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BUCHBESPRECHUNG/132: Meredith Woerner - Vampire - sehen, erkennen, handeln (SB)


Meredith Woerner


Vampire

sehen, erkennen, handeln



Was ist so faszinierend an Vampiren, daß sie nun schon seit etlichen Jahren nicht nur in der Literatur Einzug gehalten haben, sondern auch als Kinoerfolge Teenie-Herzen höher schlagen lassen und ganze Fernsehserien bevölkern? Es entsteht ja geradezu schon der Eindruck, sie wandelten bereits unter uns. Davon geht zumindest vorliegendes Buch aus, das sich als witzig gemeinter Ratgeber verstanden wissen will, und erklärt woran man Vampire erkennt und wie man sich ihnen gegenüber am besten verhält.

Die Frage, was die Faszination dieser bleichen Gestalten ausmacht, stellt die Autorin leider nicht. Denn die zwei spitzen Nagezähnchen, die immer nur dann zur Geltung kommen, wenn der Vampir in völlig unromantischer Art die Lefzen hebt, können es ja nicht sein. Auch die Not, sich zur Nahrungsaufnahme Menschen an den Hals schmeißen zu müssen, klingt nicht gerade verlockend. Und der Zwang, jegliches Sonnenlicht zu fliehen, ist ja schließlich nicht nur ausgesprochen lästig, sondern eine vampirische Existenzbedingung!

Nun gut, das Vermögen, durch die Lüfte zu fliegen, der ewige Traum des Menschen, scheint zumindest dessen tiefverwurzeltem Bedürfnis, unangenehmen Situationen zu entfliehen, entgegenzukommen, und auch die Unsterblichkeit gehört zu den uralten Menschheitssehnsüchten. Es könnten auch ihre diversen übernatürlichen Kräfte sein, die Vampire so interessant machen. Oder reicht es schon, daß das Blutgesauge eine Steigerung erotischer Leidenschaft darstellt, bei der ein noch so feuriger menschlicher Liebhaber von vornherein nicht mithalten kann?

Vermutlich ist es ganz einfach der Rest von Andersartigkeit, von etwas "Exotischem" dieser von der Tradition her eigentlich so unheimlichen Untoten, der sie von den Sterblichen abhebt. Der, allerdings arg verblaßte, Abglanz eines Geheimnisses und Rätsels, der sie umgibt. Nur daß dieses Geheimnisvolle seit dem grassierenden Boom von Vampir-Literatur, Vampir-Fernsehserien und -kinohits und den daraus hervorgegangenen Vermarktungsmöglichkeiten, von der Unterhose bis zur Bettwäsche, schon längst einer bürgerlichen Alltäglichkeit gewichen ist.

Diesem Trend setzt das vorliegende Buch sozusagen die Krone auf. Hier bekommt man über Vampire haarklein alles an Details geliefert, was man ja aus den Filmen und Romanen, die die Autorin als Beleg heranzieht, selbst schon kennt und was einen in dieser mehr als langweiligen Form des nach oberflächlichsten äußerlichen Kriterien sortierten Merkmalsammelsuriums nicht im mindesten interessiert.

Daß dies kein ernstzunehmendes Buch über den Vampir als das traditionell uralte, spannende volksmythologische Wesen sein will, läßt sich bereits auf den im wahrsten Sinne des Wortes ersten Blick erkennen, prangt doch die Darstellung eines sich albern gebärdenden Paares auf dem roten Einband. Was es aber stattdessen sein soll, bleibt dem Leser bis zuletzt verborgen, da es auch weder als witzig noch auch nur als komisch bezeichnet werden kann. Die kumpelhaft schnoddrige Ausdrucksweise der Autorin kann den Mangel an Ideen nicht aufwiegen. Im Gegenteil, der immer wiederkehrende Hinweis, wie man sich gegen Vampire schützen kann, die ja überall unter uns leben sollen, wirkt nach dem x-ten mal so langweilig, daß man sich regelrecht zum Weiterlesen zwingen muß.

Die us-amerikanische Autorin Meredith Woerner scheint offensichtlich einer Kultur anzugehören, der sogenannten Popkultur, auf die sie sich unentwegt beruft, deren Oberflächlichkeit nicht mehr inhaltliche Substanz zuläßt als in die Fächer eines Setzkastens paßt. Man stelle sich eine junge Frau vor, die Nachtschichten bei einer amerikanischen Boulevard-Zeitung zu schieben hat. Da sie schon als Kind bei Halloween lieber als Vampir verkleidet ging als - welch halloweentypische Idee - als Prinzessin, fährt sie voll auf den Vampirboom ab, der mit "Buffy - die Vampirjägerin" für sie seinen Anfang nahm. Dutzende von verschlungenen Vampirfilmen später kam sie nun - vermutlich aus Langeweile - auf die Idee, ihrem zweifellos vorhandenem Katalogisierungsdrang zu frönen und alles zusammenzutragen, was sie aus ihren Lieblingsvampirfilmen an registrierfähigem Material finden konnte. Es gibt Kapitel über Zähne, Hände und Frisuren, welche Augenfarben Vampire bei welcher Hungerlage haben, welche Fähigkeiten und Schwächen sie besitzen, was für Klamotten sie tragen, auf welche Weise sie Menschen in ihresgleichen umwandeln, an welchen Orten sie sich aufhalten und, und, und. Das ganze auch noch unterteilt in - wer hätte es gedacht - romantische, tragische und böse Vampire und mit Empfehlungen verknüpft, wie man sich dem jeweiligen Vampirtyp gegenüber verhalten sollte. So spröde, wie Vampire hier beschrieben werden, ist das Rendezvous mit einem Bankangestellten vermutlich aufregender. Insofern sind die schwarz-weiß-rot colorierten Zeichnungen der recht hölzern wirkenden Vampir- und Fledermausfiguren im gewollt humoristischen 60er-Jahre-Stil, die das ganze Buch wohl etwas aufpeppen sollen, vielleicht ganz passend.

Doch wozu braucht ein wirklicher Vampirfan ein Register, in dem die dürftige Phantasie der Autorin auch das letzte Quäntchen an Unheimlichem zur spröden Zweckmäßigkeit gerinnen läßt? Da kann man ihm doch nur empfehlen, sich stattdessen lieber selbst die Begegnung mit einem Vampir auszumalen.

Offensichtlich wurde hier versucht, auf dem überfüllten Vampirliteraturmarkt noch eine Lücke zu finden. Zugegeben, als Verlegenheitsgeschenk für Leute mit Vampirspleen kann es allemal durchgehen. Es ist ein griffiges Buch mit geschmeidigem Einband, den bereits beschriebenen Zeichnungen und schwarzer und roter Schrift. Der Beschenkte wird sich bestimmt artig bedanken, vielleicht sogar ab und zu mal reinschauen, es garantiert aber umgehend wieder ins Regal zurückstellen.

Kehren wir zur eingangs gestellten Frage zurück, die ein weitaus interessanteres Thema dieses Buches darstellen könnte: Was macht die zweifellose Faszination von Vampiren, diesen Wandlern zwischen Leben und Tod, tatsächlich aus? Und was mag im 19. Jahrhundert den Schöpfer der modernen Vampir-Figur - sei es nun John Polidori mit "The Vampyre", Joseph Sheridan Le Fanu mit "Carmilla" oder Bram Stoker mit "Dracula" - dazu bewogen haben, dieses Wesen zu erfinden?

Möglicherweise hat der unerfüllte Wunsch eines in das feste Gesellschaftsgefüge eingebundenen Menschen, diesem zu entrinnen und der Wildheit und Ungezügeltheit zu frönen, dazu geführt, ein Wesen zu schaffen, dem es zwar erlaubt ist, sich den gesellschaftlichen Zwängen zu entziehen, aber nicht sich gänzlich vom Menschsein zu befreien. Denn ohne Menschen kommt der Vampir nicht aus, da er auf ihr Blut angewiesen ist. Wieso er ausgerechnet Blut trinken muß, wird ein ewiges Rätsel bleiben. Logisch ist es nicht, denn da er keinen Stoffwechsel mehr hat, bräuchte er ja auch nichts mehr zu sich zu nehmen - auch kein Blut. Doch hat ihm sein Schöpfer bewußt diese Fessel angelegt, da das Blut das Verbindungselement zwischen ihm und den Sterblichen darstellt und ja erst die Voraussetzung dafür schafft, das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Vampir in immer wiederkehrenden Geschichten auszumalen. Wäre er nicht auf Menschenblut angewiesen, könnte er sich dauerhaft ins Dunkel der kalten Schatten zurückziehen, um die hektische, grelle Welt der Menschen zu meiden, die seit dem Moment, als Gott sprach, es werde Licht, sich im Feuer des Ehrgeizes und Fortschrittswahns selbst verzehrt.

Daß sich die Figur des Vampirs heutzutage sowohl in den Fernsehserien wie in der Literatur nun im Gegenteil voll in die menschliche Gesellschaft integriert hat, zeigt, daß hier gerade nicht das Wilde und Unbändige angesagt ist, sondern die größtmögliche Anpassung und Unterordnung an bestehende gesellschaftliche Gegebenheiten. Dieser Trend scheint eindeutig als Kompaß bei der Entstehung des vorliegenden Buchs gedient zu haben - und gewiß nicht zu dessen Vorteil.

4. Oktober 2011


Meredith Woerner
Vampire
sehen, erkennen, handeln
Mit Illustrationen von Jochen Schievink
Aus dem Amerikanischen von Claudia Sanguinantis
Sanssouci im Carl Hanser Verlag, München 2011
Ca. 208 Seiten. Flexicover, Fadenheftung
durchgehend farbig illustriert
€ 12.90 [D] / ca. sFR 18,90 / € 13.30 [A]
ISBN 978-3-8363-0301-9