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REZENSION/708: Achim Szepanski - Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals (SB)


Achim Szepanski


Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals



Auf ihrer Suche nach der verschwundenen Arbeiterklasse und deren nicht mehr geführten Kämpfen hat die Linke Federn gelassen. Während sich das Kapital in immer rascheren Zyklen neu erfindet, um der Krise zu trotzen, und der Staat das Arsenal seiner Repression perfektioniert, um die Revolte abzuwürgen, muten Theorie und Praxis potentieller Gegenmacht zumeist bescheiden und allzu oft rückwärtsgewandt an. Einer Fülle hochwertiger historischer Analysen steht ein eklatanter Mangel an zukunftsfähigen Ansätzen gegenüber, die Fragen von Herrschaft, Staat und Kapital auf der Höhe der Zeit und darüber hinaus denken. Aus der Geschichte zu lernen kann nur insofern in Anspruch genommen werden, als es gelingt, in den zu führenden Kämpfen innovative Qualitäten zu erschließen und adäquate Kapazitäten zu entwickeln. Andernfalls entkommt man der Bibelstunde nicht, welche die Propheten rezitiert, den Katechismus predigt und mit Hoffnung hausiert. An mannigfaltigen Antworten herrscht zwar kein Mangel, wie die vielfach zersplitterte Linke allenthalben belegt. Wohl aber an der Bereitschaft, die Machtfrage in aller Konsequenz zu stellen und gegen jegliche Widerstände aufrechtzuerhalten.

Es bleibt ein mühsames Unterfangen, sich durch den Wildwuchs einander widerstreitender Deutungsmuster einen gangbaren Weg zu schlagen, ohne der anheimelnden Verlockung ausgetretener Pfade zu erliegen. Ob Staatstheorie, Kapitalverhältnis oder Klassenzusammensetzung, auf all diesen miteinander verschränkten Feldern hinken die traditionellen Erklärungsansätze den rasanten Verwerfungen angesichts multipler Krisen hinterher und bekommen nicht einmal den Schweif des Kometen zu fassen, der in aberwitziger Beschleunigung auf katastrophale Verheerungen nie gekannten Ausmaßes zusteuert. "Schlagen die Produktivkräfte aber in Destruktivkräfte um, wie wir das gegenwärtig beobachten können, dann wandelt sich das Kapital vom nihilistischen Operateur zum suizidalen Faschisten. Und diese Phase beginnt jetzt" (S. 7f), läßt Achim Szepanski keinen Zweifel daran, daß von einer vor-apokalyptischen Zuspitzung der Verhältnisse auszugehen sei.

Schwindende Ressourcen wie Wasser, Nahrungsmittel und Energie, die globale Erwärmung, die Verringerung der Biodiversität, die Übersäuerung der Meere, die chemische Verschmutzung und die Veränderung der Bodenbeschaffenheit drohen die Lebensgrundlagen der Menschheit zu zerstören. Zugleich wächst im globalen Süden eine riesige Surplus-Bevölkerung heran, die das Kapital absehbar nicht in Lohnarbeit bringen und damit als variables Kapital vernutzen kann. Dieser Teil des globalen Proletariats habe überhaupt nichts mehr zu verlieren und könne prinzipiell alle sozialen Verhältnisse zerschlagen, in denen der Mensch ein geknechtetes und erniedrigtes Wesen ist, so der Autor. Der Vor-Schein dieses Proletariats seien heute die Migranten und Flüchtlinge. In den Wohlfühloasen des globalen Nordens ahnten inzwischen nicht nur die Eliten, sondern auch jene Teile der Lohnabhängigen und Prekären, die es sich aufgrund ihrer Komplizenschaft mit dem System auf Kosten der Bevölkerungen im globalen Süden einigermaßen gemütlich machen konnten, daß die Kapitalisierung an ihre Grenzen gestoßen ist.

Wie Szepanski hervorhebt, sei das Kapital kein Subjekt, sondern ein Verhältnis, nämlich ein Potential oder eine unbegrenzte Bewegung (Produktion um der Produktion willen und Zirkulation um der Zirkulation willen), in der aus Geld mehr Geld gemacht werden soll, und das immer wieder aufs Neue. Dieses Potential, ermöglicht durch die Extraktion des Mehrwerts, ist demnach der Motor des ökonomischen Systems. Die ihn begleitende Spekulation sei keine Perversion der kapitalistischen Ökonomie, sondern eine Machtfunktion, ja ihre Essenz. Durch die Endlichkeit des Profits werde das Kapital als Potential jedoch auch selbst begrenzt, was sich im tendenziellen Fall der Profitrate äußert. Dabei ist die Hegemonie des Geldkapitals der kapitalistischen Produktionsweise immanent, da die Produktion von Waren zur Vermehrung des Geldkapitals lediglich ein Mittel und keinen Zweck darstellt.

Im Sinne der Logik dieser Bewegung nötigt das Gesamtkapital als virtuelle Macht jeglichen Unternehmen auf, den umfassenden Zusammenhang der Kapitalakkumulation rückhaltlos zu reproduzieren. In diesem Zusammenhang stellt das spekulative Kapital heute die gegenüber der "Realökonomie" dominante Kapitalfraktion dar, so daß Finanzprodukte nicht länger durch die industriellen Strukturen limitiert werden und ihre Preissetzung nicht unbedingt von ihnen abhängig ist, obgleich sie gravierende reale Wirkungen produzieren. Dabei sind Derivate ein spekulatives Kapital eigener Art, das selbstreferenziell auf den eigenen Märkten zirkuliert, aber die "Realökonomie" zugleich direkt beeinflußt. So müssen sämtliche kapitalistischen Unternehmen heute wichtige finanzielle Operationen exekutieren. "Wenn das Kapital als Logik der Motor des atmenden Monsters namens Gesamtkapital ist, dann ist das finanzielle System dessen Zentralnervensystem" (S. 10).

Der Autor publiziert im vorliegenden Band drei Essays, die in einem untergründigen Zusammenhang stehen, wie er hervorhebt. Im ersten Essay macht er sich daran, jenes eigentümliche Objekt "Staat" zu konstruieren, ohne dabei die Diskurse zu reproduzieren, die vom Staat selbst hervorgebracht werden. Dieser habe seine Benennungsprivilegien sakralisiert und trage sie wie Zeichen seiner Auserwählung vor sich her, als sei er der Standpunkt aller Standpunkte, so daß sich die Frage nach deren Legitimität erübrigt habe. Man dürfe indessen nie vergessen, daß ohne die Vereinnahmung durch das sich selbst reproduzierende Kapital der Staat niemals in der Lage wäre, seine exekutiven, administrativen und gouvernementalen Funktionen auszuüben.

Der zweite Essay befaßt sich damit, daß das Kapital ab einer gewissen Zeit nicht mehr damit zufrieden war, eine gleichberechtigte Allianz mit dem Staat und seinen Kriegsmaschinen aufrechtzuerhalten. Die Konstruktion einer eigenen Kriegsmaschine durch das Kapital integrierte den Staat, seine politische, militärische und symbolische Souveränität und all seine administrativen Apparate und modifizierte sie unter den Imperativen des finanziellen Kapitals. Die Ausweitung der Kapitalisierung auf den ganzen Planeten tendiert heute zum Zusammenbruch der staatlichen Souveränität, sie drängt zu einer globalen Governance, ohne daß die Staaten von der Bildfläche verschwinden würden. Auf internationaler Ebene können die USA ihre Funktion der Weltpolizei, des globalen Bankers und Treibers der Kapitalakkumulation nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Auf nationaler Ebene baut der Staat, der zwischen der Funktion eines ideellen Gesamtkapitalisten mit einer gewissen Großzügigkeit gegenüber der Bevölkerung und einer repressiveren sozialen Polizei oszilliert, die letztgenannte Funktionsweise aus. Er verschärft die Austeritätspolitik und weitet die Interventionsbreite seiner sozialen Polizeien erheblich aus.

Dies greift der dritte Essay vertiefend auf, indem er thematisiert, auf welche Weise der "kommende Faschismus" durch die staatliche Politik des präemptiven Krisenmanagements forciert wird. Diese vermutet Chaos und den Systemfeind überall und nirgends, weshalb sie zu immer drastischeren Mitteln greift, um das aus ihrer Sicht Schlimmste zu verhindern. In Engführung mit den globalen Kriegsmaschinen des Kapitals adressiert der Staat längst nicht nur die Terroristen als Feinde. Vielmehr fungiert er als ein Instrument der Ausbeutung, Kontrolle und Disziplinierung einer globalisierten Arbeitskraft. Dies führt dazu, daß die von den Staaten selbst institutionalisierte Klaviatur der Rassismen und Nationalismen immer stärker von rechtspopulistischen Bewegungen bespielt wird, welche die Staatsfaschisierung in Richtung eines offenen Bürgerkriegs treiben wollen, der als seine primären Feinde Flüchtlinge, Muslime und generell Fremde definiert. Im engen Schulterschluß mit dem Staat soll ein hochexplosiver Zustand herbeigeführt werden, in dem die Politik der Gefühle um des eigenen Glückes willen den Genozid an der Surplus-Bevölkerung im globalen Süden einfordert.

Der Autor geht mithin auf eine ganze Reihe von Themenkomplexen ein, die in der linken oder allgemein emanzipatorischen Diskussion hochaktuell, umstritten und je nach Couleur der Akteure oftmals geradezu blinde Flecken sind. Vor allem aber sammelt er sie nicht eklektizistisch in Gestalt eines Mosaiks, um sie als Flickenteppich der Beliebigkeit einer neigungsgesteuerten Selektion zu überantworten, sondern fügt sie zu einem in sich schlüssigen Ensemble von hohem Erkenntniswert zusammen. Hervorzuheben ist sein Ansatz, aus dem Kapitalverhältnis dessen letztendliche Schranke, das Verhältnis von "produktivem" und finanziellem Kapital wie auch die Beziehungen zwischen Nationalstaaten und globalisiertem Kapital zu entwickeln, ohne in kurzschlüssige und integrative Kategorisierungen abzugleiten. So arbeitet er unter anderem auch die wachsende Bedeutung der Zirkulationssphäre, die dort aufbrechenden und zu führenden Kämpfe, mithin die von weiten Teilen der klassischen Linken ausgeblendeten oder gar als Aufruhr des Pöbels diskreditierten Erhebungen heraus.

Dank seiner fundierten und positionierten Vorgehensweise stellt Achim Szepanski nicht zuletzt Andockstellen für unverzichtbare praxisrelevante Klärungsprozesse bereit. Er hat einen durchweg empfehlenswerten Band vorgelegt, der geeignet sein sollte, die Diskussion um Kernfragen der Linken zu beflügeln und voranzutreiben. Dies gilt um so mehr, als traditionsmarxistischen Strömungen eine Erweiterung ihres Horizonts gut zu Gesicht stehen dürfte und insbesondere relativ junge Bewegungen wie jene der Klimagerechtigkeit und des Ökosozialismus einer Anbindung an dezidiert antikapitalistische Analysen bedürfen.

21. April 2019


Achim Szepanski
Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals
Laika-Verlag Hamburg 2018
172 Seiten, 16,00 Euro
ISBN 978-3-944233-92-5


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