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REZENSION/121: Wolf - Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung (SB)


Winfried Wolf


Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung



Nach dem 11. September 2001 sei 'nichts wie zuvor', heißt es allerorten. Tatsächlich ist alles so wie immer. Reale oder behauptete Terrorakte werden als Vorwand für Kriege und die Durchsetzung materieller Interessen genommen: 1914 das Attentat von Sarajewo, 1999 das 'Massaker von Racak', 2001 der Anschlag auf das World Trade Center.

Winfried Wolf setzt sich zu Beginn seines neuen Buches "Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung" von aller aufgeregten Spekulation um das Anbrechen eines neuen Zeitalters ab, dessen Fürsprecher einen vermeintlichen Angriff auf die Zivilisation konstatieren, um diese mit absolutistischer Machtfülle über den damit als barbarisch definierten Rest der Welt herrschen zu lassen und jeglichen Widerspruch gegen das Primat, letztgültig und folgenreich über Gut und Böse urteilen zu können, ohne völkerrechtliche Zügelung niederschlagen zu können.

Dieser Einstieg in die Analyse der politischen Entwicklung seit dem 11. Dezember ist in einer medialen Umwelt, die die von Wolf genannten Initialzündungen für neue Kriege ganz in einem allein die Angreifer begünstigenden Sinne versteht, durchaus vonnöten. Wo die Berichterstattung zum sogenannten Krieg gegen den Terrorismus bar jedes Verweises auf die hegemonialen Interessen seiner Betreiber ist, bietet das Ziehen der Fäden geschichtlicher Kontinuität das geeignete Antidot, das Publikum vom Wahn legalistischer Kausalkonstrukte zu kurieren, die in ihrer Einfalt das Niveau billigster Hollywood-Plots unterschreiten und gerade deshalb mit massiver Indoktrinationsgewalt vertreten werden müssen.

Der Bundestagsabgeordnete Wolf hat kürzlich zusammen mit seinen Kolleginnen Heidi Lippmann und Ulla Jelpke aus der PDS- Bundestagsfraktion dem deutschen Parlamentarismus während der Rede des US-Präsidenten George W. Bush zur Ehrenrettung verholfen. Zwar reduzierte sich dieser tatsächlich zur Kür einer Sternstunde der Demokratie taugende Auftritt auf einige Sekunden, da ein vermutlich für das Bundesverdienstkreuz vorgesehener Saaldiener den drei Abgeordneten das Spruchband mit der Aufschrift "Mr. Bush + Mr. Schröder: Stop your wars!" jäh entriß, doch artikulierte sich auf diese Weise der politische Unwille eines Teils der deutschen Bevölkerung, während sich die Claqueure im Plenum einmal mehr als gesichtslose Repräsentanten eines Herrschaftsinteresses kenntlich machten, das im Mittelpunkt der Ausführungen des Autors steht.

Wenn Wolf die "Antikriegsposition in Westeuropa und in der Bundesrepublik Deutschland" als "potentiell stark" einschätzt, dann liegt die Betonung allerdings auf dem Begriff des nicht manifest gewordenen Protestes, wie etwa die im Verhältnis zu früheren Aufmärschen gegen den Krieg geringe Zahl von Menschen zeigt, die anläßlich des Bush-Besuchs bundesweit auf die Straße gegangen sind. Angesichts der Dimensionen künftiger Kriege, deren Planung Wolf mit Zitaten amerikanischer Regierungspolitiker und der Darlegung der ökonomischen und geostrategischen Interessen von USA wie EU belegt, wäre ein sehr viel breiteres Engagement der deutschen Bürger zu erwarten gewesen. Zudem gesteht Wolf zu, daß die im Verhältnis zum Widerstand gegen den NATO-Überfall auf Jugoslawien größere Opposition gegen den Angriff auf Afghanistan auch durch ein profundes Eigeninteresse motiviert ist, das sich keineswegs grundlegend von der imperialistischen Agenda Washingtons unterscheidet, sondern eher dem Ärger der Zukurzgekommenen geschuldet ist:

Bloßer Antiamerikanismus lädt dazu ein, vo der extremen Rechten vereinnahmt zu werden. Der 'Unilateralismus' der USA besteht darin, daß ein Mafiaboß einen großen und wachsenden Teil der Weltpolitik bestimmt. Das 'bilalterale Gegenmodell', die Herausbildung einer EU mit militärischem Arm läuft darauf hinaus, daß zwei Gangsterbanden sich gegenseitig Markt und Beute streitig machen und sich gleichzeitig einen Wettlauf liefern, wer 'den Rest der Welt' unter seine Kontrolle bringt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb von einem demokratischen und sozialistischen Standpunkt aus das bilaterale Modell von Vorteil sein soll.

Der Autor versteigt sich an keiner Stelle zu Äußerungen, mit denen er unter jenen Ideologieverdacht geraten könnte, unter den linke Kritik sofort gestellt wird, wenn sie nicht in der Lage ist, ihren Angriff auf die Gültigkeit herrschender Positionen hundertfünfzigprozentig zu belegen. Vielmehr bemüht er sich darum, seine Kritik an der kapitalistischen Verwertungspraxis unter dem Dach des darüber weit hinausgreifenden bürgerlichen Interesses an der Verhinderung weiterer Kriege unterzubringen. Dementsprechend nüchtern und sachlich sind seine Ausführungen gehalten, was ihnen allerdings nichts von der Sprengkraft nimmt, die sie insbesondere bei Lesern entfalten dürften, die sich mit der Instrumentalisierung des 11. September bisher nicht entschieden auseinandergesetzt haben.

Ein Publikum, das den Krieg gegen den Terrorismus bisher für bare Münze genommen hat, kann sich durch Wolfs Darstellung der Kräfte, die vergangene wie zukünftige Aggressoren in immer neue Kriege treiben, allemal eines besseren belehren lassen, dafür sorgt schon die mit Zitaten aus Stellungnahmen von Politikern und der internationalen Berichterstattung reichlich versehene Dokumentation seiner Analyse. Wer sich nicht intensiv mit der Entwicklung der Ereignisse seit dem 11. September befaßt hat, dem dürfte schon die Schilderung des Zustandekommens politischer Entscheidungen in den USA wie der EU seit diesem Zeitpunkt von größtem Wert sein, läßt der Autor doch kaum ein Ereignis aus, das die Absichten der US-Regierung und die Entsprechung, die sie in den europäischen Hauptstädten fanden, als von hegemonialen Absichten getragen entlarvt. Indem er die letzten neun Monate in den Kontext langfristig angelegter Strategieentwürfe stellt, weist er nach, daß der Krieg, der die Dominanz der USA weltweit festigen soll, lange vor dem 11. September erklärt war, so daß die vermeintlich weltbewegende Katastrophe auf ihre katalysatorische Funktion zurechtgestutzt wird.

Dabei geht Wolf ausführlich auf den Zusammenhang zwischen ökonomischer Entwicklung und Kriegspolitik ein, wobei er nicht nur das Profitinteresse der US-Rüstungsindustrie und Energiewirtschaft, sondern auch das administrative Kalkül beschreibt, mit dem sich die Nationalstaaten im globalen Konkurrenzkampf positionieren. Seine Analyse des Verhältnisses der Staaten der globalistischen Triade untereinander ist von besonderem Interesse, handelt es sich doch dabei um einen traditionellen Streitpunkt zwischen Globalisierungsgegnern und Antiimperialisten. Während letztere quasi auf den Widerstand gegen neue Kriege abonniert sind, zeigt sich das globalisierungskritische Lager bislang nur bedingt gewillt, den Zusammenhang zwischen expansiver kapitalistischer Ökonomie und imperialistischen Kriegen herzustellen:

Eine Brücke bildet der Umstand, daß sich die Bewegung gegen die Globalisierung gegen die Macht der Konzerne und den Freihandel richtet. Beides hat viel mit den neuen Kriegen zu tun. Ein wesentliches Manko stellt die in der Anti- Globalisierungsbewegung vielfach vertretene Position dar, die globalen 'transnationalen Konzerne' beherrschten die Welt, während die Nationalstaaten keine Rolle mehr spielten. Das Gegenteil ist der Fall. Die international agierenden maßgeblichen Konzerne sind alle integraler Bestandteil weniger Nationalstaaten, die wiederum die entscheidende Rolle in der Weltpolitik, bei der Kontrolle des Weltmarktes und bei der Militarisierung der Politik spielen. (...) Aus der real existierenden Verbindung von Konzernmacht und Staatsmacht und aus der Weltmarktkonkurrenz erwächst vor allem der imperialistische Krieg - über die Armeen dieser Länder und Blöcke, über die jeweiligen militärisch-industriellen Komplexe und den Einfluß, den diese auf die Politik nehmen, über die Durchsetzung geostrategischer und energiepolitischer Interessen dieser Staaten im Interesse 'ihrer' Konzerne.

Wolfs Beschreibung der innerimperialistischen Konkurrenz insbesondere zwischen den USA und der EU sowie die Rolle Deutschlands in dieser Konstellation bietet die Grundlage zu einer Diskussion unter potentiellen wie aktiven Kriegsgegnern, die den notwendigen qualitativen Fortschritt in Analyse und Kritik befördern könnten, ohne den die deutsche Linke nach außen schwach und nach innen zerstritten bleiben wird. Gerade die Dominanz administrativer Gewaltlogik, von Wolf durch die Aussage, der Terrorismus würde "in den Stand eines Völkerrechtssubjekts" erhoben, auf den Begriff der fundamentalen Neudefinition internationalen Rechts gebracht, bei wachsender, immer weitere Teile der Weltbevölkerung betreffender materieller Not muß hinsichtlich der Gründe für die Proliferation des staatlichen Gewaltmonopols zur global wirksamen Exekutive der Neuen Weltordnung zu denken geben.

Hier steht mehr auf dem Spiel als die Raubinteressen einer kapitalistischen Elite und die bürokratische Eigendynamik ihrer Zuträger in Institutionen und Regierungen. Zwar hat mit dem 11. September kein grundlegender Wandel in der internationalen Politik stattgefunden, doch das Tempo, mit dem die traditionell herrschenden Kräfte ihre Machtposition ausbauen und die Veränderungen im Verhältnis von neoliberaler Destruktionswut und administrativer Strukturgebung vorangetrieben werden, läßt ahnen, daß die von Wolf beschriebene Dynamik kapitalistischer Verwertung auf die Finalität nicht mehr zu widerrufender Herrschafts- und Verteilungsverhältnisse zustrebt.

Winfried Wolf hat ein nicht nur sehr lesenswertes, sondern vor allem diskussionswürdiges Werk verfaßt, dem große Verbreitung zu wünschen ist. Daß er als Bundestagsabgeordneter für eine PDS aktiv ist, die sich auf dem schlechtesten Wege der Sozialdemokratisierung befindet, läßt hoffen, daß die Fürsprecher parlamentarischer Fundamentalopposition innerhalb der Partei noch nicht gänzlich unterliegen. Stellungnahmen wie die in diesem Buch anzutreffenden sind in ihrer Wirksamkeit ungleich höher anzusiedeln als jede halbgare Regierungsbeteiligung, die unter dem Vorwand praktizierter politischer Gestaltung die Bedeutung einer starken außerparlamentarischen Opposition und ihres parlamentarischen Standbeins dementiert. Erst die klare Sicht auf die Stärke des internationalen Abgleichs der Kräfte im Kontrast zur Schwäche nationaler Parlamente setzt den Bürger ins Bild über das tatsächliche Ausmaß seiner Partizipation, und dafür bedarf es einer unbestechlichen Opposition innerhalb und außerhalb der Institutionen.


Winfried Wolf
Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung
Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 2002