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REZENSION/419: Larry Everest - Öl, Macht und Empire (US-Politik) (SB)


Larry Everest


Öl, Macht und Empire

Der Irak und die globale US-Politik



Mit der Veröffentlichung der wichtigsten Eckdaten der jüngsten National Intelligence Estimate (NIE) aller 16 US-Geheimdienste zum Thema Iran am 3. Dezember hat der Streit zwischen Washington und Teheran um das iranische Atomprogramm eine unerwartete Wende genommen. Nach dem Bekanntwerden der Einschätzung der zuständigen Experten, wonach der Iran - spätestens seit dem Herbst 2003 - keine Schritte in Richtung Erforschung oder Bau von Atomwaffen unternommen hat, scheint die militärische Option, mit der die Regierung von US-Präsident George W. Bush seit Jahren unverhohlen droht, zunächst "vom Tisch" zu sein.

Es gibt jedoch nicht wenige namhafte Beobachter wie den Pulitzerpreisträger Seymour Hersh, den Ex-UN-Waffeninspekteur im Irak, Scott Ritter, den Asia-Times-Gastkommentator Kaveh L. Afrasiabi, den Physiker James Gordon Prather, den Ex-CIA-Analytiker Philip Giraldi, den Historiker Gareth Porter und die beiden Nahostexperten und ehemaligen Mitglieder des National Security Council, Flynt Leverett und Hillary Mann Leverett, die weiterhin die Kriegsgefahr am Persischen Golf als gegeben ansehen und sie auf das Festhalten Washingtons am Ziel eines "Regimewechsels" und eines Endes der "Mullahkratie" in Teheran zurückführen. Zu denjenigen, die eher mit Skepsis auf die Interpretation der NIE als Beleg für eine Minirevolte des Geheimdienstapparats gegen die neoimperialistische Fraktion um Bush und seinen Vizepräsidenten Dick Cheney reagiert haben, zählt Larry Everest, der in den letzten Jahren in vielen Artikeln und Interviews die verbrecherische Nahost-Politik des Weißen Hauses angeprangert und immer wieder vor dem drohenden Showdown Amerikas mit der Islamischen Republik gewarnt hat.

Der in Oakland, Kalifornien, wohnende Everest beschäftigt sich mit dem Nahen Osten und Zentralasien seit rund 30 Jahren. 1979 und 1980, sozusagen auf dem Höhepunkt der Islamischen Revolution und der Konfrontation um die Geiselnahme der US-Botschaftsangehörigen in Teheran, bereiste er als Korrespondent den Iran. 1986 veröffentlichte Everest in seinem vielbeachteten Buch "Poison Cloud: Union Carbide's Bhopal Massacre" das Ergebnis der eigenen Nachforschungen über das verheerende Chemieunglück, das sich zwei Jahre zuvor in der Hauptstadt des zentralindischen Bundesstaates Madhya Pradesh ereignet und Tausenden von Menschen das Leben gekostet hatte. 1988 berichtete er aus den besetzten palästinensischen Gebieten über die erste Intifada. Nach dem Golfkrieg 1991 besuchte er den ausgebombten Irak Saddam Husseins und drehte über das Leid der traumatisierten Bevölkerung die später preisgekrönte Dokumentation "Iraq: War on People". Wiewohl Everest hauptsächlich für den Revolutionary Worker, Zeitung der Revolutionary Communist Party der USA, schreibt, weisen seine Analysen und Kommentare eine so zwingende Aussagekraft auf, daß sie nicht nur bei anderen linken Publikationen wie Counterpunch und Z Magazine erscheinen, sondern immer wieder auch bürgerlichen, dem Erhalt des kapitalistischen Systems verpflichteten Mainstream-Blättern wie der Baltimore Sun, dem Boston Globe, der Los Angeles Times und dem San Francisco Chronicle übernommen werden.

Was die Aussagekraft betrifft, so hält sich Everest in seinem jüngsten, hochempfehlenswerten Buch "Öl, Macht und Empire - Der Irak und die globale US-Politik" in keiner Weise zurück, sondern präsentiert eine grundsolide wie schonungslose Abrechnung mit dem Versuch der Administration von Bush jun., hauptsächlich mit militärischen Mitteln eine "Neuordnung" des Nahen Ostens vorzunehmen. Hauptgegenstand seiner Untersuchung ist der Irak und dessen unbestrittene Schlüsselstellung in den strategischen Überlegungen der Supermacht USA, wie man die ressourcenreiche Region zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean am besten beherrschen kann, um auf Jahrzehnte hinaus den Aufstieg eines ernsthaften Konkurrenten wie China, EU, Indien, Japan oder Rußland, sei es allein oder in irgendwelchen Koalitionen - Stichwort Shanghai Cooperation Organisation (SCO) -, verhindern zu können. Nicht umsonst tut Everest das ganze Gerede vom "Antiterrorkrieg" als Nonsens ab und spricht statt dessen von einem "imperialen Raubzug" der USA, bei dem der Buhmann stets austauschbar ist.

Everest nimmt als Ausgangspunkt all die Lügen, mit denen Bush und Konsorten von 2001 bis 2003 den Einmarsch in den Irak propagandistisch eingeleitet haben, und zerlegt sie, bis davon nichts mehr übrigbleibt. Er analysiert die enorm wichtige Rolle, welche die Sicherung des Zugangs zu den Öl- und Gasreserven des Nahen Ostens spätestens seit den Tagen Jimmy Carters für die USA gespielt hat. Wie Everest richtig anmerkt, geht es hier nicht in erster Linie darum, den Benzindurst des US-Autofahrers zu stillen, sondern: "Es geht auch um das globale Kräftegleichgewicht und die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf jene, die von importiertem Erdöl abhängig sind. Vize-Präsident Dick Cheney hat einmal gesagt, das Land, das die Kontrolle über das Erdöl aus dem Nahen Osten hat, hätte die Weltwirtschaft im 'Würgegriff'". (S. 357)

Zu diesem Zweck haben die USA bereits 1953 den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh gestürzt. Als 26 Jahre später ihre Marionette, der Schah, selbst von der Macht weggefegt wurde, half Washington mit, den Iran-Irak-Krieg anzustiften und jahrelang unter anderem durch Waffenlieferungen an beide Seiten am Leben zu erhalten. Everests Ausführungen über diesen längsten konventionellen Krieg des 20. Jahrhunderts einschließlich der Belieferung Saddam Husseins mit allerlei Massenvernichtungswaffen und über die verschiedenen Aspekte der Iran-Contra-Affäre sind recht erhellend. Die von Experten wie Gary Sick und Robert Parry vorgebrachten Beweise für die These, wonach die Republikaner Ronald Reagan und George Bush sen. 1980 einen Deal mit dem Ajatollah Ruhollah Khomeini machten, damit der iranische Revolutionsführer die Botschaftsangehörigen nicht vor der US- Präsidentschaftswahl im November desselben Jahres dem demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter übergab und sie den Urnengang dadurch gewinnen konnten, stuft er als glaubwürdig ein.

Die Verstrickungen der USA im Nahen Osten sind hochkompliziert - man bedenke nur das problematische Verhältnis Washingtons zum saudischen Königshaus -, werden aber von Everest sehr eingängig und spannend erklärt. Wegen der enormen Schwierigkeiten, vor denen die USA wirtschaftlich stehen, und der kommenden Herausforderungen in Verbindung mit der Globalerwärmung geht Everest davon aus, daß der Irakkrieg nicht das Ende des neokonservativen Kreuzzuges im Nahen Osten sein wird, sondern eher als Sprungbrett zu weiteren gefährlichen Abenteuern gegen den Iran und eventuell auch Syrien dienen soll.

Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht eine bemerkenswerte Rede, die der US-Verteidigungsminister Robert Gates am 8. Dezember auf einer Sicherheitskonferenz in Bahrain gehalten hat. Gates, der unter Bush sen. CIA-Chef war, galt bisher im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem stets aggressiv-besserwisserisch auftretenden Donald Rumsfeld, als sicherheitspolitischer "Realist". In Bahrain war davon ebenso wenig zu merken wie von der angeblichen Entspannung in der Konfrontation zwischen Washington und Teheran im Zuge der Veröffentlichung der eingangs erwähnten Geheimdienstsanalyse NIE. Statt dessen griff Gates die Regierung in Teheran an, weil sie angeblich "Instabilität und Chaos" in der gesamten Region verursache. Wer Larry Everests faktenreiches "Öl, Macht und Empire" gelesen hat, dürfte für eine derart selbstgerechte Behauptung nur ein müdes Lächeln übrig haben. Tatsächlich sind die USA der größte Exporteur von "Instabilität und Chaos" in den Nahen Osten, nur daß sie dafür Euphemismen wie "kreative Zerstörung", "Vorwärtsstrategie der Freiheit" und "demokratische Transformation" verwenden.

11. Dezember 2007


Larry Everest
Öl, Macht und Empire
Der Irak und die globale US-Politik
(Aus dem Englischen "Oil, Power and Empire - Iraq and the U.S. Global
Agenda" von Verena Gajewski)
Kai Homilius Verlag, Berlin, 2007
471 Seiten
ISBN: 978-3-89706-605-2