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REZENSION/229: E. Schmidt-Eenboom - Geheimdienst, Politik und Medien (SB)


Erich Schmidt-Eenboom


Geheimdienst, Politik und Medien

Meinungsmache UNDERCOVER



Die Verbindung von geheimdienstlichen und publizistischen Aktivitäten ist besonders prekär, da sie die Kollaboration zweier in der politischen Intention zwar konträrer, in ihrem hauptsächlichen Aktionsfeld jedoch sehr verwandter Professionen betrifft. Während verdeckt ermittelnde und operierende Staatsschützer aufgrund ihrer vielfältigen Möglichkeiten zur subversiven Beeinflussung öffentlicher Entscheidungsprozesse mehr noch als die bewaffneten Sicherheitsbehörden die Speerspitze exekutiver Gewalt darstellen, sollte es Aufgabe der sogenannten vierten Gewalt sein, als Korrektiv undemokratischer Entwicklungen zu fungieren. Staatliche Behörden, für die die Maßgabe demokratischer Transparenz paradoxerweise nur eingeschränkte Gültigkeit besitzt, obwohl sie den Wertekern demokratischer Verfaßtheit schützen, wären daher ein primäres Ziel investigativer journalistischer Aufklärung. Eine die Hintergründe administrativer Prozesse beleuchtende Berichterstattung bedarf ihrerseits Quellen und Informanten vertraulicher Art, so daß die Arbeit damit befaßter Journalisten der Informationsabschöpfung und Auswertungstätigkeit in Nachrichtendiensten nicht unähnlich ist.

Schon hier ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der geheimdienstlichen Einflußnahme, bedient sich die Strategie des Täuschens und Trügens zur Beeinflussung gesellschaftlicher Debatten und politischer Entscheidungsprozesse doch gerne der Manipulation der Medien. Journalisten können sich mehr oder minder bewußt zu Wasserträgern von Desinformationskampagnen machen, wobei der jeweilige Grad der eigenen Beteiligung am Zustandekommen öffentlichkeitswirksamer Camouflagen darüber entscheidet, ob man lediglich ein opportunistisches oder bereits offizielles Vertrauensverhältnis zu staatlichen Behörden unterhält.

Natürlich betrifft dieses Problem alle Formen der Manipulation des öffentlichen Meinungsklimas. So beklagen berufsständische Organisationen des Journalismus die weit verbreitete Präsenz von PR-Produkten im redaktionellen Bereich der Zeitungen, über die spezifische Absichten kommerzieller oder politischer Art verfolgt werden, ohne daß diese eigens als Fremderzeugnisse ausgewiesen wären. Der Klüngel gegenseitiger Nutznießverhältnisse, der persönliche Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern bestimmen kann, gehört ebenso zu den undemokratischen Machenschaften des Pressewesens wie die unterschwellige Drangsalierung von Journalisten, die unbequeme Meinungen vertreten, durch die unausgesprochene Androhung, sie auf ein Nebengleis zu schieben, ihren Arbeitsvertrag zu kündigen oder - im Falle von freien Autoren - ihnen keine Aufträge mehr zu erteilen.

Im Feld von "Geheimdienst, Politik und Medien" gesellt sich zur mehr oder minder beiläufigen Vorteilsnahme von Journalisten die professionelle Aktivität als Agent eines Nachrichtendienstes, der Aufgaben der Informationsbeschaffung wie -verbreitung erfüllt. Der bekannte Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom hat bereits 1998 mit seinem Buch "UNDERCOVER. Der BND und die deutschen Journalisten" Furore gemacht. Die Neuauflage dieses umstrittenen Werks, dessen Verfasser mehrfach mit Klagen wegen angeblicher Verletzung des Persönlichkeitsschutzes überzogen wurde, wurde nicht nur überarbeitet und durch die Fortführung bereits geschilderter Verstrickungen von Medien und Geheimdiensten ergänzt, sie ist völlig neu strukturiert und enthält zudem Fälle, über die Schmidt-Eenboom vor sechs Jahren noch nicht berichten konnte:

Hinweise an den Autoren gab es seit 1998 viele: auf weitere Einzelheiten und auf neue Fälle - zumeist jedoch unter der Hand. Eine völlige Neuauflage des Buches hätte das sowenig gerechtfertigt wie der weitere Gang einiger in UNDERCOVER erzählter Geschichten. Vielmehr sind einige Hundert neuer Geheimdienstdokumente aus diesem Themenfeld zutage getreten, die es erlauben, so manche Story fortzuschreiben und völlig neue zu berichten. Exakter noch als vorher war es möglich, das stille Miteinander - in anderen Fällen auch das verschwiegene Gegeneinander - von Bundesnachrichtendienst und Medien zu analysieren. (S. 14f.)

Hinsichtlich der Rekrutierung von Journalisten als Informanten insbesondere für den Bundesnachrichtendienst (BND) liest sich das Buch wie ein Kompendium der westdeutschen Medien in der Zeit des Kalten Krieges. Affären der Nachkriegszeit werden unter dem speziellen Blick auf die Rolle der Medien im Schattenfeld ihrer Instrumentalisierung durch den Staat wieder lebendig, und in der alten BRD wohlbekannte Journalisten wie Stern-Gründer Henri Nannen, die Zeit-Chefredakteurin Marion Gräfin Dönhoff oder der Stellvertretende Quick-Chefredakteur Heinz van Nouhuys werden in ihrer Nähe zu den Diensten transparent. Wer erinnert sich nicht an den notorischen Kommunistenfresser Gerhard Löwenthal? Von Schmidt- Eenboom erfährt man, daß nicht nur der berühmte ZDF-Moderator, sondern eine ganze Riege von Mitarbeitern des Mainzer Senders dem BND zuarbeitete.

Die personellen Kontinuitäten zwischen NS-Staat und alter BRD im Bereich der Presse und des Rundfunks sowie die Zusammenarbeit einzelner Journalisten mit gleichfalls vom NS-Regime geprägten Geheimdienstlern werden ausführlich behandelt, sind jedoch von eher historischem Interesse. So unentbehrlich diese Informationen für die Beurteilung der deutschen Nachkriegsgeschichte sein mögen, lassen sie doch nur bedingt Rückschlüsse auf die heutige Infiltration der Medien durch aktive Mitglieder des Geheimdienstapparats oder angeworbene Informanten zu. Richtig interessant wird es überall dort, wo Schmidt-Eenboom über heute noch aktive Journalisten und deren Nähe zum BND berichtet.

Wenn er etwa schildert, daß der ehemalige Bundeskulturminister und langjährige Mitarbeiter der Zeit, Michael Naumann, nicht nur Schwiegersohn von BND-Präsident Gerhard Wessel war, sondern auch 1970 als "angeblicher 'Zufallskontakt'" (S. 166) vom BND mit eigenem Decknamen geführt wurde, dann liest man seinen Nachruf auf den dieses Jahr verstorbenen Mitbegründer des Kongresses für kulturelle Freiheit (CCF), laut Schmidt-Eenboom "die bedeutendste antikommunistische Tarnorganisation der CIA in Europa" (S. 253), und Herausgeber der vom CCF finanzierten Zeitschrift Der Monat, Melvin Lasky, in der Zeit vom 27. Mai 2004 mit anderen Augen.

Das Kapitel "Kulturelle Freiheit - Publizisten für die CIA", in dem Schmidt-Eenboom ausführlich über die Aktivitäten des CCF referiert, gehört zu den Höhepunkten des Buches, da es das höchst aktuelle Thema der transatlantischen Beziehungen zwischen BRD und USA mit Details aus ihrer konstitutiven Phase ergänzt, die heute noch von Bedeutung für den Stand der Beziehungen zwischen dem ehemaligen Frontstaat des Kalten Krieges und der amerikanischen Supermacht sind. So wird auf die Rolle des CCF bei der Gründung der deutschen Sektion der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international (ai) verwiesen und in einem eigenen Kapitel über deren Mitbegründerin Carola Stern die Auseinandersetzung geschildert, die der Autor mit der renommierten Publizistin in dieser Angelegenheit führen mußte. Die engen Beziehungen Willy Brandts zum CCF dokumentiert Schmidt-Eenboom unter anderem mit einer spektakulären Bemerkung des früheren Brandt-Vertrauten und SPD-Ostpolitikers Egon Bahr:

Seine 30jährige Erfahrung mit den Geheimdiensten zeige ihm, dass alle Bundeskanzler von Adenauer bis Kohl 'IMs der CIA' gewesen seien, selbst abgeschöpft und zugleich auch abschöpfend. (S. 357)

Hinsichtlich des Grades an im Monat und anderen von der CIA beeinflußten Publikationen vorgenommener Zensur nimmt Schmidt- Eenboom eine Bewertung vor, die die Frage aufwirft, ob die inhaltliche Bandbreite der Autoren, die mehr oder weniger wissentlich für Zeitungen schrieben, an deren Existenz ein amerikanischer Geheimdienst aktiven Anteil hatte, tatsächlich so groß wie hier dargestellt war:

Laienhafte Vorstellungen - und das ist oft auch die Position kommunistischer Kritiker, die es aus ihrem eigenen Lager nicht anders kennen - gehen dahin, die westlichen Nachrichtendienste hielten Meinungsmacher, die sie beeinflussen oder sogar führen, am kurzen Zügel und wirkten unmittelbar auf deren Arbeit ein. Doch das Erfolgsrezept der PR-Arbeit aus Langley bestand gerade darin, dass die Autorinnen und Autoren in ihrer geistigen Arbeit völlige Freiheit besaßen, in ihrer Summe eine große Bandbreite unterschiedlicher Meinungen repräsentierten und sich der Absicht der Hintermänner in den seltensten Fällen bewusst waren. Nur durch die Zwanglosigkeit der Bindungen, durch die getarnte Schaffung eines unverbindlichen Forums und durch leise Anstöße zur Bildung von Zirkeln und Diskussionsforen konnte sich das Potential der antikommunistischen Linken für die CIA mobilisieren lassen. Viele herausragende Linke hätten sich nicht in den Dienst der antikommunistischen Sache gestellt, wenn ihnen Direktiven erteilt worden wären oder wenn sie die lenkende Hand eines Geheimdienstes im Hintergrund gewusst hätten. (S. 356)

Diese Sicht des Autoren erscheint doch etwas blauäugig angesichts der Eindeutigkeit der antikommunistischen Stoßrichtung und ihrer Bedeutung für den großen strategischen Rahmen der Systemkonkurrenz. Gerade linke Intellektuelle wußten sehr genau, welchen Kräften sie zuarbeiteten, wenn sie die Sowjetunion und die DDR im Rahmen der damaligen Blockkonfrontation angriffen. Wie ausgeprägt die Bereitschaft, sich einer Revision der eigenen Prinzipien und Ideale zu unterziehen, gerade unter linken Autoren und Aktivisten ist, läßt sich unschwer an der militaristischen und neoliberalen Politik studieren, die viele ehemalige Mitglieder der 68er-Bewegung, kommunistischer Kaderparteien und linksalternativer Organisationen, die heute hohe Regierungsämter bekleiden oder die Ministerialbürokratie bevölkern, vertreten. Schmidt-Eenboom weist die betont liberale Publikationspraxis der CIA zu Recht als Erfolgsrezept aus, doch ginge deren Rechnung ohne den Kernsatz opportunistischer Apologetik, daß sich nur treu bleibt, wer sich wandelt, nicht auf. Zudem haben Systeme der repressiven Toleranz gerade für Nachrichtendienste den Vorteil, daß vieles in aller Öffentlichkeit geschieht, was man ansonsten aufwendig ermitteln müßte.

Die Geschichte des CCF ist vor allem auch deshalb interessant, weil sie Aufschluß über die Beeinflussung der Öffentlichkeit demokratischer Staaten durch die geheimdienstliche Manipulation der Medien gibt. Dieses in der Erstausgabe von UNDERCOVER nur wenig behandelte Problem wird nun etwas ausführlicher beleuchtet. Das ist erfreulich, da die Bedeutung der medialen Lenkung von Entscheidungsprozessen in der BRD wohl niemals größer war als zu einer Zeit, in der die zunehmende Virtualität des gesellschaftlichen Lebens neue Formen des Zugriffs auf politische Prozesse eröffnet hat.

So spricht nicht nur die personelle Besetzung mancher Zeitungs- und Rundfunkredaktion mit Journalisten, die auf der Gehaltsliste des BND oder eines anderen Dienstes stehen, dafür, daß der Fluß echter oder irreführender Informationen durchaus zwei Richtungen nehmen kann. Schmidt-Eenboom streut an diversen Stellen des Buches konkrete Hinweise auf die Existenz einer Manipulationspraxis, die die journalistische Ethik, derzufolge unter allen Umständen unabhängig zu berichten sei, als so hehren wie wirkungslosen Anspruch kennzeichnet.

Tabu aber sollte jede nachrichtendienstliche Tätigkeit sein, und dazu zählt auch die Funktion als Einflussagent. 'Diese liefern selten Berichte', konstatierte Manfred Bissinger, 'sie hatten Berichte zu lancieren'. (S. 21)
"Bei der Auslandsarbeit ist es überdies Teil des Regierungsauftrags, Einflussagenten zu rekrutieren, Multiplikatoren in Medien und Politik für deutsche Interessen zu mobilisieren. Worauf Süskind allerdings 1974 in seinem Artikel anspielte, war die gerüchteweise in Bonn kursierende Liste von Kolleginnen und Kollegen, die nicht etwa als Beschaffungshelfer oder Agenten des BND tätig waren, sondern denen nachgesagt wurde, als Einflussagenten die öffentliche Meinung in Westdeutschland im Sinne Pullachs zu beeinflussen." (S. 21)
Auch die Osteuropa-Forschung der alten Bundesrepublik hatte Pullach weitgehend unter Kontrolle. Sowohl an den Universitäten als auch in den einschlägigen Instituten standen führende Wissenschaftler auf der Pay-roll des BND. Und natürlich suchte der BND auch Einfluss auf die Periodika in diesem Feld zu nehmen. (S. 273)
Ein richtiger Stachel im Fleisch der sozialliberalen Regierung war der Welt-Mann, aber nicht im Sinne einer legitimen Wächterfunktion der Presse gegenüber dem staatlichen Machtapparat, denn Vielain verspritzte nur allzuoft das böse Gift der Desinformation. (S. 280)

Insgesamt wird dieser Teil der Arbeit der Nachrichtendienste eher gestreift, allerdings geht aus den Puzzleteilen, die der Autor zur Kooperation von Verlagskonzernen, Zeitungen und Radio- wie Fernsehsendern mit Geheimdiensten liefert, ein recht eindeutiges Bild hervor. So vergißt der Autor nicht, den berüchtigten irakischen Informanten des BND zu erwähnen, der, von der CIA mit dem Decknamen "Curveball" versehen, beim Auftritt des US- Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 als Belastungszeuge angeführt wurde. Da sich Curveball später als Anhänger des damals noch von den USA protegierten Exilirakers Ahmed Chalabi entpuppte, von dem man heute weiß, daß er und seine Organisation Irakischer Nationalkongreß einen großen Teil der Desinformationen lieferte, mit denen die US-Regierung den Eindruck erzeugte, Saddam Hussein verfüge noch über Massenvernichtungswaffen, versuchte der CIA, den BND für die Panne verantwortlich zu machen. Die wenig feine Art, mit der hier die Schuld am Errichten Potjemkischer Dörfer verschoben wurde, täuscht jedoch darüber hinweg, daß die berühmten rollenden Biowaffenlabore, deren Existenz Curveball halluzinierte, schon zum Zeitpunkt ihrer Präsentation durch den US-Außenminister von Experten als wenig glaubwürdig eingestuft wurden.

Gerade das Thema der irakischen Massenvernichtungswaffen zeigt, wie sehr Geheimdienste politischen Zwecken und Zielen nachgeordnet sind. Lange vor Kriegsbeginn war der kritischen Öffentlichkeit in der westlichen Welt klar, daß die US-Regierung mit allen Mitteln einen Krieg vom Zaun zu brechen gedachte, dessen Absegnung durch den UN-Sicherheitsrat sich nicht ohne massive Manipulationen erwirtschaften ließ. An diesen waren amerikanische Geheimdienste wesentlich und vor allem jenseits der meist im Vordergrund stehenden Frage nach der Qualität ihrer Fachkompetenz als Aufklärer beteiligt. Sie fungierten als Produzenten einer künstlichen Realität, die heute so gründlich dementiert ist, daß die Frage, ob Geheimdienste der Demokratie eher schadeten denn nützten, gar nicht erst gestellt werden muß. Daß der amerikanische Geheimdienstapparat in jedem Fall, ob er nun versagt oder mit seinen Einschätzungen richtig gelegen haben soll, mit einer Aufstockung seiner Mittel rechnen kann, unterstreicht sein operativ-strategisches Potential zur Anbahnung und Legitimation politischer Entscheidungen.

Die vom konkreten Ergebnis sachgemäßer Aufklärungsarbeit weitgehend abgekoppelte Wertschätzung der Dienste gilt auch für den BND. Auch wenn er die Informationen Curveballs mit gebotener Skepsis als nur bedingt glaubwürdig einstufte, fuhr der deutsche Auslandsgeheimdienst hinsichtlich der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak seit Jahren die gleiche Linie wie seine amerikanischen Partnerdienste. Indem er insbesondere über die Springer-Presse Gerüchte über irakische Massenvernichtungswaffen lancierte, kann ihm der Vorwurf einer kriegsbegünstigenden Einflußnahme, selbst wenn diese mit dem Etikett "BND" versehen war und daher nicht von vornherein subversiven Charakter besaß, nicht erspart werden.

So meldete die Bild-Zeitung am 25. August 2000 die sensationelle Entdeckung der "geheimen" Raketenfabrik Al Mamoun durch den BND. Postwendend erklärte UNMOVIC-Sprecher Ewen Buchanan, der schon der UNSCOM angehört hatte, daß die Fabrik den UN-Waffeninspekteuren seit langem bekannt sei und die Anlage "jahrelang routinemäßig überwacht" wurde. In dem gleichen Beitrag der Bild-Zeitung wurde eine BND-Sprecherin mit der Anschuldigung zitiert, der Irak stelle "Studien für irakische Raketen mit Reichweiten bis zu 3000 Kilometern" an, von denen nach Einschätzung des BND die "sehr reale Gefahr" ausgehe, "daß auch Deutschland eher früher als später in die Reichweite dieser Waffen gerät". Damit gingen Spekulationen über atomare, biologische und chemische Waffen einher, mit denen unterstellt wurde, das am Boden liegende Land stelle eine ernsthafte Bedrohung der Bundesrepublik dar. Doch auch die durch Bild unter Berufung auf den BND verbreitete Behauptung, daß die Feststoffrakete Ahabil-100 mit einer Reichweite von 150 Kilometern "jetzt so aufgerüstet werden (soll), daß sie Mitteleuropa erreicht", ließ sich wie alle anderen Angaben niemals verifizieren.

Im Februar 2001 ließ der BND verbreiten, der Irak könne innerhalb von drei Jahren in der Lage sein, eine eigene Atombombe herzustellen. Diese Behauptung, die den amerikanischen Sicherheitsexperten Kenneth Pollack anläßlich einer Analyse der Kriegsgründe seiner Regierung in der diesjährigen Februar-Ausgabe des Atlantic Monthly zu dem Resümee veranlaßte, daß der BND "die düsterste Einschätzung von allen hatte", wurde sogar von israelischen Sicherheitsexperten und Geheimdienstlern dementiert. Sie bezeichneten die Angabe des BND in der Tageszeitung Haaretz vom 26. Februar 2001 als übertrieben und verkündeten ihrerseits, der Irak benötige mindestens sieben bis acht Jahre, bevor er wieder in den Stand gelange, sich am dem Bau einer Atombombe zu versuchen. Unbeirrt meldeten diverse deutsche Zeitungen im Januar 2002, der Irak könne nach Einschätzung des BND in "drei bis fünf Jahren" bei der Atomrüstung wieder den Stand von 1990 erreichen und hätte bereits "nuklearrelevante Basischemikalien" eingekauft. Die BND-Agenten hätten auch Hinweise dafür gefunden, daß der Irak sein "Bio-Toxin-Programm fortführt" und "eine mobile B-Waffenkapazität aufbaut".

Als Bild am 15. September 2002 unter Berufung auf eine "vertrauliche Unterrichtung von Bundestagsabgeordneten" durch BND-Chef August Hanning behauptete, der Irak plane Angriffe auf westliche Staaten mit ferngesteuerten Kampfjets, brauchte der BND einen halben Tag, um die Urheberschaft dieser Information zu dementieren. Da war die Meldung jedoch schon über alle Kanäle gegangen und hatte den Eindruck hervorgerufen, der Irak wolle Anschläge nach dem Muster des 11. September durchführen. Dem Dementi wurde nicht annähernd so viel Raum gegeben wie der Kriegsmobilisierung, zudem wurde nie klar, ob BamS tatsächlich gedichtet oder in Kooperation mit dem BND desinformiert hatte.

Schmidt-Eenboom liegt also sehr richtig mit seiner Bewertung der Melange aus privatwirtschaftlicher, öffentlich-rechtlicher und staatlich-administrativer Beeinflussung der Öffentlichkeit seit dem 11. September 2001 und dem Irakkrieg:

War die publizistische 'Terror-Industrie' vorher ein Nebenkriegsschauplatz, stieg sie in den am Irak-Krieg beteiligten Nationen ab dem Herbst 2001 zu dem größten bisher dagewesenen Kampagnenjournalismus im Dunstkreis von Diensten und Regierungspropaganda auf. (S. 22f.)

Von besonderem Interesse sind Schmidt-Eenbooms Ausführungen über geheimdienstkritische Literatur und den Umgang der betroffenen Dienste mit dem Anrecht der Bürger auf Aufklärung über ihre Arbeit. Schmidt-Eenboom meldet sich dabei nicht nur in eigener Sache zu Wort, sondern läßt die Werke anderer Autoren Revue passieren, nicht ohne einige von ihnen hinsichtlich ihrer Nähe zum Gegenstand ihrer Untersuchung kritisch zu würdigen. Zudem schildert er anhand einiger Beispiele, mit welchen Schwierigkeiten es Autoren zu tun bekommen können, wenn sie sich zu tief ins Reich der Schattenkrieger vorwagen. Von geradezu anekdotischem Charakter ist die von Schmidt-Eenboom anläßlich der geplanten Veröffentlichung eines Enthüllungsbuches des ehemaligen BND- Mitarbeiters Norbert Juretzko aufgeworfene Frage zur Belastbarkeit der neuen Politik des BND, sich nicht mehr so zugeknöpft wie zu Zeiten des Kalten Kriegs zu geben:

"Nicht zu Unrecht hat die Berliner Zeitung am 22. Mai 2004 die Reaktion des von dem Verlagsprospekt überraschten Dienstes zur Nagelprobe dafür erklärt, ob der BND endgültig mit seiner Vergangenheit gebrochen hat und die Veröffentlichung souverän hinnehmen wird, oder ob er gegen Buch und Autor vorgehen wird und dabei sein neues Image als bloße Fassade entlarvt." (S. 346f.)

Am 5. September meldete die Deutsche Presse-Agentur nicht nur, daß die Bundesanwaltschaft gegen Juretzko wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat ermittle, sondern auch, daß nur drei Tage vor der aus Sorge um eine Beschlagnahmung vorgezogenen Auslieferung des Titels "Bedingt dienstbereit" in die Räume des Berliner Ullstein- Verlages, der das Buch herausgibt, eingebrochen wurde - drei Unbekannte hätten sich als Verlagsmitarbeiter ausgegeben und gezielt bestimmte Büroräume durchsucht.

Die Überarbeitung und Neuherausgabe des Buches UNDERCOVER hat sich allenthalben gelohnt, denn gerade zu dem prekären Thema staatlich orchestrierter Meinungsmache herrscht stets Aufklärungsbedarf. Es handelt sich in erster Linie um eine Arbeit über die Tätigkeit der Geheimdienste und kein medientheoretisches Werk, das gerade deshalb all jenen zur Lektüre anempfohlen sei, die sich mit der virtuellen Inszenierung gesellschaftlicher Wirklichkeit beschäftigen. Die bisweilen sehr handfesten Grundlagen fast täglich über die Schirme flimmernder und den Blätterwald durchrauschender Fantasmen können in einer sogenannten Mediendemokratie nicht genug Beachtung finden, und Schmidt-Eenboom trägt mit einer Fülle an akribisch dokumentierten Fakten und kritischen Bewertungen dazu bei, die sogenannte Medienkompetenz um einen essentiellen Faktor zu erweitern.


Erich Schmidt-Eenboom
Geheimdienst, Politik und Medien
Meinungsmache UNDERCOVER
Kai Homilius Verlag, Berlin 2004
401 Seiten, 24,80 Euro
ISBN 3-89706-879-6