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BUCHBESPRECHUNG/082: Atlan - Zuflucht der Varganen (SB)


Atlan


Zuflucht der Varganen

Blaubuch Bd. 30



In wohl keinem anderen Genre werden die Möglichkeiten des physikalischen Konzepts des Raums so sehr ausgearbeitet wie in der Science-fiction-Literatur. Jeder Raum definiert sich bekanntlich durch seine Grenze. Diese impliziert einen dahinterstehenden Raum mit einer weiteren Grenze und einem weiteren Raum dahinter, und so weiter. Hinter jeder Form von räumlicher Grenze muß es irgendwohin weitergehen. Im vorliegenden Sammelband "Atlan - Zuflucht der Varganen", Band 30 aus der Perry-Rhodan-Edition der Blaubücher, steht eine räumliche Spielart im Mittelpunkt, über die der eine oder andere Leser womöglich bereits in seiner Jugend bei philosophischen Eskapaden mit Gleichaltrigen gegrübelt hat: Was wäre, wenn die Welt, in der wir leben, nur ein Atom in einem riesigen Kosmos ist? Und was wäre, wenn jedes Atom in unserer Welt ebenfalls einen eigenen Kosmos bildete?

Beim Vorstoß in immer kleinere Raumdimensionen des Perryversums mit Hilfe eines speziellen Umsetzers eröffnet sich irgendwann der Mikrokosmos. Wie in der Makrowelt gibt es dort Planeten, Völker und Raumschiffe, und damit selbstverständlich Herrschaftsgebiete und Eroberungen, Bündnisse und Zerstörungen, Liebe, Haß und Machtstreben, also all das menschliche Gewese, woraus Autoren einen Spannungsbogen zimmern.

Die überarbeiteten Atlan-Heftromane, die in diesen Sammelband Eingang gefunden haben, erzählen, wie der junge Kristallprinz Atlan, die Prinzessin Crysalgira und Chapat, der telepathisch begabte und clevere Sohn Atlans und der Varganin Ischtar, der den Geist eines Erwachsenen, aber den Körper eines Babys besitzt, versuchen, den Mikrokosmos zu verlassen. Aber nicht ohne zuvor einige unerledigte Aufgaben zu Ende zu bringen. Beispielsweise zu versuchen, eine millionenfache Vernichtung eines intelligenten Volkes durch die Varganen zu verhindern. Diese beherrschen die mikrokosmische Dimension dank ihrer technischen Überlegenheit, paranormalen Fähigkeiten und relativen Unsterblichkeit bis fast in den letzten Winkel.

Die Varganen sind unfruchtbar, deshalb ist der arkonidisch-varganische Chapat in ihren Augen etwas ganz Besonderes. Es läßt sich denken, daß die Wissenschaftler dieses Volks versessen darauf sind, das Baby - insbesondere aber den zeugungsfähigen Vater! - unversehrt in die Hände zu bekommen. Und es läßt sich ebenfalls denken, daß jenen das überhaupt nicht schmeckt.

Der Probleme noch nicht genug, gilt Ischtar unter den Varganen als Rebellin, weil sie zu den Vertretern ihres Volks gehört, die einst in den Makrokosmos gegangen waren, um in der höheren Dimension eine Bedrohung von ihrer Welt abzuwehren, und sich geweigert haben, in den Mikrokosmos zurückzukehren. Daraufhin hatten die verbliebenen Varganen das Bewußtsein des Henkers Mantraroggin ausgesandt, damit er einen Körper in der Makrowelt übernimmt und die Rebellen einen nach dem anderen hinrichtet.

Atlan, Crysalgira und Chapat landen zunächst auf einer unbekannten Dschungelwelt, wo sie getrennt werden und der Arkonide alle Hände voll zu tun hat, sein Leben zu retten und die von Einheimischen entführte Prinzessin wiederzufinden. Andernorts frönt der varganische Henker Mantraroggin mal wieder seiner Jagdleidenschaft. Er will unter anderem den arkonidischen Tiermeister Corpkor, den Bauchaufschneider Fartuloon - der Atlans geistiger Ziehvater ist -, den Chretkor Eiskralle und Ischtar von seinem "Jagdhund" Mottizzer aufspüren und stellen lassen, um sie der Reihe nach zu töten. Das Vorhaben gerät allerdings völlig aus dem Ruder, denn der psionisch begabte Corpkor dreht den Jagdhund um und setzt ihn nun seinerseits gegen den Jäger ein. Der riecht den Braten und funkt um Hilfe. Aber zu spät. Er wird von seinem eigenen Hund angefallen.

Die bunt zusammengewürfelte Gruppe will nun mit dem Schiff des Jägers fliehen, da ihre MONDSCHATTEN nicht flugbereit ist. Die Flucht mißlingt, da das Raumschiff des Jägers sabotiert wurde. Varganische Häscher erscheinen, nehmen die vier gefangen und bringen sie zur Eisigen Sphäre, der eigentlichen Heimat der Varganen im Mikrokosmos. Dort ist es, das läßt sich unschwer erraten, eisig kalt. Es herrschen andere, eben "mikrokosmische" Gesetze. So gibt es hier in Anlehnung an die Wärmestrahlung der Makrowelt eine Kältestrahlung - und die geht sprichwörtlich unter die Haut.

Atlan, der zu diesem Handlungszeitpunkt noch nicht die Unsterblichkeit erlangt hat, will verhindern, daß Millionen Tejonther von den Varganen in die Labilzone zwischen Mikro- und Makrokosmos geschickt werden, da ihr Tod die Trennung stabilisieren würde, wird aber gefangengenommen und verschleppt. Dabei gelangt er in die Nähe der anderen Gefangenen. Das mental ziemlich aufgeweckte Baby Chapat vernimmt Ischtars telepathischen Hilferuf und warnt Atlan, daß sie in höchster Gefahr sei. Zunächst will dieser gar nicht glauben, daß seine Geliebte ebenfalls im Mikrokosmos weilt, muß dann aber einsehen, daß sich sein Sohn nur selten geirrt hat.

Der Kristallprinz bricht aus seiner Zelle aus und schleicht sich durch die dick isolierten Röhren, mit der die einzelnen Raumschiffe der Eisigen Sphäre verbunden sind, wird jedoch abermals eingefangen. Da erscheint der alte Vargane Vargo in Atlans und Crysalgiras gemeinsamer Zelle und heckt mit ihnen einen Plan aus. Er will die Verbindung zwischen Mikro- und Makrokosmos ein für alle Mal kappen und den von ihm konstruierten Hauptumsetzer, mit dem die "Absolute Bewegung" zwischen der Mikro- und Makroebene erzeugt wird, zerstören.

Das wollen die Anführer der Varganen, Kandro und Kreton, verhindern. Sie möchten den Umsetzer zwar nicht benutzen, aber doch erhalten. Hierüber entspannt sich einer jener Perry-Rhodan-typischen Dialoge, in denen bestimmte ethische Vorstellungen zum Ausdruck gebracht werden:

"Das aber fordert einen späteren Missbrauch geradezu heraus", sagte Vargo. Atlan bestätigt: "Sie sagen es. (...) Was vorhanden ist, wird eines Tages auch angewendet. Das gilt für Schlachtflotten wie auch für ihre Umsetzer."
(S. 216)

Die Atlan-Heftromane wurden zwischen 1973 und 1977 geschrieben und damit in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Debatte über Nutzen und Gefahren des technologischen Fortschritts, insbesondere hinsichtlich der atomaren Bewaffnung, sehr viel breiter geführt wurde als heutzutage. Die damalige Idee des Gleichgewichts des Schreckens zwischen NATO und Warschauer Pakt schien zwar zu funktionieren, aber, wie der Name schon sagte, es handelte sich um einen Schrecken und das auch noch im doppelten Maße. Über Zweck und Absicht immer zerstörerischer Waffensysteme wurde sehr kontrovers diskutiert. Inwiefern sich der Autor der obigen Zeilen davon hat inspirieren lassen, bleibt natürlich der Spekulation überlassen.

In den siebziger Jahren war auch das Frauenbild noch ein anderes als heute. Abschnitte wie den folgenden dürfte man in den aktuellen Perry-Rhodan-Romanen nicht mehr finden: Als Prinzessin Crysalgira ein nagerähnliches Tier erblickt, kreischt sie auf und verlangt von Atlan, es wegzuschaffen. Atlan sinniert:

"Irgendwie wunderte ich mich nicht über ihre Reaktion, obwohl sie eigentlich keine hysterische Natur war, sondern im Gegenteil oft genug gezeigt hatte, dass sie ihre Todesfurcht überwinden konnte, wenn es die Lage erforderte. Aber die Prinzessin gehörte zweifellos zu der Art Frauen, die durch den Anblick kleiner Tiere in Panik versetzt wurden, während sie keine Scheu hatten, bei Großwildjagden ganz allein wahren Mordsbestien gegenüberzutreten."
(S. 234)

Der Logiksektor kommentierte machomäßig platt: "Die Mentalität der Frauen ist und bleibt unergründlich." (S. 234) Zum Zeitpunkt, da die Atlan-Romane geschrieben wurden, gab es eben noch keine Lara Croft, die "Tomb Raidern" die Beute abjagte, keine amerikanische Highschool-Göre Buffy, die Vampire am Fließband erledigte, und überhaupt gab es noch keine "Girl-Power" in Mode, Filmen, Büchern und anderen Medien.

Manche Dialoge des vorliegenden Sammelbands lösen ein unfreiwilliges Schmunzeln aus. Als beispielsweise Ischtar und Fartuloon auf einem Planeten voller Dschungel und Wüsten ausgesetzt werden und Mühe haben, sich zu orientieren, entfaltet sich ein ungeheuer tiefsinniger Dialog darüber, wie es denn nun weitergehen soll:

Er blieb stehen, lehnte sich gegen einen Baumstamm und spähte hinaus in die lichtüberflutete gelbe Ebene. "Entweder warten wir irgendwo, bis etwas passiert, was uns weiterhilft ..." "Oder?" "Oder wir gehen weiter." "Das ist richtig. Ich schlage vor, wir suchen nach einer günstigen Stelle und warten." "Einverstanden."
(S. 108, 109)

Die "Zuflucht der Varganen" endet damit, daß Fartuloon - inzwischen wieder mit seinem Wunderschwert Skarg ausgestattet -, Atlan, Ischtar, Corpkor, Crysalgira, Eiskralle und Chapat in den Makrokosmos wechseln. Die Eisige Sphäre wird zerstört. Als die Dimensionsreisenden auf einer fremden Station in der Makrowelt herauskommen, werden sie sogleich unter Beschuß genommen. Sie können fliehen, werden aber von den Dorfbewohnern bei der Station hintergangen. Chapat wird entführt und soll einem rebellischen Varganen, der sich in der Empfangsstation versteckt gehalten hatte und von den Eingeborenen als Gott verehren läßt, als Opfer dargebracht werden. Das kann verhindert werden, aber damit enden die Probleme nicht. Denn in der Makrowelt wird der Thronanwärter Atlan nach wie vor auf Geheiß des Usurpators Orbanoschol gejagt. Das Abenteuer geht weiter.

18. Oktober 2007


Atlan
Zuflucht der Varganen
Blaubuch Bd. 30
Pabel-Moewig Verlag, Rastatt 2007
399 Seiten, 14,80 Euro
ISBN 978-3-81118-1592-2