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REZENSION/327: Ryan, u.a. - Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten (SB)


Mike Ryan, Chris Mann, Alexander Stilwell


Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten

Taktik - Geschichte - Strategie - Waffen
Mit einem Vorwort von Major Mike McKinney
(USAF Special Operations)



Am 18. September 2005 sprengten schwerbewaffnete Kämpfer die Mauern eines irakischen Gefängnisses und bahnten sich unter wilden Feuerstößen den Weg zu zwei Mitgliedern ihrer Gruppe, die sie aus der Haft heraushauen wollten. Die beiden waren zuvor, als arabische Zivilisten verkleidet, von der Polizei in einem Auto voll Sprengstoff erwischt worden. Bei ihrer Festnahme hatten sie in eine Menschenmenge geschossen, wobei ein Ordnungshüter starb. Die Bilanz des Gefängnisüberfalls: Mindestens fünf Tote und zahlreiche Verletzte.

Welche Gruppierung war für diese brutale, menschenverachtende Terroraktion verantwortlich? "Optimal ausgebildete Operatoren", die "zahlreiche Nachahmer", aber "nur wenige Gleichrangige" gefunden haben und nach dem Motto "wer wagt, gewinnt" (S. 40/41) handelten, hatten das irakische Gefängnis gestürmt. Die Rede ist von dem britischen Special Air Service (SAS), der mit der oben geschilderten Aktion einmal mehr den begründeten Verdacht nährte, daß zu seinem Repertoire auch klandestine Bombenattentate auf die Zivilbevölkerung und Angriffe gegen Sicherheitskräfte von Verbündeten zählen - Aufgaben, die in dem vorliegenden Buch "Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten" allerdings nicht erwähnt werden.

Der SAS, der zu jenen Special Forces zählt, die auch außerhalb der demokratischen Legitimation alles das und noch viel mehr machen, was regelmäßig ihren Gegnern unterstellt wird, ist eine von mehreren Dutzend Spezialeinheiten, die in dem vorliegenden Buch mit viel Pathos präsentiert und voll Bewunderung des vermeintlichen Heldentums glorifiziert werden.

Noch mehr Achtung und Lob ob ihrer Professionalität wird allerdings den Spezialeinheiten der USA gezollt. Unerwähnt bleibt dabei, daß US-Kommandoeinheiten an etlichen Militärputschen in Lateinamerika beteiligt waren, daß sie diktatorische Regierungen unterstützt haben oder etwa im Afghanistankrieg 2001 bei dem berüchtigten Gefangenentransport, bei dem über tausend Taliban- Kämpfer in Metallcontainern in der glutheißen Wüste abgestellt wurden, um dort elendiglich zu ersticken, zugegen waren.

Alles in allem leistet sich das US-Verteidigungsministerium 52.000 Soldaten, die unterschiedlichen Special Forces angehören, welche vor und hinter den feindlichen Linien solche "Sondereinsätze" durchführen. Im Irakkrieg hat das Pentagon rund 10.000 dieser Kommandosoldaten eingesetzt, wobei eine unbekannte Zahl an Spezialeinheiten, die diversen US-Geheimdiensten unterstellt sind, dazuzurechnen ist.

Die Special Forces des Rumsfeld-Ministeriums sollen künftig sogar um ein Drittel aufgestockt werden, wie unlängst im Quadrennial Defense Review bekanntgegeben wurde. Dafür sollen 28 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen. Allein dieser Einzelposten im Budget des US-Militärapparates übertrifft deutlich den kompletten Verteidigungshaushalt der meisten Länder der Erde. Das unterstreicht die wachsende Bedeutung, die den Spezialeinheiten in der Doktrin der modernen, sich immer stärker irregulärer und subversiver Mittel und Taktiken bedienenden Kriegführung beigemessen wird.

Eine jüngere Entwicklung in den USA: das Pentagon hat die Abteilung Special Operations Command (SOCOM) ins Leben gerufen, die seit drei Jahren Einheiten aufstellt, die sich aus Spezialeinheiten wie Delta Forces, Navy Seals, Rangers etc. rekrutieren und erklärtermaßen auf der ganzen Welt schmutzige - sprich: blutige - "Arbeit" verrichten sollen.

Auch andere Länder setzen im wachsenden Maß auf Spezialeinheiten. Beispielsweise Deutschland, das 1995 das Kommando Spezialkräfte (KSK) gegründet hat. Das ist im Unterschied zur bekannteren GSG-9 der Bundespolizei (ehemals Bundesgrenzschutz) eine Einheit der Bundeswehr, die in Afghanistan Seite an Seite mit US Special Forces Taliban- und Al- Qaida-Mitglieder jagt. Man weiß aber nicht, in welchem Ausmaß die KSK-Soldaten an Tötungen beteiligt sind oder ob sie den US- Streitkräften Gefangene überstellt haben. Da bekannt ist, daß die US-Regierung diese beim Verhör foltern und als "illegale Kombattanten" verschleppen läßt, es jedoch keine parlamentarische Kontrolle der KSK gibt, steht die verschwiegene Einheit der Bundeswehr im Verdacht, sich an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen zu beteiligen.

Von einem Buch, das sich mit dem Thema Spezialeinheiten befaßt, wäre zu erwarten, daß es sich ungeachtet seines enzyklopädischen Charakters zumindest darum bemüht, den Einsatz dieser Kategorie von Soldaten insbesondere hinsichtlich ihrer besonderen, zwischen regulärer Kriegführung und Geheimoperationen angesiedelten Stellung angemessen zu analysieren. Angesichts des rechtlich wie politisch prekären Charakters dieser Einsätze fällt der Verzicht auf eine solche Bewertung besonders unangenehm auf. Der Untertitel "Taktik - Geschichte - Strategie - Waffen" verspricht zudem mehr, als er zu halten in der Lage ist. So werden die Kommandosoldaten zwar durch die Bank als besonders fähige und überlegene Kämpfer gelobt, doch die militärtheoretische Seite ihres Aufgabenfeldes und Einsatzprofils kommt deutlich zu kurz.

Die 256 Seiten umfassende Enzyklopädie ist in fünf größere Abschnitte unterteilt, wobei die ersten vier Kapitel "Spezialeinheiten zu Lande", "Terrorbekämpfung", "Seegestützte Spezialeinheiten" und "Luftgestützte Spezialeinheiten" nach Ländern geordnet und sehr ähnlich strukturiert sind. Im letzten Kapitel über die "Ausbildung der Spezialeinheiten" werden lediglich die Länder Deutschland, Südafrika, Großbritannien und USA abgehandelt. Den Abschluß des Buchs bilden ein Glossar für Abkürzungen, ein Register der Spezialeinheiten und einige Seiten mit Diagrammen über militärische Organisationsstrukturen, wobei die Auswahl dieser sogenannten Organigramme (US-Heer, -Marine und -Luftwaffe sowie die britische SAS) willkürlich erscheint.

Die generelle Mystifizierung der Spezialeinheiten und ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Durchsetzungskraft könnte ohne weiteres einem Rekrutierungshandbuch der US-Armee entsprungen sein. Offensichtlich wollte man die Zielgruppe des Buchs nicht durch eine fachlich wie politisch bemühte Auseinandersetzung mit dem Thema überfordern und hat sich statt dessen auf die Adaption eines durchsichtigen Militarismus verlegt. Ein möglicher Nutzen des Buchs ist schwer ersichtlich, wer sich für die Arbeit der Spezialeinheiten interessiert, wäre mit militärischen Fachpublikationen etwa aus dem Umfeld von "Jane's Defence Weekly" - in dem übrigens auch der Co-Autor Stilwell tätig ist - besser bedient.


Mike Ryan, Chris Mann, Alexander Stilwell
Die Enzyklopädie der Spezialeinheiten
Taktik - Geschichte - Strategie - Waffen
Mit einem Vorwort von Major Mike McKinney
(USAF Special Operations)
Pabel-Moewig Verlag, Rastatt, 2003
256 Seiten
ISBN 3-8118-1895-3


18.5.2006