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REZENSION/727: Jensen, Keith, McBay - Deep Green Resistance - Strategien zur Rettung des Planeten (SB)


Derrick Jensen, Lierre Keith, Aric McBay


Deep Green Resistance

Strategien zur Rettung des Planeten



Aus leidvoller Erfahrung, daß noch so eindringliche Appelle an Regierungen und zuständige Institutionen, den Schutz des Klimas und den Erhalt der natürlichen Ressourcen des Planeten ernster zu nehmen als bisher, nichts nutzen, haben sich schon vor vielen Jahren Teile der Umweltbewegung radikalisiert. Ihr Selbstverständnis: Unter Einsatz nicht immer legaler, jedoch legitimer Mittel die gesamte Gesellschaft gegen den zu erwartenden Widerstand vorherrschender Interessen auf einen anderen als den bisherigen Kurs zu bringen. Nachhaltige Produktions- und Lebensweisen jenseits von Konsumismus und Kapitalismus sollten geschaffen werden.

Zugleich setzte sich in jenen radikalökologischen Kreisen die Erkenntnis durch, daß beispielsweise der Kampf für den Erhalt des artenreichen Amazonas-Regenwalds, der ein wichtiger Kohlenstoffspeicher und Sauerstoffgenerator ist und Indigenen als Lebensraum dient, ein Kampf gegen die ökonomischen Interessen seitens der einflußreichen Bergbau-, Agro- und Treibstoffindustrie sein muß. Daß dabei die Beteiligung der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Hochkonsumregionen Europas und der übrigen Welt nicht ausgespart werden darf, gilt inzwischen als Selbstverständlichkeit, besteht doch ein direkter Zusammenhang zwischen dem hierzulande billigen Schweinefleisch auf dem Teller und Waldrodungen in Brasilien für den Anbau von Sojabohnen als Tierfutter.

Die Kämpfe für den Erhalt der Mit- und Umwelt und damit der eigenen Lebensvoraussetzungen sind an zahlreichen Fronten zu führen, damit die Bewegung nicht irgendwann als bloße Episode einer zahnlosen Rebellion in die Geschichtsbücher eingeht, lautete das Credo.

Ein Teil dieser radikalen Umweltströmung bekennt sich zu Deep Green Resistance. Der Name der 2011 gegründeten Initiative ist Programm. Zu übersetzen als tiefgrüner oder auch tiefenökologischer Widerstand setzt sich diese Bewegung explizit von dem als zu oberflächlich angesehenen grünen Mainstream ab. Der hofft beispielsweise, mit seinen Argumenten bei den Behörden Gehör zu finden, oder versteht unter Systemkritik den Wechsel von fossilen zu regenerativen Energiesystemen. Deep Green Resistance hingegen hat sich nicht weniger vorgenommen, als die Zivilisation zu zerstören.

Der österreichische Promedia Verlag hat mit dem 352 Seiten umfassenden Buch "Deep Green Resistance - Strategien zur Rettung des Planeten" dieser radikalen Ökologiebewegung eine Stimme in deutscher Übersetzung verliehen. Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung, die im amerikanischen Original bereits 2011 in New York erschienen ist und Abhandlungen umfaßt, die das Gründungstrio von Deep Green Resistance, Derrick Jensen, Lierre Keith und Aric McBay, teilweise bereits Jahre vorher in dieser oder ähnlicher Form verfaßt hat. Und doch, weder die seit der Originalveröffentlichung bei Seven Stories Press verstrichene Zeit von neun Jahren noch die aktuelle, die gesellschaftlichen Verhältnisse erschütternde Sars-CoV-2-Pandemie lassen das vorliegende Buch obsolet erscheinen. Die darin angesprochenen Streitfelder sind nach wie vor virulent und werden auch von den beiden aktuell besonders prominenten Umweltschutzbewegungen, Extinction Rebellion und Fridays for Future, eröffnet. An zahlreichen gesellschaftlichen Debatten, von Klimagerechtigkeit bis zu Lohnsklaverei, haben Jensen, Keith und McBay mitgewirkt. Auf ihre Analysen und Lösungsvorschläge beziehen sich bis heute Teile der radikaleren Ökobewegung.

"Wir können uns nicht aus dem ökologischen Kollaps herauskonsumieren; Konsum ist das Problem" (S. 18), erteilt Keith dem individualistischen Ansatz zur Bewältigung globaler Notstände eine Absage und stellt ernüchternd fest, daß zwar niemandem "persönliche Lifestyle-'Entscheidungen'" abgesprochen werden sollen, aber diese "keine Strategie" seien, um den Planeten zu retten. Für den langen Weg durch die Institutionen reiche die Zeit nicht, schreibt sie mit Blick auf die multiplen planetaren Krisen, die bereits angelaufen sind oder in absehbarer Zeit in Gang gesetzt werden, so daß ein beträchtlicher Teil der menschlichen Gesellschaft in existentielle Not geraten wird.

Wenngleich diese Erkenntnis kein Alleinstellungsmerkmal des Trios ist, formuliert es mit seinem Zivilisationszerstörungsansatz weitergehende Ansprüche als viele andere themenbezogene Publikationen auf dem Buchmarkt. So heißt es, daß die Zivilisation fähig ist, die Erde unbewohnbar zu machen, sowohl für Menschen als auch die Mehrzahl aller lebenden Spezies. Die Zivilisation benötige große Mengen an menschlicher Arbeit und basiere darauf, diese Arbeit entweder direkt zu erzwingen oder systematisch alle realistischen alternativen Lebensgrundlagen zu zerstören, und sie verbreite sich, "indem sie absichtlich Knappheit und Mangel erzeugt" (S. 23), lautet der fundamentalkritische Befund.

Auch wenn sich Technologien zur Nutzung der sogenannten Erneuerbaren Energien weiterentwickelt haben und die Anlagen effizienter arbeiten als noch 2011 bei der Veröffentlichung dieses Buchs trifft mit Blick sowohl auf die hiesigen Arbeitsbedingungen als auch das globale Nord-Süd-Gefälle die Aussage zu, daß "die neue Welt der Erneuerbaren [...] in Hinsicht auf Ausbeutung genauso aussehen [wird] wie die alte" (S. 148). Denn Lithium, Seltene Erden, Kupfer, Kobalt und andere für die - ethisch vermeintlich saubere - Energiewende unverzichtbare Rohstoffe werden nach wie vor unter teils unsäglichen Umwelt- und Arbeitsbedingungen abgebaut. Hier legt "Deep Green Resistance" schonungslos den Finger in die Wunde ökologischen Wunschdenkens.

Der Zweck des Buchs besteht darin, "plausible Strategien für den Sieg zu entwickeln" (S. 181). Vorgestellt, abgewogen und bewertet werden zahlreiche, aus der Geschichte hergeleitete Methoden des tiefenökologischen Widerstands. Dazu zählen unter anderem "Akte der Unterlassung" (S. 183) wie zum Beispiel Streiks, "Boykotte und Embargos" (S. 184), "Steuerverweigerung" (S. 185), Kriegsdienstverweigerung, Ächten und Anprangern, ziviler Ungehorsam. Solche direkten Aktionen des Widerstands sollen indirekte Formen wie Aufklärung und Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung, beispielsweise durch Demonstrationen, nicht ausschließen, heißt es. Denn: "Widerstandsbewegungen brauchen interne Unterstützungsstrukturen, um zu gewinnen." (S. 197)

Als eines von zahlreichen Beispielen erfolgreichen Widerstands in der Geschichte wird der African National Congress (ANC) genannt. Nachdem dieser jahrzehntelang das weiße Apartheidregime in Südafrika bekämpft habe und langjährige Gefängnisstrafen, Folter und Mord über sich ergehen lassen mußte, habe der ANC Anfang der 1990er Jahre die Regierung übernommen. (S. 288)

Ein Erfolg, zweifellos. Und anschließend lief alles gut?, müßte man Autorin und Autoren fragen. Die Antwort lautet nein. Auch wenn der ANC unter schwierigsten Bedingungen gestartet ist und die sozialen Standards in Südafrika partiell angehoben hat, sind der wirtschaftsliberal orientierte Präsident Thabo Mbeki (1999 bis 2008) und auch der sich und den seinen stets am nächsten stehende Jacob Zuma (2009 - 2018) Beispiele dafür, wie Herrschaftsdenken und -praxis selbst noch in Befreiungsbewegungen, die erfolgreich gegen weiße Rassisten gekämpft haben, fortgetragen wird.

Darauf geht "Deep Green Resistance" nicht ein, weil das Trio offenbar einen verkürzten Strategiebegriff benutzt. Ein Regime zu Fall zu bringen, genügt nicht, wenn man den Anspruch hat, etwas grundlegend anderes machen zu wollen als diejenigen, die man bekämpft. Möglicherweise stände die Menschheit heute nicht vor den immensen planetaren Problemen, wenn sich Revolutionsbewegungen der Frage, was eigentlich nach dem Sieg kommt, schon im ersten Schritt ihrer Erhebung gestellt hätten.

Nur eine halbgare Absage wird der von einem Zweig innerhalb der Klimaschutzbewegung vertretenen Ansicht erteilt, daß eine "Über"bevölkerung verantwortlich für die Misere sei, in der die Erde gegenwärtig steckt. So heißt es in einem Kapitel mit Schilderungen zu "ineffektiven Lösungen" für dieses mutmaßliche Problem zunächst noch: "Der Schaden, der von Menschen verursacht wird, ist hauptsächlich der Effekt von Überkonsum, nicht Überbevölkerung." (S. 40)

Auch schreibt McBay, der für dieses Zitat verantwortlich zeichnet, daß "Argumente zur Überbevölkerung (...) oft rassistisch gerahmt" werden, "so als würden Menschen in der Dritten Welt die Schuld dafür tragen". Aber ergänzt wird diese Feststellung mit Aussagen wie, daß Überbevölkerung nicht das "Hauptproblem" (also ein Nebenproblem?) ist. Es gebe mehr Menschen auf dem Planeten, "als dieser tragen kann". Je weniger Menschen auf einem Planeten mit schwindenden Ressourcen lebten, "desto weniger Not wird es auch geben".

An dieser Stelle wäre McBay zu fragen, ob die Beurteilung, ab wann Menschen "überzählig" sind, nicht von einer abgehobenen Warte aus erfolgt, wie sie auch Herrschaftsstrukturen immanent ist. Gewiß, die Weltbevölkerung wächst, aber impliziert nicht das Wort "über" ein Zuviel an Menschen? Was bezweckt ein Autor damit, wenn er einen derart verfänglichen Begriff verwendet, ohne sich grundsätzlich und zweifelsfrei gegen dessen menschenfeindliche Bedeutung zu verwahren? Eine entschiedene Absage an die potentielle menschenvernichtenden Implikationen des Überbevölkerungsbegriffs sähe jedenfalls anders aus. Mindestens muß sich McBay vorwerfen lassen, an einer so heiklen Stelle nicht genügend reflektiert zu haben, in welchem Diskurs er sich mit seinen Ausführungen bewegt.

Ähnliches, wenngleich insgesamt differenzierter, findet sich bei Lierre Keith. Sie schreibt: "Überbevölkerung ist kein einfaches Thema für Leute, denen die Menschenrechte am Herzen liegen. Historisch gesehen haben einige abscheuliche Gruppen Überbevölkerung als Vorwand für Politiken der 'Bevölkerungskontrolle' genutzt, die um ein vor sich hinköchelndes Metanarrativ herum konstruiert wurden: das Problem sei in Wirklichkeit, dass braune Menschen zu dumm und/oder zu sexuell seien." (S. 151)

In mutmaßlicher Abgrenzung von einem rassistisch konnotierten Überbevölkerungsverständnis vertritt aber auch Keith die Einschätzung, daß die Erde "ein Ort mit Obergrenzen" ist. Der Planet ist "endlich", konstatiert sie. Deshalb müsse die menschliche Bevölkerung reduziert werden. "Wenn wir es nicht freiwillig tun, wird die Welt sie für uns reduzieren." (S. 140) Diese Einschätzung hält die Autorin für "realistisch" und behauptet: "Ohne Realismus ist Hoffnung nur eine Sache für erwachsene Kinder."

Der Begriff "erwachsene Kinder" diskriminiert andere Menschen in zwei Richtungen. Zum einen macht die Autorin diejenigen verächtlich, die den von ihr reklamierten Realismus nicht teilen. Zum anderen spricht sie damit Kindern pauschal das Recht ab, legitime Interessen zu entwickeln und dafür auch zu kämpfen. Keith benutzt hier ein Argumentationsschema, mit dem auch die Schüler- und Jugendprotestbewegung Fridays for Future konfrontiert wird. Nach dem Motto: Seid still und laßt das die Experten machen. Vielleicht, so wäre zu fragen, bildet Keith' Alleinvertretungsanspruch auf Realismus eine Fessel, die Menschen daran hindert, sich zusammenzuschließen und als unüberwindlich wahrgenommene Grenzen in Angriff zu nehmen.

Eine völlig anders organisierte Weltgesellschaft mit mehr als zehn Milliarden Menschen wäre durchaus vorstellbar - unabhängig von solchen "realistischen" Vorstellungen. Es setzte aber wohl gänzlich andere Produktionsverhältnisse und gewiß ein anderes als das vorherrschende, Bereicherung absichernde Verständnis der Eigentumsfrage voraus. Letztgenannter Punkt, obschon von fundamentaler Bedeutung für die Art und Weise, wie das Gemeinschaftswesen Mensch produziert und sich reproduziert, wird hier nicht beleuchtet. Dennoch will das zivilisations- und technologiekritische, radikalfeministische, anarchistische, antipatriarchale und antikapitalistische Buch nicht weniger als eine Kampfansage an die vorherrschende Gesellschaft sein, ein "Gegenschlag", der das gesamte System in seinen Grundfesten erschüttert. Es will eine regelrechte "Kultur des Widerstands" schaffen (S. 138).

Das zeugt zunächst von erfrischender Unbescheidenheit. Allerdings greift das Buch bei der Wahl der Analogien manchmal daneben - und das ist nicht einfach nur Form, sondern Inhalt. Bei allem Differenzierungsbemühen insbesondere bei der Frage der Strategie wirkt es zu vereinfachend, wenn Jensen auf den Holocaust (S. 9) verweist, um der Leserschaft die dramatischen Folgen der Klimaentwicklung vor Augen zu führen. Bei diesem Vergleich werden die Vernichtungsabsichten und ihre generalstabsmäßig durchgeführte Verwirklichung im nationalsozialistischen Deutschland außer Acht gelassen. Wenig durchdacht scheint auch der Verweis auf das Vernichtungslager Auschwitz zu sein, zu dem es heißt, daß dessen Existenzberechtigung von den damals dort tätigen Ärzten, mögen einzelne auch den einen oder anderen gefangenen Menschen vor der Vernichtung gerettet haben, niemals "grundsätzlich" in Frage gestellt worden sei.

Es bedarf solcher Vergleiche nicht, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen, mit der die Menschheit etwas gegen Klimawandel und Naturzerstörung unternehmen muß. Diskutierenswert ist die Vorstellung, daß sich die Mehrheit der Menschen vermutlich niemals für tiefgrünen Widerstand einsetzen wird, weshalb diese der Führung bedürfen. Die Suffragettenbewegung als Beispiel nehmend wird behauptet: "Echte Bewegungen brauchen echte AnführerInnen." (S. 131) Mit diesem Führungsanspruch dürften Autorin und Autoren große Teile der heutigen Klimaschutzbewegung vor den Kopf stoßen, bemüht sich diese doch darum zu vermeiden, daß in ihren Kreisen einzelne in besonderer Weise hervortreten, Prominenz erlangen, womöglich käuflich werden und das gemeinsam beschlossene Ziel aus den Augen verlieren; wohingegen auf der anderen Seite die weniger lautstarken Stimmen unterdrückt werden.

Daß diese Absage an jegliche Art der Führung ihrerseits Probleme von Lähmung und verminderter Schlagkraft einer Bewegung aufwerfen kann, wie in "Deep Green Resistance" behauptet, bedeutet nicht, die Idee einer herrschaftsfreien Form von Gemeinschaft pauschal verwerfen zu müssen. Vielleicht gibt es für eine an der Sache und nicht an Hierarchie orientierte Führung so gut wie keine historischen Vorbilder. Da Geschichte stets von den vorherrschenden und an Herrschaft interessierten Kräften geschrieben wird, sollte das allerdings nicht verwundern. Wer die Zivilisation zerstören will, müßte sich konsequenterweise fragen, welches Menschenbild am Ende dabei herauskommen soll. Sind Führung und Herrschaft nicht von Anfang an eindeutig voneinander getrennt, besteht die Gefahr, daß der Führungsanspruch von Deep Green Resistance im Sumpf der sozialen Gegenseitigkeit steckenbleibt.

Direkte Aktion, Infrastrukturen wie Strom- und Internetverbindungen angreifen, Brücken nach Manhattan blockieren (S. 82) ... Autorin und Autoren bemühen sich sichtlich darum, keinen Anlaß für Zensur zu bieten, indem sie die von ihnen ausführlich behandelte "direkte Aktion" umschreiben, als Frage formulieren, durch Auslassungen nahelegen, etc. Das Buch ruft nicht zur Sabotage auf, legt diese aber nahe.

An anderer Stelle heißt es, daß bei der "entschiedenen ökologischen Kriegführung" (S. 289) eine kleine Anzahl von Menschen "bestmöglich" eingesetzt wird, beispielsweise um Unterbrechungen der Infrastruktur herbeizuführen. Woran bemißt Deep Green Resistance, was am besten ist? Wer bestimmt darüber? Und was geschieht mit jenen, die eine andere Vorstellung dazu haben - werden Sie ausgegrenzt, so daß die "Kultur des Widerstands" bereits endet, bevor sie gekeimt ist?

Vieles, was die Gründungsgruppe von Deep Green Resistance zum tiefenökologischen Widerstand schreibt, mag theoretisch zunächst plausibel klingen. In der eigenen Praxis dagegen hat sich gezeigt, daß die Probleme offenbar erst anfangen, wenn eine Zusammenarbeit mit anderen, gesellschaftlich marginalisierten Menschen angestrebt wird. So hat sich Aric McBay bereits 2012, also ein Jahr nach Originalveröffentlichung, von Deep Green Resistance getrennt, weil sich Keith und Jensen abfällig gegenüber Transgendern geäußert und - hier nur die verkürzte Version der Debatte - behauptet haben, das männliche Dominanzstreben bzw. die Unterwerfung der Frauen sei auch im Verhältnis von biologischen Männern, die aber das weibliche Geschlecht leben, wiederzufinden. Heute sind mindestens Teile der LGBTQ-Community nicht gut auf Jensen und Keith zu sprechen. Aus nämlichem Grund hat sich von ihnen unter anderem auch die radikalökologische Bewegung Earth First! sowie das Portland-Chapter von Deep Green Resistance distanziert.

Das ist nicht die einzige Kontroverse, die zeigt, daß die "Kultur des Widerstands" ein schwierig in die Praxis umzusetzender Anspruch ist. So hat sich Jensen geringschätzig über den Schwarzen Block der Occupy-Bewegung der 2010er Jahre geäußert und seinerseits entsprechende Reaktionen aus dieser Gruppierung geerntet. Keith wiederum, die einst Probleme mit ihrer Magersucht hatte, führt dies auf ihre zwei Jahrzehnte währende vegane Ernährungsweise zurück. Sie hat ein Buch zu dem Thema geschrieben, wie sie wieder zur Fleischesserin geworden ist ("Ethisch Essen mit Fleisch", dtv 2015). Im vorliegenden Buch nun behauptet sie, daß Trägheit "von schlechter Ernährung hervorgerufen und von vegetarischen und veganen Ernährungsweisen noch verstärkt" wird (S. 115). Eine These, die vermutlich das subjektive Erleben der Autorin widerspiegelt, aber nicht zu verallgemeinern ist. Es bedarf schon lange nicht mehr des Beweises, daß eine vegane Ernährungsweise, unter Beachtung bestimmter Maßnahmen, wie sie in anderen Varianten aber auch für die Fleischkonsumierenden gilt, ohne Mangel zu erleiden sehr gut machbar ist.

Wir wollen an dieser Stelle nicht die zahlreichen Kontroversen, in die Deep Green Resistance involviert war oder noch ist, nachzeichnen. Doch zeigen diese Beispiele erstens die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und zweitens, daß ausgerechnet zwischen Menschen, die sich, gemessen an der gesamten politischen Breite der Gesellschaft, eigentlich sehr nahe stehen müßten, unüberbrückbare Differenzen bestehen können.

Die Stärken des Buches liegen da, wo herkömmliche Mittel und Methoden der gesellschaftlichen Einflußnahme analysiert werden und herausgearbeitet wird, wo überall in der Ökobewegung Fallstricke lauern. So wäre im Anschluß an die Lektüre zu fragen, ob das Buch mit seinen ausführlichen Beschreibungen von Widerstandsformen, Taktiken und Strategien dazu beitragen kann, daß interessierte Leserinnen und Leser bestimmte Fehler, die Menschen mit gleichem Anliegen in der Vergangenheit begangen haben, nicht wiederholen müssen. Bietet das Buch Anregungen bei der Suche nach und Entwicklung von passenden Widerstandsformen? Diese Frage kann mit einem Ja beantwortet werden, schon allein deswegen, weil es nachdenklich macht und zur Diskussion anregt. Zwar muß die junge Generation der Klimaschutzbewegung Fridays for Future ihre eigenen Erfahrungen mit dem Staat und den gesellschaftlich dominierenden Kräften machen, aber Deep Green Resistance bietet die Chance, sich bestimmte Wiederholungen zu ersparen, Sackgassen zu vermeiden und Vereinnahmungsversuchen durch diejenigen, die zurückzulassen man angetreten ist, zu widerstehen.

Bei aller Kritik oder besser: genau deswegen sei das Buch "Deep Green Resistance" allen an Umweltfragen Interessierten empfohlen. Es kann aber wohl nur dann eine Bereicherung sein, wenn die am Ausgangspunkt stehenden fundamentalen Fragen zum Verhältnis von Mensch und Gesellschaft nicht durch zu kurz gegriffene Antworten verbraucht und damit ins alte Fahrwasser geführt, sondern als wertvollstes Gut einer zivilisationsüberwindenden Kultur des Widerstands gehegt und gepflegt werden.

15. Dezember 2020


Derrick Jensen, Lierre Keith, Aric McBay
Deep Green Resistance
Strategien zur Rettung des Planeten
Promedia Verlag, Wien 2020
352 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-85371-468-3


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