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REZENSION/374: Ratgeber zur Häuslichen Pflege Demenzkranker (SB)


Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.


"Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker" und

"Leitfaden zur Pflegeversicherung"



Verwirrte alte oder ältere Menschen passen in der heutigen Zeit weniger denn je in das Bild unserer Gesellschaft, in der Jugend und Leistungsfähigkeit favorisiert werden.

Allein in Deutschland gibt es 1,2 Millionen Demenzkranke. Rund ein Drittel aller über 90jährigen ist betroffen. Die meisten von ihnen leiden unter der Alzheimer-Krankheit. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der geburtenstarken Jahrgänge der 60er und 70er Jahre wird sich ihre Zahl bis zum Jahr 2040 voraussichtlich mehr als verdoppeln.

Demenz - das heißt wörtlich übersetzt "weg vom Geist" oder "ohne Geist" und beschreibt den Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Am Anfang der Krankheit stehen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Eben Gehörtes oder Gelesenes wird wieder vergessen. Häufig sind die Kranken reizbar und wirken unkonzentriert. Sie verlieren das Interesse an gewohnten Aktivitäten und gehen Situationen, die sie überfordern, aus dem Weg. Termine und Verabredungen können nicht mehr eingehalten werden.

Im weiteren Verlauf verschwinden dann auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses, so daß die Betroffenen zunehmend die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten verlieren. Sie verlaufen sich in vertrauter Umgebung. Wortfindungsstörungen nehmen zu. Ganz alltägliche Dinge wie Aufstehen, Anziehen, Körperpflege, Essen und Trinken bereiten zunehmend Schwierigkeiten und sind irgendwann nicht mehr möglich.

Bei der Alzheimer-Krankheit ist dieser Verlauf besonders dramatisch. Extreme Vergeßlichkeit tritt meist als erstes Symptom auf. Dann verblassen auch lang zurückliegende Erinnerungen und selbst der Ehepartner wirkt auf die Kranken wie ein völlig Fremder. Auch der Charakter verändert sich. Die sogenannte "Persönlichkeit" verblaßt. Der Kranke versteht die Welt nicht mehr. Er reagiert spontan: positiv auf menschliche Zuwendung und freundliche Worte, mit Angst und Aggression auf für ihn Unverständliches. Eindrücklich und mit einfachen Worten wird im "Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker" der Deutschen Alzheimer Gesellschaft beschrieben, wie sich der Kranke im Laufe der Zeit verändert und mit welchen Ängsten er konfrontiert ist:

Alltägliche Sinneseindrücke wie Stimmengewirr, Geräusche aus dem Radio oder Fernseher machen den Kranken Angst, weil sie sie nicht mehr einordnen können und auch keine Möglichkeit mehr finden, sich aus dieser empfundenen Bedrohung zu befreien. Panikattacken, große Unruhe, auch Ausbrüche von Aggression sind oftmals die Folge von Ängsten und Überforderungen durch Vorgänge im Tagesablauf, die von uns Gesunden als ganz normal empfunden werden.
(Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker, Seite 20)

Ein Betroffener beschreibt seine Situation folgendermaßen:

"Versunken im einsamen Dunkel, in verhangenen Stunden schweige ich gen Himmel und bleibe stumm. Mir hat es meine Sprache verschlagen, mein Gedächtnis schwindet, verloren bin ich in einem Ghetto des Schweigens. Ich kann mich nicht mehr äußern. Im Dunkel des Gedächtnisses, der Wortlosigkeit suche ich meine Erinnerung und Sprache." (Manfred F.)
(Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker, Seite 19)

Demenzkranke Menschen verlieren im Verlauf ihrer Erkrankung zwar ihr Erinnerungs- und Denkvermögen, aber ihre Erlebnisfähigkeit und ihr Gefühlsleben bleiben lange erhalten. Im frühen Stadium nehmen sie die Beeinträchtigung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit und die damit einhergehenden Verluste häufig sehr bewußt wahr. Der vergebliche Versuch, diese Einschränkungen vor anderen zu verheimlichen, und die Scham, die mit der Einsicht verbunden ist, daß vieles bis hin zu den ganz intimen Verrichtungen ohne die Hilfe anderer nicht mehr möglich ist, führen zu starken seelischen Belastungen bis hin zu Depressionen und häufig auch zu sozialem Rückzug.

Daher haben außerfamiliäre und außerpartnerschaftliche Kontakte für Demenzkranke eine wichtige Bedeutung. Denn auch sie brauchen ebenso wie die pflegenden Angehörigen ab und zu Distanz von ihrem häuslichen Alltag mit all seinen Problemen. Der Besuch von Betroffenen- oder Betreuungsgruppen kann dazu beitragen, daß sie ungeahnte Stärken an sich entdecken und ihr Selbstbewußtsein gefördert wird.

Ein Problem ist jedoch die Finanzierung solcher Besuche. Wurde die Betreuung von Demenzkranken im Leistungskatalog der Pflegeversicherung zunächst überhaupt nicht berücksichtigt, werden "Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf" seit Inkrafttreten des Pflegeleistungs- Ergänzungsgesetzes im Jahr 2004 zusätzliche Leistungen in Höhe von 460 Euro jährlich gewährt. Doch diese Summe ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Selbst günstigste Gruppenangebote von beispielsweise 15 Euro pro Nachmittag könnten, sofern sie denn gemäß Pflegeversicherung als "Niedrigschwelliges Angebot" anerkannt sind, mit 460 Euro pro Jahr nicht in der erforderlichen Regelmäßigkeit einmal wöchentlich finanziert werden.

Häusliche Pflege von Alzheimer Kranken bedeutet daher für die Pflegenden neben einer enormen physischen und psychischen Beanspruchung rund um die Uhr häufig auch noch eine zusätzliche finanzielle Belastung dadurch, daß viele hilfreiche und für den Kranken sinnvolle Betreuungs- und Therapiemaßnahmen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

Getreu des 1994 eingeführten Mottos "ambulant vor stationär", mit dem erfolgreich und in erster Linie zu Lasten der Kranken Kosten gespart werden sollten, werden heutzutage 2/3 aller Demenzkranken zu Hause von nahen Angehörigen betreut. Die Situation der Pflegenden ist in vielerlei Hinsicht schwierig, denn die Betreuung eines demenzkranken Menschen führt zu einschneidenden Veränderungen in ihrer Lebensführung und -planung. Unvorbereitet werden sie mit einer Situation konfrontiert, die die meisten Menschen überfordert: Sie müssen mit ansehen, wie ein ihnen nahestehender Mensch sich immer mehr von ihnen entfremdet. Gemeinsame Lebensplanungen werden zunichte gemacht. Häufig wird die eigene Berufstätigkeit und soziale Kontakte aufgegeben. Dazu kommt die neue, große Verantwortung, die sie aufgebürdet bekommen. Sie müssen sich kundig machen über die Krankheit, die Möglichkeiten und Erfordernisse der häuslichen Pflege, sich informieren über Pflegehilfsmittel, Pflegeversicherung, Vollmachten, Rentenansprüche etc. Die allmähliche pflegebedingte Isolation zusammen mit der körperlichen Belastung, mit der eine Pflege und Betreuung rund um die Uhr zwangsläufig einhergeht, sowie das Zurückstellen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse bringen pflegende Angehörige häufig an den Rand der Verzweiflung. Hinzu kommen oftmals auch noch Schuldgefühle, nicht genügend Geduld aufbringen und dem Kranken gerecht werden zu können.

Den Autoren des "Ratgebers Häusliche Versorgung Demenzkranker" ist diese umfassende Problematik aus eigener Erfahrung bekannt. Sie alle kommen aus der Praxis und engagieren sich in der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Seit 2002 haben sie sich regelmäßig in einem Arbeitsausschuß getroffen, um über die Möglichkeiten und Grenzen der häuslichen Versorgung zu diskutieren, und ihre Erfahrungen und ihr Wissen in einem kleinen Büchlein für jeden verständlich und hilfreich zusammengetragen.

Dieser Band möchte dabei helfen, mit der oft schwierigen Betreuung und Pflege zu Hause besser fertig zu werden. Er soll Angehörigen Orientierung im unübersichtlichen Bereich der unterstützenden Angebote geben und Qualitätsstandards für eine gute Versorgung aufzeigen. Es geht um Antworten auf die Fragen: Was brauchen Kranke und Angehörige? Welche Unterstützungsangebote gibt es? Welche Vor- und Nachteile haben sie? Wie steht es mit Kosten und Finanzierung? Wo gelangt die häusliche Versorgung an ihre Grenzen?
(Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker, Seite 11)

Die Zeiten, in denen Alzheimer ein Tabuthema war, über das nicht gesprochen wurde, sind vorbei. Doch an der Tatsache, daß Angehörige, die ihre demenzkranken Verwandten zu Hause pflegen, noch immer in vielerlei Hinsicht mit ihren Nöten, Sorgen, Ängsten, ihrer sozialen Isolation und ihrer Überforderung allein gelassen werden, hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert.

Wichtig wäre es, die Pflegenden von Anfang an gut auf ihre neue und schwierige Aufgabe vorzubereiten, ihnen nichts darüber vorzumachen, was alles auf sie zukommt, sie zu entlasten und ihnen mit Hilfs- und Gesprächsangeboten sowie ausreichend finanzieller Unterstützung zur Seite zu stehen. Alles dies sollte selbstverständlicher Bestandteil einer sozialen Kranken- und Pflegeversicherung sein. Statt dessen jedoch werden die Pflegenden weitgehend mit ihren Problemen allein gelassen und es bleibt jedem selbst überlassen, sich ausreichend über mögliche Hilfen zu informieren.

Die spezielle Situation demenzkranker Menschen wurde von den Politikern bei der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1994 in keiner Weise berücksichtigt. Pflegegeld bekommt nur, wer in eine von drei Pflegestufen eingeteilt wird. Dieser Einteilung pflegebedürftiger Menschen liegt jedoch ein Pflegebegriff zugrunde, der sich auf 15 rein körperliche Kriterien beschränkt. Er orientiert sich ausschließlich an der körperlichen Grundversorgung und berücksichtigt weder die zusätzlichen Belastungen noch den psychosozialen Hilfsbedarf, der bei der Betreuung Demenzkranker den größten Teil der Zeit in Anspruch nimmt. Nur wer mindestens 45 Minuten Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen wie Toilettengang, Waschen, Anziehen, Rasieren oder beim Essen braucht, bekommt Geld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.

So klaffen bei Demenzkranken vor allem in der ersten Zeit die Einstufung in die Pflegeversicherung und die tatsächlichen Belastungen der Angehörigen weit auseinander.

Ein hilfloser Mensch, der die ständige Nähe und Unterstützung anderer braucht, sich allerdings noch auf Aufforderung selbst anziehen, waschen und essen kann, erhält nach den bestehenden Richtlinien keine Leistungen der Pflegeversicherung, das heißt, es werden nicht einmal 45 Minuten tägliche Pflegezeit für die Pflegestufe 1 anerkannt. Widersinnig erscheint dies vor allem dann, wenn diese Menschen auch nur für einige Tage auf sich allein gestellt wären, sie in in einen völlig hilflosen Zustand gerieten und ohne Hilfe praktisch nicht mehr lebensfähig wären.

Gerade die intensive Unterstützung durch Angehörige oder andere Pflegende ermöglicht es ja, dass der Betroffene seine Selbstständigkeit bei den einfachen "Verrichtungen des täglichen Lebens" noch bewahren kann.
(Leitfaden zur Pflegeversicherung, Seite 16-17)

Menschen, die sich morgens im Spiegel nicht mehr wiedererkennen, den Weg zur Toilette nicht mehr finden und den Topf auf dem Herd vergessen, schaffen es häufig noch, sich allein die Zähne zu putzen, sich anzuziehen oder die Haare zu kämmen. Häufig überschätzen Demenzkranke ihre Selbständigkeit und wenn der medizinische Dienst vorbeikommt, um sie einer Pflegestufe zuzuteilen, erscheinen sie kompetenter, als sie es tatsächlich sind.

Eine Hilfe für pflegende Angehörige in dieser Situation ist der "Leitfaden zur Pflegeversicherung", der in diesem Jahr bereits in der 8. Auflage erschienen ist. Er nimmt Partei für den Kranken. Anschaulich und verständlich werden die Vorgehensweisen und Abläufe zur Antragstellung und Leistungsgewährung bei der Pflegeversicherung erklärt und alle Schritte beschrieben, die notwendig sind, um die Möglichkeiten der Pflegeversicherung optimal nutzen zu können. Dabei wird auf Klippen und Hürden hingewiesen und es werden Tipps gegeben, wie diese umgangen, bzw. welche weiteren Schritte unternommen werden können, damit der Kranke zu seinem Recht und an das ihm zustehende Geld kommt. Es wird Mut gemacht, die Flinte ob der furchterregenden Bürokratie nicht allzu schnell ins Korn zu werfen. Zu folgende Fragen findet man in diesem Leitfaden hilfreiche Hinweise:

- Wie stelle ich einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung?
- Was ist bei der Begutachtung nach den neuen Begutachtungsrichtlinien (2006) zu beachten?
- Wieviel Pflegezeit muss der Medizinische Dienst anerkennen?
- Welche besonderen Voraussetzungen gelten für Pflegestufe 3?
- Wie verläuft das Widerspruchsverfahren?
- Welche Leistungen gewährt die Pflegeversicherung?
- Welche Leistungen werden nach dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz gewährt?
(Leitfaden zur Pflegeversicherung, Klappentext)


Seit den 80er Jahren schließen sich in der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Angehörige von Demenzkranken und fachliche Helfer zu Selbsthilfegruppen zusammen, um die Interessen der Betroffenen, ihrer Angehörigen und professioneller Fachkräfte zu bündeln. Zu den erklärten Zielen dieser Gesellschaft gehört es unter anderem, die Bevölkerung zu mehr Verständnis und Hilfsbereitschaft für die von der Alzheimer-Krankheit und anderen Demenzerkrankungen Betroffenen anzuregen, die Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung bei den Betroffenen und die Selbsthilfefähigkeit bei den Angehörigen zu fördern und die Betreuenden zu entlasten, indem Fachinformation, emotionale Unterstützung und öffentliche Hilfen angeboten werden.

Neben zahlreichen weiteren Veröffentlichungen und den beiden hier vorgestellten Bänden und sind in der Schriftenreihe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bislang die folgenden Bände erschienen:

Band 2: Ratgeber in rechtlichen und finanziellen Fragen für Angehörige
von Alzheimer-Patienten, ehrenamtliche und professionelle Helfer.
4. aktualisierte Auflage 2005, 160 Seiten, 4,50 Euro

Band 3: Stationäre Versorgung von Alzheimer-Patienten.
Leitfaden für den Umgang mit demenzkranken Menschen.
4. aktualisierte Auflage 2003, 200 Seiten, 4,50 Euro

Band 4: Technische Hilfen für Demenzkranke.
Orientierungshilfe für den Umgang mit technischen
Unterstützungsmöglichkeiten bei der Betreuung Demenzkranker,
3. Auflage 2005, 125 Seiten, 4,50 Euro

Die übersichtliche Gestaltung, zu der die klare Gliederung, die leichte Lesbarkeit durch große Schrift und großen Zeilenabstand sowie zahlreiche Querverweise innerhalb der einzelnen Hefte beitragen, zeichnen die Bände dieser Schriftenreihe aus und machen sie zu Ratgebern, die allen, die im privaten Umfeld oder beruflich mit Demenzkranken zu tun haben, empfohlen werden können. Die Angabe nützlicher Adressen und Hinweise auf weiterführende Literatur vervollständigen die gelieferten Informationen.

5. März 2007


Schriftenreihe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.
Band 1: Leitfaden zur Pflegeversicherung.
Antragstellung, Begutachtung, Widerspruchsverfahren, Leistungen.
8. aktualisierte Auflage 2007, 175 Seiten, 4,50 Euro.

Schriftenreihe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.
Band 5: Ratgeber Häusliche Versorgung Demenzkranker.
2. Auflage 2007, 149 Seiten, 4,50 Euro


Die Schriften der Deutschen Alzheimer Gesellschaft können unter folgender Anschrift bestellt werden:

Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Selbsthilfe Demenz
Friedrichstr. 236
10969 Berlin
Telefon: 030/259 37 95-0
Fax: 030/259 37 95-29
E-Mail:info@deutsche-alzheimer.de
Internet: www.deutsche-alzheimer.de

Alzheimer-Telefon: 01803/17 10 17 (0,09 Eur/Min)