peripher behandelt, da sie noch spekulativer als die ohnehin schon gewagten Thesen über die technische Manipulierbarkeit des menschlichen Gehirns sind.

Ohnehin kann man die in einem Thriller vertretenen Behauptungen nur sehr begrenzt ernst nehmen, auch wenn sich der Autor auf tatsächliche Entwicklungen in der Neurophysiologie bezieht und selber einen Hintergrund zumindest als Hobbyforscher auf dem Gebiet der elektronischen Manipulation des Geistes hat. Zur Beeinflußbarkeit des Gehirns durch die Implantation von Elektroden führt er zum Beispiel den berühmte Versuch des amerikanischen Neurologen José Delgado an, der einen angreifenden Stier von einer Sekunde zur anderen stoppte, indem er einen elektrischen Impuls in dessen Gehirn ferngesteuert aktivierte. Des weiteren bezieht er sich auf die Arbeiten anderer Wissenschaftler, die durch die Stimulierung bestimmter Gehirnareale emotionale und körperliche Reaktionen hervorgerufen oder die Versuche mit Mikrowellen angestellt haben, wobei es zu einer Veränderung der emotionalen Lage der Versuchspersonen gekommen sein soll.

Bei der technischen Umsetzung des Anschlags auf den amerikanischen Präsidenten bezieht sich Larry Collins auf das diagnostische Verfahren der Magnetfeldresonanz, mit dem Gehirnfunktionen durch das dreidimensionale Aufzeichnen der magnetischen Aktivitäten im Gehirn genau lokalisiert werden sollen. Das dabei erstellte Magneto-Enzephalogramm soll ein genaues und nur zu dieser Person passendes Gehirnwellenmuster im Moment einer bestimmten Emotion wie etwa Wut abbilden können, was seinerseits wieder dazu genutzt werden könne, diese Emotion durch ein von außen induziertes Signal in Form eines niederfrequenten elektromagnetischen Impulses willkürlich auszulösen.

Damit dürfte der Autor das Potential der heutigen Gehirnforschung eindeutig überschritten haben, insbesondere was die Isolation und Präzision einer ermittelten Frequenz, ihr Zusammenhang zu einer bestimmten Emotion oder Reaktion und die Reproduzierbarkeit dieser Frequenz betrifft. Die Annahme, an einer bestimmten Stelle im Gehirn eine ferngesteuerte Ausschüttung von Hormonen ohne spezifisch implantierten Empfänger bewerkstelligen zu können, die dann etwa zu einem Wutausbruch führt, läßt die Komplexität der damit verbundenen körperlichen Disposition und Reizvoraussetzung ebenso außer acht wie die je nach Anlaß kaum abzugrenzenden Reaktionsketten eines Menschens, die sicherlich mehr mit den aktuellen Bedingungen des Umfelds verknüpft und dementsprechend variabel sind, als es psychologische Ordnungsvorstellungen erahnen lassen.

Sicherlich kann eine massive physikalische Beeinflussung des Nervensystems zu einer Vielzahl von Reaktionen führen, die Annahme einer individuellen und wiederholbaren Signatur bei bestimmten Emotionen etwa im Sinne anderer biologischer Identifikationsmuster wie Stimmproben, Daumenabdrücken oder DNS- Sequenzen setzt jedoch einen Zugriff auf die unvergleichlich komplexe Struktur des Gehirns voraus, wie er mit den groben Mitteln elektromagnetischer Ableitungen kaum zu leisten ist, zumal diese den unterstellten Chemismus der Reizübertragung ganz außer acht lassen.

Interessanter an der Lektüre als die konkrete wissenschaftliche Umsetzung, die für eine umfassende Bewertung im Kontext des neurophysiologischen Entwicklungsstands einfach zu dünn dokumentiert ist, ist die grundlegende Plausibilität einer Forschung an der massiven Manipulierbarkeit des menschlichen Geistes, die so sehr auf der Hand liegt, wie sie vehement dementiert wird. Während der so häufig in den Himmel gehobenen Hypnose auch in diesem Werk relative Unwirksamkeit attestiert wird, da sie zumindest die erhebliche Bereitschaft eines Patienten voraussetzt, und auch die Tage des seit der Zeit des Koreakriegs immer wieder gern herangezogenen, aber jedes Nachweises einer veritablen wissenschaftlichen Existenzberechtigung schuldig gebliebenen Brainwashings gezählt zu sein scheinen, fängt die Diskussion um technisch höherentwickeltere und konkrete physikalische Methoden der Manipulation des Gehirns gerade erst an. Während es in den USA schon eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu diesem Thema gibt, ist es in der BRD zu diesem heiklen Gegenstand noch recht still geblieben.

Beim kompromißlosen Versuch, Kontrolle über andere Menschen auszuüben, den Larry Collins vor allem als Ergebnis einer totalitären Ideologie hinstellt, dürfte es sich vielmehr um ein so grundlegendes Anliegen menschlicher Gegenseitigkeit handeln, daß die Ausblendung der wissenschaftlichen Forschungen in diese Richtung eigentlich erst Recht den Verdacht auslösen müssen, daß bereits eine technologische Umsetzung erfolgt. Und dabei geht es wohl weniger um die schillernde Welt der Agententätigkeit und der politischen Intrigen, die sich natürlich als spannender Lesestoff anbieten, als vielmehr um Sozialkontrolle im weitesten Sinne.

Nicht umsonst ist bereits mit Hormongaben, stereotaktischen Eingriffen und Mikroimplantaten an Gewaltverbrechern experimentiert worden, und Überlegungen zur Abtrennung sozial randständiger Bevölkerungsgruppen in eigens dafür vorgesehenen Gebieten und einer Verbesserung der elektronischen Überwachung verurteilter Krimineller, für die es statt eines nicht vorhandenen Platzes in einer Strafvollzugsanstalt ein plombiertes Armband mit einem Sender gibt, stellen kein Tabuthema amerikanischer Politiker mehr dar.

Vor diesem Hintergrund erstrahlt die Aura der ausschließlich dem Wohl der Menschheit dienenden Neurowissenschaften, denen der Ruf nach einer Begrenzung der Forschung, wie sie die Gentechnologie, die Reproduktions- und Tranpslantationsmedizin getroffen haben, bisher weitestgehend erspart geblieben sind, in einem etwas zwielichtigerem Schein. Insbesondere der Einsatz komplexer Mikroprozessoren im menschlichen Körper, die Schaltvorgänge zum Beispiel bei Querschnittsgelähmten oder Hörbehinderten übernehmen sollen, hat zu beunruhigten Kommentaren geführt. Wir sind sicherlich noch weit vom halbmechanischen Menschen der Science Fiction entfernt, aber der Vorrang des technisch Machbaren vor moralischen und ethischen Prinzipien, die ohnehin keine andere Funktion haben, als den vermeintlichen Fortschritt zu legitimieren und zu befördern, hat sich immer wieder bewiesen.

Das Buch von Larry Collins stellt also einen kleinen, fiktiven Ausschnitt einer durchaus denkbaren Entwicklung dar, die ihre Hintergründe in den viel weiter greifenden Thesen amerikanischer Verschwörungstheoretiker haben. Und man muß nicht erst das abgenutzte Beispiel von George Orwells '1984' oder Aldous Huxleys 'Schöne neue Welt' zu bemühen, um die relative Harmlosigkeit literarischer Utopien angesichts tatsächlicher Entwicklungen zu illustrieren. Die Plausibilität von Theorien, die die fassungslos bestaunte Grausamkeit des Menschen gegenüber dem Menschen in einen rationaleren Zusammenhang stellen, ist zumindest ebenso groß wie die der religiösen Glaubensbekenntnisse an das Gute im Menschen, die gemeinhin in einem Arrangement mit den Widersprüchen münden.

Auch in einem anderen Teil des Plots hat der Autor einen bisher wenig bekannten Umstand angesprochen, der gerade in jüngster Zeit zum Anlaß großmächtiger Gewaltanwendung geworden ist. Sein Szenario geht von einer verstärkten Guerillatätigkeit islamischer Fundamentalisten in den Kaukasusrepubliken aus, die von einem durch den KGB provozierten Vergeltungsschlag der USA auf die iranische Stadt Ghom in eine andere Richtung gelenkt werden soll. Der Gegenspieler des zum harmlosen Familienvater degradierten CIA-Direktors, den es eher aufgrund innerparteilicher Dynamik als persönlicher Qualifikation auf den Chefsessel des Geheimdienstes verschlagen hat, der natürlich mit allen Wassern heimtückischer Winkelzüge gewaschene KGB-Chef, hat diesen Plan zur Entlastung der russischen Herrschaft über die Kaukasusrepubliken entworfen und argumentiert damit, daß sie damit wie zur Zeit der Suez-Krise, als Chruschtschow den Engländern und Franzosen mit Raketen drohte, zu Verbündeten der islamsichen Welt würden .

Im Mittelpunkt des islamischen Widerstands gegen die russischen Kolonisatoren sollen laut Larry Collins Orden und Bruderschaften der Sufis stehen, die sich durch eine äußerst konspirative Organisationsstruktur auszeichnen. Neue Mitglieder werden nur vom Orden erwählt, und die Verbindung läuft über die traditionelle Meister-Schüler-Beziehung, die ein persönlicheres Verhältnis und eine größere Loyalität der Mitglieder bedingt. Die Dominanz derartiger Bruderschaften in der Politik Tschetscheniens wurde unlängst auch in einem Bericht der BBC von Einheimischen bestätigt, die auch den häufig unterschlagenen Aspekt der jahrhundertelangen Unterdrückungspolitik der russischen Eroberer wie auch den genauso lange praktizierten Widerstand der Sufi- Bruderschaften betonten.

Die repressive Politik Rußlands seinem von Turkvölkern bewohnten Südgürtel gegenüber wird in Larry Collins Roman auch durch die Struktur des KGB in diesen Republiken deutlich, die nicht einmal einfache Hausangestellte zulassen, die zu den einheimischen Moslems gehören. Die Ermordung und Verschleppung hunderttausender Mitglieder dieser Völker zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hatte ja unter anderem zur Folge, daß viele Männer zur deutschen Armee überliefen, um gegen Stalin zu kämpfen. Dementsprechend soll es in der russischen Armee auch fast keine höheren Offiziere geben, die sich zum Islam bekennen, und die einfachen Soldaten aus den Kaukasusrepubliken sollen durchweg bei schlecht ausgerüsteten Einheiten dienen.

Man kann also auch einem durchschnittlich spannenden Agentenroman aus der Perestroika-Zeit, in der die deutlichen Fronten des Kalten Kriegs allmählich den unterschwelligeren Kämpfen sogenannter Hardliner in den Nachrichtendiensten weichen, die angeblich kein Interesse am Weltfrieden haben und alles tun, um die Entspannungsbemühungen der politischen Vertreter ihres Landes zu torpedieren, einige interessante Tendenzen entnehmen und hat gleichzeitig Anschauungsmaterial zum Wandel in der Weltpolitik. Diese von einem Standpunkt vermeintlicher nationaler Interessen schwer zu beurteilenden Veränderungen haben die Zeiten für Autoren von Spionageromanen nicht unbedingt leichter gemacht, und so greifen sie immer mehr auf sogenannte fundamentalistische Extremisten zurück, die im religiösen Wahn gegen westliche Dekadenz anstürmen, um ein äußeres Feindbild aufrechtzuerhalten und das Genre damit zu retten.

Die zunehmende Simplifizierung der Feindbilder hat auch vor Larry Collins nicht haltgemacht, dessen schiitische Terroristen ganz dem Bild des schmutzigen, unzuverlässig arbeitenden Moslems entsprechen, wie es den Amerikanern spätestens seit der Geiselkrise in Teheran stets drohend vor Augen steht. Überzeugungen und ehrenwerte Motive zählen nichts im entweder korrupten oder fanatisierten Lager des Islams, lediglich Amerikaner haben wirkliche Werte zu verteidigen. Da kann es auch nicht wundern, wenn es dem Autor ferne liegt, daß die Nachrichtendienste seines eigenen Lands möglicherweise von nicht minder profanen Motiven getrieben ihre menschenverachtende Arbeit verrichten und der mühsam aufgebaute Gegensatz zum ehemaligen KGB nur die Interessensverwandtschaft dieser Dienste kaschiert.


Larry Collins
Das Labyrinth
(C. Bertelsmann Verlag München)