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REZENSION/279: Alfred McCoy - Foltern und foltern lassen (US-Politik) (SB)


Alfred W. McCoy


Foltern und foltern lassen

50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und US-Militär



Als am 30. April 2004 die US-Zeitschrift New Yorker auf ihrer Website den aus der Feder des Vorzeigejournalisten Seymour Hersh stammenden Artikel "Torture at Abu Ghraib" über die Mißhandlung, Folter und Ermordung von Häftlingen in den amerikanischen Gefangenenlagern im Irak veröffentlichte, lösten vor allem die schockierenden Bilder nackter und von triumphierenden US-Soldaten sexuell erniedrigter, irakischer Häftlinge in der ganzen Welt Entsetzen aus. Die anschließende Berichterstattung der Medien über offensichtliche Greueltaten der Streitkräfte der USA im "globalen Antiterrorkrieg" zeichnete sich jedoch größtenteils durch moralische Kritik, den Ruf nach Reformen und Bestrafung der Schuldigen - also durch Verharmlosung - aus. Die große Ausnahme bildete jener bemerkenswerte Artikel, den Prof. Alfred W. McCoy von der Universität Wisconsin in der liberalen US-Tageszeitung Boston Globe am 14. Mai 2004 unter der Überschrift "Torture at Abu Ghraib followed CIA's manual" veröffentlichte. Dezidiert lieferte McCoy eine geschichtliche Bestätigung für die Behauptung der Hauptfigur des Folterskandals, der Nationalgardistin Lynndie England, wonach sie und ihre Kollegen nicht aus Lust oder Langeweile, sondern auf ausdrücklichen Befehl der Vorgesetzten vom Militärgeheimdienst gehandelt hätten, folglich die eher per Zufall bekanntgewordenen Vorkommnisse im größten Gefangenenlager der USA im Irak keine Ausnahmeerscheinung, sondern gängige Praxis von Pentagon und CIA darstellten.

Mit seinem detaillierten Verweis auf die historische Kontinuität der schrecklichen Vorgänge von Abu Ghraib hat McCoy die grundlegende, nicht zu unterschätzende Bedeutung der von Hersh aufgedeckten Mißstände öffentlich unterstrichen und sich somit vielleicht beim Pulitzerpreisträger revanchieren können. Schließlich war es der Investigativjournalist Hersh, der Ende 1971, Anfang 1972 mit einer Reihe von aufschlußreichen Artikeln in der New York Times dafür sorgte, daß McCoys Erstlingswerk "The Politics of Heroin - CIA Complicity in the Global Drug Trade" über die Verstrickung der US- Geheimdienste in den weltweiten Drogenhandel gegen Widerstände im amerikanischen Verlagswesen sowie seitens der Regierung von Richard Nixon überhaupt erschienen ist. Das sorgfältig recherchierte, umfangreiche Enthüllungsbuch, dessen brisanter Inhalt inzwischen von niemandem ernsthaft bestritten wird, gilt als Standardwerk und ist 2003 in überarbeiteter, aktualisierter Fassung vom Verlag Zweitausendeins unter dem Titel "Die CIA und das Heroin - Weltpolitik durch Drogenhandel" auf deutsch herausgebracht worden.

Anfang der neunziger Jahre hatte McCoy bei einem längeren Aufenthalt auf den Philippinen über die zersetzenden Auswirkungen von Folter auf die Gesellschaft und das Militär dort recherchiert und darüber das 1999 erschienene Buch "Closer Than Brothers" geschrieben. Wohl wissend um den maßgeblichen Einfluß der CIA auf die Folterpraktiken nicht nur auf den Philippinen, sondern in vielen anderen Vasallenstaaten der USA, wandte sich McCoy, selbst vom Abu-Ghraib- Skandal angewidert, Mitte 2004 wieder diesem unappetitlichen Thema zu. In den Monaten nach McCoys weltweit beachteten Boston-Globe- Kommentar "In Abu Ghraib wurde nach Vorschrift gefoltert" erschienen von ihm zum Thema geheime Geschichte der jahrzehntelangen Folterforschung und -praxis der CIA und des US-Militärs - beispielsweise bei Asia Times Online, Counterpunch und dem San Francisco Chronicle - weitere Nachfolgeartikel, die als umfassende, wissenschaftliche Ausarbeitung ihre letzte Fassung in der Herbst-2004- Ausgabe der Fachzeitschrift New England of Public Policy fanden. Das vorliegende Werk geht auf die lobenswerte Initiative des Verlages Zweitausendeins zurück, der sozusagen als Weltpremiere die überaus wichtigen Forschungsergebnisse McCoys zum Thema amerikanisches Foltersystem in Buchform präsentiert.

Speziell seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in den USA läuft die Folterdebatte in den westlichen Ländern auf Hochtouren. Angetrieben von rachedurstigen Äußerungen der Washingtoner Staatsführung - der berühmte Spruch des CIA-Manns Cofer Black vor dem Kongreß Ende 2001 "Wir haben die Samthandschuhe ausgezogen" bleibt unvergessen -, von medialen Propagandavehikeln wie der erfolgreichen Fernsehserie "24" um den weltrettenden Geheimdienstagenten Jack Bauer sowie von Apologien seitens prominenter Gelehrter wie des streitbaren Juraprofessors Alan Dershowitz und des Politikwissenschaftlers und Interventionsbefürworters Michael Ignatieff hat sich in den westlichen Industrienationen mehr oder weniger der Konsens herausgebildet, daß Folter von "Terroristen" zu rechtfertigen sei, wenn damit ein Großanschlag in letzter Minute verhindert werden könne. Für McCoy ist dies eine verheerende Entwicklung, denn wie er anhand zahlreicher Beispiele zeigt, läßt sich die rasche Wandlung von "Folter im Ausnahmefall" zur üblichen Praxis nicht verhindern. Im Gegenteil. Die Ausweitung ist - wegen des zweifelhaften Werts der durch die körperliche und seelische Mißhandlung des Einzelnen gewonnenen Erkenntnisse - schon beim ersten Überschreiten des völkerrechtlich fest verankerten Folterverbots vorprogrammiert.

Anders, als man es von dem Land, das in Sachen Menschenrechte und Demokratie stets den moralischen Zeigefinger hebt, erwarten würde, ist das Bekenntnis der USA zur 1984 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Antifolterkonvention niemals absolut gewesen. Wie McCoy in seinem Buch schildert, hat die Regierung des Republikaners Ronald Reagan mittels einer Aufweichung der Folterdefinition des eigenen Außenministeriums von der UN- Konvention, "zumindest in der Fassung, die die Vereinigten Staaten schließlich anerkannten und ratifizierten", genau die psychologischen Methoden ausgenommen, "die die CIA in den vorangegangenen vierzig Jahren mit hohen Kosten verfeinert hatte". Gemeint sind "sensorische Deprivation (u. a. durch Verhüllen des Kopfes mit Säcken), selbst zugefügte Schmerzen (Stresshaltungen) und Desorientierung (durch Isolation und Schlafentzug)".

Eigentlich hat der Abu-Ghraib-Skandal bereits im Gefangenenlager des US-Militärs im kubanischen Guantanamo Bay Ende 2001 seinen Lauf genommen - worüber sich jeder, der die beunruhigenden Bilder der mit Ketten gefesselten und mit Ohrstöpseln und lichtundurchlässigen Schutzbrillen versehenen, zu "feindlichen Kombattanten" und damit des Schutzes durch die Genfer Konvention für unwürdig erklärten afghanischen und arabischen Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer gesehen hat, hätte im klaren sein müssen. Nicht von ungefähr fällt der enorme Anstieg der Foltervorfälle in Abu Ghraib mit der Ankunft des einstigen Guantánamo-Oberkommandierenden Geoffrey Miller im Herbst 2003 zusammen. Dessen Auftrag, den der Generalmajor vom US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich erhalten haben soll, bestand darin, in Abu Ghraib und den anderen Gefangenenlagern im Irak für eine "Gitmoisierung" - im US-Militärjargon verkürzt man den Namen Guantánamo Bay auf Gitmo - zu sorgen, um den Häftlingen mehr Informationen über den Widerstand zu entreißen.

Gestützt auf die Erkenntnisse und die Einsicht praktisch aller Experten prangert McCoy immer wieder die Ineffektivität von Folter an und plädiert statt dessen für die regulären Verhörmethoden der Polizei, die auf Vertrauen zwischen Befragtem und Fragesteller basieren und seiner Meinung nach zuverlässige Erkenntnisse, die auch vor Gericht Bestand haben, liefern. Zudem glaubt McCoy an die Unverträglichkeit von Folter mit dem demokratischen Rechtsstaat wie auch, daß die Mißhandlung von Gefangenen die Sache der Täter schwächt. Als Beleg für letztere These führt er unter anderem das klassische Beispiel Algerien an. Zwar haben die Franzosen durch Massenfolterungen den Aufstand in der Kasbah von Algier niedergeschlagen, gleichzeitig aber eine Ausweitung der Revolte auf das ganze Land provoziert - der sich Paris 1962 wegen der absehbaren moralischen und materiellen Kosten beugen mußte.

Für diese und andere Lehren aus der Geschichte zeigt sich jedoch die Regierung von George W. Bush bemerkenswert unempfänglich. Als Konsequenz aus dem Abu-Ghraib-Skandal hat Donald Rumsfeld das Fotografieren im Kriegsgebiet stark eingeschränkt, in den Gefangenenlagern strikt verboten und mit der militärgerichtlichen Verfolgung der Reservistengruppe um die Gefreite Lynndie England der Öffentlichkeit Sündenböcke von der alleruntersten Ebene geliefert. Bis auf die Abu-Ghraib-Oberbefehlshaberin Brigadegeneralin Janis Karpinski, die von den nächtlichen Umtrieben des Militärgeheimdienstes nichts gewußt zu haben scheint, wurde kein ranghoher Offizier wegen seiner Rolle im Folterskandal zur Rechenschaft gezogen.

Statt dessen wehrt sich das Pentagon - aus Gründen der "nationalen Sicherheit", versteht sich - erbittert gegen den Versuch der renommierten American Civil Liberties Union, die Freigabe der bislang geheimgehaltenen Abu-Ghraib-Bilder, die weitaus schlimmer als die bisher bekannten sein sollen, gerichtlich zu erzwingen. Alberto Gonzalez, der als Rechtsberater des Weißen Hauses im Januar 2002 das UN-Folterverbot für "überholt" erklärte und somit jedwedem Übergriff Tür und Tor öffnete, leitet heute das Washingtoner Justizministerium. John Roberts, der in diesem Juni als Vorsitzender eines Gremiums von Bundesberufungsrichtern dafür sorgte, daß diese das Recht Bushs, nach Gutdünken mutmaßliche "Terroristen" zu "illegalen, feindlichen Kombattanten" zu erklären, bestätigten, wurde wenige Tage später vom selbem Präsidenten mit der Nominierung zum neuen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs der USA belohnt. Vor wenigen Tagen hat ein US- Bundesberufungsgericht die unbefristete Inhaftierung des "feindlichen Kombattanten" Jose Padilla für rechtens erklärt.

Laut einem Bericht der Pittsburgh Post-Gazette vom 12. September hat sich John Yoo, der 2001, 2002 als Deputy Assistant des damaligen US- Justizministers John Ashcroft wesentlich an der Entstehung des unsäglichen Begriffs "feindlicher Kombattant" mitgewirkt hat und heute als Juraprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley arbeitet, noch im vergangenen Juni bei einem Aufritt im American Enterprise Institute, der wichtigsten Denkfabrik der US- Neokonservativen in Washington, für die schlichte Liquidierung von mutmaßlichen Terroristen ausgesprochen. So gesehen läßt sich in den USA die von Alfred McCoy befürchtete, die Demokratie zerrüttende Wirkung der Folter ohne weiteres feststellen. Ob sich die Hoffnung des Autors, daß sich diese unheilvolle Entwicklung noch aufhalten, gar in ihr Gegenteil verkehren läßt, erfüllt, muß sich noch zeigen. Fest steht jedenfalls, daß sich die Folter nicht nur gegen die unmittelbar Betroffenen, sondern gegen die gesamte Gesellschaft, quasi als Einschüchterungsmaßnahme, richtet. Das Buch McCoys wendet sich ganz klar gegen diese - ob man es wahr haben will oder nicht - auch in Deutschland gegenwärtige Einschüchterung und verdient deshalb ein breites Publikum.

14. September 2005


Alfred W. McCoy
Foltern und foltern lassen - 50 Jahre Folterforschung
und -praxis von CIA und US-Militär
Aus dem Englischen (Originaltitel: "Cruel Science - CIA Torture and U.S.
Foreign Policy"), von Ulrike Bischoff
Zweitausendeins, Frankfurt am Main, 2005
258 Seiten
ISBN 3-86150-729-3