Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/265: Josef Braml - Think Tanks ... (Politikberatung) (SB)


Josef Braml


Think Tanks versus "Denkfabriken"?

Strategien, Management und Organisation politikorientierter Forschungsinstitute (deutsche Zusammenfassung)



Am 26. Februar 2003, nur wenige Wochen vor dem Irakkrieg, hielt US-Präsident George W. Bush eine in der internationalen Presse kaum beachtete Rede vor dem American Enterprise Institute (AEI), einem in Washington angesiedelten Think Tank. Darin erklärte er, daß ein Regimewechsel in Bagdad "ein neues Kapitel des Friedens in Nahost aufschlägt und den Fortschritt hinsichtlich eines wahrhaftig demokratischen palästinensischen Staates anstößt", der anstehende Feldzug also über die Grenzen des Irak hinaus Bedeutung für die gesamte Region haben solle. Nicht nur die Iraker, der gesamte Nahe und Mittlere Osten sollte am Sturz Saddam Husseins genesen, verkündete Bush und gewährte dem Publikum eine Kostprobe jenes messianischen Pathos', das in seiner zweiten Inaugurationsrede zu einem Manifest der Freiheit, wie dieser Präsident sie versteht, erblühte:

Die Welt hat ein eindeutiges Interesse an der Verbreitung demokratischer Werte, weil stabile und freie Nationen nicht die Ideologien des Mordes ausbrüten. (...) Wir schreiten mit Zuversicht voran, weil wir in die Macht der menschlichen Freiheit vertrauen, das Leben der Menschen und Nationen zu verändern. Durch die Entschlossenheit und Zielgerichtetheit Amerikas und unserer Freunde und Alliierten werden wir ein Zeitalter des Fortschritts und der Freiheit begründen. Freie Völker werden den Kurs der Geschichte setzen, und freie Völker werden den Frieden der Welt bewahren.

Indem Bush die neokonservative These einer dieses Mal den USA zuarbeitenden Dominotheorie, derzufolge die Eroberung des Irak Ausgangspunkt der Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens sein werde, bestätigte, gab er schon vor dem Irakkrieg zu verstehen, daß er eine Richtungsentscheidung für die Durchsetzung amerikanischer Interessen in der Region traf, die mit der angeblichen Beseitigung irakischer Massenvernichtungswaffen nichts zu tun hatte. Während inzwischen hinlänglich bewiesen ist - zuletzt durch das am 1. Mai 2005 in der Sunday Times veröffentlichte Memorandum eines Treffens zwischen dem britischen Premierminister Blair und hochrangigen Mitgliedern seines Kabinetts und des Geheimdienstes, aus dem hervorging, daß Bush schon im Juli 2002 definitiv entschieden hatte, den Irak zu erobern und zu besetzen -, daß die Entscheidung der US-Regierung zum Kriege unabhängig von der Mandatierung durch den UN- Sicherheitsrat getroffen wurde, stellte Bushs damaliger Auftritt vor einer zentralen Ideenschmiede des Neokonservativismus und Brutstätte wichtiger ideologischer und strategischer Entwürfe, die dem globalen Dominanzstreben der USA zugrundeliegen, eigentlich eine kleine Sensation dar. Wer Ohren hatte zu hören, konnte vernehmen, daß es sich bei den bis dato präsentierten Kriegsgründen um Mittel zu einem Zweck handelte, der in seiner Ausführung so rücksichtslos wie in seinem Anspruch heilig war.

Am American Enterprise Institute arbeiten einige der besten Denker unserer Nation an einigen der größten Herausforderungen unseres Landes. Ihr macht so gute Arbeit, daß sich meine Administration 20 dieser Denker ausgeliehen hat. Ich möchte ihnen für ihren Dienst danken, aber ich möchte die Menschen auch daran erinnern, daß die Gelehrten des AEI 60 Jahre lang entscheidende Beiträge für unser Land und unserer Regierung erbracht haben und daß wir dankbar für diese Beiträge sind.

Bush hatte allen Grund, am 26. Februar 2003 ein Loblied auf diese Institution zu singen, bildete sie doch das intellektuelle Rückgrat seiner Präsidentschaft. So dankte er der am AEI tätigen Lynne Cheney, die nach dem 11. September 2001 damit Furore machte, angeblich antiamerikanisch denkende Akademiker öffentlich anzuprangern, für ihre Freundschaft und ihrem Ehemann Dick Cheney für seine Tätigkeit in seiner Regierung. Der Vizepräsident war früher selbst Senior Fellow am AEI gewesen, der ehemalige republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, hatte nach seinem spektakulären Karriereknick Aufnahme am AEI gefunden, und der umstrittene Außenpolitiker John Bolton war als Vizepräsident des Think Tanks tätig gewesen.

Das 1943 gegründete AEI hatte bereits 27 seiner Mitglieder in die Reagan-Administration entsandt, darunter die damalige UN- Botschafterin Jeane Kirkpatrick. Wie groß der Einfluß des Instituts auf die Bush-Regierung ist, beweisen Namen wie Richard Perle, der dem Defense Policy Board (DPB) des Pentagon vorstand und als wichtiger Impulsgeber für Verteidigungsminister Donald Rumsfeld galt, oder David Frum, der als Redenschreiber des US- Präsidenten den Begriff der "Achse des Bösen" geprägt hatte. Neben diesen zählen Ikonen der Neokonservativen wie Michael Novak, Frank Gaffney oder Michael Ledeen zu den Mitarbeitern des Instituts, das wiederum eng mit dem von William Kristol, Sohn des AEI-Gründers Irving Kristol, 1997 ins Leben gerufenen Project for the New American Century (PNAC) verbunden ist. In diesem institutionellen Rahmen haben Vizepräsident Cheney, der ehemalige Stellvertretende Verteidigungsminister und heutige Weltbankpräsident Paul Wolfowitz, ehemalige Vertreter des State Department wie Richard Armitage und John Bolton und andere hochrangige Regierungsbeamte wie Elliot Abrams und Zalmay Khalilzad den unipolaren Hegemonialanspruch der Vereinigten Staaten formuliert. Es würde zu weit führen, hier auf die vielen Verästelungen des Netzwerks neokonservativer Washingtoner Think Tanks, Stiftungen und PR-Agenturen einzugehen, man kann jedoch davon ausgehen, daß in ihm die Namen der meisten Personen und Foren auftauchen, die die imperiale Agenda dieser US-Regierung geprägt haben.

Daß niemand Geringeres als der US-Präsident kurz vor einer der wichtigsten Entscheidungen seiner ersten Amtszeit an einer Institution eine Rede hält, die als ein Knotenpunkt dieses Netzwerks bekannt ist, und darin dokumentiert, daß er dem dort favorisierten Konzept amerikanischer Geostrategie folgt, hätte die Bedeutung dieser Ideenschmiede nicht besser unterstreichen können. Es bedarf keiner obskuren Verschwörungstheorien, die elementare Bedeutung dieses und anderer Institute der Politikberatung für die amerikanische Außenpolitik wie alle anderen Politikfelder zu würdigen.

Das AEI mag ein herausragendes Beispiel für die Verquickung von Sonderinteressen mit denen gewählter Volksvertreter sein, es ist jedoch durchaus repräsentativ für den zunehmenden Einfluß der gemeinnützigen wie kommerziellen Beratungsindustrie auf politische Entscheidungen. Es kann in diesem Sinne stellvertretend für Namen wie Brookings Institution, Carnegie Endowment for International Peace, Heritage Foundation oder RAND genommen werden, als deren deutsche Pendants die Bertelsmann Stiftung, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) oder die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gelten können.

Natürlich stellt sich angesichts des geballten Sachverstands und der wohlorchestrierten PR-Kampagnen, mit denen staatlich geförderte wie privat finanzierte Institutionen außerhalb der demokratisch legitimierten Verfassungsorgane auf den politischen Prozeß einwirken, die Frage nach dem Verhältnis von partizipatorischem Anspruch und technokratischer Wirklichkeit. Um dieser auf den Grund zu gehen, bietet das Buch "Think Tanks versus "Denkfabriken"?" von Josef Braml einige wertvolle Hilfestellungen. Der Autor gewährt mit seiner im Januar 2001 fertiggestellten Dissertation Einblicke in die Binnensicht der wissenschaftlichen Politikberatung, die hinsichtlich der Relevanz ihrer Selbsteinschätzung wie ihrer institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Gegenstand seiner Untersuchung ist. Braml, selbst wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand einer systematischen Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten amerikanischer und deutscher Think Tanks die spezifischen Bedingungen ihrer Positionierung auf "dem finanziellen und politischen Marktplatz" (S. 551) zu eruieren. Dabei gelangt er zu dem naheliegenden Ergebnis, daß diese Mittler und Gestalter des politischen Prozesses zugleich maßgeblich von diesem geprägt werden:

Think Tanks wurden eingangs definiert als Organisationen von homines mediatorici, welche spezifische Kommunikationsrollen übernehmen, um einen (öffentlich perzipierbaren) Einfluß auf die Politikgestaltung auszuüben. Die empirischen Befunde legen den Schluß nahe, daß ihre Raison d'être, ihre auszuübende Rolle, vom jeweiligen Kontext abhängt. Aus vergleichender Perspektive betrachtet, erweist sich erstens die strategische Orientierung von amerikanischen und deutschen Think Tanks jeweils als verwoben mit ihrer institutionellen, rechtlichen, finanziellen, arbeitsmarktspezifischen, technologie-/ medienspezifischen, intellektuellen und zunehmend wettbewerbsorientierten Umwelt. Zweitens plazieren sich die verschiedenen Typen bzw. Markenzeichen/Identitäten (brand identities) von Think Tanks in unterschiedlichen Segmenten sowohl auf dem politischen als auch auf dem Ressourcenmarktplatz. (S. 614)

Auf dem Weg zu diesem Ergebnis, das Braml im Rahmen eines kommunikationstheoretischen Ansatzes erzielt, der auf einer statistischen Erhebung basiert, die der Autor bei deutschen und amerikanischen Think Tanks mithilfe eines im Buch wiedergegebenen Fragebogens durchgeführt hat, erfährt der Leser viel Wissenswertes über die Strategien und Orientierungen, mithilfe derer sich die verschiedenen Ausprägungen der Politikberatung auf den besagten Marktplätzen behaupten. Die Analyse des Verhältnisses der Think Tanks zu staatlichen und privaten Geldgebern wie den Adressaten ihrer Arbeit nimmt den größten Raum der Abhandlung ein, wird mit ihm doch, wie die von Braml attestierte Kontextabhängigkeit der Politikberatung nahelegt, über Zwecke und Ziele der jeweiligen Einflußnahme entschieden.

Es gibt viele Institutionen, die den politischen Prozeß von außen bestimmen, da sie über Möglichkeiten des Adressierens politischer Themen verfügen, die innerhalb des Geflechts aus Parteien, Parlamenten, Ministerien und Kabinett aus Gründen der Kompetenzbegrenzung, der Konkurrenz innerhalb des Apparates, bürokratischer Eigendynamik oder ideologischer Festlegung neutralisiert werden. Um Think Tanks einerseits von PR-Agenturen und Lobbyisten, die aus rein kommerziellen oder partikulären Interessen heraus tätig werden, und andererseits von Instituten, die Bestandteil staatlicher Administration sind, abzugrenzen, bietet Braml eine Begriffsdefinition an, die er einer Arbeit der Politikwissenschaftler R. Kent Weaver und James McGann entlehnt hat. Ihnen zufolge sind

"Think Tanks Organisationen des dritten Sektors, welche - in rechtlicher Hinsicht einen Gemeinnützigkeitsstatus genießen, - vom zentralen politischen Entscheidungssystem "unabhängig" sind, - und deren erklärte Zielsetzung es ist, auf den politischen Entscheidungsprozeß Einfluß zu nehmen, indem sie mehrere, für sie charakteristische Rollen ausüben." (S. 555)

Dem Autor geht es darum, einen recht eng umrissenen Typus der Politikberatung in den Mittelpunkt seiner Abhandlung zu stellen. Dazu nutzt er die diversen Rollen der Think Tanks, die allesamt um die Aufgabe der Kommunikation zwischen "der Zivilgesellschaft und dem zentralen politischen Entscheidungssystem" (S. 556) kreisen, zur Abgrenzung dieser "zivilgesellschaftlichen Aggregate (Organisationen)" (S. 556) von "Interessengruppen, Universitäten, Elitenetzwerken, nicht-operativen Stiftungen, politischen Consultants, privaten Consulting-Firmen - sowie von staatlichen Beratungseinheiten bzw. wissenschaftlichen Hilfsdiensten" (S. 557). Notgedrungen kommt es hier zu Überschneidungen zwischen den diversen Typen der Politikberatung zumal in einem Ländervergleich, in dem unterschiedliche politische Kulturen zur Geltung gelangen, was jedoch hinsichtlich der Frage, welche Interessen sich welcher Kanäle bedienen, von nachrangiger Bedeutung ist. Die Komplexität der Politikberatung reduziert sich in hegemonietheoretischer Hinsicht auf wenige alternierende Strömungen von eindeutiger hierarchischer Ordnung, wie etwa die neoliberale Angebotstheorie zeigt, die das Feld der mit ökonomischen Fragen befaßten Institute seit Jahren beherrscht.

Um die Auswirkungen des politischen Umfeldes auf die Think Tanks beurteilen zu können, erfährt man im englischsprachigen Hauptteil des Buches viel über die Unterschiede der Regierungssysteme der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten. Für die Beraterbranche relevante Themen wie die gesetzlichen Grundlagen für Parteispenden und für das Stiftungswesen, die Zugänglichkeit der parlamentarischen Systeme für äußere Akteure, das Verhältnis zwischen Regierung und Think Tanks hinsichtlich des Charakters ihrer Arbeit und die Frage der Finanzierung durch die öffentliche Hand respektive private Sponsoren werden ausführlich im Kontext der jeweiligen administrativen Kultur abgehandelt. Die verschiedenen Typen von Think Tanks werden anhand ihrer Finanzierung, Personalpolitik, Arbeitsausrichtung und ihres Leistungskatalogs differenziert und daraufhin untersucht, ob sie eher parteilich agitieren oder um Neutralität bemüht sind.

Wem die Lektüre des englischsprachigen Teils zu aufwendig ist, der kann sich in der knapp 80 Seiten starken deutschen Zusammenfassung die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung verfügbar machen. Allerdings werden die Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Think Tanks weitgehend anhand der institutionellen und bürokratischen Aspekte der Politikberatung abgehandelt. Ein Abgleich der inhaltlichen Ausrichtung insbesondere auf dem so wichtigen Feld der Außenpolitik beschränkt sich auf das Notwendigste, das gilt auch für die so interessante Geschichte der ideologischen Entwicklung amerikanischer Think Tanks, deren Einfluß auf den neoliberalen Charakter der US-Wirtschaftspolitik wie die imperiale Ausrichtung der Hegemonialpolitik Washingtons, wie oben exemplarisch dargestellt, nicht zu unterschätzen ist.

Auch bei dem in der obigen Definition aus gutem Grund in Parenthesen gesetzten Anspruch auf Unabhängigkeit muß sich der Leser einen eigenen Reim aus den Ausführungen Bramls machen. Kategorisierungen in Regierungen näher oder distanzierter gegenüberstehender, in der inhaltlichen Ausrichtung parteilicher oder neutraler, öffentlich oder privat finanzierter Think Tanks mögen ihre Bedeutung für die Manager der Politikberatung und ihre Kunden haben, das Ausmaß ihrer politischen und gesellschaftlichen Einflußnahme läßt sich damit jedoch nicht befriedigend bewerten.

So wird als einer der wesentlichen Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Think Tanks die größere Regierungsnähe ersterer und die größere Distanz zur öffentlich- rechtlichen Sphäre letzterer herausgestrichen. Wenn US-Think Tanks vornehmlich von Stiftungen gesponsert werden, hinter denen der militärisch-industrielle Komplex des Landes steht, während in Deutschland meist die öffentliche Hand dafür zuständig ist, wissenschaftliche Politikberatung zu finanzieren, so bleiben die Unterschiede im Ergebnis konkreter Politik doch relativ geringfügig. Die maßgeblichen "Sachzwänge", die beiderseits des Atlantik als Handlungsanweisungen für die Politik geltend gemacht werden, folgen keiner neutralen wissenschaftlichen Ratio, sondern ökonomischen, administrativen und technologischen Erwägungen, die ohne Berücksichtigung konkreter politischer Machtverhältnisse nicht angemessen zu beurteilen sind.

Insgesamt ist festzustellen, daß die nicht von ungefähr in einer marktwirtschaftlichen Terminologie gefaßten Aktivitäten der Think Tanks, die sich auf dem "Marktplatz der Ideen" mit einem möglichst prägnanten "Markenzeichen" kenntlich machen müssen, um sich behaupten zu können, zu sehr dem Dienstleistungsgedanken folgen, als daß von tatsächlich unabhängiger Politikberatung die Rede sein könnte. Als Ausgangspunkt und Zwischenstation für Karrieren, die im weiteren Verlauf in leitende Positionen in Forschung und Lehre, in Publizistik und Politik führen, tragen Think Tanks zur Initiation des gesellschaftlichen Führungspersonals bei, was sie ebenso wie ihre instruktiven und legitimatorischen Aufgaben als integralen Bestandteil moderner Governance-Strukturen erkennen läßt. Sie lassen sich insofern kaum von jenen Elitenetzwerken abgrenzen, die zwischen den Vorständen der Konzerne und Stiftungen, den Zentralen der politischen Macht auf nationaler wie supranationaler Ebene, den Interessenverbänden der Wirtschaft sowie den Agenturen der sogenannten Zivilgesellschaft geknüpft werden.

Bramls Untersuchung läßt durchaus erkennen, daß Think Tanks keine Inseln der Seligen sind, auf denen allein nach Maßgabe der Wissenschaftlichkeit geforscht werden kann, um dann der Politik Empfehlungen zu geben, die völlig frei vom Einfluß mächtiger Sonderinteressen sind. Das drückt der Autor allerdings auf eine Weise vorsichtig aus, die es wünschenswert erscheinen läßt, daß er in der so wichtigen Frage der Interdependenz politisch und gesellschaftlich einflußreicher Kräfte zugespitzter artikuliert hätte, wer Roß und Reiter im politischen Prozeß ist, als etwa im folgenden Fall:

Die empirischen Untersuchungsergebnisse zeigen, daß die wesentlichen Unterschiede in der Finanzierung mit der unterschiedlichen Orientierung der amerikanischen und deutschen Think Tanks korrespondieren. (S. 615)

Eine neutrale Politikberatung durch unabhängige Experten, wie sie Max Weber propagiert hat, kann es in einer von ökonomischen Interessen, politischen Ideologien und bürokratischen Zwängen geprägten institutionellen Landschaft nicht geben. Ganz im Gegenteil, die dort tätigen Akteure tun gut daran, sich als Sachwalter und Förderer politischer Entwicklungen von hohem Wandlungspotential zu profilieren. Ein deutliches Beispiel dafür, wie weitgehend Politikberatung zu einer höchst aktiven politischen Kraft werden kann, bietet folgende von Braml präsentierte Aussage des AEI-Präsidenten Christopher Muth zur Arbeitsweise und Zielsetzung seines Instituts im Unterschied zu Hochschulen:

"Universitäten versuchen, die jungen Studenten zu erziehen. Wir versuchen, Reporter, Regierungsbeamte, Gesetzgeber, das Personal und das Management zu erziehen. Und die Arbeit, die wir verrichten, ist praktischer und anwendungsorientierter, denn wir wollen tatsächlich die Welt verändern. Wir wollen kein Buch über den Internationalen Währungs-Fonds schreiben, wir wollen den Internationalen Währungs-Fonds reformieren. Und die Bücher, die wir schreiben, bemühen sich um Überzeugungskraft mit einem festen Ziel vor Augen. Daher geht es uns mehr darum, auf die Meinungsseiten und ins Fernsehen und in Anhörungen vor Kongreßausschüssen zu kommen, als es eine Forschungsuniversität als angemessen erachten würde." (S. 436) (Übersetzung aus dem Englischen durch den Rezensenten)

Denkt man nur an das vor einem Jahr erschienene und in den USA vielbeachtete Buch der AEI-Mitarbeiter Richard Perle und David Frum, die unter dem bezeichnenden Titel "An end to evil: How to win the war on terror" ein imperiales Kriegsmanifest von brutaler Offenheit hinsichtlich des Erlangens einer nicht in Frage zu stellenden amerikanischen Vormachtstellung in der Welt und scharfer antiislamischer Rhetorik abgeliefert haben, dann weiß man, daß gerade entschiedene Parteilichkeit ein Erfolgsrezept für Think Tanks ist, insofern sie sich mit den Zielen herrschender Interessen deckt. Die im Vorwort von Prof. Dr. Winand Gellner attestierte Entwicklung, daß "sich Politikberatung popularisiert und damit amerikanisiert" (S. 21), kann daher durchaus als Warnsignal verstanden werden.

Braml richtet sich mit seinem Buch, wie schon anhand der Herausgabe in einem Fachverlag für politikwissenschaftliche Literatur, des spezifischen Fachjargons und der umfangreichen diagrammatischen Aufbereitung des statistischen Materials zu erkennen, an Politologen, die Manager der Politikberatung und der Institutionen, die sie finanzieren oder ihre Dienste in Anspruch nehmen. Leser von allgemeinem politischen Interesse werden ihre Schwierigkeiten mit der Lektüre haben, auch wenn das Werk durchaus Aufschluß über diesen immer wichtiger werdenden Bereich politischer Gestaltung gibt. Als Manko bleibt festzuhalten, daß Braml nicht auf die demokratietheoretischen Implikationen der Politikberatung eingegangen ist. Ohne die bemühte Analyse des Einflusses von Sonderinteressen auf das Gemeinwesen wird ein vitaler Faktor der Bemittelung und Wirkung von Think Tanks allzu gering geschätzt.


Josef Braml
Think Tanks versus "Denkfabriken"?
U.S. and German Policy Research Institutes' Coping with and
Influencing Their Environments
Strategien, Management und Organisation politikorientierter
Forschungsinstitute (deutsche Zusammenfassung)
Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik
herausgegeben von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Band 68
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004
622 Seiten
ISBN 3-8329-0547-2