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REZENSION/413: L. Wright - Der Tod wird euch finden (Al-Qaida) (SB)


Lawrence Wright


Der Tod wird euch finden

Al-Qaida und der Weg zum 11. September



In der englischsprachigen Welt ist Lawrence Wrights "The Looming Tower - The Road to 9/11" mehrfach ausgezeichnet worden, nicht zuletzt mit dem begehrten Pulitzerpreis für das beste Sachbuch des Jahres 2006. Die gerade erschienene deutsche Fassung "Der Tod wird euch finden" trägt auf ihrer Rückseite die Empfehlung, "Das Standardwerk über die Vorgeschichte des 11. September" zu sein. Dieses von der taz gefällte Urteil trifft voll zu, läßt jedoch gleichzeitig erahnen, daß Wright eine allzu konventionelle Interpretation der Ereignisse präsentiert.

Handwerklich gesehen ist das Buch Wrights schon eine beachtliche Leistung. Der 1947 geborene Journalist der Zeitschrift New Yorker, für die auch Seymour Hersh schreibt, hat fast fünf Jahre in die Recherche investiert, ist in alle relevanten Länder gereist und hat mit Hunderten von Zeugen, darunter islamistische "Terroristen", CIA- und FBI-Agenten, Politiker, Nahost- und Islam-Experten, gesprochen sowie die wichtigsten Veröffentlichungen einschließlich derjenigen aus dem arabischsprachigen Raum ausgewertet. Herausgekommen ist ein Werk, das sich weitgehend an der offiziellen Sichtweise orientiert, wie sie 2003 im Bericht der gemeinsamen Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat in Washington sowie 2004 im Bericht der von US-Präsident George W. Bush eingesetzten "unabhängigen" 9/11-Untersuchungskommission vorgegeben wurde, und das sich dennoch aufgrund des schreiberischen Könnens des Autors mindestens so packend liest wie ein Agententhriller à la Robert Ludlum oder John Le Carré.

Besonders hervorzuheben ist Wrights detaillierte Darstellung der Entstehung des sogenannten Islamismus, veranschaulicht durch die Lebensläufe der beiden Al-Kaida-Führer, des Ägypters Dr. Aiman Al Zawahiri und des saudischen Exilanten Osama Bin Laden, sowie ihrer religiös-intellektuellen Vorbilder, des 1966 auf Anordnung Gamal Abd Al Nassers hingerichteten Sajid Qutb und des 1989 bei einem bis heute nicht aufgeklärten Bombenanschlag im pakistanischen Peschawar getöteten Scheich Abdullah Assam. Führt man sich die von Wright geschilderten Anfangspleiten der "arabischen Afghanen" an der Seite der Mudschaheddin im Afghanistan-Krieg gegen die Sowjetarmee vor Augen, kann man nur staunen, daß dieselbe Gruppe heute sich mit Hilfe der Taliban, paschtunischer Stammeskrieger und abtrünniger Militärs anschickt, die Macht in Pakistan und damit über die islamische Atombombe zu übernehmen. [1]

Auch wenn Wright mit viel Sympathie und Verständnis auf die Beweggründe der Islamisten und deren Auflehnung gegen die von den USA und ihren Verbündeten gestützten, autokratischen Regimen in weiten Teilen der muslimischen Welt eingeht, nimmt er praktisch die fatalistische Position von Neokonservativen wie Bernard Lewis ein, nach der auch ohne Bin Laden und den 11. September der "Zusammenstoß zwischen dem Westen und der arabisch-muslimischen Welt" nur eine "Frage der Zeit" gewesen wäre, weil irgendwelche "tektonischen Platten der Geschichte in Bewegung geraten" wären. (S. 414f.) Hier handelt es sich um eine reine Behauptung, die sich lediglich auf gängige Weltbilder George Wilhelm Friedrich Hegels und Samuel Huntingtons stützt. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich einen gänzlich anderen, weitaus harmonischeren Lauf der Dinge nicht nur im Nahen Osten, sondern in den internationalen Beziehungen insgesamt, wären die zahlreichen Gelegenheiten der letzten dreißig, vierzig Jahre von bestimmten Akteuren nicht sträflich mißachtet worden, vorzustellen.

Was die wichtigsten "Terroranschläge" der letzten Jahre auf amerikanische Ziele - auf das New Yorker World Trade Center 1993, auf die Khobar Towers 1996 in Saudi-Arabien, auf die Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 und die Flugzeugangriffe vom 11. September 2001 - betrifft, so verläßt sich Wright fast gänzlich auf Quellen, die den US-Behörden angehören oder ihnen nahestehen. So umfangreich die vorliegende Lektüre ist, so dürften Kennern der Materie wichtige Unterlassungen auffallen. Wright vertritt beispielsweise den Standpunkt, daß der ägyptische Major a. D. Ali Mohamed im Auftrag von Al Zawahiris Al Dschihad den US-Sicherheitsapparat unterwandert hat und nicht umgekehrt. Interessanterweise berichtet Wright davon, wie der spätere Leibwächter Bin Ladens und Chefplaner der Botschaftsanschläge während seiner Zeit am John F. Kennedy Special Warfare Center in Fort Bragg Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre bei seinen zahlreichen Wochenendausflügen nach New Jersey und New York diejenigen "muslimischen Kämpfer" ausbildete, "die 1990 den jüdischen Extremisten Meir Kahane umbringen würden" (S. 226), erwähnt jedoch nicht, daß dieselben Schüler Ali Mohameds den ersten WTC-Anschlag mit sechs Toten und rund 1000 Verletzten durchführten. Zur nachgewiesenen Verwicklung des FBI in denselben Anschlag fällt auch kein Wort. [2]

Für Wright steht außer Frage, daß Bin Laden die Anschläge vom 11. September angeordnet hat. Im Buch wird beispielsweise beschrieben, wie am "Tag, der die Welt veränderte" der Al-Kaida-Chef in Afghanistan, und zwar im Beisein seiner engsten Vertrauten, die Ereignisse in den USA im Radio verfolgte und kommentierte. Schlägt man in den Fußnoten nach, woher diese Angaben stammen, findet man jedoch als Quelle lediglich den FBI-Agenten Ali Soufan, der sich damals im Jemen aufhielt und diese Information lediglich aus zweiter Hand hatte.

Ohne weiteren Kommentar zitiert Wright aus dem "'smoking gun' tape", jenem umstrittenen, angeblich im November 2001 in Afghanistan gefundenen Video-Band, auf dem Bin Laden zu hören ist, wie er sich im Gespräch dazu bekennt, selbst beabsichtigt zu haben, die Zwillingstürme zum Einsturz zu bringen, läßt jedoch das Interview mit dem Al-Kaida-Chef, das am 28. September 2001 in der im pakistanischen Karatschi auf Urdu erscheinenden Zeitung Ummat erschienen ist, außer Acht. Darin hatte Bin Laden jede Verantwortung für die Flugzeuganschläge weit von sich gewiesen. Ebenfalls greift Wright auf die Angaben des ehemaligen pakistanischen Geheimdienstchefs Hamid Gul zurück, wenn es um die Wirkung der US-Raketenangriffe auf die Al-Kaida- Lager in Afghanistan nach den Botschaftsanschlägen geht, ignoriert jedoch die bekannte Aussage des erfahrenen Kenners der islamistischen Söldnerszene von September 2001, nach der ohne die Unterstützung irgendwelcher staatlicher Stellen die Freiwilligentruppe um Bin Laden und Al Zawahiri organisatorisch niemals zu einer so umfassenden Operation wie den Flugzeuganschlägen in der Lage gewesen wäre.

Die krasse Mißachtung zahlreicher Warnungen hinsichtlich eines bevorstehenden Großanschlages im Vorfeld des 11. September, die bis zum offiziellen Eingeständnis der Nichtexistenz von Saddam Husseins "Massenvernichtungswaffen" als "schlimmste Panne der US-Geheimdienstgeschichte" galt, führt Wright auf "bürokratische Konfusion" auf Seiten der amerikanischen Behörden zurück. In diesem Zusammenhang behauptet er beispielsweise, nach der Festnahme von Zacarias Moussaoui am 16. August 2001 in Minnesota hätten die Verantwortlichen in Washington den Vorschlag aus dem FBI-Büro in Minneapolis, beim zuständigen FISA-Gericht eine Sondergenehmigung zur Durchsuchung des Laptops des verdächtigen Flugschülers französisch-marokkanischer Herkunft und zur Überprüfung seiner telefonischen Verbindungsdaten zu beantragen, deshalb abgelehnt, "weil die Agenten die Maßnahme nicht mit einem konkreten Verdacht begründen konnten". (S. 439)

Wer die Aufregung um den 13seitigen Protestbrief, den im Frühjahr 2002 Colleen Rowley an den FBI-Chef Robert Mueller richtete, verfolgte, weiß es besser. In dem Brief warf die damalige Anwältin des FBI-Büros in Minneapolis der Führung im J.-Edgar-Hoover-Gebäude in Washington vor, die Ermittlungen von ihr und ihren Kollegen gegen Moussaoui regelrecht torpediert und die durchaus begründeten Verdachtsmomente für den FISA-Antrag aus unerklärlichen Gründen relativiert zu haben. Tatsächlich wurden die FBI-Ermittler in Minneapolis sogar von der Führung in der Hauptstadt dafür gerügt, außerhalb der regulären Kanäle Kontakt zum französischen Geheimdienst aufgenommen und in Paris seitenweise Hinweise auf die Verbindungen Moussaouis zu einschlägig bekannten, militanten, nordafrikanischen Islamisten eingeholt zu haben. Nicht umsonst kam es Crowley und Kollegen, die die konkrete Gefahr eines bevorstehenden Flugzeuganschlages erkannten, nach eigenen Angaben vor, als hätte Bin Laden im FBI-Hauptquartier einen Maulwurf oder einen Verbündeten. Wegen der Bekanntmachung dieser skandalösen Vorgänge wurde Rowley vom Nachrichtenmagazin Time zur Person des Jahres 2002 gewählt.

Genauso vergeblich wie den Namen Colleen Rowley sucht man im Buch Wrights den von Sibel Edmonds, die 2002 vom FBI entlassen wurde, nachdem sie in dessen Übersetzungsbüro in Washington einen türkischen Spionagering mit Verbindungen zu den Hintermännern der 9/11-Anschläge entdeckt und seine Existenz ihren Vorgesetzten gemeldet hatte. Obwohl der Generalinspekteur des Justizministeriums bei seiner eigenen Untersuchung des Vorfalls die von Edmonds angemeldeten Verdachtsmomente für stichhaltig befand, hat der Oberste Gerichtshof der USA 2005 unter Verweis auf das von der Bush-Regierung geltend gemachte Argument der Sorge um die "nationale Sicherheit" die Klage der ehemaligen FBI-Übersetzerin wegen unfairer Entlassung, weil angeblich nicht öffentlich verhandelbar, zurückgewiesen.

Wright ist auch nicht der Spur der rund 90 als "Kunststudenten" getarnten, israelischen Mossad-Agenten, die in den Wochen vor und nach dem 11. September der US-Polizei ins Netz gegangen waren und von denen einige offenbar die mutmaßlichen arabischen Flugzeugattentäter beschatteten, nachgegangen, und das, obwohl über diesen rätselhaften Themenkomplex bereits am 13. März 2002 die in London ansässige, weltweite renommierte Jane's Information Group geschrieben hat: "Es mutet etwas seltsam an, daß die US-Medien die vielleicht explosivste Geschichte seit dem 11. September, nämlich die angebliche Zerschlagung einer großen israelischen Spionageoperation in den Vereinigten Staaten, bei der es um die Infiltrierung von Justiz- und Verteidigungsministerium ging und im Rahmen derer die Al-Kaida-Terroristen vor den Entführungen observiert wurden, ignorieren."

Statt dessen vergleicht Wright die "fanatische Entschlossenheit" der Islamisten mit der der Nazis (S. 381) und stellt Spekulationen in den Raum, nach denen Mohammed Attas "Hinwendung zum Terrorismus" mit irgendwelchen "sexuellen Problemen" (S. 383) zu tun gehabt haben könnte. Hätte Wright ernsthaft etwas über Attas Verhältnis zum anderen Geschlecht in Erfahrung bringen wollen, hätte er nur nach Florida reisen und Amanda Keller, die ehemalige Freundin des aus Ägypten stammenden, mutmaßlichen Kopfs der 9/11-Operation, befragen müssen, wie Daniel Hopsicker es für sein 2004 in den USA und 2005 in Deutschland erschienenes Enthüllungsbuch "Welcome to Terrorland" getan hat. Der Grund, warum Wright darauf verzichtet hat, liegt auf der Hand. Wie Hopsicker wäre er über die unappetitlichen Verbindungen zwischen den Flugschulen in Florida, die Atta und Co. besuchten, und dem internationalen Kokainschmuggel, in den die CIA und eventuell auch der Bush-Clan verwickelt sind, gestolpert.

Ein nicht unwichtiger Aspekt der gängigen, von Wright unterstützten These, nach der vor dem 11. September 2001 gesetzliche Hürden die Zusammenarbeit zwischen FBI und CIA erschwert und eine Verhinderung der Flugzeuganschläge unmöglich gemacht haben, ist der Fall der beiden Hijacker Nawaf Al Hasmi und Chaled Al Midhar. Obwohl sie von der CIA als gefährlich eingestuft worden waren, konnten sie nach einem im Auftrag Washingtons vom malaysischen Geheimdienst observierten "Terrorgipfel" in Kuala Lumpur Anfang 2000 in die USA einreisen und dort völlig ungestört ihre dunklen Umtriebe entfalten. Wright erwähnt zum Beispiel, daß der mutmaßliche, saudische Geheimdienstagent Omar Bayoumi den beiden Flugzeugattentätern in spe bei ihrer Ankunft in Kalifornien half, sich einzurichten, vernachlässigt es aber, den Leser darüber zu informieren, daß sie zwischen September und Dezember 2000 bei Abdussattar Scheich, dem wichtigsten FBI-Informanten unter der muslimischen Bevölkerung San Diegos, zur Untermiete wohnten. [3] Scheichs Name ist auch nirgendwo in der Liste von Wrights Interviewpartnern zu finden.

Doch nicht nur das. Der Aufenthalt von Al Hasmi und Al Midhar in Kalifornien wurde, wie das Nachrichtenmagazin Newsweek im November 2002 publik machte, unter anderem mit Geldern, die von dem Konto der Königstochter Prinzessin Haifa Al Faisal, Gattin des langjährigen saudischen Botschafters in Washington, Prinz Bandar Bin Sultan Bin Abdul Asis, bei der Filiale der Riggs Bank in der US-Hauptstadt stammten, finanziert (Bandar, bekanntlich ein enger Familienfreund der Bushs, war es, der nach den Flugzeuganschlägen mit Hilfe des Weißen Hauses dafür sorgte, daß rund 160 reiche Saudis, darunter mehrere Verwandte Bin Ladens, ohne eingehende Befragung durch das FBI mit gecharterten Sondermaschinen die USA verlassen konnten). Diesen seltsamsten Aspekt des Falls Al Hasmi und Al Midhar, der ahnen läßt, warum rund 20 die Beziehung zwischen Riad und Washington tangierende Seiten im 9/11-Bericht der Geheimdienstausschüsse vom Repräsentantenhaus und Senat ausgeschwärzt und bis heute nicht freigegeben worden sind, erwähnt Wright mit keinem einzigen Wort.

Das gleiche gilt für den Skandal um Sandy Berger, den früheren Nationalen Sicherheitsberater Bill Clintons, der 2005 schuldig gesprochen wurde, zwei Jahre zuvor in seiner offiziellen Position als Verbindungsmann und Informationszuträger der früheren, demokratischen Clinton-Regierung bei der "unabhängigen" 9/11-Kommission eine unbekannte Anzahl Originaldokumente aus dem Nationalarchiv in Washington entwendet und vernichtet zu haben, und der dafür eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung erhielt. In den unwiederbringlich verlorenen Geheimdokumenten ging es offenbar um brisante Aspekte der "Terrorbekämpfung" Washingtons vor dem Amtsantritt von Bush jun., die nach Meinung Bergers niemals bekannt werden sollten.

Statt sich mit den wirklich unbequemen Fragen um den 11. September auseinanderzusetzen, baut Wright durch unzählige Anekdoten den legendären FBI-Terroristenjäger John O'Neill, der, wie der Zufall es will, kurz vor dem 11. September 2001 WTC-Sicherheitchef geworden war und durch die Flugzeuganschläge ums Leben kam, zum "all-american hero" auf, demgegenüber die beiden "Bösewichte" Bin Laden und Al Zawahiri um so düsterer erscheinen. Etwas weniger Legendenbildung wäre dem ansonsten lesenswerten Buch besser bekommen.

10. Oktober 2007

Fußnoten:

1. Syed Saleem Shahzad, "Military brains plot Pakistan's downfall", Asia Times Online, 26. September 2007.

2. Ralph Blumenthal, "Tapes depict Proposal to Thwart Bomb used in Trade Center Blast", New York Times, 28. Oktober 1993.

3. David Johnston und Neil A. Lewis, "2 Suspected Hijackers Were Sought by F.B.I. at Time of the Attacks", New York Times, 16. September 2001.


Lawrence Wright
Der Tod wird euch finden
Al-Qaida und der Weg zum 11. September
(Aus dem Englischen "The Looming Tower - Al-Qaeda and the Road to
9/11" von Stefan Gebauer und Hans Freundl)
Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2007
544 Seiten
ISBN: 978-3-421-04303-0