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BUCHBESPRECHUNG/147: Ingo Arndt, Jürgen Tautz - "Waldameisen - Superheldinnen auf sechs Beinen" (SB)


Ingo Arndt, Jürgen Tautz


Waldameisen - Superheldinnen auf sechs Beinen




'Waldameisen - Superheldinnen auf sechs Beinen' - Cover: © 2025 by Knesebeck-Verlag

Cover: © 2025 by Knesebeck-Verlag

Die ersten Fotos dieses Bildbandes führen in einen dunklen Wald hinein zu einem beeindruckenden Ameisenhaufen und weiter, als wolle die Rote Waldameise sich vorstellen, ist im übergroßen Bildformat ihr Kopf mit Facettenauge zu sehen. Sie sind so klein und leisten Gewaltiges als unverzichtbare Mitgestalter des Waldgeschehens. Ingo Arndt und Jürgen Tautz ist es mit diesem Buch gelungen, all das Unsichtbare im Leben der Ameisen durch die bemerkenswerte Zusammenfügung von Foto und Text dem Leser anschaulich und verständlich nahezubringen.

So mancher mag staunend vor einem Ameisenhügel gestanden und sich gefragt haben, wie diese vielen winzigen Tiere so ein Bauwerk erschaffen konnten. Wie organisiert sich eine Kolonie, um Aufgaben wie Nestbau, Nahrungssuche, Brutpflege, Abwehr von Feinden und allem anderen Notwendigen im Ameisenstaat, zu bewältigen? Wie sieht das Leben der Ameisen im Wechsel der Jahreszeiten aus? Welche Rolle spielen sie in der Ökologie des Waldes?



Im schattigen Wald umringt von Bäumen ragt ein großer kegelförmiger Ameisenhügel - Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag

Ein eindrucksvoller Nesthügel: Er verändert sich im Laufe der Jahreszeiten, damit er genau so viel Sonne bekommt, wie die Ameisen benötigen.
Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag


Menschen haben sich schon seit Jahrhunderten für Ameisen interessiert, sich gefragt, wie Ameisen in ihrem Bau, in dem es dunkel ist, sich zurechtfinden, wie sie sich verständigen? Wichtige Beobachtungen wurden bereits vor rund 200 Jahren von engagierten Ameisenforschern gemacht.

Entdeckt wurde, wie wichtig Honigtau für die Energieversorgung der kleinen Tiere ist und sogar herausgefunden, worum es sich bei Honigtau handelt und außerdem wie er von den Ameisen von den Blattläusen gemolken wird.

Für die Ameisenforschung wurde von William Morton Wheeler (1865-1937) der Begriff Myrmekologie geprägt. Edward Wilson (1929-2021), erforschte weit über das Sozialverhalten der Ameisen hinaus auch das anderer Tierarten. Ihm ist der Begriff "Soziobiologie" für ein Fachgebiet der Biologie zu verdanken. Doch zu seiner Zeit gab es die fototechnischen Möglichkeiten der Moderne nicht und so wäre anzunehmen, dass er hocherfreut gewesen wäre, diesen Bildband anschauen zu können.


Abgebildet ist ein großer Ameisenkopf von der Seite mit einem Facettenauge, mit Fühlern und langen Vorderbeinen. Das Tier ist rötlich gefärbt - Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag

Betrachtet man eins der Tiere von Nahem, wirkt es ein wenig wie ein Wesen aus einer anderen Welt
Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag


Es bleibt eine Sache, viel über die Bedeutung der Ameisenkolonien im Wald in Erfahrung zu bringen, eine andere, sich diese Tiere in Aktion wirklich vorzustellen. Wer weiß schon, wie ihre Mandibeln (Mundwerkzeuge) aussehen, die als vielseitige Werkzeuge der Ameise in Gebrauch sind? Versagt unsere Vorstellungskraft nicht bei dem Gedanken, dass die Ameise ein Gehirn, einen Herzschlauch, drei Nebenherzen (ein System, das die Hämolymphe durch den Körper pumpt), ein Ganglienpaar (Nerven-Doppelknoten), einen Schlund, eine Speiseröhre, Magen, Darm, Enddarm und After besitzt, sowie eine Gift- und Dufourdrüse (Duftdrüse) und eine Keimdrüse? Ein in unseren Augen vollständiges Lebewesen mit allem was dazugehört, zusammengefügt auf kleinstem Raum, das überrascht, obgleich es biologisch betrachtet kaum anders möglich ist.

An dieser Stelle wird die Besonderheit dieses Bildbandes deutlich. Die detaillierte Grafik auf Seite 24/25 hilft, sich das Innenleben des Ameisenkörpers vor Augen zu führen. Die faszinierenden Fotos, die die winzigen Details einer Ameise abbilden, versetzen diese unscheinbaren Tiere in eine Größendimension, die dem menschlichen Verstand auf die Sprünge hilft. So wirken die stark vergrößerten Mandibeln (Seite 27) respekteinflößend und es scheint leicht vorstellbar, dass mit ihnen geschnitten, gezogen, gekämpft und getötet werden kann.

Die ausführliche, gut verständliche wissenschaftliche Ausarbeitung erweckt den Eindruck, weit in die Geheimnisse des Zusammenlebens der Roten Waldameise eingedrungen zu sein. Das ist der Art und Weise zu verdanken, wie es Herrn Tautz gelingt, für uns nicht sichtbare Verhaltensweisen der Ameisen so zu beschreiben, als hätte man sie selbst beobachtet. Unglaubliches wird über die Brutpflege beschrieben. Beginnend mit der Eiablage der Königin, (Foto auf Seite 85) und weiterhin wie die Eier, die Larven und Puppen der Ameise (Fotos auf Seite 89) in einem stetigen Hin- und Hertransport von den Arbeiterinnen an den jeweils für ihre Entwicklung günstigsten Ort gebracht werden. Je nachdem ob mehr Wärme, mehr Feuchtigkeit oder Trockenheit oder ob kühlere Temperaturverhältnisse erforderlich sind, werden die Orte gewechselt. Die Eier werden umsorgt, ebenso die Larven, und bei der Befreiung der fertigen Ameise aus ihrer Puppe leisten die Arbeiterinnen "Geburtshilfe" (Foto auf Seite 97). Ist diese Beschreibung schon beeindruckend, so sorgen die Fotos durch die sehr starke Vergrößerung für eine Nähe zu den Tieren und ein Verständnis für sie.

Waldameisen, so heißt es, haben unter anderem eine wichtige Aufgabe im Wald als eine Art "Gesundheitspolizei". Doch was heißt das genau? Auf den Seiten 136 bis 139 sind Ameisen bei der Arbeit zu sehen, wie sie tote Käfer, Raupen oder Mäuse mit ihren scharfen Mandibeln zerlegen.



Ein um ein Vielfaches größerer toter Laufkäfer liegt auf dem Ameisenhügel, um in das Nest transportiert zu werden. Zwei Rote Waldameisen sind bei ihrer Arbeit - Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag

Seine Schönheit hat ihm nicht geholfen. Der Dunkelblaue Laufkäfer wurde von den Arbeiterinnen bereits zum Nest geschleppt, wo ihm alles abgeschnitten wird, was das weitere Voranbringen in das Nestinnere behindern könnte. Die linke Antenne ist bereits gekürzt, an der anderen wird gerade gearbeitet.
Foto: © 2025 by Ingo Arndt/Knesebeck-Verlag


Dass sie durchaus sehr martialisch wirken können und kampfbereit mit Mandibeln und Ameisensäure ihren Bau verteidigen, zeigen die Fotos auf Seite 144 bis Seite 149). Ameisen sind aber auch Gejagte, sind bedroht durch Fallensteller, wie dem Ameisenlöwen (Fotos auf Seite 150 bis Seite 157), durch Spechte auf Nahrungssuche und gelegentlich verwüsten Wildschweine ihr Nest. Auch der Mensch spielt durch mutwilliges Zerstören eines Ameisenhaufens, oder vielleicht das Beschädigen aus Unkenntnis, eine üble Rolle.

Doch es gibt Menschen, die sich kümmern, die Ameisennester umsiedeln, wenn sie dem Bau von Straßen oder Gebäuden weichen müssen. Dies geschieht zum Schutz der Ameisen und wird mit viel Sachkenntnis und einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt.

Waldameisen, insbesondere die hier beobachteten Roten Waldameisen (Formica rufa), stehen unter dem Schutz der Bundesartenschutzverordnung, sie dürfen nicht getötet werden und jeder Eingriff in ihre Neststruktur oder gar die Zerstörung, ist streng verboten. Schon seit 200 Jahren gibt es Vorschriften zum Schutz hügelbauender Waldameisen. In diesem Zusammenhang kann die Arbeit der Deutschen Ameisenschutzwarte e.V. nicht genug gewürdigt werden. Die Mitglieder setzen sich für die Erhaltung der in der Natur noch vorhandenen einheimischen Ameisenbestände und für die Rettung der von Ausrottung bedrohten Waldameisenarten ein.

Für die Fotoaufnahmen dieses Bildbandes wurden besondere Genehmigungen eingeholt und sie wurden mit besonderer Vorsicht durchgeführt.

Das Anliegen der beiden Autoren, mit ihrem Buch den Ameisen zu einem besseren Ansehen in der breiten Öffentlichkeit zu verhelfen, ist ihnen mehr als gelungen, denn es kann dazu beitragen, diesen kleinen Tieren mit Achtung und Respekt zu begegnen.



Über die Autoren:

Ingo Arndt
Geboren 1968 in Frankfurt am Main, ist bekannt für seine herausragenden Tierreportagen, die in Magazinen wie "National Geographic", "GEO" oder "Terra Mata" abgedruckt werden. Er veröffentlichte 20 Bildbände und erhielt den Deutschen Preis für Wissenschaftsfotografie sowie zwei World Press Photo Awards. 2024 erhielt er den Wildlife Photographer of the Year Award für seine Waldameisen-Aufnahmen.

Jürgen Tautz
Geboren am 1949 in Heppenheim, ist klassischer Zoologe, Hochschullehrer und Emeritus der Universität Würzburg. Als Verhaltensforscher und Soziobiologe hat er viele Tierarten erforscht, besonders als Bienenexperte ist er bekannt. Lange Zeit forschte er auch über Kommunikation, Biomechanik und Sinnesbiologie tropischer Ameisenarten. Ausgezeichnet worden ist er für seine vorbildliche Vermittlung von Wissen an die breite Öffentlichkeit. So erhielt der den Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.

28. März 2025


Ingo Arndt, Jürgen Tautz
Waldameisen
Superhelden auf sechs Beinen
Knesebeck GmbH & Co Verlag KG, München 2025
176 Seiten, 40 Euro, Gebundenes Buch
Format: T/L/B: 2,3x29.2x22.5 cm
ISBN/EAN: 9783957288400


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