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BUCHBESPRECHUNG/016: Clifford Irving - Der Zeuge (Justizthriller) (SB)


Der Zeuge


von Clifford Irving



Wie überlebt man als ein Anwalt, dessen soziales Gewissen noch nicht ganz vom Mammon und den anderen gesellschaftlichen Freuden seines Standes verschütt gegangen ist, in einem rassistischen und stets die kleinen Leute benachteiligenden Strafvollzugsystem? Mit dieser Frage könnte das 1993 erschienene Werk von Clifford Irving eingeleitet werden, dessen Originaltitel "Final Argument" deutlicher auf das zentrale Thema des Buches abzielt - die Todesstrafe als grausame, nicht mehr rückgängig zu machende und damit jede Revision des Urteils ausschließende Form der Bestrafung.

Der besonders in Italien Schlagzeilen machende Fall des 55jährigen Joseph O'Dell hat dieser Tage einmal mehr gezeigt, daß man in den USA auch bei begründeten Zweifeln an der Schuld des Verurteilten eher dem Vollzug den Zuschlag gibt, als daß man sich auf weitere, das ganze System in Frage stellende Ermittlungen einläßt. Hier halfen nicht einmal die Bitten des Papstes, Mutter Teresas und des italienischen Parlaments um eine Überprüfung der Beweislage zwecks Neueröffnung des Prozesses, bei der ein DNA-Test die Unschuld O'Dells hätte erweisen können, der Gouverneur des US-Bundesstaates Virginia ließ sich nicht erweichen und griff unerbittlich zur Giftspritze, um dem Recht zu seiner tödlichen Ernte zu verhelfen.

Mit der Figur des jüdischen Anwalts Ted Jaffe greift Clifford Irving zum Prototyp des wohlhabenden jüdischen Rechtsanwalts, der in der von gutsituierten Weißen bewohnten Kleinstadt Sarasota in Westflorida das angenehme Leben eines mit schöner Frau und zwei Kindern gesegneten Erfolgsmenschen führt. Trotz Wirtschaftsrezession zu Beginn der neunziger Jahre, als der Boom der Reaganomics endgültig vorbei war, kann sich Ted Jaffe glücklich schätzen, sein garantiertes Grundgehalt von 200.000 Dollar jährlich sicher in die Tasche zu stecken und seine zuvor angesammelten Gewinne gewinnträchtig deponiert zu wissen.

Bei aller Dominanz materieller Pfründe geht es dem Romanhelden, der das sonnige Florida und seine krassen Schattenseiten aus der Ich-Perspektive wiedergibt, nicht nur ums Geld, wie der Leser erfährt, als der eigentlich auf Firmenvertretungen spezialisierte Anwalt von einem wegen Kokainbesitzes verhafteten Weißen angerufen wird, der Jaffe aus dessen Zeit als Staatsanwalt kennt und ihn bittet, seinen Fall zu übernehmen:

Über dem Bücherregal mit den juristischen Wälzern hing eine gerahmte Zeichnung, die ich aus einem juristischen Magazin ausgeschnitten hatte. Sie zeigte einen Hai, der im Begriff war, einen Barsch zu verschlingen; der Barsch seinerseits schickte sich an, eine Elritze zu schlucken, und diese wiederum wollte gerade einen Wurm fressen. Der Hai sagte: 'Es gibt jede Menge Gerechtigkeit'. Der Barsch sagte: 'Es gibt ein bißchen Gerechtigkeit'. Die Elritze klagte: 'Es gibt keine Gerechtigkeit', und der Wurm schrie: 'Hilfe!' Mein Mitgefühl mit den Getretenen der Menschheit flackerte auf. Also sagte ich zu dem Wurm, der sich Elroy Lee nannte: 'Ich sag Ihnen, was ich machen werde. Erinnern Sie sich noch, was wir oben in Duval County zu sagen pflegten?.' 'Was denn, Sir?' ''Wenn du bis zum Hals in Scheiße steckst, Partner, dann mach den Mund nicht auf'. Sie halten Ihren noch zwanzig Minuten lang, und ich komme vorbei und schaue, ob ich Sie vom Haken lösen kann.

Mit der Übernahme des Falle entspinnt sich eine Geschichte, die den saturierten Mittvierziger, der bereits glaubte, mit allem Unbill des Lebens abgeschlossen zu haben, zurück in seine Zeit als Anklagevertreter des Staates Florida in Jacksonville im Norden das Landes führt, wo das Leben weit weniger süß als an der Küste des Golfs von Mexiko war und sein Gehalt auch nur ein Drittel dessen betrug, was er nun als Anwalt prosperierender Immobilienfirmen verdient. Der kleine Gangster Elroy konfrontiert den Anwalt, der von sich behauptet, zumindest im Rahmen seiner Profession niemals etwas getan zu haben, für das er sich schämen müsse, mit einem Mordprozeß, der am Ende von Jaffes Laufbahn als Stellvertretender Oberstaatsanwalt stand, da er anschließend seine Karriere in den besseren Kreisen Sarasotas antrat.

Dabei stellt sich heraus, daß Elroy als Belastungszeuge gelogen hatte, wofür nun ein Unschuldiger mit seinem Leben büßen soll. Von hier aus rollt Ich-Erzähler Jaffe die Geschichte des Mordes und seiner persönlichen Verstrickung - er hatte zu dieser Zeit gerade ein Verhältnis mit der Frau des Mordopfers beendet - in aller Breite aus, wobei der Wechsel zwischen Vergangenheitsperspektive und aktuellem Geschehen der Spannung niemals Abbruch tut, da mit ihm stets Handlungsfäden aufgegriffen werden, die bereits darauf harren, weitergesponnen zu werden.

Natürlich handelt es sich bei dem fälschlich Verurteilten um einen jungen Schwarzen, der den Tatort zwar in räuberischer Absicht betreten hatte, jedoch zur falschen Zeit am falschen Ort zum falschen Mörder wurde. So wie Ted Jaffe die Klischeevorstellung des jüdischen Anwalts erfüllt, so verkörpert Darryl Morgan den Prototyp des jungen Afroamerikaners, der nie eine Chance hatte und sich schon in jungen Jahren wegen kleiner Delikte mehr im Gefängnis als außerhalb befand. Dieser für das Verhältnis beider ethnischer Minoritäten zueinander so bezeichnende Antagonismus belastet Ted Jaffe zwar weniger deswegen, daß das Füllhorn des amerikanischen Traums ihn weit reichhaltiger bedacht hat als den Nachfahren der Sklaven, er sieht jedoch durchaus den Zusammenhang zwischen Armut, Rassismus und Repression, von der jungen Schwarzen in dem Maße reichlich eingeschenkt wird, wie man ihnen die Chance zum sozialen Aufstieg vorenthält.

Als sich herausstellt, daß Darryl Morgan noch immer auf Death Row in der Todeszelle sitzt, jedoch nach Erschöpfung seiner Berufungsmöglichkeiten nun endgültig hingerichtet werden soll, setzt der Anwalt alle Hebel in Bewegung, das von ihm einst geforderte Fehlurteil zu revidieren. Dabei treibt ihn jedoch vor allem das persönlichen Versagen und weniger die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Todesstrafe vor dem Hintergrund einer rassistischen Justiz an. Als ehemaliger Staatsanwalt kehrt er den Pragmatiker heraus, wie er in einem Gespräch mit dem früheren Verteidiger Morgans, einem Schwarzen aus Georgia, zu erkennen gibt, als dieser ihn fragt:

'Warum seid ihr Leute aus Florida so scharf darauf, Schwarze zu töten?' Ich erklärte ihm, wie die Leute überall im Land es satt hatten, daß die Gefängnisse Männer freiließen, ehe sie ihre volle Strafe abgesessen hatten. Diese Männer kehrten in die Gemeinschaft zurück und begannen mit ihren Verbrechen wieder von vorn. Und die meisten dieser Männer waren schwarz. Hier unten in Florida flohen weiße Pensionisten nicht nur vor dem kalten Wind, sondern auch vor der ganzen Palette drogenaufgeputschter, primitiver, afroamerikanischer Männer, die in ihre ureigenen Stadtviertel eindrangen. Sie wollten Sicherheit in der Sonne. Den Abschaum loswerden ... vor allem den schwarzen Abschaum. Ihn ausmerzen.

Diese zugespitzte Position kennzeichnet Irving nicht als Jaffees persönliche Glaubensauffassung, er kontrastiert sie allerdings auch nur in geringem Maße mit den sozialen Hintergründen der amerikanischen Gesellschaft, was den Anwalt letztlich in einen kaum zu lösenden, da seiner Profession geschuldeten Widerspruch geführt hätte. Der Autor läßt den Anwalt zwar über eine Reihe von Erlebnissen mit seinem Klienten langsam eine immer extremere Position beziehen, die letztlich auch seine berufliche Karriere gefährdet und ihn selbst mit dem Gesetz in Konflikt kommen läßt, allerdings reicht seine Betroffenheit nie über den eigentlichen Fall hinaus, so daß er grundlegende Kritik am amerikanischen Justizwesen übte oder das Versprechen auf Gerechtigkeit in Frage stellte.

Statt dessen resultiert sein Engagement in einem Arrangement, das sich mit jüdischer Ethik verbrämt dem Harmoniebedürfnis des amerikanischen Publikums andient, so daß der Roman mit einem Besuch in der Synagoge und einem Zitat aus dem Gebetbuch enden kann: "Dort werden wir mit Ehrfurcht dienen wie in alten Tagen." Damit schließt Irving den Kreis zu dem programmatischen Zitat, das er dem ersten Kapitel des Romans voranstellt und das als Auszug aus dem Talmud das Rechtverständnis des Verfassers wiederspiegeln soll:

Daher wurde ein einzelner Mensch, Adam, zuerst erschaffen, um euch zu lehren, daß jemand, der die Seele eines einzelnen Menschenkindes zerstört, von der Schrift angesehen wird, als habe er ein ganzes Universum zerstört - und wer immer die Seele eines einzigen Menschenkindes rettet, wird von der Schrift angesehen, als habe er ein ganzes Universum gerettet. Mischna, Sanhedrin 4:5

Dieses Verdienst kann sich schließlich auch Romanheld Jaffe gutschreiben, womit auch alle vorher zum Teil in dramatischer Dichte aufgeführten Widersprüche des jahrelangen Wegsperrens vom Tode bedrohter Häftlinge und des grausamen Vollzugs der Strafe wieder beigelegt wären. Die mit dem Talmud-Zitat eingeleitete Konzentration auf einen bestimmten Fall macht die darüber hinausgehende Kritik obsolet und verhindert, daß sich der Romanheld in eine so konfrontative Position begibt, daß diese auch eine Rehabilitation seines im Laufe des Engagements für Darryl Morgan schwer angeschlagenen Rufs als Anwalt unmöglich machte.

Die Probleme des lebensfrohen und eher locker denn verbissen räsonierenden Anwalts verdichten sich durch die Drogenprobleme des Sohns zusätzlich und bieten daher eine Fülle von Situationen, die praktische Seite der zwar unaufdringlich, aber kontinuierlich dargebrachten Moral zu überprüfen. So bietet die Geschichte Ted Jaffes neben einem spannenden Plot um die Aufklärung des Justizirrtums und das Anrennen gegen die Regeln und Fristen des anberaumten Vollzugs der Todesstrafe eine gute Dosis vermeintlicher Lebenshilfe, die den Nutzen einer integren Basis ethisch-moralischer Werte betont. Diese können jedoch nur im Rahmen der vorangestellten Ordnung Bestand haben und resultieren daher in der anempfohlenen Anpassung an diese, selbst wenn das Harmoniestreben manchmal durch höchst unerfreuliche Grausamkeiten gestört wird.

Höhepunkt des Romans ist zweifellos eine solche, gerade weil die beschriebene Hinrichtung in minutiöser Perfektion abgewickelt wird und damit signifikant ist für die dem Strafvollzug eigene Ästhetik. Auch wenn die klare Orientierung am System aus Strafe und Disziplinierung zu den Dingen gehört, die Autor Clifford Irving ebenso wie seiner erfolgreicherer, in jeder Beziehung konformer Kollege John Grisham zu schätzen wissen, scheint er von der praktischen Vollstreckung der Gerechtigkeit weniger begeistert zu sein. Hier gerät das betont formale und perfekt organisierte Prozedere aufgrund eines kleinen Fehlers zum Fiasko, an dem die prinzipielle Grausamkeit der Todesstrafe auf krasse Weise deutlich wird. Jaffe begleitet eine Staatsanwältin namens Muriel Suarez als Zeuge zur Hinrichtung eines jungen, bereits in seinen neuen Begräbnisanzug gekleideten Schwarzen, dessen letzte Worte zeigen, daß der Griff der Rechts bis an die Schwelle des Todes reicht:

Die Männer halfen Sweeting auf den Stuhl. Seine bestrumpften Füße hingen in der Luft. Sie schnallten die verschiedenen Lederriemen um seine Taille und seine Arme und Beine. Wir hörten, wie Olsen ihn fragte: 'Möchten Sie jetzt noch ein paar Worte sagen?' 'Ja, bitte', sagte Sweeting und wandte sich den Besuchern zu. 'Sprechen Sie bitte laut, damit sie Sie hören können', riet ihm Olsen. Sweeting nickte. 'Lebt alle wohl. Leb wohl, Mama.' 'Leb wohl, mein Sohn', rief Mrs. Sweeting. 'Grüß Jesus von mir. Sag ihm, er soll gut auf dich aufpassen.' 'Gnädiger Gott', murmelte Muriel. 'Ist das alles?' fragte Olsen. 'Tja, es tut mir leid, was passiert ist', sagte Sweeting. 'Aber das wißt ihr vermutlich alle. Ich habe keine bitteren Gefühle, ich möchte für das danken, was sie für mich getan haben. So ... ich bin jetzt bereit für meine Reise.' Muriel stöhnte. Ich nahm auch ihre andere Hand. Der Gefängnisdirektor verlas den Hinrichtungsbefehl ein letztes Mal. Das entfernte Geräusch, das rhythmische Schlagen der Plastiklöffel gegen die Gitterstäbe, ging unablässig weiter. Einer der Vollzugsbeamten bog Sweetings Kopf nach hinten und befestigte einen Kinnriemen um seinen Kiefer. Der andere Vollzugsbeamte zog eine schwarze Gummikapuze über Sweetings Gesicht. Der neue Schwamm wurde auf dem Oberkopf in die Kapuze geschoben. Elektroden führten von der Kapuze zur Kontrollbox an der Wand. Der erste Mann zog Sweetings rechtes Hosenbein auseinander; es war fast bis zur Höhe des Knies aufgeschlitzt worden. Er befestigte eine weitere Gruppe von Elektroden an Sweetings rasierter, milchweißer Wade. Er gab dem Vollstrecker in der Kapuzenrobe ein Zeichen. Daumen hoch. Der Vollstrecker drückte auf den Knopf der Kontrollbox. Der automatische Zyklus begann. Das Licht wurde gedämpft. Sweetings Körper zuckte, und er ächzte leise wie im Schlaf. Blaue und gelbe Flammen schossen aus seinem Kopf und strahlten wie eine Korona bei totaler Sonnenfinsternis nach außen. Sweeting kreischte wie ein Schwein, das abgestochen wird. Die Flammen knisterten. Sein Fleisch zischte hörbar. Wir konnten es nicht riechen, aber wir hörten es. Im Zeugenraum sprang Clive Crocker, Fred Olsens Kollege, auf die Füße. In der Todeskammer zerrten zwei Elektriker an den Ärmeln des Gefängnisdirektors. Sweeting schrie noch immer. Noch immer schlugen Flammen aus seinem Kopf nach oben. Seine Zehen streckten sich und tappten wütend auf dem Betonboden. Die Haut seines Beins, für alle sichtbar, begann zu glühen und wurde schwarz. Im Zeugenraum begann Mrs. Sweeting laut zu heulen. Der Vollstrecker ließ den Schalter los. 'Wir scheinen ein Problem zu haben', sagte Crocker im Zeugenraum leise zu den Anwesenden. 'Aber ich bin sicher, daß man es beseitigen wird.' Drüben machten sich die Elektriker eifrig an den Riemen und Elektroden zu schaffen. Nach etwa einer Minute schienen sie zufrieden. Sie gaben dem Vollstrecker ein Zeichen. Daumen hoch, zum zweiten Mal. Der Vollstrecker sah das Signal nicht. Einer der Elektriker ging zu ihm und flüsterte etwas in das Ohr hinter seiner Kapuze. Der Vollstrecker nickte und bestätigte den Schalter erneut. Flammen schossen wieder aus Sweetings rasiertem Schädel durch die Gummikapuze. Ein Video, das der Assistenzarzt aufgenommen hatte, zeigte später, daß diese Flammen zwischen sieben und dreißig Zentimeter lang gewesen waren. Meist waren sie blau, gelegentlich aber auch von gelben Streifen durchzogen. Sweetings schweineähnliches Kreischen ging in das Bellen eines verwundeten Hundes über. Sein schmächtiger Körper bäumte sich gegen die Riemen auf; für Augenblicke schien er auf der Stelle zu tanzen. Eine dunkelbraune Flüssigkeit strömte unter der Gummikapuze hervor und über die Vorderseite seines weißen Hemdes. Flüssigkeit, aber auch blutig braunweiße Reste von Popcorn und Steak landeten auf seinem Schoß. Während der ganzen Zeit schlugen die anderen Männer in den Todeszellen mit ihren Löffeln gegen die Gitterstäbe. Mrs. Sweeting vergrub den Kopf in den Armen und wimmerte Gebete zu Jesus. Wieder riefen die Elektriker dem Vollstrecker etwas zu, und wieder nahm der Vollstrecker den Finger vom Knopf. Sweeting brüllte: 'Meine Augen brennen! ... Ich kann nicht atmen! ... ' 'Hört auf!' schrie Muriel. Sie sprang auf die Füße. 'Um Gottes willen, hört auf!' Clive Crocker eilte zu ihr. 'Miss Suarez, bitte, stören sie nicht. Beherrschen Sie sich!'

Nach dem dritten Versuch schließlich stirbt der Delinquent, und dem Recht wurde Genüge getan, wie es bei diesem Anlaß immer heißt. Die Szene ragt aus dem zwar dramatischen, aber doch den Leser niemals überfordernden Szenario des Romans erratisch heraus und bleibt in eigenartiger Weise unverknüpft. Als die Staatsanwältin Suarez dem Verteidiger Jaffe später als Anklagevertreterin gegenübersteht, vertritt sie genauso ungerührt wie vor diesem Erlebnis das Anliegen des Staates Florida, Darryl Morgan auf der Großen Hölzernen Mutter, wie die Todeskandidaten den elektrischen Stuhl nennen, sterben zu sehen.

Auch wenn es sich bei der geschilderten Hinrichtung um einen Sonderfall handeln mag, so erfüllt dieser dramaturgische Kniff doch seine Funktion, dem Leser das Grauen einer Exekution, daß durch die professionelle Abwicklung nur noch gesteigert wird, auf eindrucksvolle Weise nahezubringen. Zudem weist der Autor darauf hin, daß es sich bei der Schilderung der Exekution um eine Wiedergabe dessen handelt, was am 4. Mai 1990 mit Jesse Tafero bei dessen Hinrichtung passiert ist. Ursache für das Fiasko war laut Irving, daß man den alten Naturschwamm durch einen neuen Synthetikschwamm ersetzte, der Feuer fing.

Eine mehr als gruslige Koinzidenz dürfte wohl die Bestätigung eines Urteils des Richters A.C. Soud darstellen, das er unlängst in Jacksonville vor der Presse bekräftigte. Im gleichen Staatsgefängnis, in dem die literarisch verarbeitete Exekution Taferos stattfand, war der Kopf des im März diesen Jahres hingerichteten Pedro Medina in Flammen ausgebrochen, wobei ein zu trockener Schwamm die Ursache gewesen sein soll. Richter Soud hatte in einem anschließenden Verfahren, bei dem Menschenrechtler gegen die grausame Hinrichtung geklagt hatten, im Gegensatz zu den Sachverständigen vertreten, daß der Hingerichtete dabei keinen Schmerz erlitten habe, da er sofort bewußtlos gewesen sei.

Nun soll das Parlament des Staates Florida erörtern, ob der 74 Jahre alte elektrische Stuhl, der seinen an eine blutrünstige archaische Göttin gemahnenden Ruf als Große Hölzerne Mutter durch die Vielzahl der in ihm verkochten Menschen wohl nicht umsonst genießt, zukünftig durch Giftspritzen ersetzt wird. Dieser Lösungsvorschlag, den man zynischerweise als Ergebnis des Engagements für die humanitäre Anwendung der Todesstrafe bezeichnen könnte, entspricht ganz dem Pragmatismus des Romanhelden, der durchaus zufrieden damit ist, als Rädchen der Gerichtsbarkeit für Gerechtigkeit nach Maßgabe einer bisweilen tödlichen Justiz zu sorgen.


Der Zeuge
von Clifford Irving
(Scherz Verlag)