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REZENSION/300: Robert Kurz - Das Weltkapital (Politik) (SB)


Robert Kurz


Das Weltkapital

Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems



Im Zuge epidemisch um sich greifender Denkkontrolle, die den kritischen politischen Diskurs zu einem Rinnsal auszutrocknen droht, ist das Konzept der Globalisierung zu einem Platzhalter erster Güte avanciert, der gleichsam als Verschlußbegriff entschiedene Befürworter mit Skeptikern und selbst vermeintlichen Antagonisten bis tief ins Lager der Gegnerschaft hinein in fataler Kurzschlüssigkeit vereint. Die Argwohn erregende Leichtfertigkeit, mit der dieses Konstrukt wie ein umfassend ausgeleuchteter und somit keiner weiteren Überprüfung würdiger Konsens in der Debatte gehandhabt wird, sollte Anlaß genug sein, dem dünnen Eis verödeter analytischer Schärfe zu mißtrauen. Es wäre allerdings ein folgenschwerer Irrtum, die diffuse Ablehnung der Globalisierung und ihre Stilisierung zu einem zentralen Feindbild mit einem massenhaft aufbrechenden Geist des Widerspruchs gegen das Elend kapitalistischer Wirtschaftsweise zu verwechseln, verdankt sich diese Übereinkunft doch zuallererst dem Verzicht auf die entschiedene Entwicklung der Fragestellung über wohlfeile Antworten und legitime Positionen hinaus.

Wer die Herrschaft des Menschen über den Menschen als unannehmbar ablehnt und folglich nicht dem Kalkül relativierender Kompromisse stattgibt und die konsensgetragene Rückkehr in den Schoß der Gesellschaft bevorzugt, bekommt freilich alle Hände voll zu tun. Reklamiert man kritischen Geist für sich, sollte einen indessen unwegsames Gelände jenseits der vorgebahnten Wege und unnachgiebiges Ringen mit dem Gegenstand der Auseinandersetzung nicht so sehr schrecken, daß man sich sogleich ins seichte Gewässer mühelosen Verstehens flüchtet.

In seinem Buch "Das Weltkapital - Globalisierung und innere Schranken des warenproduzierenden Systems" hält sich Robert Kurz in gewohnter Manier nicht mit Zustimmung heischenden Vorreden auf, sondern nimmt den Leser kurzerhand mit an die Front seiner Forschung und Analyse, die man nach 480 Seiten nicht etwa zufrieden verläßt, sondern gerüstet und angeregt um so entschiedener vorantreibt. Daß es sich um eine Streitschrift handelt, kann man dem jüngsten Werk des Historikers und Philosophen in zweifacher Hinsicht attestieren: Gestützt auf solide Recherche und getragen von Argumentationsschärfe arbeitet er die fundamentalen Widersprüche der warenproduzierenden Gesellschaft auf eine Weise heraus, die es erlaubt, deren Verlaufsformen auch prognostisch zu präzisieren. Zugleich werden die gezogenen Schlußfolgerungen unweigerlich für Turbulenzen zwischen den verschienden Fraktionen jenes Spektrums sorgen, das sich zwar in marxistischer Theoriebildung vereint weiß, jedoch um so erbitterter die Kontroverse um divergierende Positionen führt.

Der 1943 geborene Robert Kurz lebt als freier Publizist in Nürnberg und ist Mitherausgeber wie auch Redakteur der Theoriezeitschrift EXIT! Er veröffentlicht regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften mehrerer Länder. Bekanntgeworden mit seinem "Kollaps der Modernisierung" (1991) hat er seither zahlreiche ökonomische Studien veröffentlicht, wobei seine Arbeitsgebiete die Modernisierungs- und Krisentheorie, die kritische Analyse des kapitalistischen Weltsystems, die Kritik der Aufklärung sowie das Verhältnis von Kultur und Ökonomie umfassen.

In seiner Forschungsarbeit zur theoretischen Analyse der Globalisierung als Krisenprozeß des modernen warenproduzierenden Systems befaßte sich der Autor zunächst mit dem Wandel des Imperialismus unter den Bedingungen der dritten industriellen Revolution, um den Übergang von der nationalimperialen Expansion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Systemkonflikt der Supermächte nach 1945 zum widersprüchlichen "ideellen Gesamtimperialismus" und Krisenkolonialismus darzustellen, wie dies im Band "Weltordnungskrieg" (2003) zum Ausdruck kommt.

Die nun vorliegende politisch-ökonomische Analyse der Globalisierung stellt die bisher darüber geführte Debatte in ihren Grundzügen dar und unterzieht sie einer polemischen Kritik. Entgegen den Luftschlössern seiner Protagonisten kündigt das transnationale Weltkapital mitnichten ein neues Zeitalter der Akkumulation und Prosperität an, handelt es sich doch um ein Krisenprodukt der dritten industriellen Revolution. Dabei setzt sich die Herausbildung eines transnationalen Weltkapitals jenseits der alten Nationalökonomien durch, so daß man mit Kurz von einem Selbstzerstörungsprogramm der bürgerlichen Welt sprechen könnte.

Wie der Autor kritisch darlegt, greifen die Erklärungsversuche der neunziger Jahre zu kurz, da ihre Deutungs- und Bewältigungsmuster pragmatisch und moralisch bleiben, die Orientierung rückwärtsgewandt ist und über den Begriffshorizont der traditionellen politischen Ökonomie nicht hinausgeht. So wenig wie in seinen früheren Werken scheut Kurz die Auseinandersetzung mit der gesamten Palette themenbezogener Positionen, womit er den großen Topf der Globalisierungsgegner, der zu einem diffusen Sammelbecken politischer Strömungen verschiedenster und einander nicht selten widersprechender Couleur geworden ist, kräftig aufrührt und die zumeist dürftigen Ingredienzien zutage fördert.

Robert Kurz überschreitet den Rahmen der traditionellen politischen Ökonomie, um die neue Qualität der kapitalistischen Entwicklung jenseits der veralteten Interpretationsmuster zu untersuchen. Er kommt dabei zu dem Schluß, daß mit der dritten industriellen Revolution der im modernen warenproduzierenden System strukturell angelegte Widerspruch von Nationalismus und Universalismus reif geworden sei. Zugleich weist er nachdrücklich darauf hin, daß es sich bei dieser Entwicklung keineswegs um die Wiederkehr aus der Geschichte bekannter Verläufe, sondern vielmehr um einen historischen Entwicklungsprozeß handelt. Im Unterschied zu früheren, gewissermaßen noch nicht entfalteten Verlaufsformen bildet sich gegenwärtig eine durch globale Rationalisierungsketten organisierte Betriebswirtschaft heraus, die zunehmend von entsubstantialisierten Finanzblasen gesteuert wird.

Ausgespart bleibt in diesem Band die politische Ökonomie der letzten Weltmacht USA im Zusammenhang des Weltsystems, die Rolle des Dollars, der pazifische Defizitkreislauf mit dem Aufstieg und programmierten Absturz Japans, der Tigerstaaten und schließlich auch Chinas sowie das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und den Europäern. Dies hätte jedoch den Rahmen dieses Buches gesprengt, zumal es sich um verschiedene Ebenen der Analyse handelt. Während im "Weltkapital" die Krisenstruktur des transnationalen Kapitals im allgemeinen thematisiert wird, gehören die Vermittlungen auf der Oberfläche des Weltmarkts einer anderen Stufe der Konkretion an. Diese zu analysieren bleibt einem dritten und abschließenden Band mit dem Arbeitstitel "Politische Ökonomie der letzten Weltmacht" vorbehalten.

Der Autor lastet der seit nahezu zwei Jahrzehnten geführten Globaliserungsdebatte grundsätzlich an, den Umstand als selbstverständlich vorauszusetzen, daß es sich um die Globalisierung des Kapitals handelt:

Die Flut der Literatur über die Globalisierung seit den späten 80er Jahren, die hier zu kommentieren ist, erweist sich als kritiklos hinsichtlich der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise als solcher. Was allgegenwärtig, apriorisch und scheinbar allmächtig ist, wird nicht mehr als besonderer Gegenstand wahrgenommen, sondern sedimentiert zum stummen Hintergrund oder wird zum allumfassenden "Äther" einer Gesellschaft, die in einer Haltung völliger Distanzlosigkeit zu sich selber intellektuell erstarrt.
(S. 9)

Was sich in Mainstreambewußtsein und Wissenschaft als Reflexion ausgibt, sei phänomenologisch beschränkt. Und diese Beschränktheit decke sich mit dem postmodernen Credo, das jede Differenz von Wesen und Erscheinung ableugnet und das Ende jeder Theorie verkündet, die den Zusammenhang von Wesen und Erscheinung durch kritische Reflexion herzustellen sucht. Kurz geißelt die "Mogelpackung" der "Zweiten Moderne", wie sie der Soziologe Ulrich Beck in verkürzter Gesellschaftsanalyse als Leerformel des Beliebigkeitsdiskurses in die Welt gesetzt hat. Er führt "Propheten und Quacksalber" wie Edward N. Luttwak, Lester C. Thurow oder Michael E. Porter vor, die das gesellschaftliche Bezugssystem blind und gedankenlos voraussetzen, in Konkurrenz und Wettbewerb ihren Vorteil suchen und von Chancen der Globalisierung fabulieren. Auch Ökonomen wie Paul Krugman, die beträchtliche Schattenseiten dieses Prozesses kenntlich machen, fassen nicht tiefer, als von strukturellen Veränderungen einer positiv konnotierten Marktwirtschaft zu sprechen.

Kurz greift indessen auch den Schlachtruf der Globalisierungsgegner auf, daß die Welt keine Ware sei, um zu prüfen, ob dieser Ansatz tatsächlich über die bloße Teilhabe am warenproduzierenden System und eine staatliche Moderation der abstrakten, ihrem stofflich sinnlichen Inhalt gegenüber in jeder Hinsicht gleichgültigen Produktionsweise hinausgeht, wie dies für den westlichen Arbeiterbewegungsmarxismus, die südlichen nationalen Befreiungsbewegungen und den östlichen Staatskapitalismus charakteristisch gewesen sei. Der Autor befaßt sich in diesem Zusammenhang examplarisch mit den Auffassungen der international prominent gewordenen französischen Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne und deren Führer José Bové sowie der bekannten kanadischen Autorin und Aktivistin Naomi Klein.

Wie er der gesamten Bewegung anhand ihrer namhaften Repräsentanten vorhält, werde aus "tausend bloß aufsummierten Erfahrungen des Leidens ebenso wenig eine zureichende neue Theorie wie aus tausend demokratischen Meetings und Abstimmungen vor sich hin räsonierender Meinungsidioten". Theorie sei zwar machtlos im äußeren Sinn, was die Modernisierungsdiktaturen nicht ungestraft ignoriert hätten. Dasselbe gelte jedoch auch für die globale soziale Bewegung.

Theorie im Sinne kritischer und selbstkritischer Reflexion weiß um ihre eigene Beschränktheit, aber sie ist auch nicht zu umgehen. Nach dem Ende der linken Modernisierungstheorien im Kontext von Arbeiterparteien und Entwicklungsdiktaturen gibt es keine mit administrativer Macht ausgestattete Theorie mehr. Niemand kann dazu gezwungen werden, irgendein Dogma nachzubeten. Es sind die berühmten Erfahrungen selbst, die heute das Bedürfnis nach theoretischer Reflexion über den eigenen Horizont hinaus wecken. Es genügt nicht, das unmittelbare Erleben mit einem vagen antikapitalistischen Gefühl zu verbinden. Eine neue Erklärung der Logik und Geschichte des Kapitalismus ist gefragt, eine neue Analyse der Entwicklung des Weltmarkts, die heute den seit dem 19. Jahrhundert ausgebildeten Rahmen sprengt.
(S. 34)

Karl Marx war nicht mehr dazu in der Lage, die als vierten Band des "Kapitals" geplante Darstellung des Verhältnisses von Nationalökonomie, Staat und Weltmarkt auf der Ebene des "Kapitals im Allgemeinen" in Angriff zu nehmen. Und diese Lücke wurde weder in der marxistischen noch in der bürgerlich-akademischen Theoriebildung jemals geschlossen. Daher findet die laufende Globalisierungsdebatte "in dieser entscheidenden Hinsicht nicht einmal einen theoretischen Steinbruch vor, aus dem sie sich mit Begriffsbrocken bedienen könnte", wie Robert Kurz anmerkt. Es geht also um nichts weniger als eine bislang unterbliebene, jedoch um so notwendigere Theoriebildung, die der Autor anmahnt und in Angriff nimmt.

Fundament dieser Auseinandersetzung ist der sogenannte wertkritische Ansatz, der zu vielen Mißverständnissen und Kontroversen Anlaß gegeben hat. Fußend auf dem von Marx herausgearbeiteten Fetischcharakter der Warenform läßt sich weiterentwickeln, daß die Warenproduktion als Verhältnis zwischen unabhängigen Produzenten, in dem das Geld eine bloße Vermittlungsinstanz darstellt, gar nicht zu einem flächendeckenden gesellschaftlichen System werden kann, weshalb sie in vormodernen "naturalwirtschaftlichen" Gesellschaften auch bloße Nischenform geblieben ist. Erst das Kapital als Produktionsverhältnis verallgemeinert und totalisiert die Warenproduktion, und zwar dadurch, daß der Wert und damit seine allgemeine Erscheinungsform Geld auf sich selbst rückgekoppelt und so aus einem Medium zu einem Selbstzweck (Mehrwert) wird.

Daraus resultiert also ein gesellschaftliches System der Verwertung des Werts oder ein "automatisches Subjekt", wie Marx es nannte, in dem es keine unabhängigen Produzenten mehr gibt, sondern nur noch verschiedene soziale Funktionskategorien des systemisch geschlossenen Verwertungsprozesses, der unaufhörlich und auf stetig erweiterter Stufenleiter abstrakte menschliche Energie ("Arbeit") in Geld verwandelt. Demzufolge ist Markt kein Ort der Vermittlung zwischen unabhängigen Produzenten mehr, sondern Ort der Realisation des gesellschaftlichen Mehrwerts und somit der fetischistischen Selbstvermittlung der abstrakten "Arbeit", die ihre Rückverwandlung in die Geldform durchlaufen muß.

Auf einen kurzen Nenner gebracht könnte man daher sagen, daß Begriffe wie kapitalistische Produktionsweise, warenproduzierendes System, Marktwirtschaft oder Leistungsgesellschaft nur verschiedene Aspekte ein- und derselben Fetischkonstitution der modernen Gesellschaftsform bezeichnen. Daher muß die radikale Kritik dieses gesellschaftlichen Verhältnisses alle diese Aspekte gleichermaßen und natürlich insbesondere die zentrale Kategorie des Werts angreifen und aufheben.

Robert Kurz analysiert dieser Logik folgend die Globalisierung als Merkmal des Krisenprozesses der spätkapitalistischen Gesellschaft, da der massenhafte Abbau von Arbeitsplätzen zum Abschmelzen der Binnenmärkte führt, die das Kapital zu einer zunehmenden Orientierung auf den Weltmarkt zwingt. Ursprünglich nationale Unternehmen verwandeln sich durch Auslagerung betriebswirtschaftlicher Elemente in Regionen mit niedrigen Lohnkosten immer schneller in transnationale Organisationen, was wiederum den Zerfall nationalstaatlicher Strukturen zur Folge hat.

Nachvollziehbar entwickelt und mit ansehnlichem Zahlenmaterial dokumentiert zeigt der Autor auf, daß der Export von Gebrauchsgütern in gewissem Umfang seit Jahrhunderten praktiziert wird, der Kapitalexport jedoch ein Produkt der Neuzeit ist. So beschränkten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts staatsübergreifende Finanzgeschäfte auf das Kreditwesen, während von einer internationalen Kapitalverflechtung keine Rede sein konnte. Und noch in den siebziger Jahren zählte man weltweit nur einige hundert multinationale Konzerne, wohingegen man heute von rund 60.000 ausgeht.

Wie Kurz darlegt, könne die kapitalistische Produktionsweise nur im Wechselverhältnis von Nationalökonomie und Weltmarkt existieren, weshalb die Auflösung kapitalistischer Betriebswirtschaften in ein verzweigtes Geflecht ausgelagerter Tochterfirmen und verschiedener Ebenen von Subunternehmen den Zerfallsprozeß dieses Wirtschaftssystems herbeiführt und beschleunigt. Die Nationalökonomie, die als Summe nationaler Betriebswirtschaften definiert sei, könne sich im Gegensatz zu letzteren nicht in einem transnationalen Rahmen neu organisieren.

Im Zuge des Schrumpfungsprozesses der abstrakten Arbeit sei die Realakkumulation als Folge der mikroelektronischen Revolution an ihre Grenze gestoßen, zumal die ungehindert vagabundierenden Kapitalströme langfristig nicht in der Lage seien, die Grundlage eines tragfähigen Strukturmodells der kapitalistischen Reproduktion zu bilden. Nun würden maximale Profite nicht länger durch Produktion von Gütern, sondern durch den Handel mit Finanztiteln erzielt. Folglich sei der Warenmarkt zum bloßen Anhängsel eines Unternehmensmarktes degeneriert. Man könne daher von einem "Autokannibalismus des Kapitals" sprechen, das aus nicht mehr zu stillendem Heißhunger nach Mehrwert seine eigenen Glieder abschneide und auffresse, indem es zu einer massenhaften Zerschlagung und Ausschlachtung von Unternehmen mit dem Ziel kurzfristiger hoher Gewinne komme.

Robert Kurz analysiert auch die "Nationalform des Geldes", indem er darlegt, daß das ursprünglich nur zur Vermittlung von Gebrauchsgütern dienende Geld sich mit der Entstehung der kapitalistischen Warenproduktion in den Selbstzweck der Wertverwertung verwandle. So trete an die Stelle des ursprünglich vorhandenen Substanzwertes der Nationalstaat als Garant des Zahlungsmittels. Da dieser jedoch infolge des Globalisierungsprozesses seiner nationalökonomischen Grundlagen beraubt werde, könne er diese Garantie über kurz oder lang nicht mehr wahrnehmen.

Der Staat, so meint der Autor, werde zu einer sich zersetzenden leeren Hülle und damit zum Spielball von Zerfallsprodukten der kapitalistischen Gesellschaft wie Kriegsherrn, Milizen, Mafia- Clans oder andere Gruppen. Die dem entgegengehaltene emanzipatorische Alternative bleibt hingegen abstrakt, was nicht allein dem Charakter des Theoriewerks geschuldet sein dürfte. So spricht Robert Kurz davon, eine "direkte, bedürfnisbezogene, die unterschiedlichen Eigenlogiken von Lebensbereichen berücksichtigende Weltgesellschaft zu setzen, (...) jenseits von Markt und Staat, jenseits von Betriebswirtschaft und Nationalökonomie (...)".

Es dürfte indessen ein unvermeidliches Manko der krisenfixierten Theoriebildung bleiben, daß angesichts ihrer weitgehenden Ausblendung herrschaftsrelevanter und zugriffssichernder Strings von Subjekten und Gruppierungen die Frage einer Kontinuität der Verfügungsgewalt über den vorhergesagten Zusammenbruch hinaus nicht gestellt wird. Selbst unter der Voraussetzung, daß bislang wirksame Systeme der Ausbeutung und Zurichtung an ihren immanenten Widersprüchen kollabieren, muß das nicht bedeuten, daß die dominanten Kräfte keiner strategischen Vorausschau und Planung fähig wären. So ist insbesondere das prognostizierte Ende von Profit und Geld keineswegs der Grabgesang administrativer Komplexe, deren Vorherrschaft eine Analyse sträflich vernachlässigt, die sich im Verhältnis von Kapital und Arbeit erschöpft.

Angesichts dramatisch schwindender Sourcen, die weniger denn je zur Versorgung der gesamten Menschheit ausreichen, genießt die Sicherstellung des eigenen Überlebens für eine elitäre Minderheit absolute Priorität, was insbesondere die Niederschlagung zu erwartender Hungerrevolten im globalen Maßstab einschließt. Aus Perspektive administrativer Gewalt steht eine unumkehrbare Konsolidierung des Herrschaftsgefüges auf der Tagesordnung, wie es ein System von Zuteilung oder Entzug der Mittel des Überlebens repräsentiert, demgegenüber der vormalige Gebrauch des Geldes geradezu anarchisch und unkontrollierbar anmuten wird.

Um diese Entwicklung aus einer Werttheorie abzuleiten, die Analyse mit konkreten Erscheinungsformen zu koppeln und vor allem fundierte prognostische Schlüsse zu ziehen, ist eine angemessene Begriffsbildung zu leisten. Will man gegen die globalisierte Vergesellschaftung, die ja nie etwas anderes als eine Vervollkommnung der Verfügungsgewalt sein kann, Position beziehen, könnte der klassische Begriff des "Internationalismus" die Richtung weisen. Allerdings klingt in ihm noch das Konzept nationalstaatlicher Gewalt an, das hochzuhalten kein Anlaß besteht. So bedarf es nicht zuletzt einer innovativen sprachlichen Ausdrucksform, die dem inhaltlichen Entwurf Leben und Wirkung verleiht.


Robert Kurz
Das Weltkapital
Globalisierung und innere Schranken des
modernen warenproduzierenden Systems
Verlag Klaus Bittermann, Berlin, 2005
480 Seiten, Euro 18,00
ISBN 3-89320-085-1

26. Januar 2006