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BUCHBESPRECHUNG/138: Uwe Ritzer, Olaf Przybilla - Die Affäre Mollath (SB)


Uwe Ritzer, Olaf Przybilla


Die Affäre Mollath



Der Mann, der zu viel wusste

Es mag dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Genüge tun, daß Gustl Mollath nach sieben Jahren in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt aufgrund eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg am vergangenen Dienstag endlich wieder in Freiheit gekommen ist. In solchen Fällen entfaltet sich ein vertrautes Prozedere: Sobald ein Rechtsskandal, von den Medien losgetreten oder lanciert, öffentliches Aufsehen erregt und für Unruhe im moralischen Getriebe der Gesellschaft sorgt, reagiert die politische Elite darauf wie ein in Hektik geratener Ameisenstaat. Kompetenzen werden in Frage gestellt und Verantwortlichkeiten solange hin und her geschoben, bis der Anlaß des Skandals zerredet, zerkocht und für die schnelle Verdauung zugerichtet ist. Juristische Institutionen an den Pranger der allgemeinen Empörung zu stellen, ist Teil einer Inszenierung, die dazu dient, den Schluckauf des Systems so schnell wie möglich zu kurieren. Daß die bayerische Justizministerin Beate Merk öffentlich gescholten wurde und CSU-Chef Horst Seehofer in seiner Rolle als Landesvater gelobte, ein waches Auge über mögliches Unrecht zu halten, gehört zum politischen Bühnengeschehen.

Natürlich darf von öffentlicher Seite eine breite Diskussion über das angebliche Versagen des Rechtsstaats nicht fehlen. Denn nichts ist so schwerwiegend wie ein nicht heilender Riß im Ewigkeitsglauben an die Rechtskraft und Rechtssicherheit bundesdeutscher Paragraphen. Unheilvoll drohend hinter dem Einzelschicksal Gustl Mollaths und seines Kampfes um die Wiederaufnahme seines Verfahrens hebt sich der Verdacht empor, daß seine Psychiatrisierung im Zeichen einer wahnhaften Gemeingefährlichkeit, die, wie verschiedene, in Fachkreisen durchaus strittige Gutachten beweisen wollen, angeblich von ihm ausgehe, womöglich etwas mit unlauteren Geschäften Dritter zu tun haben könnte. Gemutmaßt wird, daß er Schwarzgeldgeschäfte der Hypovereinsbank in die Schweiz, in die auch seine geschiedene Ehefrau und andere Mitarbeiter des Geldinstituts verstrickt sein sollen, aufgedeckt, zumindest jedoch Hinweise dazu geliefert habe. Daß ein Unschuldiger in die Mühlen der Justiz geraten kann, wenn er den Mächtigen in Wirtschaft und Politik zu nahe kommt, gehört zum subversiven Gemeinwissen jedes Bürgers.

Für den, der sich über die Hintergründe und Verflechtungen von Justiz, Psychiatrie und Politik informieren möchte, ehe die Aufnahmewagen des Skandalisierungszirkusses weiterziehen, ist zum nochmaligen Nachfassen das von Uwe Ritzer und Olaf Przybilla verfaßte Buch "Die Affäre Mollath" zu empfehlen. Die beiden Journalisten der Süddeutschen Zeitung haben das strafprozessuale Verfahren gegen Mollath von Anfang an begleitet und durch ihre Recherchen nicht unmaßgeblich dazu beigetragen, die zum Teil hanebüchenen Widersprüche im Gerichtsurteil und bei der Unterbringung von Mollath in eine forensische Psychiatrie, wo er im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht werden sollte, ans Licht einer kritischen Öffentlichkeit zu bringen.

In neun Kapiteln wird die ganze Chronologie des Falls ausgebreitet: vom Rosenkrieg der Eheleute und der Strafanzeige wegen Körperverletzung über die einzelnen juristischen Etappen bis zum Urteilsspruch samt der Einweisung in eine psychiatrische Klinik und die über Jahre andauernden Revisionsbemühungen der Rechtsanwälte. Eindrücklich auch die biographische Schilderung seines Elternhauses, seiner Jugendjahre und erster Schritte in der Berufswelt, wobei die Autoren bestrebt waren, den Komplexitäten des Charakters Gustl Mollaths gerecht zu werden. Es kommen in dem Buch Menschen zu Wort, die mit ihm befreundet waren und noch sind und solche, die über die teils abenteuerlichen Wendungen in dem Strafverfahren mit seinem Schicksal konfrontiert wurden. Jemanden in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, weil er möglicherweise zuviel weiß oder Dinge aufwirbelt, die lieber verschwiegen werden sollen, betrifft immer ein Einzelschicksal. Mollath erlitt dies in einer Gesellschaft, die offenbar so zwangsverfügt und interessengeleitet ist, daß darin jeder zum Opfer seines Schicksals werden kann.

Eine politische Antwort auf die nicht erst durch die Affäre Mollath aufgekommenen Zweifel am System der Zwangspsychiatrie gab Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die von ihr angekündigte Reform will die Einweisung von Straftätern in eine psychiatrische Anstalt strengeren Regeln unterwerfen. Konkret soll die Rechtmäßigkeit des psychiatrischen Freiheitsentzugs alle vier Monate statt wie bisher erst nach einem Jahr überprüft und die Dauer der Unterbringung insgesamt begrenzt werden. Ob damit lediglich ein opportunes Wahlversprechen gegeben wurde oder die von Kritikern als Institution für soziale Kontrolle unerwünschten Verhaltens ausgewiesene Zwangspsychiatrie tatsächlich liberalisiert werden soll, ist so ungewiß, wie man sich des berufsständischen Widerstands gegen jedes Reformvorhaben sicher sein kann.

9. August 2013


Uwe Ritzer, Olaf Przybilla
Die Affäre Mollath
Der Mann, der zu viel wusste
Droemer, München, Juni 2013
ISBN: 978-3-426-27622-8
240 Seiten, 19,99 Euro