Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/284: Schülerduden Geografie u. Länder-Städte-Kontinente (SB)


Schülerduden: Geografie


Schülerduden: Länder - Städte - Kontinente



Im Zeitalter fortschreitender medialer Durchdringung des gesamten Lebens, in dem sich Schüler mit Hilfe portabler technischer Systeme ins Internet einloggen können, so daß ihnen zu jeder Zeit und an jedem Ort riesige Datenbanken zur Verfügung stehen, muß sich ein lexikalisches Printprodukt notgedrungen gegenüber einer Konkurrenz behaupten, die ihm in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Kein Weltatlas nimmt es an Umfang mit entsprechenden elektronischen Versionen auf, kein Lexikon mit der Informationsdichte und Animationsfülle digitaler Speicherfunktionen. Wie kommt es aber dann, so muß man sich fragen, daß die Duden-Redaktion ihren "Schülerduden Geografie" bereits in der vierten und den "Schülerduden Länder - Städte - Kontinente" in der zweiten Auflage herausgebracht hat? Offensichtlich haben diese kleinen, kompakten Lexika auch im 21. Jahrhundert mit seinem weltumspannenden Kommunikationsnetz nichts an Attraktivität eingebüßt.

Das dürfte unter anderem auf einen grundlegenden Unterschied zwischen gedrucktem und elektronischem Medium zurückgehen. Fraglos gibt es gut gepflegte, laufend aktualisierte elektronische Dienstleistungsangebote, die für alle, die mit ihnen umzugehen verstehen, von großem Nutzen sind. Aber allzu leicht wird übersehen, daß ein Buch  i n  den Händen manchmal eine höhere Lernqualität ermöglicht als eine Tastatur  v o r  ihnen. Die Hirnforschung bemüht sich zwar, Lernen als puren elektrochemischen Neuralprozeß in faltenreichen Eiweißstrukturen zu beschreiben, der vor allem durch den visuellen Sinn mit Informationen gespeist wird, aber bei dieser Vorstellung wird nicht bedacht, daß der Tastsinn sehr viel älter ist. Das Wort "begreifen" erinnert treffend daran, daß etwas mit den Händen zu greifen womöglich mehr mit Lernen zu tun hat, als dem vernetzten Homo informaticus der modernen Wissensgesellschaft gewahr ist.

Viele Geografen sind zu ihrem Beruf gekommen, nachdem sie in jungen Jahren in großformatigen Atlanten geblättert, mit dem Finger über einen sich drehenden Globus gefahren, abenteuerlichste Reiseberichte verschlungen oder Briefmarken aller Herren Länder gesammelt haben. Ob auch die elektronischen Medien ähnlich greifbare Pforten zur Welt der Geografie aufschließen, muß sich noch herausstellen.

Letztlich ist nicht die Menge an verfügbaren Informationen entscheidend, ob bei einem Schüler ein Lernerfolg erzielt wird, sondern ob das Gelesene reproduziert oder gar mit anderen Zusammenhängen eigenständig verknüpft werden kann. Das ist für ein generalistisches Fach wie die Geografie, die sich in alles einmischt und zu allem etwas zu sagen hat, ein unverzichtbares Lernziel. Und da kann ein Buch durchaus griffiger sein als die von ihrer Natur her flüchtige Elektronik.

Wenn sich beispielsweise ein Schüler in der Internet-Datenbank Wikipedia Informationen über ein Thema wie "Erdöl" auf den eigenen Rechner lädt, erhält er eine ungeheure Fülle an Material, das weit über das entsprechende Stichwort im vorliegenden "Schülerduden Geografie" hinausgeht und durchaus den Eindruck erweckt, solide recherchiert zu sein und den Themenbereich weitreichend abzudecken. Aber im Unterschied zum Duden steht niemand mit seinem Namen hinter den Angaben - sie können zutreffen, müssen es aber nicht. Um das zu beurteilen und auch, ob die abgerufenen Informationen das Thema "Erdöl" ausreichend wiedergeben, müßte der Schüler zuvor einen Überblick erlangt haben - wenn er ihn hätte, bräuchte er wiederum Wikipedia nicht.

Ein Schüler, der sich ausschließlich in elektronischen Datenbanken bedient, um geografische Fragen zu beantworten oder seine Aufsätze in Geografie zusammenzuschneidern, wird auf Dauer Schwierigkeiten haben, zwischen fundierter und fantasierter Recherche zu unterscheiden, geschweige denn, daß er lernte, diese nach wissenschaftlich korrekten Kriterien durchzuführen. Nachschlagewerke wie die Schülerduden dagegen vermögen die Weichen rechtzeitig so zu stellen, daß diese Fähigkeit nicht bereits in einem Alter verkümmert, in der sie erst noch entwickelt werden muß.

Die Entscheidung des Duden-Verlags, Erdkunde in ein Schülerlexikon für "allgemeine geografische Begriffe" und eines für "Länderkunde und regionale Geografie" zu differenzieren, hat sich in der Praxis als sinnvoll erwiesen, da letzteres innerhalb dieses Fachs einen eigenständigen Bereich abdeckt. Hier werden alle Kontinente und Staaten, wichtige Städte und zahlreiche weitere länderkundlichen Aspekte präsentiert, vielfach durch thematische Karten ergänzt und regelmäßig durch einen "Blickpunkt", der sich über mehrere Seiten erstreckt und durch einen grünen Rand besonders gekennzeichnet ist, vertieft.

Auch in dem Schülerduden "Geografie" sind die Erklärungen knapp gehalten, genügen aber für einen allerersten Einstieg. Wer mehr zu einer Frage wissen will, findet in der Regel ausreichend Anhaltspunkte für die Suche nach weiteren Stichwörtern. Darüber hinaus wird der Stoff auch in diesem Band mit Hilfe von "Blickpunkten" - zum Beispiel zu "Erde", "Naturkatastrophen" oder "Atmosphäre" -, die nach gängigem Schullehrstoff ausgewählt wurden, ausführlicher behandelt.

Die vielen Karten, Diagramme, Schaubilder und Fotos in den beiden vorliegenden Bänden sind ein typisches Rüstzeug, das in keinem Lexikon zur Geografie fehlen sollte, sagen doch ein Blockdiagramm zu Vulkanismus mehr als tausend Worte und vier Fotos zu verschiedenen Savannentypen mehr als deren trockene Beschreibung.

Bei manchen Stichwörtern hatte sich der Rezensent zunächst mehr Ausführlichkeit gewünscht - zwei Sätze zum Thema "Dritte Welt" erschienen ihm zu mager -, aber die weitere Suche innerhalb des Bandes "Geografie" führte unter anderem zu den Stichwörtern "Entwicklungsländer", "Entwicklungshilfe", "Vierte Welt" und nicht zuletzt dem Blickpunkt "Entwicklungsstrategien". Auch mit diesen Informationen ist das Thema "Dritte Welt" keinesfalls erschöpft, aber der Schüler bekommt zumindest eine sichere thematische Navigationshilfe an die Hand. Mehr sollte von einem Buch dieser Größenordnung nicht erwartet werden.

Leider birgt die vereinfachte Darstellung manchmal eine unliebsame Kehrseite, wie beispielhaft am Stichwort "Hungergürtel" und der beigefügten Weltkarte aufgezeigt werden soll. Auf dieser Karte erstreckt sich der Hunger- bzw. Armutsgürtel über weite Teile Lateinamerikas, ganz Afrika, den Nahen und Mittleren Osten bis Indien, Südchina und Südostasien. Die Darstellung orientiert sich allein am Nutzungsgrad der naturräumlichen Voraussetzungen, was eine einseitige Auslegung ist und andere Hungerursachen, beispielsweise das politische System oder die Einkommensverteilung innerhalb einer Gesellschaft, nicht mit einschließt.

So erfährt der Schüler nicht, daß in dem reichen Staat USA nach Angaben des dortigen Landwirtschaftsministeriums bis zu 35 Millionen Menschen - das entspricht annähernd der Einwohnerzahl der typischen Hungerländer Malawi, Sambia, Swasiland, Lesotho und Somalia zusammengenommen - regelmäßig Hunger leiden, und doch sind die Vereinigten Staaten nicht Teil des Hungergürtels. Selbstverständlich wäre eine bloße Gleichsetzung dieses Industriestaats mit den genannten afrikanischen Ländern überzogen, aber bei diesem Thema, das Lehrstoff der Sekundarstufe II ist, wäre eine kurze kritische Einordnung der Hungergürtel-Karte sicherlich hilfreich gewesen. Das hätte den Schülerduden sogar über den Charakter eines bloßen Registers hinausgehoben.

An diesem Stichwort wird deutlich, daß eine in der Geografie nicht selten anzutreffende rein deskriptive Sichtweise die Gefahr enthält, bei Schülerinnen und Schülern zu einem simplifizierten Weltbild zu führen, das leicht die Neigung zu Konformität und zur Kritikunfähigkeit befördert und die Chance zur analytischen Reflexion - sei es auch nur im engen Rahmen eines Nachschlagewerks - geografischer Problemfelder ungenutzt verstreichen läßt.

Dennoch, der Schülerduden beweist, daß sich ein Lexikon nicht einfach nur dadurch auszeichnet, daß es viele Informationen bereitstellt. Manchmal sind weniger Informationen mehr, sofern sie von sachkundiger Hand ausgewählt und aufbereitet wurden. Und, um ein wenig polemisch an unsere Eingangserörterungen anzuknüpfen: Jemand, der ausschließlich mit elektronischen Medien arbeitet, weiß vielleicht eher, wo etwas steht - wer dagegen mit Büchern arbeitet,  w e i ß .

Zugegeben, das ist stark heruntergebrochen formuliert, es soll jedoch auf einen problematischen Trend aufmerksam machen, der nicht nur an Schulen, sondern auch Universitäten auftritt und längst den Lehrbetrieb verlassen und die Forschung erreicht hat: Das Zusammenschneiden von Texten in elektronischer Form, ohne daß der Betreffende den Text tatsächlich geschrieben hätte ... manchmal wurde er nicht einmal gelesen. Diese Arbeitsweise fängt bereits in der Schule an und setzt sich in höheren Bildungseinrichtungen fort. Davon können Lehrer und Dozenten ein (schauriges) Lied singen.

Allerdings wurden schon viele Abgesänge auf das Buch angestimmt, ohne daß sie sich erfüllt hätten. Mit den Bänden "Geografie" und "Länder - Städte - Kontinente" hat der Duden- Verlag jedenfalls zwei kleine, aber kompetente Nachschlagewerke herausgebracht, die dem schulischen Anspruch genügen und den Lesern bündige Antworten auf die wesentlichen Fragen der Erdkunde liefern.


Schülerduden: Geografie
4., aktualisierte Auflage
Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2005
416 Seiten
ISBN 3-411-71062-4

Schülerduden: Länder - Städte - Kontinente
2., aktualisierte Auflage
Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2005
416 Seiten
ISBN 3-411-71052-7