Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/009: Wiesendanger - Die Jagd nach Psi (Parapsychologie) (SB)


Harald Wiesendanger


Die Jagd nach Psi

Über neue Phänomene an den Grenzen unseres Wissens



Ungeachtet der vom Autor gewählten Kapitel kann man das vorliegende Buch in zwei eindeutige Abschnitte unterteilen. Die ersten 125 Seiten handeln von dem Versuch, das durch Arroganz und Unkenntnis geprägte öffentliche Bild vom Okkultismus kritisch zu durchleuchten. Ergänzt wird dies durch zwei kürzere Fallbeispiele aus den anderen grenzwissenschaftlichen Bereichen Astrologie und Kosmobiologie, die nach Ansicht des Autors ebenfalls unter der gesellschaftlichen Nichtakzeptanz zu leiden haben. Den zweiten und größeren Teil des Buches nimmt hingegen eine lose zusammengestellte Folge von Phänomen-Beschreibungen ein, die dem Leser nahezu kommentarlos, unkritisch und ohne den Versuch der Beschreibung eines Überbaus präsentiert werden. Angefangen von Psychokinese über Todeserlebnisse und Reinkarnation bis hin zu Ufos und Außerirdischen reicht die Bandbreite dieser insgesamt zehn Kapitel, die ihrerseits noch häufig in mehrere Fallbeispiele untergliedert werden. Doch der Abschnitt zum Thema Okkultismus und Satanismus ist noch der interessanteste, da der Autor zumindest den Versuch unternimmt, dem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens bei diesem Thema entgegenzutreten. So schreibt er in seinem einleitenden Kapitel auf Seite 14:

Da warnen Spitzenpolitiker wie Nordrhein-Westfalens Kultusminister Hans Schwier öffentlich vor der 'neuen Droge' Okkultismus, die insbesondere Jugendliche zu Opfern eines 'massiven Kampfs gegen die Vernunft' mache. Um dagegenzuhalten, beruft die bayrische Landesregierung im September 1988 den ersten staatlichen 'Okkultismus- Beauftragten'. Sehr recht kommt das den Amtskirchen, die sich um ihr Alleinvermittlungsrecht zwischen Diesseits und Jenseits sorgen: 'Angebliche' paranormale Erfahrungen während okkulter Praktiken sind für Kirchenobere wie den Bischof von Trier, Josef Spital, schlicht 'Dummheit und Aberglaube'. Spezielle 'Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen' beider großer Konfessionen warnen öffentlich vor einem 'Selbstmord des rationalen Denkens', vor Geister'wahn' und 'religiösem Analphabetismus'.

Aber der Autor verweist nicht nur auf die Hetzkampagne seitens der Staatsreligionen gegenüber allen, die sich anderen Religionen oder Weltanschauungen zuwenden, sondern nimmt dabei auch nicht die Wissenschaft und den Journalismus aus, der sich allzugern der Themen aus diesem Umfeld bedient und in die gleiche Kerbe schlägt.

Selbst seriöse Tageszeitungen erklären Psi-Gläubige pauschal zu 'Verführten' und 'Süchtigen', unter denen eine Epidemie 'grassiert'; kommentarlos drucken sie Meinungen selbsternannter 'Experten', 'gewissenlose Okkultverbrecher' zögen die Beschäftigung mit Übernatürlichem 'wieder zur Volksseuche groß'. Wissenschaftler, die hinter Übersinnlichem samt und sonders Betrug oder Sinnestäuschung, seelische Defekte, geistige Kurz-Schlüsse oder physikalische Ursachen wähnen, erhalten bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten großzügige Sendezeiten, bei Gerichtsverfahren ein Gutachtermonopol - und vorderste Plätze bei öffentlichen Anhörungen. (S. 14)

Seine Behauptung, Okkultismus und andere grenzwissenschaftliche Bereiche würden unterschiedslos in einen Topf geworfen und auf heftigste diffamiert, weiß Wiesendanger durch eine Fülle von Zitaten zu belegen. In allen Ecken Deutschlands fühlen sich inzwischen Sektenbeauftragte, Pastoren, Pädagogen und selbsternannte Fachleute jeglicher Couleur, aber zunehmend linientreu, aufgerufen, sich zum Okkultismus, beziehungsweise dem, was sie dafür halten, abschlägig zu äußern, wobei sie sich nicht scheuen, ihre eigene Unkenntnis hinter dem bloßen Anspruch auf Kompetenz zu verbergen. Zurecht weist der Autor darauf hin, daß Begriffe wie "süchtig" oder "verführt" eben diese Funktion haben, alle an Okkultismus Interessierten pauschal zu bevormunden.

Allerdings kann Wiesendanger in seinen Ausführungen das eigene berufständische Interesse nicht verhehlen. Wie schon die Abschnitte zur Astrologie und Kosmobiologie zeigten, in denen er über Wissenschaftler berichtet, die um ihre Reputation ringen mußten oder dies bis heute noch müssen, geht es ihm selbst gleichfalls um die gesellschaftliche Anerkennung. Und genau wie die von ihm kritisierten Staatsreligionen, Sektenbeauftragte und Wissenschaftler präsentiert er seinen speziellen Wissenschaftszweig als den eigentlich geeigneten, um mit Problemen, die irgendwie mit dem grenzwissenschaftlichen Bereich zu tun haben, zurechtzukommen. So stellt er die Frage, wer denn genug über Wahn und Wirklichkeit paranormaler Erscheinungen wisse, um derart aufklären und beraten zu können. Die Eltern? Ihnen fehle es oft an Zeit, Vorwissen und Toleranz. Psychologen? Fast allen Psychologen gehe jegliche parapsychologische Vorkenntnis ab. Auch den Lehrern fehle die nötige Kompetenz, und die Kirchen ständen dem Paranormalen im allgemeinen nicht aufgeschlossen genug gegenüber. Also kommt er quasi zwangsläufig zu dem Schluß:

Können nicht am ehesten Parapsychologen aufklären, beraten und helfen? In über hundertjähriger Forschungsarbeit haben sie Formen und Umstände der okkulten Erscheinungen wissenschaftlich durchleuchtet; mit Anfragen und Hilferufen Okkultgeschädigter haben sie laufend zu tun; kennen Vorbedingungen, Symptome, Verläufe, oft wirksame Gegenmittel; sollten imstande sein, mit Übersinnlichem emotionslos und aufgeschlossen, dabei auf kritischer Distanz umgehen. (S. 88)

Aufklärung, Beratung, Gegenmittel, Hilferufe, Geschädigte - all diese Begriffe kann man in einem Atemzug mit "süchtig" und "verführt" nennen. An dem unhinterfragten Grundverhältnis mit dem kompetenten Experten auf der einen Seite und dem hilfebedürftigen, unwissenden Betroffenen auf der anderen Seite rührt auch Wiesendanger nicht, im Gegenteil. Wenn er von Aufklärung schreibt, unterstellt er einen Bedarf und liefert genau wie die anerkannte Wissenschaft sogleich die Antwort, wie dieser unterstellte Bedarf befriedigt werden könne - natürlich nur durch die Parapsychologie. Seiner Meinung nach könnten "Forschungsergebnisse über außersinnliche Wahrnehmung und Psychokinese entscheidend dazu beitragen, Jugendliche mit 'dem Höheren' rationaler und angstfreier umgehen zu helfen: als etwas Höherem 'in' statt 'über' uns."

Wer nach Antworten sucht, wird sie in der Parapsychologie finden - aber eben in jedem anderen Forschungszweig auch. Ob eine Antwort besser ist als die andere, das kann nur jeder für sich entscheiden. Jedoch sollte die Beurteilung dem einzelnen nicht aus den Händen genommen werden, weder von den etablierten Kirchen noch von den Grenzwissenschaften. Und wer nicht nach Antworten sucht, der braucht sich von dem hier ausgetragenen Konkurrenzstreit zwischen anerkannter und nicht anerkannter Wissenschaft gar nicht erst beeindrucken zu lassen.

Kommen wir nun zum zweiten Teil dieses Werks. Wie so häufig in Büchern aus dem esoterisch-grenzwissenschaftlichen Bereich fühlt sich ein Autor bemüßigt, seine Leserschaft mit einem zusammengewürfelten Haufen von ewig gleichen Fallbeispielen für angeblich außergewöhnliche menschliche Fähigkeiten oder sonstige unerklärliche Phänomene zu beladen. So wird wieder einmal über den Amerikaner Peter Sugleris berichtet, der sich nicht nur durch das Verbiegen von Schlüsseln und der Beeinflussung einer Kompaßnadel ins Gerede gebracht hat, sondern vor allem durch seine angeblichen Levitationen.

Daß die erstgenannten Beispiele zum Standardrepertoire eines jeden Hobby-Zauberkünstlers gehören und daß die Levitation niemals unter Zeugen stattfand, sondern nur auf Fotos und Filmen festgehalten wurde, stört den Autor überhaupt nicht. Er übernimmt bar jeglicher Kritikbereitschaft die Behauptungen Peter Sugleris' und des mit der Untersuchung des Falls befaßten Psychiaters, der als vermeintlich stichhaltiges Argument für Sugleris' Glaubwürdigkeit die Frage aufwirft, welchen Nutzen denn der Betreffende von einem Täuschungsversuch habe. Eigentlich sollte man annehmen, daß einem ausgebildeten Psychologen wie Wiesendanger zu dieser Frage eine Menge Gründe einfallen sollten. Aber nichts dergleichen, Wiesendanger beläßt es dabei, eine eigene Meinung zu dem Thema hat er offenbar nicht.


Harald Wiesendanger
Die Jagd nach Psi
Über neue Phänomene an den Grenzen unseres Wissens
Fischer, Frankfurt am Main, November 1992
320 Seiten, DM 16,90
ISBN-Nr. 3-596-11140-4